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Sternengeschichten Folge 555: Die Geschichte des Einsteinrings

Wer an der Universität im Bereich Astronomie, Kosmologie oder theoretische Physik forscht, wird diese Situation kennen: Man bekommt eine Nachricht von einer Person, die selbst nicht in diesen Forschungsbereichen tätig ist, sondern zum Beispiel Ingenieurswissenschaften, Elektrotechnik, etwas ganz anderes oder auch gar nichts studiert hat. Trotzdem ist diese Person der Meinung, sie hätte etwas Bedeutsames entdeckt und bittet nun darum, die eigene Arbeit zu beurteilen und idealerweise auch bei der Veröffentlichung dieser Arbeit zu helfen.

Mir jedenfalls ist das sehr oft passiert und auch meinen Kolleginnen und Kollegen. Meistens geht es darum, dass jemand meint, er oder sie hätte die Relativitätstheorie widerlegt, oder eine neue Idee, wie das Universum entstanden ist, woraus die Materie besteht, die Weltformel, die alles erklären kann gefunden, und so weiter. Und in allen Fällen, zumindest denen die ich bisher erlebt habe, handelt es sich um eine Idee, bei der man schnell zeigen kann, dass sie falsch ist.

Im Frühjahr 1936 beginnt eine Geschichte, die anfangs genau so aussieht wie das, was ich gerade erzählt habe. Aber ganz anders endet. In diesem Jahr kam Rudi Mandl in das Gebäude der Nationalen Akademie der Wissenschaften in Washington um dort den „Science Service“ zu besuchen, eine Institution die sich mit der Popularisierung von Wissenschaft beschäftigt. Mandl wollte Hilfe bei der Publikation einer Idee, die er hatte und die mit Albert Einsteins Relativitätstheorie zu tun hat. Rudi Mandl war allerdings selbst kein Wissenschaftler. Er kam aus Tschechien, hatte in Wien Elektrotechnik studiert, danach aber nicht in der Forschung gearbeitet und wanderte in die USA aus. Das, was er meinte entdeckt zu haben, sah auf den ersten Blick nicht völlig unseriös aus. Deswegen (oder weil sie ihn schnell los werden wollten?) schlugen die Leute vom Science Service vor, dass er seine Idee doch mit dem unbestreitbaren Experten für die Relativitätstheorie besprechen sollte: Albert Einstein selbst. Und sie gaben ihm ein Empfehlungsschreiben und sogar ein bisschen Geld für den Trip nach Princeton, wo Einstein lebte und arbeitete.

Bevor wir uns anschauen, wie Einstein darauf reagiert hat, sollten wir uns aber Mandls Idee noch ein wenig genauer ansehen. Die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie habe ich ja schon öfter besprochen. Einstein hat festgestellt, dass der Raum nicht einfach nur eine unveränderbare Bühne ist; ein Hintergrund, auf dem sich die Dinge im Universum abspielen. Sondern dass der Raum, beziehungsweise genauer: die Raumzeit, selbst ein Ding ist, mit Eigenschaften die sich verändern können. Insbesondere hat Einstein festgestellt, dass der Raum gekrümmt sein kann und das Objekte bei ihrer Bewegung durch den Raum dieser Krümmung folgen müssen. Gekrümmt werden kann der Raum durch die Anwesenheit von Masse und damit hatte Einstein eine neue Erklärung für das Phänomen der Gravitation gefunden: Masse krümmt den Raum und Objekte die sich in der Nähe einer Masse bewegen, werden durch diese Krümmung bei ihrer Bewegung abgelenkt. Genau so, als würde eine Kraft auf sie wirken; eine Kraft, die man als Gravitationskraft bezeichnet.

