Ab und zu gibt es Bücher, da weiß man schon daß sie hervorragend sein werden, bevor man sie das erste mal aufschlägt. Dazu gehört Die Wissenschaftslüge: Wie uns Pseudo-Wissenschaftler das Leben schwer machen von Ben Goldacre.
Goldacre werden die meisten als Kolumnisten des Guardian kennen bzw. von seinem Blog Bad Science. So war auch der Titel seines Buches das er 2008 veröffentlicht hat.
Heute ist es auch auf deutsch erschienen und ich hab es gestern zufällig am Bahnhof entdeckt und gleich durchgelesen!
Wer Goldacres Blog kennt, der kann sich wahrscheinlich denken, wovon das Buch handeln wird. Goldacre schreibt über schlechte Wissenschaft bzw. eigentlich Pseudowissenschaft und konzentriert sich besonders auf den Bereich der Medizin (er selbst ist ja auch Medizinjournalist und ausgebildeter Psychiater).
Gleich zu Beginn spricht er über seine Motivation.
Heutzutage sehen sich Naturwissenschaftler und Ärzte einem Heer von Menschen gegenüber, die sich anmaßen, wissenschaftliche Forschung beurteilen zu können – ein bewunderstwertes Bestreben – , ohne sich vorher auch nur die Grundkenntnisse über ein gegebenes Thema angeeignet zu haben.
Dieses „Loch in unserer Kultur“ wie es Goldacre nennt, will er thematisieren. Er stellt auch klar, dass es ihm nicht zwingendermaßen darum geht, Quacksalber zu entlarven um deren Kunden zu schützen (obwohl das auch ein Aspekt ist):
(…) denn die wahre Bedrohung durch die Quacksalber liegt nicht etwa darin, dass ihre Kunden sterben könnten – was schlimmstenfalls auch passieren kann, aber ich möchte nicht ständig darauf rumreiten -, sondern dass sie das Verständnis der Öffentlichkeit von wissenschaftlicher Beweisführung systematisch aushöhlen.
Gleich im ersten Kapitel stellt Goldacre ein paar pseudowissenschaftliche Theorien vor – z.B. Aqua Detox oder Ohrenkerzen. Dazu erklärt er, wie man mit ein paar äußerst einfachen Experimenten und Überlegungen herausfinden kann, ob es sich dabei um ernsthafte Theorien oder pseudowissenschaftlichen Unfug handelt.
Weniger amüsant als die seltsamen Ohrenkerzen ist dann aber „Brain-Gym“ – eine Art Gymnastik, die in sehr vielen britischen Schulen offiziell durchgeführt und auch von der Regierung offiziell unterstützt wird. Durch seltsame Übungen soll hier die Leistungsfähigkeit des Gehirns gesteigert und der „Energiefluss“ optimiert werden.
Hier zum Beispiel eine typische Übung:
Die Überkreuzbewegung ist eine sehr einfach Übung: Gehen Sie einfach auf der Stelle, ziehen Sie jeweils das eine Knie hoch und bringen Sie das Bein mit dem Ellenbogen des angewinkelten Arms der anderen Seite zusammen: also das linke Bein mit dem rechten Ellenbogen und umgekehrt. Versuchen Sie diese Bewegung möglichst langsam und bewusst auszuführen.
Damit „stimulieren Sie die Funktionen Ihres gesamten Gehirns und der Stirnlappen. „
Prinzipiell ist ja gegen Gymnastik nichts einzuwenden. Aber wenn den Schülern von den gleichen Lehrern, die ihnen echtes Wissen beibringen auch so ein Unsinn über die „Stimulation des Stirnlappens“ erzählt wird, dann ist das bedenklich. Goldacre nennt noch einen zweiten Aspekt:
Man nehme eine vollkommen vernünftige Intervention wie ein Glas Wasser oder eine Gymnastikpause, würze das Ganze jedoch mit einer Prise Unsinn damit es technischer und man selbst schlauer klingt. Auf diese Weise lässt sich der Placeboeffekt noch steigern, aber man könnte auch fragen, ob der primäre Zweck nicht etwas weitaus Zynischeres, Lukrativeres ist: Man lässt sich den gesunden Menschenverstand als etwas Einmaliges patentieren und nimmt ihn so ihn Besitz.
Interessant ist auch das Kapitel über die Kosmetikfirmen. Hier geht es weniger um Pseudowissenschaft wie „Brain Gym“ sondern um die Verwirrungstaktiken der Marketingabteilungen mit denen stinknormale Sachen als hochwissenschaftlich geprüfte Wirkstoffe verkauft werden. Zum Beispiel „hydrolisierte X-Mikroprotein-Nutricomplexe“ oder „Tenseur Peptidique Végétal“ was, wie Goldacre schön erklärt nichts anderes ist als „gekochtes und zermatschtes Gemüseprotein“.
