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Sternengeschichten Folge 556: El Nino und die komplexen Oszillationen der Erde

In der heutigen Folge der Sternengeschichten reden wir übers Meer. Aber nicht nur über das Meer; wir reden über Strömungen, Wetter, Niederschlag, Wind; über Ozeanografie und über Meteorologie. Und wer sich jetzt fragt, wo in dieser Folge die Sterne sind: Die kommen nicht vor! Wir bleiben auf der Erde, aber es lohnt sich auch mal wieder, einen sehr genauen Blick auf unseren eigenen Planeten zu werfen. Denn wir vergessen gerne, dass das der einzige Planet ist, denn wir wirklich aus der Nähe und im Detail erforschen können. Bei den anderen Planeten des Sonnensystems geht das nicht und schon gar nicht bei den Planeten, die andere Sterne umkreisen. Bei diesen anderen Himmelskörpern neigen wir dazu, sie als Einheit wahrzunehmen. Und sagen dann Sachen wie: Auf der Venus ist extrem heiß. Oder: Der Mars hat so gut wie keine Atmosphäre. Was ja alles richtig ist, aber genau so wenig wie es „die Erde“ gibt, gibt es auch nicht „den Mars“ und „die Venus“. Auf ihre eigene Art sind das ebenso vielfältige und komplexe Welten wie die Erde und für die Planeten anderer Sterne gilt das auch, selbst wenn wir dort bis jetzt noch weniger Informationen haben als über die Planeten des Sonnensystems.

Wir sehen die anderen Himmelskörper als einheitliche Objekte, weil wir zu wenig über sie wissen. Und genau deswegen lohnt sich ein Blick auf die Erde, denn sie zeigt uns sehr deutlich, wie enorm komplex so ein Planet in Wahrheit ist. So enorm komplex, dass es nicht möglich ist, „die Erde“ in einer kurzen Podcast-Folge zu beschreiben. Und selbst das eine Thema, das ich für dieses Mal ausgesucht habe, lässt sich nicht in allen Details behandeln. Es geht in dieser Folge um El Niño. Das kennt man hierzulande vielleicht aus den Nachrichten, wenn es heißt, dass irgendwo in Südamerika wieder mal ein „El Niño“ auftritt und deswegen komische Sachen mit dem Wetter passieren. Aber was genau heißt es eigentlich, wenn es irgendwo „El Niño“ gibt?

Genaugenommen geht es um ENSO, die El-Niño-Southern Oscillation. Und das wiederum ist der Name für die enorm komplexe Art und Weise, wie Meer und Atmosphäre zusammenhängen können. Fangen wir mal bei der Luft an. In den Tropen, am Äquator, steht die Sonne das ganze Jahr über hoch am Himmel. Deswegen ist es dort auch so warm und deswegen erwärmt sich dort auch die Luft so stark. Und was macht warme Luft? Sie steigt nach oben und strömt dann in Richtung Norden (oder in Richtung Süden, wenn wir uns auf der Südhalbkugel der Erde befinden). Dabei kühlt sie dann wieder ab und sinkt nach unten, ungefähr auf Höhe von Nordafrika, Mexiko und Südchina (bzw. auf Höhe von Australien oder Südafrika auf der Südhalbkugel). Deswegen ist dort dann der Luftdruck höher und die Luft strömt wieder zurück in Richtung Tropen, wo der Luftdruck wegen der aufsteigenden Luft ja tiefer ist. Dieses großräumige Zirkulationsmuster nennt man „Hadley-Zelle“. Jetzt dreht sich die Erde aber auch noch um ihre Achse und das führt dazu, dass die Luft nicht einfach schnurgerade vom Äquator Richtung Norden bzw. Süden strömt. Die Erdrehung lenkt die Bewegung der Luft ab und zwar in Richtung Westen. Das führt auf der Nordhalbkugel zu einem Wind, der aus Nordosten weht und einem Südostwind auf der Südhalbkugel. Das sind die berühmten „Passat-Winde“, die fast konstant wehen und so wichtig für die Schifffahrt waren und sind, weil man sich immer einigermaßen darauf verlassen konnte, dass im Atlantik bzw. im Pazifik der Wind aus der selben Richtung kommt.

