Das Weltraumteleskop XMM-Newton feiert seinen zehnten Geburtstag. Am 10. Dezember 1999 startete es mit der damals noch neuen Ariane-V Rakete der europäischen Weltraumagentur ESA ins All und im Januar machte das Röntgenteleskop die ersten Bilder.

XMM-Newton gehört zu den erfolgreichsten Weltraumteleskopen und weil es nach 10 Jahren schon mehr als seine geplante Lebensdauer hinter sich hat und immer noch so gut funktioniert, gab es heute am europäischen Satellitenkontrollzentrum ESOC in Darmstadt eine kleine Feier.

All die Leute, die dazu beigetragen haben, dass XMM-Newton so ein großer Erfolg wurde waren da und haben interessante Vorträge gehalten.

Warum ist XMM so toll?

Als erstes war A.N. Parmar an der Reihe – der Mission Manager von XMM-Newton. Er wollte erklären, warum das Teleskop so erfolgreich ist und nennt als einen der Hauptgründe die große Akzeptanz der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Parmar meint, das 20 Prozent der aktiven Astronomen mit Daten von XMM-Newton arbeiten; in den letzten 10 Jahren wurden 2300 Publikationen aus diesen Daten gewonnen.

Die Entwicklung dieser Publikationen hat Parmar in einem beeindruckenden Bild gezeigt (ein Bild, das man an diesem Tag noch mehrmals in den verschiedenen Vorträgen zu sehen bekam):

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Es ist tatsächlich beeindrucken, wie konstant die Zahl der Publikationen anwächst. Aber nicht nur die Wissenschaftler selbst seien ein Grund für den Erfolg, auch die Wissenschaft selbst, mein Parmar. Die Röntgenastronomie untersuche die „Hot Spots“ der Astronomie – und zwar wortwörtlich, da die Röntgenstrahlung bevorzugt von heißer Materie abgegeben wird: Material, das in schwarze Löcher fällt, Material, das aus Galaxien ausgeworfen wird, Supernovae, etc.

„This is were the action is in astronomy“, sagte Parmar. Naja – als Himmelsmechaniker kann ich ihm da natürlich nicht ganz zustimmen. „Action“ gibts auch überall sonst in der Astronomie. Aber es war nunmal ein Feiertag der Röntgenastronomie – also gönnen wir anderen ihnen die Freude 😉

Als nächstes kam Markus Kirsch ans Podium. Er ist der Spacecraft Operation Manager von XMM-Newton und erklärte ein paar technische Details des Satelliten. Von Bedeutung ist hier zum Beispiel die Menge des Treibstoffs, den das Teleskop noch zur Verfügung hat. Nach 10 Jahren Laufzeit sind noch 77,47 kg davon übrig. Das klingt nicht nach viel – aber XMM-Newton braucht normalerweise nur 0,48 Kilogramm pro Monat. Damit könnte man das Teleskop noch fast weitere 10 Jahre betreiben – bis ins Jahr 2019!

Auch die Solarzellen funktionieren noch problemlos und die Batterien waren sowieso für eine Lebenszeit von 20 Jahren ausgelegt und machen ebenfalls noch keine Probleme.

Es scheint also alles bereit zu sein für eine Fortsetzung der Mission!

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Die erste Aufnahme von XMM-Newton

Norbert Schartel, der Project Scientist umriß im nächsten Vortrag kurz die unterschiedlichen wissenschaftlichen Aufgaben des Teleskops. XMM-Newton beobachtet buchstäblich alles. Angefangen von Kometen und Planeten in unserem Sonnensystem über Sterne und weiße Zwerge bis hin zu exotischeren Objekten wie Neutronensternen, schwarzen Löchern oder aktiven Galaxienkernen. Auch die Erforschung von Gamma Ray Bursts oder die Suche nach dunkler Materie stehen auf der To-Do-Liste von XMM-Newton.

Auch wegen dieser Vielfalt sei das Teleskop bei den Astronomen so beliebt, meint Schartel. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass die Beobachtungszeit heiß begehrt ist und nur einer von acht Beobachtungsanträgen genehmigt werden kann. Diese Beobachtungen sind dann aber von besonders guter Qualität – was sich auch darin äußert, dass Artikel, die aus Daten von XMM-Newton gewonnen wurden, viermal häufiger zitiert werden als andere astrophysikalische Arbeiten.

