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Sternengeschichten Folge 595: Thomas Harriot, der erste moderne Astronom?

Im Jahr 1609 machte Galileo Galilei seine Beobachtungen der Jupitermonde, die den Anfang des Endes des geozentrischen Weltbildes einläuten sollten. Im Jahr 1609 veröffentlichte Johannes Kepler sein epochales Werk „Astronomia Nova“, das den Beginn der modernen Astronomie darstellt. Das Jahr 1609 war für die Astronomie ein enorm wichtiges Jahr – und es war noch viel mehr los. Es war vor allem auch das Jahr, in dem der englische Forscher Thomas Harriot die Beobachtungen durchgeführt hat, wegen der er von manchen als der erste moderne Astronom bezeichnet wird.

Aber das kommt erst später. Wir fangen im Jahr 1560 an und zwar in Oxford. Da und dort wird Thomas Harriot geboren und mit 17 Jahren beginnt er an der Universität Oxford auch sein Studium. Er hat sich intensiv mit Navigation beschäftigt, das war damals eine besonders relevante Disziplin für England. Immerhin lag die Entdeckung von Amerika durch Christopher Kolumbus noch keine hundert Jahre zurück und England, so wie viele andere Nationen, war intensiv damit beschäftigt, den für Europa neuen Kontinent zu erforschen und in Besitz zu nehmen. Und um dort hin zu kommen, musste man sich mit Navigation auskennen.

Harriot wurde dann auch vom englischen Entdecker und Seefahrer Walter Raleigh als Mathematiker engagiert, um bei der Navigation zu helfen, die Schiffe zu designen und so weiter. Gemeinsam mit Raleigh machte er sich auch auf eine Expedition nach North Carolina, wo er nicht nur wegen seiner mathematische Fähigkeiten hilfreich war, sondern auch, weil er damals der erste und einzige Engländer war, der sich die Mühe gemacht hat, Algonkin zu lernen, die Sprache der Pamlico, also der Menschen, die schon lange vor den Europäern dort lebten, wo sich heute North Carolina befindet. Der Bericht, den Harriot später über diese Reise geschrieben hat, hat spätere Forschungs- und Kolonisierungsreisen beeinflusst. Dass er auch dafür verantwortlich war, die Kartoffel aus Amerika zu den britischen Inseln zu bringen, wird zwar ab und zu behauptet, kann aber nicht belegt werden.

Zurück aus Amerika wurde Harriot von Henry Percy, dem Earl of Northumberland engagiert, als Privatlehrer für die Familie – Harriot hatte aber auch genug Zeit und Möglichkeiten, seine eigenen Forschungsprojekte zu verfolgen. Die beschäftigten sich damals, zu Beginn des 17. Jahrhunderts vor allem mit der Optik und der Astronomie. Deswegen ist es auch nicht überraschend, dass Harriot auch von der Erfindung erfahren hat, die bald alle beschäftigen sollte. Im Jahr 1608 wurde in den Niederlanden das Teleskop entwickelt, wahrscheinlich vom Brillenmacher Hans Lipperhey. An Astronomie hat Lipperhey aber nicht gedacht als er das Instrument baute und auch seine Zeitgenossen sahen vor allem den militärischen Wert des Fernrohrs.

Auch Harriot besorgte sich eines der neuen Instrumente, aber er richtete es zum Nachthimmel. Am 5. August 1609 beobachtete er damit den Mond und machte detaillierte Zeichnungen von dem, was er dort sehen konnte. Das war übrigens auch genau das, was Galileo Galilei getan hat. Auch der Italiener baute sich ein Teleskop, nachdem er von der Erfindung aus Holland erfahren hatte; er verbesserte es sogar und fing an, den Nachthimmel zu beobachten. Seine ersten nachweisbaren Beobachtungen des Mondes haben Ende November 1609, also gut vier Monate nach denen von Thomas Harriot stattgefunden. Nach allem, was wir heute wissen, war der Engländer also tatsächlich der erste, der ein Teleskop für astronomische Beobachtungen eingesetzt und die Ergebnisse seiner Beobachtungen aufgezeichnet hat. Thomas Harriot war der erste, der Astronomie nicht mehr nur mit dem freien Auge betrieben, sondern optische Instrumente dafür eingesetzt hat; also genau das getan hat, was auch heute noch der Kern der modernen wissenschaftlichen Astronomie ist. War Thomas Harriot also der moderne Astronom?

Mondkarte von Harriot (Bild: gemeinfrei)

Ja. Und Nein. So einfach ist Geschichte leider selten. Ich habe zu Beginn schon gesagt, dass 1609 ein besonderes Jahr für die Astronomie war. Mit der Erfindung des holländischen Fernrohrs hat sich ein komplett neues Fenster für die Himmelsbeobachtung aufgetan und man muss kein Genie sein, um auf die Idee zu kommen, es nicht nur dafür einzusetzen, am Tag weit entfernte Objekte auf der Erde zu beobachten, sondern es auch in der Nacht auf den Himmel zu richten. Thomas Harriot und Galileo Galilei waren beide nicht dumm und dass Harriot seine Zeichungen ein paar Monate früher gemacht hat als Galilei sollte nicht überbewertet werden.

