In der Astromomie erlebt man Abenteuer! Man steuert Raumsonden durchs Sonnensystem; ist bei Raketenstarts dabei; reist in chilenische Wüsten oder auf die Inseln von Hawaii um an den großen Teleskopen zu beobachten oder macht Expeditionen in die afrikanische Wildnis um Sonnenfinsternisse zu beobachten.

Ich hab zwar schon mal beschrieben, dass das Leben der Astronomen nicht immer so aufregend ist. Aber manchmal eben doch!

Ich selbst bin ja theoretischer Astronom und reise daher leider nicht wirklich oft zu den großen Teleskopen dieser Welt. Ich hab zwar auch schonmal beobachtet – aber „nur“ in Großschwabhausen. Dort ist es zwar auch nett – aber wenn einem die Kollegen von ihren Beobachtungstrips nach Australien, Chile, Südafrika oder Hawaii erzählen, dann wird man manchmal doch etwas neidisch.

Eine gute Freundin von mir ist gerade am Mauna Kea in Hawaii um dort zu beobachten. Ich habe sie gebeten, ein bisschen von ihrer Arbeit und ihren Erlebnissen dort zu berichten damit ihr mal aus erster Hand erfahren könnt, wie so ein Beobachtungsaufenthalt auf der exotischen Insel wirklich abläuft.

Ich übergebe nun also das Wort an Dr. Ruth Grützbauch, von der Universität Nottingham.

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Ruth, in Chile


Es ist Lunchtime am Institut für Astronomie & Teilchenphysik in Nottingham, UK:
„Ich hab mich gerade für Hawaii angemeldet, hoff sie lassen mich auch ein zweites mal beobachten fahren“ sagt mein deutscher Kollege, während er in seinem Tupperware herumscharrt. Ich – „Mah, lass mich doch fahren, ich war noch nie in Hawaii!„. „Na meld dich doch einfach an! Alle Leute von UKIDSS Instituten können beobachten fahren.“

UKIDSS, das ist der UKIRT Deep Infrared Sky Survey, ein Survey im infrarotn Bereich des elektromagnetischen Spektrums, der einen beträchtlichen Teil des Himmels abdecken soll und 10 mal schwächere Objekte detektiert als sein Vorgänger Survey 2MASS. Geleitet wird dieser Survey, eigentlich das ganze Telescop UKIRT (United Kingdom InfraRed Telescope) vom englischen Rat für Wissenschaft und Technologie (und wird nächstes Jahr geschlossen bzw an ein anderes Land verschenkt, da die englische Forschungsförderungsorganistion STFC kein Geld mehr für den Betrieb hat). Und hier der absurde Grund warum ich und jährlich ca. 60 andere Wissenschafter um den halben Globus geflogen werden: Es zahlt sich ökonomisch (ökologisch kann’s ja nicht sein) nicht aus, die 3 Beobachter, die gebraucht würden, permanent in Hawaii anzustellen. So werden pro Woche 1-2 Beobachter von Instituten, die an dem Survey beteiligt sind, nach Hawaii eingeflogen, um die Beobachtungen durchzuführen.

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Das UKIRT-Teleskop auf dem Mauna Kea (Bild: Kate Rowlands)

Ich schreibe also ein Email, melde mich für einen der unpopulären Winter-slots an, denn ich will so bald wie möglich auf den Berg. Wer weiss wie lang ich noch in diesem Job bin, get it while you can.

Promt bekomme ich die Antwort, dass ich die einzige Freiwillige für den von mir gewählten Zeitraum bin. Ich lass mich zu ein paar spastischen Handbewegungen der Begeisterung hinreissen, hole kurz tief Luft und buche meinen Flug. London – San Francisco – Honolulu – Hilo. Was sich wie der Untertitel einer Designer-Klamotten-Kette anhört ist meine Flugroute. Es gibt keine Verbindung die diese Sequenz in einem Tag zurücklegt, man muss also irgendwo am Weg übernachten. Ich entscheide mich, die Nacht anstatt in Honolulu im „nur“ 11 Flugstunden entfernten San Francisco zu verbringen, um den Jet-Lag zu mindern. Am Tag darauf in der Früh geht’s dann weiter nach Honolulu, ein 6-Stunden-Flug, und von dort nach Hilo, zum Hauptquartier des Teleskops auf Big Island.

