Miranda (<a href="https://photojournal.jpl.nasa.gov/catalog/PIA18185">Bild: NASA/JPL-Caltech, gemeinfrei</a>)

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Sternengeschichten Folge 563: Miranda, der seltsame Mond des Uranus

Das Sonnensystem ist voller Welten. Von der Erde aus sehen wir davon leider entweder gar nichts oder höchstens ein paar Lichtpunkte am Himmel. Und die Welt um die es heute geht, ist ohne optische Hilfsmittel komplett unsichtbar für uns. Sie befindet sich bei Uranus, den man zwar theoretisch mit freiem Auge sehen könnte, aber in der Praxis eigentlich so gut wie nie ohne optische Hilfsmittel sehen kann. Der ferne Planet wird von einem Haufen Monde umkreist, von denen ich in Folge 409 der Sternengeschichten schon erzählt habe. Heute geht es aber nur um einen dieser Monde, nämlich Miranda. Sein Durchmesser beträgt nur circa 470 Kilometer und so ein kleiner Himmelskörper ist in der enormen Entfernung von der Erde natürlich nicht mit freiem Auge zu sehen. Es wäre aber cool, wenn man es könnte. Denn Miranda ist ein höchst seltsames Objekt. Der Mond sieht komplett durcheinander aus; irgendwie zusammengestückelt, so als wären da ein Haufen unterschiedlichster Felsbrocken wahllos ineinander gekracht. In der Mitte eine Region, die tatsächlich ein bisschen so aussieht wie wir es von unserem Erdmond kennen; darunter aber eine komische rechteckige Struktur mit hellen Gräben; am Rand lange, dunkle Furchen die sich über den halben Monbd ziehen und darunter sieht es so aus, als wäre ein kleines Stück aus Miranda herausgebrochen.

So eine komplexe Oberfläche würde man sich bei so einem winzigen Objekt wie Miranda definitiv nicht erwarten. Aber da ist dieser Mond nunmal, knapp 130.000 Kilometer von Uranus entfernt auf einer kreisförmigen Umlaufbahn, die ihn alle 1,4 Tage einmal um den fernen Eisriesen-Planet bringt. Von seiner Existenz wissen wir seit dem 16. Februar 1948 als der Astronom Gerard Kuiper ihn mit dem Teleskop der McDonald-Sternwarte in Texas entdeckt hat. Miranda befindet sich außerhalb des Ringsystems von Uranus auf einer, wie gesagt, fast perfekt kreisförmigen Bahn. Diese Bahn ist aber um mehr als 4 Grad gegenüber der Äquatorebene von Uranus geneigt und das ist außergewöhnlich. Was das zu bedeuten hat, schauen wir uns später noch genauer an. Bleiben wir zuerst noch kurz bei Uranus selbst. Über diesen Planeten gäbe es auch jede Menge zu erzählen; für diese Geschichte hier ist aber die Art und Weise interessant, wie Uranus um die Sonne kreist. Das tut er mit einer Umlaufzeit von knapp 84 Jahren. Die Achse, um die Uranus selbst alle gut 17 Stunden rotiert ist aber um 97 Grad gegenüber der Ebene geneigt, in der er sich um die Sonne bewegt. Oder anders gesagt: Uranus „rollt“ quasi um die Sonne. Ein halbes Uranus-Jahr lang ist sein Nordpol fast direkt auf die die Sonne gerichtet; die andere Hälfte zeigt der Südpol zur Sonne. Das bedeutet, dass eine Hälfte des Uranus 42 Jahre lang dunkel ist, worauf dann ein 42 Jahre langer heller „Tag“ folgt (ein bisschen so wie bei den Polartagen und Polarnächten in Arktis und Antarktis auf der Erde). Und was für Uranus gilt, gilt auch für Miranda, der den Planeten ja nahezu in dessen Äquatoreben umkreist. 42 Jahre lang ist die eine Hälfte des Mondes hell und die andere dunkel und dann ist es 42 Jahre lang umgekehrt.