Der Passat treibt aber nicht nur Segelschiffe an, sondern schiebt auch das Wasser der Ozeane vor sich her. Wir schauen uns jetzt mal an, wie das im Pazifik auf der Südhalbkugel aussieht. Da weht der Passat ja aus südöstlicher Richtung. Also von der Westküste Südamerikas in Richtung Südostasien und schiebt dabei Wasser vor sich her. Der Passat türmt quasi einen Wasserberg auf und vor der südamerikanischen Küste ist der Meeresspiegel daher circa 60 Zentimeter niedriger als am anderen Ende des Pazifiks bei Indonesien, Malaysien und Co. Wenn vor Südamerika das vergleichsweise warme Wasser von der Oberfläche der Meere durch den Passatwind weggeschoben wird, dann bleibt das nicht ohne Konsequenzen. Kaltes Wasser steigt aus den tieferen Schichten nach oben und wie das genau funktioniert, wäre fast schon wieder eine eigene Podcastfolge wert. Ich spare mir jetzt aber diese Details; wer es wirklich ganz genau wissen will, kann ja mal unter dem Stichwort „Ekman-Transport“ nachschlagen. Jedenfalls haben wir jetzt vor Südamerika kaltes Wasser aus den tieferen Schichten des Ozeans, das sich in Richtung Westen bewegt und dabei langsam erwärmt wird. Von der südamerikanischen Küste startet das Wasser mit circa 24 Grad, in Indonesien angekommen sind es dann schon gut 28 Grad. Das warme Wasser verdampft, die warme und feuchte Luft steigt auf, kühlt sich ab und es regnet; so entsteht dort das typische Monsun-Klima, während es an der Westküste von Südamerika eher trocken ist.

Bild: gemeinfrei

Das was ich jetzt beschrieben habe, ist in Wahrheit erstens noch viel komplizierter. Und zweitens die sogenannte „Normalphase“ der El-Niño-Southern Oscillation. In der Normalphase haben wir in Südostasien wegen der höheren Temperaturen der Luft, die dadurch schneller aufsteigt ein Tiedruckgebiet; bei Südamerika dagegen ein Hochdruckgebiet. Die Luft, die in Südostasien aufsteigt, strömt weiter oben in der Atmosphäre nach Osten und sinkt bei Südamerika wieder ab, aber weil das Wasser ja schon im asiatischen Monsun rausgeregnet ist, ist diese absinkende Luft sehr trocken und sammelt erst wieder Feuchtigkeit, wenn sie über dem Meer zurück nach Westen strömt. Diese großräumige Luftzirkulation nennt man übrigens die „Walker-Zirkulation“ und zusammen mit der „Hadley-Zirkulation“ die ich vorhin beschrieben habe, bildet sie ein eigentlich sehr stabiles System, bei dem warme Luft und kaltes Wasser von Südamerika nach Südostasien strömt.

Und jetzt sind wir beim El Niño angelangt. Der findet statt, wenn sich die Luftdruckverhältnisse umkehren. In Südostasien wird der Luftdruck immer stärker, vor Südamerika immer schwächer und das kann sich sogar komplett umkehren, so dass wir bei Indonesien ein Hochdruckgebiet haben und vor Südamerika ein Tiefdruckgebiet. Das schwächt dann auch die Passatwinde oder kann sie sogar komplett die Richtung ändern lassen. Und dann läuft alles umgekehrt ab: Warmes Wasser von Südostasien strömt Richtung Südamerika und dort gibt es dann auch ungewöhnlich starke Regenfälle. Dort steigt auch kein kaltes Wasser aus den tieferen Ozeanschichten mehr auf. In Südostasien ist dagegen sehr viel trockener als normal.

Es gibt übrigens auch noch eine dritte Phase, die „La Niña“ genannt wird. Dann verstärkt sich alles, was ich für die Normalphase beschrieben habe; in Indonesien regnet es extrem viel, in Südamerika ist es extrem trocken. Diese drei Phasen, Normalphase, El Niño und La Niña sind die drei Hauptphasen der El-Niño-Southern Oscillation und wechseln sich ab. Man darf sich das aber nicht als regelmäßige Oszillation vorstellen. Manchmal können zwei El-Niño-Phasen aufeinanderfolgen, manchmal gibt es jahrzehntelang nur Normalphase und La Niña-Phasen. El-Niño- und La-Niña-Phasen dauern typischerweise einige Monate bis zu einem Jahr und treten meistens im Winter um Weihnachten herum auf, woher auch der Name „El-Niño“ stammt. Der bezieht sich auf „El-Niño de Navidad“, also das „Christkind“.