Dort treffe ich meinen Kollegen aus Nottingham, der mit mir zum Beobachten kommt und der am Tag davor bei einem dreistündigen Job Interview für Gemini, ein anderes Observatorium in Hawaii, von einem sieben Wissenschafter (von 3 verschiedenen Kontinenten) umfassenden Kommittee zerlegt wurde. Ein erstaunlicher Aufwand für einen (relativ) schlechtbezahlten, auf 3 Jahre limitierten Job auf einer 12000 km von Freunden und Familie entfernten Insel (mit zugegebenermassen besserem Wetter), in deren grösster Stadt man um 9 Uhr abends kein Essen mehr bekommt, aber das ist eine andere Geschichte.

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Der Weg auf den Berg (Bild: Asa Bluck)

Nach dem „Safety Briefing“ in dem wir erfahren was unserem Körper in 4200 m Höhe alles passieren kann, bekommen wir unser Auto, das sogar eine Gangschaltung hat und ich darf endlich wieder mal auf der richtigen Seite der Strasse fahren. Zwar maximal 45 Meilen pro Stunde, was mir auf den vierspurigen Strassen reichlich untertrieben vorkommt, aber eins merkt man hier sofort: Eile und Hawaii gehen nicht in einem Satz zusammen. Wir zuckeln also die Flanken des Vulkans hinauf, zuerst noch begleitet von reichlich grüner Hawaii-typischer Vegetation, bald aber erinnert nichts mehr an tropische Inselträume: wir sind in der Wüsten-ähnlichen Zone, die einen beträchtlichen Teil der Insel ausmacht. Ab und zu überholt von Autos, deren Reifen auf Augenhöhe an mir vorbeiziehen, erreichen wir um etwa 9 Uhr abends Hale Pohaku, die Quartiere der Beobachter die an den gut 10 Teleskopen auf Mauna Kea arbeiten, auf fast 3000 m Höhe. Alle Beobachter müssen dort ihre erste Nacht verbringen, um ihre Lungen an den niedrigen Sauerstoffgehalt der Luft zu gewöhnen. Doch nicht nur das: Beobachter dürfen sich nicht länger als 14 Stunden über 3000m aufhalten und müssen jeden Morgen den holprigen Weg vom Gipfel (4200 m) wieder zurück fahren um hier zu übernachten.

Wir versuchen so lange wie möglich wach zu bleiben um uns an den Beobachtungsrythmus zu gewöhnen. Das ist nicht leicht nach mehr als 40 Stunden unterwegs, auf der anderen Seite auch schon egal, denn ehrlichgesagt weiss ich nicht mehr wie spät es jetzt wo gerade wäre und ob ich eigenltich müde bin.
Wir holen uns also Kaffee aus der Cafeteria. Dort sitzt ein einsamer Kerl, der offenbar das gleiche Ziel verfolgt wie wir und uns in freudiger Erwartung einer möglichen Konversation verstohlene Blicke zuwirft. „Are you Astronomers?“ Das ist unter den gegebenen Umständen eine reichlich suspekte Frage. Während des folgenden Gesprächs finden wir heraus dass unser Gesprächspartner wissenschaftlicher Berater des US Department for Homeland and National Security ist und den Auftrag hat, den Laser, den das Gemini Observatorium in den Himmel schiesst, um schärfere Bilder zu bekommen, zu überwachen. Genau. Wir erfahren, dass das Department für Heimatland und Nationale Sicherheit besorgt ist, dass der hochenergetische Laser möglicherweise die Elektronik von Spionagesatelliten, deren Position den Astronomen natürlich nicht bekannt ist, beeinträchtigen und sogar zum Absturz bringen könnte. Deswegen müssen alle Beobachtungen von Beamten der Regierung überprüft und abgesegnet werden. (Hier hoffe ich auf ein paar Kommentare seitens der Verschwörungstheoretiker). Jetzt weiss ich was der Situation Room ist und dass die Chief Generals Wissenschafter nicht so gern mögen.