Das war 1936 alles schon längst durch Beobachtungen bestätigt und Einstein der weltberühmte Wissenschaftler, als den wir ihn heute in Erinnerung haben. Mandl hatte aber eine andere Idee: Wenn Licht der Krümmung des Raums folgt, dann kann der Raum ja quasi wie eine optische Linse aus Glas wirken. Und genau so, wie eine solche Linse das Licht zum Beispiel verstärken kann, oder ein Bild verzerren kann, sollte das auch ein passend gekrümmter Raum können. Was wäre zum Beispiel, wenn man das Licht eines Sterns betrachtet, der von uns aus gesehen genau hinter einem anderen Stern steht? Der vordere Stern krümmt den Raum und damit wird auch das Licht des hinteren Sterns um ihn herum gebogen. Wir sollten also den vorderen Stern sehen, und um ihn herum einen Kreis aus Licht, der das verzerrte Bild des hinteren Sterns ist.

Bild: gemeinfrei

Das war Mandls Idee, die er Einstein vorstellen wollte, was er am 17. April 1936 auch getan hat. Einstein hörte sich die Sache freundlich an; sie machten gemeinsam ein paar Berechnungen und dann fuhr Mandl wieder nach Hause. Er schrieb aber weiter an Einstein und drängte ihn, die Sache auch in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu veröffentlich. Wovon Einstein allerdings nicht so begeistert war. Einerseits, weil Mandl nicht einfach nur die Idee zu der ringförmigen Verzerrung des Sternenlichts hatte. Seine Gedanken gingen weit darüber hinaus; er stellte sich zum Beispiel vor, dass solche Raumkrümmungslinsen auch die überall im Weltall befindliche kosmische Strahlung auf die Erde fokusieren könnten, und dass sie das auch in der Vergangenheit immer wieder getan haben. Dabei wären durch die vermehrt auftreffende Strahlung Mutationen in den Lebewesen ausgelöst und die Evolution angetrieben worden. Mandl sah seine Idee als Ausgangspunkt einer umfassenden Neubewertung der Entstehung des Lebens; er war der Meinung, dass seine Lichtringe schon bei diversen astronomischen Beobachtungen gesehen worden wären, nur hätte man das nicht erkannt, und so weiter. Es ist verständlich, dass Einstein da eher skeptisch war. Außerdem, und das war der viel wichtigere Punkt, hatte Einstein bei seinen Rechnungen mit Mandl gezeigt, dass der Effekt quasi unbeobachtbar wäre. Das zu einem Ring verzerrte Licht eines Hintergrundsterns wäre nicht beobachtbare. Der Ring wäre so winzig, dass er mit den Teleskopen der damaligen Zeit nicht gesehen werde könnte und auch nicht mit Teleskopen, die aus damaliger Sicht in absehbarer Zukunft gebaut werden könnten.

Mandl hörte aber nicht auf, Einstein um Publikation zu bitten (und gleichzeitig auch jeder Menge anderer Wissenschaftler in der Angelegenheit zu schreiben). Er wandte sich auch wieder an den Science Service der Akademie der Wissenschaft und am Ende gab Einstein nach. Am 4. Dezember 1936 schrieb er eine kurze Notiz in der Fachzeitschrift „Science“, mit dem Titel „Lens-like Action of a Star by the Deviation of Light in the Gravitational Field“, also „Linsenartige Wirkung eines Sterns durch die Ablenkung von Licht im Gravitationsfeld“. Der Text beginnt mit „Vor einiger Zeit besuchte mich R. Mandl und bat mich, die Ergebnisse einer kleinen Berechnung zu publizieren, die ich auf sein Ansuchen hin angestellt habe. Diese Notiz erfüllt seine Bitte“. Am Ende der Notiz stellt Einstein allerdings auch noch einmal explizit fest, dass er keine große Chance sieht, diesen Effekt zu beobachten.