Miranda (Bild: NASA/JPL-Caltech, gemeinfrei)

Das ist aber bei weitem noch nicht alles, was Miranda so außergewöhnlich macht. Schauen wir uns an, was es dort alles zu sehen gibt. Zum Beispiel die Coronae. Das ist lateinisch für Krone beziehungsweise Kranz und genau so sehen die Dinger auch aus: runde oder ovale Strukturen, die keine Krater sind. Wir kennen so etwas von der Venus: Dort entstehen die Coronae, wenn Magma aus dem Planeteninneren aufsteigt und dabei die Kruste nach oben drückt. Dann bricht die Kruste auf und das geschmolzene Material fließt an den Rändern nach oben. Die Struktur die dabei entsteht ist das, was wir heute Corona nennen.

Bei einem heißen Planeten wie der Venus ist das plausibel. Aber nicht bei einem winzigen Mond wie Miranda, der noch dazu eiskalt ist. Die mittlere Dichte von Miranda liegt nur wenig über einem Gramm pro Kubikzentimeter, was bedeutet, das er fast vollständig aus Wassereis bestehen muss. Fast 80 Prozent des Mondes sind Eis, der Rest sind ein bisschen Gestein und gefrorene Gase wie Methan. Mit heißem Magma ist im Inneren von Miranda eher nicht zu rechnen. Aber wir kommen später auf dieses Thema und die Entstehung der Coronae auf Miranda zurück. Schauen wir uns zuerst eine davon etwas genauer an: Inverness Corona. Auf einem Bild von Miranda ist sie leicht zu erkennen, denn sie ist fast schon rechteckig statt oval oder kreisförmig. Es handelt sich um eine gewaltige Senke in dem sie umgebenden Hochland, mit einer Ausdehnung von mehr als 230 Kilometer. Man erkennt jede Menge Furchen und deutliche Helligkeitsunterschiede in der Oberfläche. Allgemein ist Miranda ein eher heller Himmelskörper. Er reflektiert im Mittel gut 32 Prozent des einfallenden Sonnenlichts, mehr als doppelt so viel wie der Erdmond reflektiert. Innerhalb von Inverness Corona variiert die reflektierte Lichtmenge aber zwischen 20 und 40 Prozent; sehr helle Regionen wechseln sich dort mit sehr dunklen Bereichen ab. Neben Inverness Corona befindet sich Elsinore Corona, eine noch ausgedehntere Region aus parallel verlaufenden Gräben die bis zu 320 Kilometer lang sind.

Wirklich beeindruckend auf Miranda sind allerdings die Rupes. So werden die Klippen auf Miranda genannt und nirgendwo gibt es höhere als dort. Wenn man auf der Erde möglichst tief nach unten fallen will, ohne in ein Flugzeug zu steigen, dann muss man auf die Insel Baffin Island in Kanada reisen. Dort steht der Mount Thor, mit einer Steilwand, von der aus es 1250 Meter senkrecht nach unten geht (und es hat zwar nichts mit dem Thema zu tun, aber der erste, der diesen Berg bestiegen hat war der Astronom Lyman Spitzer, über den ich in Folge 362 mehr erzählt habe). Das ist aber nichts gegen die Verona Rupes auf Miranda. Von dieser Klippe geht es 20 Kilometer tief nach unten. 20 Kilometer! Würde man von Mount Thor fallen, braucht man circa 20 Sekunden bis man unten ankommt. Von der Spitze der Verona Rupes würde man mehr als 12 Minuten lang fallen. Das liegt nicht nur allein an der Höhe, sondern natürlich auch an der enorm geringen Schwerkraft die auf dem kleinen Mond herrscht. Trotzdem sollte man diesen Sprung nicht ausprobieren: Auch in der geringen Schwerkraft von Miranda erreicht man am Ende eine hohe Geschwindigkeit und würde mit gut 200 Kilometer pro Stunde am Boden der gewaltigen Klippe aufprallen.

Verona Rupes (Bild: NASA/JPL, gemeinfrei)

Es ist schon ein wenig überraschend: Warum finden wir die größte bekannte Klippe des Sonnensystems gerade auf diesem kleinen Uranusmond? Und wieso hat dieser Mond überhaupt so viele geologische komplexe Strukturen? Was ist da los, wie ist dieser Mond entstanden, dass er heute so aussieht, wie er aussieht?