Am nächsten Tag (Abend) starten wir unsere erste Beobachtungsnacht. Endlich auf den Gipfel von Mauna Kea, der höchste Berg im pazifischen Ozean, manchen Stimmen zufolge sogar der höchste Berg der Welt, von seiner Basis am Meeresgrund aus gemessen (obwohl mir diese Art der Messung etwas unsinnig erscheint).
Wir rumpeln eine halbe Stunde lang über den unasphaltierten Weg, überholen einige Touristenbusse, die Touren zum Sonnenuntergang und den Teleskopen anbieten. An Spitzentagen bevölkern einige hundert Touristen das schmale Plateau, das einige der besten Teleskope der Welt beherbergt. Ab und zu fragen Leute ob sie mal durchschauen können, was (leider) nicht geht. Nicht weil wir gemein sind und sie nicht lassen, sondern weil keines der Teleskope hier ein Okular hat. Astronomen schauen normalerweise nicht durch Teleskope.

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Gemini-Teleskop mit Laserguiding (links) und Ruth (rechts) – fotografiert durch das Nachtsichtgerät (Bild: Kate Rowlands)

Wir sehen eine Frau mit einem Baby am Arm. Die empfohlene Altersgrenze hier ist 16 Jahre, da der niedrige Sauerstoffgehalt der Luft ernsthafte Probleme, z.B. Wachstumsstörungen und Hirnschäden bei Kindern hervorrufen kann. Nach 10 Minuten frage ich mich, ob die Hirnschäden auch Erwachsene betreffen können: unser Telescope Operator beginnt uns die Funktionen des Teleskops und seiner Sofware zu erklären, ich höre ihn reden und denk mir „ääääähhh…“. Ich versuche mich in den diversen Fenstern auf den diversen Bildschirmen zu orientieren, aber mein Fokus funktioniert nicht so ganz. Ja, das ist die erste Nacht auf 4200m Höhe, so geht es den meisten. Manchen geht es noch schlechter: Übelkeit, Erbrechen und Kollaps sind zwar nicht besonders häufig, kommen aber vor. Der Sauerstoffgehalt hier beträgt etwa 40% des Meeresniveaus. Beobachter sind hier extrem fehleranfällig, eine schlechte Kombination mit den extrem hohen Betriebskosten (~1USD pro Sekunde). Fehler kann man sich hier nicht leisten. Der gesamte Beobachtungsablauf ist deshalb so wenig interaktiv wie möglich gestaltet. Alle Beobachtungen sind bis ins kleinste Detail durchgeplant und vorbereitet, wir klicken alle halben Stunden auf ein paar Buttons.

Wozu werden die menschlichen Schwachstellen dann überhaupt gebraucht? Wenn was schiefgeht braucht man jemanden vor Ort, der sich das Problem aus nächster Nähe anschaun kann. Und warum reicht dann nicht eine Person pro Teleskop? Aus Sicherheitsgründen müssen sich mindestens 2 Personen in Kontrollraum befinden. Niemand ist vor der Höhenkrankheit gefeit, wie oft auch immer man schon am Berg war. Das Auftreten der Symptome ist nicht vorhersehbar und auch nicht unbedingt mit der Fitness der Person verbunden. Das gefährliche Leben der Astronomen.

Aber es wird noch gefährlicher. „We have a Tsunami warning“ sagt plötzlich unser Operator. Ein verheerendes Erdbeben der Stärke 8.8 nach Richter erschüttert Chile. Die Stärke des Bebens ist beinahe vergleichbar mit der des Bebens, das den Tsunami 1960 auslöste, dessen 10 Meter hohe Wellen das Zentrum von Hilo verwüsteten. Damals starben 61 Menschen. Waikiki Beach wird evakuiert, Küstenbewohnern wird empfohlen sich in höheren Regionen in Sicherheit zu bringen. Im Laufe der Nacht kommen etwas weniger apokalyptische Vorhersagen herein: ein Tsunami mit maximal 1-2 Metern Höhe wird erwartet (was sich im Nachhinein als korrekt herausstellen soll, in Hawaii wird niemand wird verletzt).