Zwei Fragen habe ich bis jetzt noch nicht beantwortet: 1) Was ist der Grund dafür, dass sich die Luftdruck- und Windverhältnisse alle paar Jahre umkehren? Und 2): Was für Auswirkungen hat das alles. Die Antwort auf die erste Frage ist einfach: Wissen wir nicht. Der Mechanismus, der der El-Niño-Southern Oscillation zugrunde liegt ist nicht vollständig geklärt. Wir wissen, dass im Pazifik das warme Wasser mal in die eine Richtung strömt und mal in die andere; das sich Luftdruck- und Windverhältnisse entsprechend ändern; das das alles Einfluss darauf hat, wie viel Wasser aus dem Meer verdunstet, wie feucht die Luft ist, wie viel Niederschlag es gibt, und so weiter. Aber wie all diese komplexen Phänomene im Detail zusammenhängen haben wir noch nicht verstanden. Dafür sehen wir aber – leider – sehr gut, welche Auswirkungen das alles hat.

Wenn in einer El-Niño-Phase kein kühles Wasser aus den tiefern Meeresschichten vor Südamerika mehr nach oben steigt, dann werden auch weniger Nährstoffe an die Meeresoberfläche transportiert. Dann stirbt das Plankton ab und damit gibt es auch weniger Fische, was nicht nur doof für die Fische selbst ist, sondern auch für die Menschen in Südamerika, die vom Fischfang leben. Wenn die ganze feuchte Luft ihre Feuchtigkeit über den Anden ablädt, anstatt in Südoastien, dann kommt es dort zu ungewöhnlichen und starken Regenfällen, die Hangrutschungen und Überschwemmungen verursachen. Die Auswirkungen von El-Niño betreffen aber nicht nur Südamerika; das Wetter auf fast der ganzen Welt wird dadurch beeinflusst. Im Amazonas auf der anderen Seite von Südamerika herrscht Trockenheit; es gibt Wirbelstürme in Mittelamerika, in Südostasien ist es viel trockener als normal, was Waldbrände wahrscheinlicher macht. Korallen, Vögel, Robben und jede Menge andere Tiere sterben wegen der ungewohnten Temperaturen; in Afrika ändern sich die Wettermuster und wenn man das ganze global betrachtet, dann ist es in einer El-Niño-Phase tendenziell wärmer als als in der Normalphase oder der La-Niña-Phase.

El Nino bringt auch Überschwemmungen (Bild: gemeinfrei)

Was angesichts der Klimakrise durchaus bedenklich ist: Wir machen die Welt sowieso schon immer wärmer und wenn dann auch noch El-Niño dazu kommt, wird das alles noch verstärkt. Und auch wenn El-Niño irgendwann wieder vorbei ist, können wir in der Zwischenzeit vielleicht den einen oder anderen Kipppunkt im Klimasystem erreicht haben und wie das so ist mit Kipppunkten: Wenn einmal was gekippt ist, kippt es so schnell nicht wieder zurück.

Es ist also klar, dass so etwas wie El Niño-Southern Oscillation ein wichtiges Phänomen ist, wenn man wissen will, wie ein Planet wie die Erde funktioniert. Und wie ich anfangs schon gesagt habe: In Wahrheit ist die ganze Sache noch sehr viel komplizierter als in meiner kurzen Darstellung. Und die El Niño-Southern Oscillation ist nur eine von einem ganzen Schwung solcher Oszillationen. Da ist zum Beispiel auch die Nordatlantische Oszillation, die unter anderem Einfluss auf den Golfstrom hat, der die Temperaturen in Europa maßgeblich beeinflusst. Es gibt die Madde-Julian-Oszillation, die Atlantische Multidekaden-Oszillation, und so weiter. Und dann gibt es auch noch die großräumigen Luftströmungen, die da auch noch mit drinhängen und wir haben immer noch nicht das Gebiet der Luft- und Ozeanströmungen verlassen. Es gibt noch so viel mehr, was einen Planeten wie die Erde ausmacht. Geologie, Vulkanismus, Tektonik, die unterschiedlichen Tiere und Pflanzen, Flüsse und Seen, Berge, und so weiter und alles hängt voneinander ab und miteinander zusammen. Ein Planet ist eine unvorstellbar komplexe Welt und das sollte man nie vergessen, wenn man hinauf in den Himmel schaut und die Lichtpunkte betrachtet, die wir zum Beispiel „Mars“ oder „Venus“ nennen. Planeten sind mehr als nur Lichtpunkte, es sind vollständige Welten, die da draußen im All ihre Runde ziehen und jede für sich auf seine eigene Art so komplex wie die Erde.

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