Mikrometeoriten und Pre-Launch Panic

Lothar Strüder vom Max-Planck-Institut Halbleiterlabor sprach danach von den technischen Herausforderungen beim Bau des EPIC-Instruments des Teleskops. Aber auch wenn alles geschafft ist und der Satellit im All ist, ist die Arbeit nicht vorbei. Strüder erzählt von den Problemen, die plötzlich auftraten, als der Detektor von einem Mikrometeoriten getroffen wurde.

Es ist an sich schon verwunderlich, dass es so ein Objekt bis ins innere des großen Teleskops geschafft hat und den Detektor beschädigen konnte. Man hat einige Experimente am Staubbeschleuniger in Heidelberg gemacht und schließlich herausgefunden, dass wohl ein Mikrometeorit mit dem Spiegel von Newton zusammengestoßen ist und dabei in viele kleine Stücke zerbrach. Eines dieser Bruchstücke war es dann, dass den empfindlichen Detektor störte. Dieses Problem konnte aber durch geschickte technische Manipulationen weitesgehend behoben werden sodaß XMM-Newton heute – bis auf ein paar kaputte Pixel im Detektor – problemlos funktioniert.

Nach der Mittagspause erklärte dann Uwe Minne von EADS Astrium, wie der eigentliche Bau des Satelliten abgelaufen ist und Howard Nye, der Ground Segment Manager erzählte von den restlichen Vorbereitungen auf den Missionsstart.

Sehr unterhaltsam war der Vortrag von Fred Jansen, Mission Manager bei XMM-Newton. Er gab einen kurzen Überblick über die Geschichte des Teleskops: erste Konzepte gab es schon 1985. Damals wollte man noch 12 Einzelteleskope kombinieren, 1987 waren es nur noch 7 und schließlich ging XMM-Newton mit drei Spiegeln an den Start.

Sehr unterhaltsam – zumindest 10 Jahre später – waren die Geschichten der „Pre Launch Panic“, die vor jedem Start aufzutreten scheint. Kurz bevor die Ariane abheben sollte, gab es auf einmal noch jede Menge Probleme die gelöst werden mussten – und auch gelöst wurden

Auch Jansen betont, wie wichtig das Teleskop für die astronomische Gemeinschaft ist. In den letzten 10 Jahren haben sich viele junge Astronomen auch dank XMM-Newton dazu entschieden, auf dem Gebiet der Röntgenastronomie zu arbeiten. Bei der Ablöse des Teleskops darf es daher keine Lücke geben; neue Instrumente müssen nahtlos an XMM-Newton anschließen um diesen Aufschwung der Röntgenastronomie nicht plötzlich abzuwürgen.

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Änderung des prognozierten Startdatums für XMM-Newton

Kein Kontakt mit XMM-Newton

Richtig spannend wurde es dann beim Vortrag von Dietmar Heger. Er Erzählte von den dramatischen Tagen im Oktober 2008, als die Mission beinahe scheiterte.

Am 18. Oktober 2008 wollte man routinemäßig die Teleskopkontrolle von Darmstadt nach Villafranca in Spanien wechseln. In Darmstadt schickte man entsprechende Signale ans Teleskop und in Spanien machte man sich bereit, die Daten von XMM-Newton zu empfangen. Aber es kam nichts!

Die Bodenstation in Villafranca konnte keinen Kontakt mehr mit dem Teleskop aufnehmen. Das war äußerst beunruhigend – auch wenn der aktuelle Status des Satelliten so war, dass keine unmittelbare Gefahr für ihn drohte. Wenn man aber in den nächsten Tagen den Kontakt nicht wiederherstellen konnte, dann würden sich die Bahn des Teleskops und seine Lage im Raum so ändern, dass es beschädigt werden konnte.

Sofort begann man nach dem Fehler zu suchen. Die Bodenstationen waren in Ordnung und auch sonst schien es keine Fehlerquelle zu geben. Die einzige Möglichkeit war der sg. „R/F-Switch“. Dieser Schalter verbindet den Transponder mit der Antenne und könnte vielleicht ausgefallen sein, als man von Darmstadt das letzte Signal an XMM-Newton geschickt hatte.