Für Einstein war die Sache damit erledigt, für den Rest der Wissenschaft aber nicht. Aber bevor wir dazu kommen, schauen wir noch einmal in die Vergangenheit. Mandl war nicht der erste, der die Idee zur Verzerrung von Sternenlicht durch Gravitationslinsen hatte. Die hatte Einstein selbst auch schon gehabt, schon 1912, auch wenn er sie damals nicht publiziert hat. Einstein hat damals recht ähnliche Rechnungen angestellt wie Mandl. Vermutlich war das auch der Grund, warum er sich am Ende doch von der Publikation überzeugen ließ, auch wenn der Effekt seiner Meinung nach unbeobachtbar und damit wertlos für die Wissenschaft war. Es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass Einstein auch der Lichtring-Effekt bekannt war. Denn im Jahr 1924 veröffentlichte der russische Physiker Orest Danilowitsch Chwolson in der Fachzeitschrift „Astronomische Nachrichten“ eine kurze Notiz mit dem Titel „Über eine mögliche Form fiktiver Doppelsterne“ in der er auch berechnete, wie das Licht eines Hintergrundsterns durch einen Vordergrundstern abgelenkt werden kann und sogar anmerkt, dass der Vordergrundstern von einem Ring umgeben sein müsste, wenn der Hintergrundstern von der Erde aus gesehen exakt dahinter liegt. Und in der selben Ausgabe der Fachzeitschrift, sogar auf der selben Seite, findet sich auch ein kurzer Artikel von Albert Einstein.

Die Idee der Gravitationslinse war jetzt also publiziert und diverse Wissenschaftler reagierten darauf. Unter anderem Fritz Zwicky, den manche vielleicht noch von der „Dunklen Materie“ kennen; er war ja derjenige, der diesen Begriff erfunden und auch die ersten Beobachtungsdaten geliefert hat, die auf ihre Existenz hinweisen. Aber das ist eine andere Geschichte; in diesem Fall wies Zwicky darauf hin, dass man diesen Effekt ja nicht nur bei Sternen suchen kann, sondern auch bei Galaxien. Es kann ja auch eine Galaxie im Vordergrund das Licht einer genau dahinter stehenden Galaxie ablenken und dann kriegt man eine Galaxie, die von einem Ring aus Licht umgeben ist. Und dieser Ring wäre deutlich größer als im Fall der Sterne.

Es hat allerdings bis 1979 gedauert, bis man tatsächlich das erste Mal beobachten konnte, wie Licht von Galaxien auf diese Weise abgelenkt wird. Da hat man aber „nur“ gesehen, wie das Bild von Galaxien verformt wird, der Ring, der Mandl beschäftigt hat, war da nicht zu sehen. Dafür braucht es eben wirklich eine perfekte Ausrichtung und ganz genaue Beobachtungen. Man sah immer wieder unfertige Ringe, also Galaxien, deren Licht zu mehr oder weniger langen Bögen verformt war. Der erste komplette Ring konnte dann aber im Jahr 1987 beobachtet werden. Das Licht der fernen Galaxie mit der Bezeichnung B1938+666 formte einen kompletten Ring um eine nicht ganz so weit entfernte elliptische Galaxie.

In den Jahren danach fand man Dutzende weitere solcher „Einsteinringe“, wie das Phänomen mittlerweile genannt wurde (obwohl man es genau so gut Chwolson-Ring oder Mandl-Ring nennen könnte). Man hat sogar im Jahr 2008 einen doppelten Ring gefunden: Drei Galaxien standen von uns aus gesehen genau in einer Reihe und die vorderste hat die Bilder der beiden dahinter zu zwei unterschiedlich großen Ringen verformt.

Die Entdeckung der Einsteinringe war nicht nur eine weitere Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ihre Beobachtung ist mittlerweile auch ein wichtiges Instrument bei der Erforschung des Universums geworden. Die Art und Weise, wie genau das Bild der fernen Galaxien verzerrt wird, sagt uns, wie viel Masse sich zwischen uns und ihnen befindet. Und dabei geht es nicht nur um die sichtbare Masse, sondern die gesamte Masse, also auch die der dunklen Materie, die wir ja anders nicht beobachten oder bestimmen können. Ohne Gravitationslinsen uns Einsteinringe wüssten wir sehr viel weniger über die dunkle Materie als wir es tun und wenn wir in Zukunft noch mehr wissen werden, dann weil wir diesen Effekt noch viel stärker genutzt und noch mehr Einsteinringe im Universum beobachtet haben.

