Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 557: Das verschwundene Hafnium und die Entstehung der Erde
Die Astronomie hat es nicht leicht. So gut wie alles, was sie untersucht, ist absurd weit weg. Man kann es nur anschauen, und über die unvorstellbaren Entfernungen im Universum ist das natürlich nicht leicht. Trotzdem haben wir es im Laufe der Zeit geschafft, eine erstaunliche Menge an Wissen zu sammeln. Die Entfernung ist aber nur ein Problem, denn oft hat will man auch Dinge wissen, die prinzipiell nicht beobachtbar sind. Zum Beispiel die Entstehung der Planeten im Sonnensystem. Das ist vor 4,6 Milliarden Jahren passiert und wir haben keine Zeitmaschine, um das live ansehen zu können. Wir können probieren, andere Planetensysteme zu beobachten, die gerade dabei sind zu entstehen und daraus allgemeine Prinzipien abzuleiten. Wir können Computersimulationen erstellen, die in Modellen nachvollziehen, was damals passiert sein könnte. Aber wenn wir trotzdem irgendwas konkretes über die Entstehung eines Himmelskörpers wie der Erde wissen wollen, brauchen wir auch konkrete Daten. Und überraschenderweise geht das: Wenn wir wissen wollen, was bei der Entstehung der Erde passiert ist, müssen wir uns mit Hafnium beschäftigen.
Hafnium ist ein chemisches Element und eines von den eher unbekannten. Im Alltag hat man so gut wie nie damit zu tun und man hat es auch vergleichsweise spät entdeckt. 1912 hat man vermutet, dass es da noch ein stabiles chemisches Element geben muss, ein Atom das 72 Protonen im Atomkern haben muss. Immerhin kannte man ja schon die Elemente Lutetium und Tantal, die 71 beziehungsweise 73 Protonen im Atomkern hatten und da wäre es komisch gewesen, wenn es nicht auch eines mit 72 Protonen geben würde. Entdeckt hat man es aber erst 1923, in Kopenhagen und darum heißt es auch so, wie es heißt: Hafnia ist der lateinische Name der dänischen Hauptstadt.
Hafnium ist nicht sonderlich häufig und es kommt in der Erdkruste auch nicht in Reinform vor sondern nur in Verbindung mit dem Element Zirconium. Wenn man Hafnium auf chemischen Weg in Reinform gewinnt, dann kriegt man ein silbrig glänzendes Schwermetall, das trotzdem weich und biegsam ist. Weil es so wenig davon gibt und so schwer zu gewinnen ist, kommt man aber selten in die Verlegenheit, es bearbeiten zu müssen. Es wird eigentlich hauptsächlich als Steuerstab in Kernreaktoren verwendet, weil es sehr korrosionsbeständig ist und sehr gut die bei einer Kernspaltung freiwerdenden Neutronen aufnehmen kann. Aber weil es so teuer ist, wird es nur vom Militär verwendet, für Atom-U-Boote oder so; da kann man es sich anscheinend leisten.
Wir interessieren uns aber aus einem anderen Grund für Hafnium. So wie fast jedes chemische Element hat es auch Isotope, also Variationen des Atoms, wo der Kern zwar immer noch 72 Protonen hat, aber eine unterschiedliche Anzahl an Neutronen. Am häufigsten ist Hafnium-180, das 108 Neutronen im Kern hat, es gibt aber insgesamt 35 Isotope und manche davon sind radioaktiv; das heißt, sie sind nicht stabil und zerfallen nach einer gewissen Zeit. Insbesonder Hafnium-182 tut das und zwar mit einer Halbwertszeit von circa 9 Millionen Jahren. Soll heißen: Von einer gewissen Menge an Hafnium-182 ist nach 9 Millionen Jahren die Hälfte zerfallen, nach weiteren 9 Millionen Jahre die Hälfte von der verbliebenen Hälfte, und so weiter. Das Element, in das sich Hafnium-182 durch seine Radioaktivität umwandelt ist Wolfram, genauer gesagt das Isotop Wolfram-182 und das zerfällt nicht mehr weiter.
Und das ist zwar alles sehr interessant; erklärt aber immer noch nicht, wie wir damit in die Vergangheit zur Entstehung der Erde schauen können. Die Sache wird deutlicher, wenn wir uns klar machen, dass Hafnium-182 auch bei Supernova-Explosionen auf natürlichem Weg erzeugt wird. Das Isotop kann auch in den äußeren Schichten von sterbenden Roten-Riesensternen gebildet werden. So oder so wird das Hafnium dann im All verteilt und gelangt in die Wolken aus Gas und Staub, aus denen neue Sterne und Planeten entstehen. Und wenn diese Stern- und Planetenentstehung nicht allzu lange nach der Explosion der Supernova beziehungsweise dem Tod der Roten Riesen erfolgt, dann haben die entstehenden Planeten auch ein bisschen Hafnium-182 dabei.
