Seit dem Umzug meines Blogs von ScienceBlogs.de an diesen neuen Ort habe ich noch viele Baustellen, die bearbeitet gehören. Unter anderem habe ich seit September 2022 keine Buchempfehlungen mehr geschrieben. Damit möchte ich jetzt wieder anfangen. Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, was ich von Oktober bis jetzt alles gelesen habe. Aber die meiste Zeit habe ich mit einem Buch – bzw. einer sechsteiligen Serie – verbracht. Und ein zweites habe ich auch gerade beendet. Also genug Material für einen Artikel und mit dem geht es jetzt los.

Transhumanismus bis zum Ende

In den letzten Wochen hat mich „The Eschaton Sequence“ von John C. Wright beschäftigt. Ich bin bei der Recherche zu einer Podcastfolge darauf gestoßen und dann sehr schnell hängen geblieben. Die Serie besteht aus den Bänden Count to a Trillion, The Hermetic Millennia, The Judge of Ages
The Architect of Aeons, The Vindication of Man und Count to Infinity
. Sie ist auf deutsch leider nicht erhältlich, aber trotzdem absolut empfehlenswert.

Die Geschichte beginnt im frühen 23. Jahrhundert. Die Erde hat gerade einen großen Krieg hinter sich, der mit biologischen Waffen geführt worden ist, die politischen Lager haben sich verschoben und aus irgendeinem Grund sind Spanien und Indien als führende Nationen auf die Bühne getreten. Deswegen beginnt auch das zweite Weltraumzeitalter der Menschheit mit einer Mission unter der Führung einer spanisch-indischen Crew und einem Captain aus Monaco (!). Ziel ist der Stern BPM 37093, der (in der fiktiven Handlung) als Objekt aus Anti-Materie identifiziert wurde und wo man schon vorher ein seltsames außerirdisches Artefakt entdeckt hat; ein Ding, bedeckt mit Schriftzeichen die nur rudimentär entziffert werden konnten.

Mit an Bord ist Menelaus Montrose; Spezialist für die Mathematik des „Monuments“ der zu Beginn der Reise mit einer auf der außerirdischen Technik basierenden Methode versucht, seine Intelligenz zu erhöhen um das Artefakt entschlüsseln zu können. Klappt aber nicht, zumindest nicht gleich und Montrose wird verrückt. Er wacht über 100 Jahre später wieder auf; in einer Welt die von der Crew des zurückgekehrten Raumschiffs beherrscht wird. Mit der mitgebrachten Antimaterie sind sie in der Lage, der Welt einen Frieden unter ihrer Herrschaft aufzuzwingen. Montrose – jetzt ein „posthuman“ und intelligenter als alle anderen, soll dabei helfen, aus den Mitgliedern der Crew ebenfalls überintelligente Wesen zu machen, die ihren Geist in einen Computer hochladen können.

So circa zumindest; das was ich bis jetzt erzählt habe, umfasst etwa die Hälfte des ersten Teils. Und dass das quasi noch gar nichts ist, sieht man unter anderem daran, dass das erste Buch zwar circa im Jahr 2230 beginnt, Band sechs aber im Jahr circa 130.000 (und wo es endet will ich nicht verraten).

Montrose jedenfalls stellt fest, dass er nicht der einzige posthuman ist; während des interstellaren Flugs, den er wegen Verrücktheit nicht mitbekommen hat, wurden Rania geboren (durch künstliche Befruchtung) und ihre Intelligenz ist ebenfalls auf mysteriöse Weise durch das Monument erhöht worden. Montrose und Rania heiraten, sehr zum Mißfallen von Ximen del Azarchel, dem letzten Captain des Schiffs. Rania hat durch intuitives Verständnis für das Monument festgestellt, dass die Erde in ein paar Jahrtausenden von einer übermächtigen Alien-Zivilisation überfallen und versklavt werden wird. Und dass es eine noch mächtigere Zivilisation gibt, im mehr als 30.000 Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen M3. Also macht sie sich auf den Weg dorthin, um die unbekannten Wesen zu überzeugen, die Menschheit zu schätzen. Montrose bleibt zurück und sein Job ist es, die Menschheit in den Jahrzehntausenden bis zu Ranias Rückkehr auf ein technisches Niveau zu bringen, das die Aliens vom Wert der Menschen überzeugt.

