theoriebuchDieser Artikel ist Teil einer fortlaufenden Besprechung des Buchs „Die perfekte Theorie: Das Jahrhundert der Genies und der Kampf um die Relativitätstheorie“* (im Original „The Perfect Theory: A Century of Geniuses and the Battle over General Relativity“* von Pedro Ferreira. Jeder Artikel dieser Serie beschäftigt sich mit einem anderen Kapitel des Buchs. Eine Übersicht über alle bisher erschienenen Artikel findet man hier
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Im ersten Kapitel des Buchs haben wir erfahren, was eigentlich das allgemeine an der Allgemeinen Relativitätstheorie ist und wie Albert Einstein überhaupt auf die Idee kam, sie zu entwickeln. Im zweiten Kapitel hat Einstein dann mühsamer Rechnerei endlich herausgefunden, wie er diese Theorie formulieren kann. Das dritte Kapitel hat gezeigt, dass wir aus der allgemeinen Relativitätstheorie überraschend viel über die Entstehung des Universums lernen können. Kapitel 4 hat erklärt, dass man aus ihr auch faszinierende Erkenntnisse über sterbende Sterne erhalten kann. In Kapitel 5 ging es um Einsteins Gegner und die zweifelten in Kapitel 6 sogar den Urknall an; den größten Erfolg der Relativitätstheorie. In Kapitel 7 erzählt Ferreira wie die Relativitätstheorie langsam wieder an Fahrt aufnahm und sich nun auch die Astrophysiker mit ihr beschäftigten mussten und Kapitel 8 zeigte, dass das eine gute Idee war, denn die komischen Phänomene die Einsteins Theorie vorhersagte, schienen im Kosmos tatsächlich zu existieren. Und in Kapitel 9 haben sich die Forscher wieder dem Versuch gewidmet, die „Theorie von allem“ zu finden, die schon Einstein selbst finden wollte.

Bei der Untersuchung astrophysikalischer Phänomene hatte Einsteins Relativitätstheorie in den 1960er und 1970er Jahren einige Erfolge gefeiert. Man verstand, dass schwarze Löcher nicht nur mathematische Kuriositäten sind, sondern tatsächlich existieren können und stellte fest, dass sie eine wunderbare Erklärung für die seltsamen Quasare boten, die Radioastronomen entdeckt hatten (siehe Kapitel 6). Aber was die Experimente anging, konnte die allgemeine Relativitätstheorie immer noch nicht mit der Quantenmechanik mithalten. Es gab keine Versuche, die man an irgendwelchen Labors durchführen konnte; nichts, was sich an Teilchenbeschleunigern untersuchen ließ. Bis auf die Gravitationswellen…

Einstein hatte die Existenz von Gravitationswellen schon kurz nach Veröffentlichung der Allgemeinen Relativitätstheorie postuliert. Die Raumzeit verhält sich ein bisschen so wie die Oberfläche eines Gewässers: Wenn man da einen Stein reinwirft, gibt es Wellen, die sich ausbreiten. Genauso können bestimmte Ereignisse im Raum diesen Raum selbst dazu bringen, zu „schwingen“. Gravitationswellen breiten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und theoretisch sollten sie sich nachweisen lassen.

Überall Wellen im Raum (Künstlerische Darstellung: Henze, NASA)
Überall Wellen im Raum (Künstlerische Darstellung: Henze, NASA)

Das allerdings war keine leichte Aufgabe. Denn das Bild mit dem Gewässer und dem Stein ist nur bedingt als Erklärung für Gravitationswellen zu brauchen. Die Raumzeit ist nicht mit dem leicht durcheinander zu bringenden Wasser vergleichbar, sondern eher mit einer massiven Stahlplatte, die sehr schwer zum Schwingen zu bringen ist. Selbst die heftigsten Ereignisse im All – zum Beispiel die Explosion eines Sterns bei einer Supernova – würden Gravitationswellen erzeugen, die kaum mehr vorhanden sind, wenn sie uns erreichen. Die Effekte wären winzig – und die Physiker anfangs skeptisch. Denn wieder einmal hatte Einstein seiner eigenen Theorie nicht völlig vertraut und zog die Vorhersage der Gravitationswellen zurück. Auch sie seien nur eine mathematische Spielerei; ein künstlicher Effekt in den Gleichungen, der in der Realität nicht existieren würden.

Einer aber war fest davon überzeugt, dass Gravitationswellen nicht nur tatsächlich vorhanden sind, sondern auch, dass er ihre Existenz schon gemessen hatte: Joseph Weber begann mit seinen Experimenten schon Ende der 1950er Jahre und nutzte dazu massive Metallzylinder, die mit Sensoren gespickt waren. Würden sie von einer Gravitationswelle getroffen, müssten sie leicht zu schwingen anfangen und das wollte Weber messen.