Also: Gehen wir davon aus, dass in der Nähe der kosmischen Wolke aus der das Sonnensystem entstanden ist, ein paar sterbende Sterne Hafnium-182 verteilt haben. Und dass die Planeten bei ihrer Entstehung auch ein bisschen Hafnium-182 als Baumaterial zur Verfügung hatten. Was hilft uns das jetzt, mehr als 4,5 Milliarden Jahre später? Nach dieser enorm langen Zeit ist definitiv auch das letzte Hafnium-182-Atom längst zerfallen. Das stimmt, aber wir sind ja noch nicht fertig. Hafnium ist ein sogenanntes lithophiles Element. Das heißt, es bleibt eher dort, wo sich Fels und Gestein befinden; siliziumhaltiges Material. Wolfram, das Element in das Hafnium zerfällt ist dagegen ein kleines bisschen siderophil. Das bedeutet „eisenliebend“ und deswegen treibt sich Wolfram eher dort herum, wo sich auch das Eisen rumtreibt.
Jetzt müssen wir uns noch kurz überlegen, was passiert, wenn ein Planet entsteht. Und keine Sorge: Am Ende wird sich alles wunderbar zusammenfügen. Ein Planet der gerade erst dabei ist, zu entstehen, ist undifferenziert. Das heißt, die ganzen chemischen Elemente aus denen er besteht, sind mehr oder weniger gleichmäßig durchmischt. Ich könnte ein Stückchen von seiner äußersten Schicht nehmen und eines aus dem tiefsten Inneren und beide Stücke würden mehr oder weniger gleich aussehen. Wenn ein Planet groß genug ist, beginnt er irgendwann, sich zu differenzieren. Das heißt, die chemischen Elemente sortieren sich nach ihrem Gewicht. Schweres Zeug, wie Eisen sinkt immer tiefer in den Planeten hinein und das leichte Material, wie Gestein, bleibt außen. Das ist auch bei der Erde passiert und deswegen hat unser Planet ja auch einen Kern, der vor allem aus Eisen besteht mit einer Kruste aus Gestein außen rum.
Mit diesen Informationen haben wir jetzt alles beisammen, was wir brauchen, um ein paar Details der Erdentstehung zu erforschen. Denn eine offene Frage lautet ja zum Beispiel: Wie schnell geht das mit der Differenzierung eines Planeten? Entsteht der Kern gleich nachdem der Planet selbst sich gebildet hat oder dauert das länger? Diese Frage lässt sich mit Hilfe des verschwundenen Hafniums beantworten.
Stellen wir uns nochmal die gerade erst gebildete Erde vor. Und schauen, was passieren würde, wenn ihr Kern sich schnell bildet. Dann war noch nicht genug Zeit für das Hafnium-182 zu Wolfram-182 zu zerfallen. Und weil das Hafnium eben lithophil ist und gern dort bleibt, wo auch das Gestein bleibt, bleibt es auch außen und sinkt nicht mit dem Eisen in den sich bildenden Kern. Dort, in der Kruste der Erde, zerfällt das Hafnium dann in Wolfram. Wie würde die Sache aussehen, wenn sich der Kern erst spät bildet? Dann ist das Hafnium schon längst zu Wolfram zerfallen, wenn die Differentierung beginnt und dieses Wolfram sinkt, weil es eisenliebend ist, mit dem Eisen in den Kern. Im ersten Fall haben wir einen Planeten mit Wolfram in der Kruste und im zweiten Fall einen Planeten mit Wolfram im Kern. In den Kern der Erde können wir nicht schauen, aber wir können Material aus der Erdkruste analysieren und schauen, wie groß die Menge an Wolfram-182 dort ist.
In Wahrheit ist es natürlich wie immer viel komplizierter, denn es gibt auch noch andere Wege, wie Wolfram-182 erzeugt werden kann, zum Beispiel durch die Einwirkung der kosmischen Strahlung. Aber man kann das alles entsprechend analysieren und am Ende aus der Menge an Wolfram-182 rausfinden, wie schnell die Erde ein differenzierter Planet geworden ist. Das Ergebnis: Recht flott! 30 Millionen Jahre nach dem Beginn der Planetenentstehung war die Erde schon quasi fertig. Obwohl es gerade bei der Erde ein wenig knifflig ist, weil da ja noch die gigantische Kollision war, bei der der Mond entstanden ist und die hat alles ein wenig durcheinander gebracht. Aber auch hier hat die Hafnium-Wolfram-Uhr geholfen: Wir können ja auch Mondgestein entsprechend analysieren und daraus das Alter des Mondes bestimmen. Daraus folgt, dass er circa 30 bis 50 Millionen Jahre nach der Entstehung des Sonnensystems entstanden ist. Die Erde war also vermutlich gerade „fertig“ mit ihrer Entstehung, als ihr ein anderer, circa marsgroßer Planet in die Quere gekommen ist und bei dieser gewaltigen Kollision ist der Mond entstanden. Apropos Mars: Auch Marsmeteorite wurden ja schon gefunden und wenn wir uns die anschauen, dann zeigt sich, dass unser Nachbarplanet ein wenig älter ist. Er muss schon ungefähr 10 Millionen Jahre nach Beginn der Planetenentstehung fertig geworden sein. Oder vielleicht auch: nicht fertig geworden sein, denn dieses geringe Alter deutet darauf hin, dass er gar nicht den vollen Prozess durchlaufen hat, wie es bei der Erde der Fall war. Er wäre dann quasi ein Planeten-Embryo und es kann gut sein, dass der große und schnell wachsende Jupiter mit seinen gravitativen Störungen in seiner Nähe dafür gesorgt hat, dass Mars nicht genug Baumaterial bekommen hat, um ein ebenso großer Planet wie Erde oder Venus zu werden.