Soweit die Ausgangslange; aber wer denkt, dass das schon alles ist, liegt falsch. John C. Wright nimmt die Sache mit dem Transhumanismus enorm ernst. Montrose probiert die Jahrzehntausende bis zur Rückkehr seiner Frau irgendwie zu überstehen; die verbleibende Crew unter Del Azarchel verfolgt dabei ihre eigenen Pläne und experimentieren mit den Menschen. Unterschiedlichste augmentierte, verbesserte, umgeformte, absurde Menschenrassen wechseln sich ab; Menschen werden zu Computern; Computern zu Menschen; denkende Maschinen von der Größe ganzer Planeten werden konstruiert und damit sind die Visionen von Wright für die Zukunft der Welt immer noch am Anfang.

Die Eschaton-Sequenz ist ein höchst originelles Buch; es ist enorm spannend und genau wegen der Spannung und der extremen Visionen von Wright kommt man auch mit der immer komplexer werdenden Sprache klar. Und es ist genau genommen gut, dass die Sprache des Buches sich ändert. Immerhin geht es darum, eine Welt zu beschreiben, in der die Menschen keine Menschen mehr sind, sondern etwas ganz anderes, aus den Menschen erwachsenes. Diese aus unserer Sicht extrem fremden Welten und Wesen müssen sich natürlich auch extrem fremd verhalten und nach Maßstäben handeln, die uns unverständlich erscheinen. Ganz kann Wright das natürlich nicht durchziehen, sonst würde man vom Buch ja überhaupt nichts mehr verstehen. Aber er transportiert die Fremdheit eines transhumanen Universums sehr gut.

Ich würde gerne noch weiter erzählen von dem, was im Buch passiert – aber dann müsste ich spoilern. Nur so viel: Die Erde ist ziemlich bald nicht mehr Ort der Handlung und wie Wright es schafft, astronomische Phänomene konsistent als etwas völlig anders zu deuten, ist beeindruckend. Die Eschaton-Sequenz funktioniert, weil Wright es schafft, ein Universum zu schaffen, das faszinierend und fremd gleichzeitig ist. Und weil mit Montrose, dem „Judge of Ages“ und Del Azarchel, dem „Master of the World“ ein fast schon religiöses Paar von Antagonisten existiert, das trotz aller Veränderung eine gewisse Kontinuität über die Äonen der Handlung bietet.

Ich kann die Serie absolut empfehlen, auch wenn ich kein großer Fan der realen philosophischen Strömung des Transhumanismus bin. Aber das was Wright da geschrieben hat ist außergewöhnlich. Wer die Bücher in der Print-Version liest, wird schnell die ausführlichen Anhänge finden, die einen Überblick über die sehr komplexe Geschichte des Wright-Universums bieten; wer die Serie als Ebook liest weiß jetzt Bescheid.

Das Gehirn von Albert Einstein

Gehirne ohne Körper und die Existenz des Geistes über das Ende des Körpers hinaus gibt es auch in „Einsteins Hirn“ von Franzobel. Aber mit Science Fiction hat dieser Roman absolut gar nichts zu tun. Franzobel erzählt die Geschichte von Thomas Harvey, einem amerikanischen Pathologe, der nach dem Tod von Albert Einstein im Jahr 1955 für dessen Obduktion zuständig war. Und dabei – gegen den Willen Einsteins und seiner Angehörigen – dessen Gehirn konserviert hat.

Franzobels Roman ist ein Roman, keine Biografie und vermutlich sollte man das Buch nicht einmal als biografischen Roman lesen. Es ist eine Geschichte, die auf dem wahren Leben von Harvey basiert und sich daran orientiert. Aber sich ansonsten all die Freiheiten nimmt, die sich ein Roman nehmen kann. Harveys reales Leben war gleichzeitig öde und aufregend; er verlor seine Zulassung als Arzt, wechselte ständig den Wohnort, schlug sich mit diversen Jobs durch und hatte das Hirn immer dabei. Im Roman entwickelt Harvey eine Obsession gegenüber Einsteins Gehirnmasse und es ist kein allzu großer Spoiler, wenn man festhält, dass natürlich kommt, was kommen muss: Das Hirn von Einstein spricht zu Harvey. So eine Situation hat Klamauk-Potenzial; man könnte daraus eine Science-Fiction-Geschichte machen. Franzobel lässt diese offensichtlichen Wege links liegen und hat eine fiktiv-reale Lebensgeschichte eines Mannes aufgeschrieben, der gleichzeitig ständig scheitert und doch irgendwie zufrieden ist. Eines Mannes, der ständig Schwierigkeiten mit den Menschen in seiner Umgebung hat und sich nicht von der Beziehung zu Einstein lösen kann, um ihm die Erlösung zu bringen. Einsteins Geist weigert sich aber standhaft, an Gott zu glauben.