Natürlich passiert auf der Erde ständig irgendwas, das solche Zylinder zum Schwingen bringen kann. Temperaturschwankungen, vorbeifahrende Autos, Erdbeben, Bauarbeiten, und so weiter. Weber bekam also jede Menge Ergebnisse – aber er meinte, er könne Gravitationswellen eindeutig identifizieren. Er verwendete dafür mehrere Zylinder an unterschiedlichen Orten und wenn es sich nur um lokale Einflüsse handeln würde, würden sie unterschiedliche Daten liefern. Nur wenn tatsächlich eine Gravitationswelle aus dem All kommt, würden sie gleichzeitig die gleichen Daten liefern.

Und genau das wollte Weber beobachtet haben. Die meisten anderen Physiker waren aber skeptisch. Einerseits müsste es sich schon um gewaltige Gravitationswellen handeln, die Weber da mit seinen Apparaten gemessen haben wollte, ansonsten hätte sie sein simpler Versuchsaufbau nicht gefunden. So gewaltig, dass sie eigentlich nicht existieren konnten. Der Astronom Martin Rees konnte dann auch nachweisen, dass die Quelle solcher starken Gravitationswellen die gesamte Galaxie dazu bringen müsste, sich auszudehnen, was definitiv nicht stattfand.

Außerdem fand Weber IMMER Gravitationswellen. Er fand sie in den Daten von anderen Experimentatoren, die sein Experiment wiederholen wollten, obwohl die selbst dort nichts entdeckt hatten. Er fand sie in Daten, die sich nachträglich als falsch gemessen herausstellten und er fand sie dann gleich nochmal in den korrigierten Daten. Weber fand Gravitationswellen wohin er auch blickte und er war der einzige, der sie fand. Weber machte dafür seine besonders sensiblen Instrumente und effektiven Methoden verantwortlich. Der Rest der Physiker versuchte noch eine Weile, Webers Daten zu reproduzieren und das nicht gelang, ließen sie das Thema und Weber langsam fallen.

Dafür gab es 1978 den ersten indirekten Nachweis von Gravitationswellen. Man wusste vorher schon aus theoretischen Berechnungen, das ein Körper der um einen anderen kreist Gravitationswellen im Raum erzeugt und dabei selbst Energie verliert. Ein Planet müsste durch diesen Effekt zum Beispiel im Laufe der Zeit langsam an seinen Stern heran rücken. Allerdings nur sehr wenig: Durch die Abgabe von Gravitationswellen wird sich die Erde zum Beispiel während des gesamten knapp 10 Milliarden Jahre dauernden Lebens der Sonne ihr nur um einen Millimeter nähern! Aber bei massereicheren Objekten ist das anders.

Die Astronomen Russell Hulse und Joe Taylor fanden 1978 zwei Neutronensterne, die einander umkreisten. Es gelang ihnen hier sehr exakt die Rate zu messen, mit der die beiden Sterne aufeinander zuwanderten und die entsprach genau dem, was Einsteins Theorie vorhersagte. Für diesen indirekten Nachweis der Gravitationswellen wurden die beiden 1993 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.

Jetzt wollten auch die anderen Wissenschaftler nochmal nach den Gravitationswellen suchen und machten sich daran, sie direkt nachzuweisen. Nicht mit Metallzylindern wie Weber, sondern mit Laserstrahlen. Man kann zwei Laserstrahlen in unterschiedliche Richtungen schicken, sie nach jeweils gleicher Distanz von einem Spiegel reflektieren lassen und dann am Ausgangspunkt wieder überlagern. Wenn beide zu exakt der gleichen Zeit ankommen, werden sie sich entsprechend überlagern und ein bestimmtes Interferenzmuster erzeugen. Wird aber einer der Spiegel ein wenig verformt bzw. zum Schwingen gebracht, weil gerade eine Gravitationswelle durch ihn läuft, dann braucht einer der Laserstrahlen ein wenig länger oder kürzer und man bekommt am Ende ein anderes Interferenzmuster. Mit dieser Methode kann man solche Verformungen enorm exakt messen und das war auch nötig.