Wir können auch andere Meteoriten mit der Hafnium-Wolfram-Methode untersuchen, denn die Meteoriten stammen ja von den Asteroiden, die nichts anderes sind, als der ganze Rest der Planetenentstehung; die Bausteine, die damals übrig geblieben sind. Je nach Art der Meteoriten kriegt man da ein Alter von weniger als einer Million bis zu drei Millionen Jahren.
Die Hafnium-Wolfram-Uhr ist keine Zeitmaschine, aber doch eine wunderbar kreative Methode, um in die Vergangenheit des Sonnensystems zu schauen. Und wer weiß, was für Methoden wir noch finden und was wir mit denen dann über unsere Entstehung entdecken werden.
Zum Verständnis: die Erde war also kurz nach ihrer Entstehung glühend heiß und wahrscheinlich so um die 6000 Grad heiß, wie der heutige Erdkern. Bei dieser Temperatur gibt es keine Verbindungen mehr, die Elemente liegen in Reinform vor und sie sortieren sich nach Dichte. Wobei das Hafnium als relativ schweres Element nah am Erdkern angesiedelt war. Aber wie kommt es dann an die Oberfläche, wo wir es untersuchen können? Das liegt wohl an der Radioaktivität, die sich im Inneren des Kerns befindet und für Unruhe sorgt. Uran und vielleicht noch schwerere Elemente, die dann dutchweg radioaktiv sind. Florian hat über dieses Thema in den Sternengeschichten 126 und 127 berichtet, welche im Jahr 2015 erschienen sind. Aber gerade das Jahr 2015 fehlt im Archiv, sodass ich jetzt ein wenig dilettieren muss.
So dürfte der Vulkanismus auf der Radioaktivität basieren. Beispielsweise entsteht bei jedem Alphazerfall ein Heliumkern und der braucht Platz. Vom Mars weiß man, dass er seine Radioaktivität aufgebraucht hat. Dort ist der Vulkanismus komplett zum Erliegen gekommen, obwohl er dort wesentlich stärker war als auf der Erde. Der Olympus Mons ist 22 Kilometer hoch, unser Mount Everest bringt es nur auf knapp 9 Kilometer.
Eine etwas gewagte Annahme erlaube ich mir ebenfalls: Radioaktivität wirkt ionisierend, das heißt wir haben im Erdkern jede Menge freie Elektronen. Wenn sich nun alles nach Dichte sortiert, sind das die leichtesten Teilchen und werden nach außen gedrängt. Das würde die Entstehung des elektrostatischen Feldes der Erde erklären. Wo dieses ist, ist auch ein Magnetfeld. Das würde dann auch erklären, warum der Mars seins verloren hat.
@Artur:
das wirkt jetzt zwar etwas gemein, soll aber bitte nicht so verstanden werden. Bei den Scienceblogs ist alles noch da:
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/01/"<Januar 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/02/"<Februar 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/03/"<März 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/04/"<April 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/05/"<Mai 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/06/"<Juni 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/07/"<Juli 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/08/"<August 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/09/"<September 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/10/"<Oktober 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/11/"<November 2015
<a href="https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/12/"<Dezember 2015
@Bullet:
Im Prinzip ja. Die Links oben führen allerdings alle in die große Leere des „Seite nicht gefunden“ … Irgendwas ist da schief.
@ PDP10
Man ersetze das „“ und schreibe hinter 2015 „
@ PDP10
Ok, das war jetzt nur bedingt erfolgreich. Also noch einmal:
Man ersetze das Kleiner-Zeichen vor dem Monat durch ein Größer-Zeichen und schreibt am Ende ein [/a] (die eckigen Klammern durch Größer/Kleiner-Zeichen ersetzen.
So sollte es klappen:
Januar 2015
Februar 2015
März 2015
April 2015
Mai 2015
Juni 2015
Juli 2015
August 2015
September 2015
Oktober 2015
November 2015
Dezember 2015
@ PDP10
Oder alternativ einfach auf einen Link klicken und in der Adresszeite alles nach dem letzten „/“ löschen.
Da war ich wohl etwas zu faul. Man findet die Artikel einfach mit Google. Hier 126:
https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/04/24/sternengeschichten-folge-126-radioaktive-astronomie/
und 127:
https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2015/05/01/sternengeschichten-folge-127-das-radioaktive-leben-und-sterben-der-sterne/