Wie auch immer – man konnte immer noch keinen Kontakt herstellen. Um herauszufinden, was eigentlich los war, probierte man nun, das XMM-Newton mit optischen Teleskopen zu finden. Die Stakenburg Sternwarte in Heppenheim fand den Satellit und konnte feststellen, dass er zumindest noch ganz ist. Man sah kein abgefallenen Teile und es gab auch keine Lichtänderungen, die auf ein Taumeln hindeuten würden. Weitere Messungen mit anderen Teleskopen bestätigten das Bild: XMM-Newton war da und intakt – aber der Satellit war nicht zu hören.

Am 21.10 fand die ESA-Bodenstation in New Norcia, Australien dann doch ein ganz schwaches Signal. Aus diesem Signal konnte man ableiten, dass der Transmitter zwar noch eingeschaltet ist – der R/F-Switch aber nicht korrekt funktioniert hat und quasi mitten beim Schalten, in neutraler Stellung stehengeblieben ist. New Norcia war aber zu schwach, um korrigierende Signale ans Teleskop zu senden. Die nächste Bodenstation in Canberra wäre stark gewesen – unterstützte aber die nötig Frequenz nicht. Schließlich schaffte man es von Goldstone in den USA aus, XMM-Newton neu zu konfigurieren. Der Schalter musste unbedingt bewegt werden – ansonsten wäre die Mission beendet gewesen.

Glücklicherweise hat man es geschafft! Aber natürlich wollte man wissen, was der Grund für die Fehlfunktion war. Eigentlich sollten die Schalter 50000 Schaltungen problemlos aushalten können und der Fehler tratt schon bei der 3486ten Schaltung auf. Man hat viele Fehlerquellen untersucht und ist heute der Meinung, dass das Problem beim Signal lag, dass man an den Satelliten geschickt hatte. Das dürfte mitten während des Schaltvorgangs plötzlich zu schwach geworden sein. In so einem Fall sollte der Schalter eigentlich einfach wieder zurückfallen – was er aber anscheinend nicht getan hat.

Man hat nun einen Weg gefunden, das Teleskop so zu konfigurieren, dass man diesen Schalter nicht mehr benutzen muss. Eigentlich sollte alles wieder funktionieren und es gibt auch noch einen Backup-Schalter, der benutzt werden könnte. Aber man möchte lieber kein Risiko eingehen und spart sich diese Optionen für den Notfall auf.

Jedenfalls funktioniert XMM-Newton seit dem Zwischenfall wieder problemlos und die Wissenschaftler freuen sich. Die waren auch als nächstes am Wort. Die letzten beiden Vorträge des Tages waren der Röntgenastronomie selbst gewidmet.

J. Schmitt von der Hamburger Sternwarten gab einen Überblick über die letzten 10 Jahren der Röntgenastronomie und den Einfluss von XMM-Newton. Da waren einige interessante Ergebnisse dabei – zum Beispiel hat man durch Messungen der Röntgenstrahlung auch bei anderen Sternen einen ähnlichen Aktivitätszyklus wie bei unserer Sonne gefunden. Man konnte manche Aktivitäten sogar direkt detektieren: große Flares und Massenauswürfe so wie sie bei unsere Sonne gelegentlich vorkommen, konnte man auch bei anderennde Sternen messen (Übrigens hat Schmitt hier die Arbeiten einer Blogger-Kollegin zitiert 😉 )

Einige Vortragende hatten es leider nicht geschafft, die ihnen zugestandene Redezeit einzuhalten (so etwas kann ich absolut nicht leiden – das ist extrem unhöflich gegenüber den Zuhörern und den Veranstaltern den es zeigt, dass man sich nicht vernünftig vorbereitet hat). Um meinen Zug nicht zu verpassen musste ich schon gehen und konnte den letzten Vortrag nicht mehr anhören. Das ist schade – den hier hätte J. Wilms von der Dr. Karl Remeis-Sternwarte erzählt was wir in den nächsten 10 Jahren in der Röntgenastronomie zu erwarten haben (außerdem hätte es danach noch einen Sektempfang gegeben 😉 )