6 Uhr morgens, wir haben das schlimmste überstanden und ich fühl mich wie nach einer durchzechten Nacht, der Kater des Sauerstoffmangels. Der kleine Bildschirm im Kontrollraum zeigt uns die Aussenwelt, ein helles Band am Horizont. Wir machen das Teleskop dicht, packen unsere Sachen ein und machen uns auf den Weg nach draussen. Und dann öffne ich die Tür…. Ja, das ist es. Dunkelrosa-rot-orange breitet sich der nahende Sonnenaufgang über dem Wolkenmeer aus, das uns umgibt, die weissen Kuppeln der Teleskope heben sich majestätisch vom spektakulären Himmel ab. Es ist komplett still. I’m on the top of the world.

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Bild: Kate Rowlands

Warum sind Sonnenaufgänge immer besser als Sonnenuntergänge?
Ich kann nur hoffen, dass die aufgehende Sonne den Menschen in Concepcion nicht nur Verwüstung und Verzweiflung bringt.

17 Gedanken zu „Abenteuer Astronomie: Hawaii, Tsunamis und Sauerstoffmangel“
  1. Ein Blog? Ich wäre ja eher für ein Buch. Der Schreibstil ist wirklich toll und animiert zum (weiter)lesen. Irgend etwas belletristisches wäre sicherlich passend. Ganz egal ob es nun ein Blog oder ein Buch wird, ich würde mich so oder so freuen in naher Zukunft mal wieder was von Ruth zu lesen.

  2. Ich bin auch dafür, die Erfahrungen der netten Dame in einem Blog mitverfolgen zu können! Sehr spannender Bericht!
    Danke für’s reinstellen. 🙂

  3. Ein blog? Vielleicht. Noch besser fände ich es, sie würde eine Radiosendung konzipieren. „Die lange Nacht über Astronomie“ bei Deutschlandfunk z.B.
    Da würde ich doch sehr gerne zuhören.

  4. Super Bericht! Und immer wieder diese Stimme in mir: „Mach doch noch die Diss fertig…!“ (neidig sei)
    Muss wohl doch morgen nach Ried düsen und den HAKlern die Newtonschen Axiome beibringen…

  5. Vor Ort Berichte sind immer die besten, denn da bekommt man die Stimmung mit die da so läuft. Ich kann mich noch an ein Buch über die Voyagersonden erinnern welches jemand schrieb, der tatsächlich dabei war. Man konnte die Spannung die herrschte so richtig mitvollziehen.

    Vielen Dank für die Mühe.

  6. und das auf viereinhalbtausend metern, stellt euch vor wie ich erst auf Meeresniveau schreibe! 😀
    vielen dank fuer die lorbeeren, aber ich muss euch leider enttaeuschen. Ich kann kein blog schreiben, denn ich wuerde die ganzen verrueckten nicht aushalten, die absurde kommentare schreiben.
    das mit dem buch ueberleg ich mir noch…

  7. @ruth: „Ich kann kein blog schreiben, denn ich wuerde die ganzen verrueckten nicht aushalten, die absurde kommentare schreiben“

    Ach komm – wenn dus seit Jahren mit den Freaks in der Astronomie aushälst, dann schaffst du das auch mit dein paar absurden Kommentatoren. Und du musst das ja nicht so wie ich machen – du kannst ja dein Blog ganz diktatorisch führen und wild Kommentare löschen. Das macht auch Spaß 😉

  8. ach komm. Du kannst auch viele nette Kommentare einsacken. Um die Verrückten kümmern wir uns schon. ^^

    Außerdem dürsten wir hier doch nach fachlich fundiertem Material.

  9. Hey,
    schliesse mich an: Ein toller Bericht.

    Dass der Staat einen Homeland-Security Mitarbeiter schickt um zu überwachen, dass keine Spionagevorrichtungen beschädigt werden ist unglaublich, aber typisch 🙂
    musste echt schmunzeln, als ich es gelesen habe 🙂

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