Aus Sicht der Wissenschaft ist die Arbeit von Galileo Galilei aber mit Sicherheit wichtiger einzuschätzen. Nicht, weil er so viel besser war als Harriot. Seine Mondkarten waren zwar schon ein wenig detaillierter als die des Engländers. Aber Galilei hat vor allem eines getan, was enorm wichtig ist: Er hat seine Erkenntnisse veröffentlicht. Im Jahr 1610 erschien sein berühmtes Buch „Sidereus Nuncius“, der „Sternenbote“. Darin berichtet Galilei nicht nur vom holländischen Teleskop und seinem Einsatz in der Himmelsbeobachtung. Er beschreibt, wie er den Mond im Teleskop gesehen hat und veröffentlicht ausführliche Karten der Mondoberfläche; berichtet darüber hinaus aber auch von den vielen bis dahin nie gesehenen Sterne, die mit dem Teleskop sichtbar wurden und vor allem auch von der Entdeckung der Monde des Jupiters.

Hätte Galilei seine Ergebnisse nicht öffentlich gemacht, hätten sie auch nicht die Wirkung auf die Wissenschaft und die Gesellschaft haben können, die sie gehabt haben. Ok, Galilei hätte sich auch viel Ärger mit dem Papst und der Kirche erspart, aber ohne seine Veröffentlichungen wäre die Wende hin zu einer modernen Astronomie erst später erfolgt. Harriot dagegen hat seine Beobachtungen nicht veröffentlicht. Das gilt auch für seine Entdeckung der Sonnenflecken. Auch hier war Thomas Harriot vermutlich der erste. Seine ersten teleskopischen Beobachtungen der Sonne und die Entdeckung der dunklen Flecken auf ihrer Oberfläche fanden im Jahr 1610 statt. Galileo Galilei sah sie im Jahr 1611, ebenso die deutschen Astronomen Johann Fabricius und Christoph Scheiner. Aber auch diesmal hat Harriot nichts veröffentlicht.

Eventuell lag das daran, dass der Earl of Northumberland, sein Arbeitsgeber, in den Gunpowder Plot verwickelt war; eine Verschwörung britischer Katholiken mit dem Ziel, den protestantischen König zu töten. Das Attentat schlug fehl, aber auch Harriot wurde im Zuge der Aufarbeitung kurzfristig verhaftet und dachte sich vielleicht, dass er sich ab jetzt eher zurück halten sollte, was öffentliche Aufmerksamkeit angeht.

Was schade ist, denn Harriot hätte jede Menge zu veröffentlichen gehabt. Nicht nur in der Astronomie: In der Mathematik hat er sich zum Beispiel mit Zahlensystemen beschäftigt und das Binärsystem entdeckt, noch vor Gottfried Wilhelm Leibniz, der üblicherweise als Entdecker gilt. Er war der erste, der eine Formel für die Berechnung der Fläche eines Dreiecks auf einer Kugeloberfläche fand – sehr wichtig für die Navigation. Sie wird heute als „Girards Theorem“ bezeichnet, nach dem Franzosen Albert Girard, der diese Gleichung ebenfalls fand, aber im Gegensatz zu Harriot eben auch veröffentlicht hat. Thomas Harriot hat ein ganzes Buch über Mathematik geschrieben, das erst nach seinem Tod veröffentlicht worden ist und er hat die Mathematik der Zinseszins-Rechnung entwickelt.

Mondkrater Harriot (Bild: NASA, gemeinfrei)

Thomas Harriot war ein wichtiger Forscher, aber einer, dessen Leistungen sehr lange unbekannt waren. Mittlerweile hat sich das glücklicherweise geändert. Eine Sternwarte einer Universität in Virginia ist nach ihm benannt, genau so wie ein Krater auf dem Mond und ein Asteroid. Die größte Ehre ist aber vermutlich die Benennung des Planeten 55 Cancri f. Der Doppelstern 55 Cancri wird von fünf Planeten umkreist und im Jahr 2015 erhielten diese fünf Planeten die Namen von Wissenschaftlern. Zwei davon heißen Lipperhey und Janssen, nach dem Erfinder des Fernrohrs und Zacharias Janssen, der ebenfalls ein Fernrohr erfunden hat und wo bis heute nicht klar ist, wer von beiden zu erst dran war. Die restlichen drei Planeten sind nach Tycho Brahe und Galileo Galilei benannt und der letzt heißt nun offiziell „Harriot“.

Einen Planeten nach sich benannt zu bekommen ist eine Ehre, die es nicht oft gibt. Und eine, die Thomas Harriot auf jeden Fall verdient hat.

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