Es war auf jeden Fall eine interessante Veranstaltung. Als Astronom bekommt man ja selten die Gelegenheit, so ausführlich über die verschiedensten technischen Aspekte einer Satellitenmission informiert zu werden. Ich selbst hab ja in meiner astronomischen Arbeit kaum etwas mit Röntgenastronomie zu tun und musste deswegen vielleicht ab und zu über die extreme Begeisterung der XMM-Newton-Leute schmunzeln 😉 Natürlich ist Röntgenastronomie wichtig und ohne sie ist keine moderne Astronomie möglich – was nicht heisst, dass es nicht auch andere wichtige und interessante Gebiete gibt. Aber wie ich oben schon gesagt habe: das war der Tag der Röntgenastronomen und des Teams, die eines ihrer wichtigsten und erfolgreichsten Instrumente gebaut haben. Da darf man ruhig auch mal die Kollegen der anderen Disziplinen vergessen 😉

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Das XMM-Newton Flight Control Team

5 Gedanken zu „Alle lieben XMM-Newton“
  1. Jaja, da treibt sich der Chef mal wieder in der Weltgeschichte rum…

    Muß ich mir dann doch glatt mal zeigen lassen, was er da so über die Arbeit von mir meinem Kollegen Jan (der mit den Aktivitätszyklen) erzählt hat 🙂

  2. Was ich absolut faszinierend finde, ist die Tatsache, dass man die Satelliten auch nach der Verbringung an den Zielorbit noch manipulieren kann (und muss). Diese Geschichte mit dem Mikrometeoriten – wie funktioniert das? Wenn da oben Hardware beschädigt ist, wie bastelt man sich einen Workaround? Der Schalter: Wie kann man die Rechner dort oben neu programmieren, dass der Schalter nicht mehr benötigt wird? Weil ich von sowas auch überhaupt keine Vorstellung, noch nicht mal ne Ahnung habe, finde ich das extrem spannend. (Spannender als die Ergebnisse selber, aber das ist nur meine Präferenz 😉

  3. @Christian A.
    Ich kenne nicht das Innenleben von Satelliten, aber dort dürften eingebettete Systeme ihren Dienst tun. Als Rechner, die Teil eines Systems sind und auf Bildschirm und Tastatur verzichten können.

    Diese Rechner haben „Bootloader“. Das sind Programme, die dazu dienen, dass man neue Programme auf die Rechner aufspielen kann. Der Bootloader bleibt dabei unverändert, nur die Anwendersoftware gibt es neu. Das passiert z.B. wenn ein Auto in der Werkstatt ein Update für ein Steuergerät bekommt. Über Funk dürfte das bei Satelliten ähnlich sein.

  4. @AlteWeser:
    Klar, dass das irgendwie so funktionieren muss 😉 Trotzdem, ich bin einfach baff, dass das funktioniert.
    (Und ist auch klar, dass nach 50 Jahren Erfahrung im Satellitenbetrieb die Notwendigkeit für solche Möglichkeiten bekannt ist)
    Was ja noch dazu kommen muss, ist ja die Möglichkeit, eine umfangreiche Diagnose zu fahren. Ich vermute, dass dazu viele Simulationen zum Einsatz kommen, z.B. welcher Fehler führt zu welchen bordeigenen Diagnosen; wenn der Fehler identifiziert ist, wie behebt man ihn etc.
    Apropos: Ist im Bild 1 die kumulierte Anzahl Publikationen aufgetragen? Dann ist die Anzahl von Papern pro Jahr ja doch relativ konstant, oder?

  5. Drei kleine Schreib- bzw. Formulierungsfehler Fehler hab ich gefunden:

    „Nach 10 Jahren Laufzeit sind noch 77,47 kg davon übrig. Das klingt nicht nach viel – aber XMM-Newton braucht normalerweise nur 0,48 Kilogramm.“
    …braucht normalerweise nur 0,48 Kilogramm *pro Monat?/pro Korrektur?*
    Interessant wäre vielleicht auch anzugeben, wie viel Treibstoff zu Beginn der Mission vorhanden war.

    „Norbert Schartel, der Project Scientist umriß im nächsten Vortrag kurz die unterschiedlichen wissenschaftlichen AUfgaben [sic!: Aufgaben] des Teleskops.“

    „Es ist an sich schon verwunderlich, dass es so ein Objekt bis ins innere großen Teleskops geschafft hat und den Detektor beschädigen konnte.“
    …bis ins innere *des* großen Teleskops geschafft…

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