Um Gravitationswellen direkt nachzuweisen, musste man in der Lage sein, Laufzeitunterschiede zu messen, die Längenänderungen vom halben Durchmesser eines einzelnen Protons entsprachen. Das war technisch zwar sehr schwierig – aber durchaus machbar. Viel größer war ein anderes Problem: Man wusste nicht, nach was man in den Daten suchen sollte. Da man so viel störendes Rauschen in den Daten sehen würde, dass nichts mit Gravitationswellen zu tun hat, musste man vorher schon ziemlich genau wissen, was man finden wollte. Und dazu musste man neue Lösungen für Einsteins komplizierte Feldgleichungen finden.

Die besten Chancen eines Signals das „laut“ genug ist, versprach man sich von der Kollision zweier schwarzer Löcher. Wenn zwei sehr große Sterne in einem Doppelstern ihre jeweiligen Leben beendet haben, bekommt man danach zwei schwarze Löcher die einander umkreisen. Dabei erzeugen sie Gravitationswellen, kommen einander immer näher und verschmelzen schließlich miteinander. Dieser Vorgang sollte ein charakteristisches Gravitationswellenmuster erzeugen – nur wusste niemand, wie das genau aussieht.

Während der 1970er, 1980er und 1990er Jahre bemühten sich Wissenschaftler überall auf der Welt, am Computer die Kollision zwischen zwei schwarzen Löchern zu simulieren und passende Lösungen für die Feldgleichungen zu finden. Nur gelang es nie – erst 2005 fand Frans Pretorius die passende Methode und konnte den Experimentatoren zeigen, wonach sie zu suchen hatten. Und heute kann man sich die Gravitationswellen kollidierender schwarzer Löcher sogar als Klingelton aufs Handy holen…

Schaut nicht beeindruckend aus, ist es aber: der Gravitationswellendetektor GEO600 (Bild: MPI for Gravitational Physics
Schaut nicht beeindruckend aus, ist es aber: der Gravitationswellendetektor GEO600 (Bild: MPI for Gravitational Physics

Man hatte mittlerweile schon einige große und teure Anlangen gebaut – GEO600 in Deutschland zum Beispiel oder LIGO in den USA – die technisch in der Lage waren, Gravitationswellen zu finden. Jetzt wusste man auch, wonach man suchen musste. Und das Glück haben, auch tatsächlich etwas zu finden. Das ist leider bis heute noch nicht gelungen. Ganz erfolglos ist die Gravitationswellenforschung aber nicht geblieben. Im Zuge der neu entstandenen Zentren für Supercomputing wurden immer mehr Daten produziert und um sie besser betrachten und verteilen zu können, entwickelte Larry Smarr im Jahr 1993 Mosaic, den ersten grafischen Internetbrowser (den ich selbst während meines Studiums sogar anfangs noch benutzt habe…). Der Nobelpreis für die Entdecker der Gravitationswellen steht zwar noch aus – aber zumindest haben wir die Internetbrowser bekommen! Und wie neue Untersuchungen zeigen, waren die Daten von Joseph Weber vielleicht doch nicht so schlecht, wie man dachte. Es wird nicht mehr lange dauern, bis der Nachweis der Gravitationswellen gelungen ist!

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8 Gedanken zu „Die perfekte Theorie (10): Die erfolglose Suche nach den Gravitationswellen“
  1. Tolle Serie

    „sondern eher mit einer massiven Stahlplatte, die sehr zum Schwingen zu bringen ist.“

    Da fehlt vermutlich ein schwer ..

  2. Für diesen indirekten Nachweis der Gravitationswellen wurden die beiden 199X mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet.

    X=3?

  3. Ich habe mir „Einstein und Eddington“ angesehen.

    War Einstein wirklich so ein komischer Typ, dass er nicht mal anständig mit seinem Drittmittelgeber reden konnte? Und der Eier im Treppenhaus runterwarf, um seinen Kindern die Gravitation zu erklären?

    Ach ja, in einer Szene, die 1914 in Berlin spielt, da waren Schwarz-Rot-Goldene Flaggen zu sehen.
    Aber 1914 waren doch noch die Rot-Weiß-Schwarzen Flaggen des Kaiserreichs angesagt, oder?

  4. „War Einstein wirklich so ein komischer Typ, dass er nicht mal anständig mit seinem Drittmittelgeber reden konnte? “

    Dafür konnte er anständig mit den jungen Hüpfern reden…

  5. > Wird aber einer der Spiegel ein wenig verformt bzw. zum
    > Schwingen gebracht, weil gerade eine Gravitationswelle
    > durch ihn läuft, dann braucht einer der Laserstrahlen ein
    > wenig länger oder kürzer und man bekommt am Ende ein
    > anderes Interferenzmuster.
    Frage: Ist es nicht eher die durch die Gravitationswelle ausgelöste Verzerrung des Raums zwischen den Spiegeln, die einen Effekt hervorruft?

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