Lauter gute Fragen und leider gibt es darauf nicht ganz so viele gute Antworten. Früher dachte man, dass der Mond nach seiner Entstehung durch eine Kollision mit einem anderen Himmelskörper quasi komplett zerbrochen ist und die Bruchstücke sich dann wieder auf die chaotische Weise zusammengesetzt haben, die wir heute sehen. Das klingt prinzipiell plausibel; so etwas kann passieren – aber je genauer man sich Miranda angesehen hat, desto weniger Hinweise hat man für diese Hypothese gefunden. Heute geht man von einer anderen Situation aus. Miranda ist ja nicht der einzige Mond des Uranus; da sind noch mehr als zwei Dutzend andere. Zum Beispiel Ariel und Umbriel; beide deutlich größer als Miranda. Computersimulationen zeigen, dass Miranda nach seiner Entstehung in einer Bahnresonanz mit einem beziehungsweise beiden dieser anderen Monde befunden haben könnte. Das heißt, dass die Umlaufbahnen um Uranus der Monde in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander gestanden sind. Während Ariel einmal um den Uranus läuft, macht Miranda genau drei Umläufe: das wäre zum Beispiel eine 3:1 Resonanz. Heute ist Miranda in keiner Bahnresonanz, aber früher könnte der Mond eben in genau so einer 3:1 Resonanz mit Ariel und einer 5:3 Resonanz mit Umbriel gewesen sein. In solchen Resonanzzuständen können sich die gravitativen Wirkungen der Monde aufeinander verstärken, weil sie eben nach regelmäßigen Zeiten die gleichen relativen Abstände haben wie zuvor. Ariel beziehungsweise Umbriel haben also – vereinfacht gesagt – immer wieder mit ihrer Gravitation an Miranda geschubst und das hat Konsequenzen. Zuerst wurde die Umlaufbahn von Miranda dadurch exzentrisch, ist also stark von einer Kreisbahn abgewichen. Das hat die Gezeitenwirkungen verstärkt, die Uranus auf Miranda ausübt und diese starke Gezeitenkraft hat den Mond verformt und dadurch aufgeheizt. Wärmeres Wassereis aus seinem Inneren konnte an die Oberfläche steigen, so wie geschmolzenes Gestein im Inneren der Erde nach oben steigt. Dadurch können auch auf Miranda tektonische Prozesse ablaufen, die dann zum Beispiel die Coronae entstehen lassen; die Gebirge auffalten, die Klippen bilden, und so weiter.

Die Resonanz hat aber nicht ewig gedauert; irgendwann war die Bahn von Miranda so weit gestört, dass sie nicht mehr in Resonanz mit Ariel oder Umbriel war. Ich will nicht auf die ganzen himmelsmechanischen Details eingehen, aber am Ende führt das dazu, dass die Bahn wieder sehr kreisförmig wird, aber die Bahnneigung sich erhöht, genau so wie wir es heute beobachten.

Womit wir beim letzten Problem wären, was Miranda angeht. Wenn ich sage, „wie wir es heute beobachten“, dann ist damit eigentlich gemeint: Wie die Raumsonde Voyager 2 es im Jahr 1986 beobachtet hat, als sie an Uranus vorbei geflogen ist und dabei auch ein paar Bilder von Miranda machen konnte. Dass die Sonde gerade an Miranda vorbei geflogen ist – in einem Abstand von knapp 30.000 Kilometer war reiner Zufall; Voyager 2 war auf dem Weg zum Neptun und das war eben die Bahn, die für diesen Flug nötig war. Damals hat niemand damit gerechnet, dass dieser kleine Mond so ein extrem spannendes Objekt sein könnte. Aber das zeigt eben auch wieder, dass man NIE genau sagen kann, was man finden wird, bevor man nicht nachsieht. Wer weiß, was die anderen Monde des Uranus noch für unerwartete Eigenschaften zeigen. Oder die Monde des Neptun; des Jupiters, des Saturns und all die anderen Kometen, Asteroiden und restlichen Himmelskörper, die wir noch gar nicht oder nur extrem lückenhaft im Detail beobachtet haben. Und auch bei Miranda wäre noch viel zu beobachten. All das, was ich bis jetzt erzählt habe, von Inverness Corona, von den Verona Rupes, und so weiter, spielt sich nur auf einer Hälfte des Mondes ab. Was auf der anderen Hälfte noch alles zu sehen wäre, wissen wir nicht. Denn die hat Voyager 2 nicht fotografiert. Vielleicht ist Miranda ja noch viel außergewöhnlicher als wir bisher glauben!

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