Und vielleicht werden Mandl und Chwolson ja doch noch bestätigt und Einsteins Behauptungen, dass man den Lichtring um einen Stern nie beobachten wird können, ist falsch. Denn 2016 fanden ein paar Forscherinnen und Forscher heraus, dass sich Alpha Centauri A, also einer der drei Sterne, die das der Sonne nächstgelegene Sternensystem bilden, im Mai 2028 von uns aus gesehen sehr nah vor einem viel weiter entfernten Stern vorbeibewegen wird. Man kann die Bewegung der Sterne nicht so extrem exakt berechnen, aber die Chancen stehen fast 50:50, dass das Licht des Hintergrundsterns dann einen Einsteinring um Alpha Centauri A bilden wird. Und wenn das so ist, dann wird man das auch mit den Teleskopen auf der Erde beobachten können.

4 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 555: Die Geschichte des Einsteinrings“
  1. Eigentlich schon, AFAIK. Steht auch so im Wiki-Artikel zum Objekt:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Einsteinkreuz
    Warum keine Bögen, sondern die Licht-„Knoten“ entstehen, würde ich als Resultat der Masseverteilung der Vordergrundgalaxie sehen. Vielleicht eine Balkenspirale mit (passend positionierten) Satellitengalaxien, die wir auf die Entfernung nicht auflösen können?

  2. Jetzt ist die Frage: wirkt die Einsteinlinse wie eine optische Linse? Mit einer Lichtbrechung, bei der das blaue Licht stärker abgelenkt wird als das rote? Wenn ich die Bilder anschaue, bin ich geneigt zur Annahme, dass das stimmt. Die Ringe sind durchweg blau , wobei ich jetzt einmal nicht von Falschfarben ausgehe. Das rote Licht sehen wir nicht, weil es nicht stark genug abgelenkt wird. Um einen roten Ring zu sehen, müssten wir uns weiter von der Galaxis entfernen. Dann sind wir aber so weit weg, dass wir wahrscheinlich gar nichts mehr sehen. Drum sind diese Ringe in der Regel blau.

    Kleine Spinnerei von mir: das Licht, das links und rechts um die Galaxis herum gelaufen ist, kann man ja zur Interferenz bringen, es ist ja wahrscheinlich ziemlich kohärent. Da sollten sich dann Interferenzstreifen zeigen. Und was, wenn nicht?
    Dann existiert eine „Welcher Weg“-Information bezüglich der zwei Lichtstrahlen. Ein Quantenphänomen, das man bei Versuchen mit dem Doppelspalt beobachtet.

    Man erwartet natürlich, dass diese „Welcher Weg“-Information nicht existiert. Was aber, wenn doch?
    Und es gäbe einen begründeten Verdacht, dass da jemand versucht, auf diese Weise Kontakt mit uns aufzunehmen.
    Der dazu befragte ChatGPT hat verneint, dass das jemals versucht wurde.

  3. @Artur:

    Jetzt ist die Frage: wirkt die Einsteinlinse wie eine optische Linse? Mit einer Lichtbrechung, bei der das blaue Licht stärker abgelenkt wird als das rote?

    Ohne jetzt direkt die Formeln zur Hand zu haben, würd ich jetzt aus dem Bauch heraus vehement ablehnen. Aus „Sicht“ der Lichtstrahlen laufen sie geradeaus. Die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist, so es mir geläufig ist, frequenzunabhängig. Es ist eben keine Brechung! Brechung ist eine Interaktion der Lichtwellen mit einem Medium. Der Raum ist aber kein Medium.

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