Thomas Harvey und Einsteins Hirn reisen durch die USA, erleben gemeinsam die Mondlandung, Woodstock, den Vietnamkrieg und andere Schlüsselmomente der Geschichte. Das Buch ist eine Mischung aus Roadtrip und Sinnsuche; eine wilde Mixtur aus Alltag und Wahnsinn. Ich habe es mit großer Freude gelesen.

Das wars

Das war es vorerst. Ich habe definitiv vor, die Buchbesprechungen wieder regelmäßig am Monatsende zu schreiben. Denn es gibt so viele Bücher und wenn man ein gutes Buch gefunden hat, dann will man anderen davon erzählen. Und von den schlechten Büchern ebenso 😉

Die Links zu den Bücher sind Amazon-Affiliate-Links. Beim Anklicken werden keine persönlichen Daten übertragen.

7 Gedanken zu „Transhumanismus bis zum Ende und Einsteins Gehirn: Die Buchempfehlungen vom Februar 2023“
  1. Wenn ich das richtig verstanden habe, reisen die mit fast Lichtgeschwindigkeit. Wird denn halbwegs plausibel erklärt, wie das technisch gehen soll?

  2. Vielen Dank für die Wiederbelebung der Artikel! Ich lese die immer sehr gerne und habe so manches Buh dadurch entdeckt!
    Zu Harvey gibt es einen Tatsachenbericht namens „Driving Mr. Albert“, der steht seit Jahren auf meiner Liste, habe ich aber noch nicht gelesen.
    Gelesen und für sehr empfehlenswert befunden habe ich „Light of uncommon stars“ (hattest du IIRC auch schon beschrieben) und The Portrait of Mrs. Charbuque, ein im viktorianschen Stil geschriebener Roman über ein mysteriöses Portröt. Von James Ford hat mir bereits The girl in the glass gefallen und das ist auch wieder sehr gut.
    Im Non-Fiction- Bereich hatte ich das ältere In Europa von Geetr Mak gelesen, ein Abriß des 20. Jahrhunderts in, nunja, Europa und das angenehm flüssig zu lesen. Obwohl gut in Geschichte bewandert, erfährt man doch eine Menge neues.

  3. Sehr schön, dass es hier weiter geht.
    Ich lese mich seit einer Weile in Greg Egans Werk ein, bin durch Dietmar Dath darauf gestoßen.
    Greg Egan ist definitiv das Superlativ von Hard Science Fiction. Ein Mathestudium kann nicht schaden. Sehr empfehlenswert!

  4. Schön, dass es die Buchtipps wieder gibt.
    Von Einsteins Hirn hatte ich schon anderswo gehört, nachdem es auch hier empfohlen wird, hoffe ich, die Zeit für die Lektüre zu finden.

  5. Schön, dass es mit den Buchtipps weitergeht! „Einsteins Hirn“ hat mir auch sehr gut gefallen! Nun will ich unbedingt das von @peer erwähnte Buch von Michael Paterniti ein zweites Mal lesen – das fand ich damals recht originell. Paterniti hat Einsteins Hirn zusammen mit Harvey in einer Tupperdose durch halb USA transportiert und den Erben zurückgebracht. Auf deutsch heißt das Buch „Unterwegs mit Mr. Einstein“.

  6. Ich kann mich den Vorrednern nur anschließen und freue mich sehr, dass es hier mit den Buchempfehlungen weiter geht! 🙂
    Vielen Dank für die ganzen Empfehlungen der letzten Jahre, bei denen ich bis zur Pause nach gehangen habe, nun aber wieder bereit für neue gute Bücher bin, und für alle Kommenden.
    Was mich die ganze Zeit schon interessiert, wie kommst du zu deinen Büchern? Empfehlungen, Messen, Handel oder von allem etwas? 😀

Schreibe einen Kommentar zu Falk Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.