Auch hier sieht Goldacres das große Problem nicht darin, dass den Leuten überteuerte Produkte verkauft werden die im Prinzip auch nicht mehr können als billige Kosmetik. Die Problematik liegt woanders:
Mehr noch, solche Reklamen verkaufen eine zweifelhafte Weltsicht, nämlich die Vorstellung, dass es in der Wissenschaft nicht um das empfindliche Verhältnis zwischen Theorie und Beweis geht. Sie suggeriert stattdessen mit der ganzen Macht ihrer internationalen Werbebudgets, ihren mikrozellularen Komplexen, ihrem Neutrillium XY, ihrem enseur Peptidique Végétal und wie das Zeug sonst heißen mag, dass die Wissenschaft nichts ist als undurchschaubarer Unsinn, bestehend aus Gleichungen, Molekülen, pseudowissenschaftlichen Diagrammen, schmissigen, schlauen Aussagen von Autoritätspersonen in weißen Kitteln und dass dieser wissenschaftllich klingende Quatsch ebenso gut aus der Luft gegriffen, zusammengebraut, konfabuliert sein könnte, einfach nur, um Geld zu machen. Sie verkaufen mit vollem Einsatz die Vorstellung, dass Wissenschaft unverständlich ist und sie verkaufen diese Vorstellung hauptsächlich an attraktive junge Frauen, eine Gruppe, die zahlenmäßig in der Naturwissenschaft leider unterrepräsentiert ist.
Das Kapitel über Homöopathie gestaltet als Goldacres als Lehrstunde in evidenzbasierter Medizin und erklärt ganz genau wie eine vernünftige und seriöse medizinische Studie aufgebaut ist. Er erklärt außerdem, wie man mit so einer Studie Homöopathie überprüfen kann (und das die Behauptungen der Homöopathen, man könne die Wirkung der Globulis so nicht überprüfen, Unsinn ist). Auch Sinn und Zweck von Meta-Analysen werden erklärt. Goldacre zeigt auch, dass alle bisherigen Studien dieser Art der Homöopathie ein negatives Ergebnis bescheinigen und er erläutert, warum manche Studien doch zu einem positiven Schluß kommen (das sind diejenigen mit methodischen Fehlern).
Goldacre kann wunderbar erklären. Auch für längst bekannte Argumente findet er neue (zumindest neu für mich) und eingängige Formulierungen. So schreibt er zum Beispiel über die homöopathische Verdünnung:
Um die Sache aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, das Universum enthält ungefähr 3 x 1080 Kubikmeter Stauraum (…): Wäre es mit Wasser gefüllt und einem einzigen Molekül eines wirksamen Bestandteils, erhielte man gerade eine recht dürftige 55C-Verdünnung
Sehr schön ist auch die Frage nach dem Grund, warum sich das Wasser gerade die „Informationen“ des Wirkstoffs merkt, nicht aber die der Verunreinigungen bzw. die Vorgeschichte:
Woher weiß ein Wassermolekül, dass es alle anderen Moleküle vergessen soll, die es zuvor gesehen hat? Woher weiß es, wann es meinen Bluterguss mit seiner Erinnerung an Arnika und nicht etwa mit der Erinnerung an Isaac Asimovs Fäkalien heilen soll?
(Das Zitat geht übrigens weiter mit „Ich habe das einmal in der Zeitung geschrieben und ein Homöopath beschwerte sich prompt bei der Presseaufsicht“.)
Ich könnte jetzt noch seitenweise aus dem Buch zitieren – es ist wirklich hervorragend! Das Kapitel über den Placeboeffekt sollte jeder „Alternativ“mediziner gelesen haben (und auch jeder echte Arzt!) und die Journalisten sollten sich die Kapitel über die Medien zu Herzen nehmen.
Aber auch wer schon meint, alles über Alternativmedizin und ihre skeptische Betrachtung zu wissen, sollte das Buch lesen. Goldacre findet immer einen neuen, interessanten Blickwinkel, aus dem man das Problem bisher noch nicht betrachtet hat.
Ich kann „Die Wissenschaftslüge“ nur uneingeschränkt empfehlen! (auch wenn ich den deutschen Titel eher etwas unglücklich gewählt finde). Eigentlich sollte es Pflichlektüre für jeden Studenten sein – ich habe den Sinn und Wert des kritischen Denkens selten so gut erklärt bekommen!
Interessant, gleich mal vormerken auf der Liste „noch zu lesen“
Weshalb dies?
Ich finde ihn gerade genial. Fallunterscheidung:
I – Ich bin wissenschaftlich vorbelastet (weil ich bspw. studiert habe und so ein wenig davon verstehe) und lese gern solche Meta-Literatur. Da gehe ich nicht nach einem Buchtitel, sondern nach Autoren-Namen. „Goldacre? *zugreif*“.
II – Ich habe keine Ahnung und keine Meinung zur Wissenschaft, will jetzt aber mal etwas darüber erfahren. Unter einem Haufen mir nichtssagender Titel (vorausgesetzt, es wird im Buchhandel nicht wieder Sachliteratur mit Eso-Prosa vermischt) entdecke ich „Die Wissenschaftslüge“. Ich denke mir „Wow, das klingt verschwörerisch und gleichzeitig aufklärerisch. Mal das lese ich als erstes, *mitnehm*““
III – Ich bin ein Wissenschaftsfeind. „Die Wissenschaftslüge? Goldacre kenn‘ ich nicht, vielleicht ein Pseudonym von Broers, Bremer oder Hubbard. *schnapp*“
In jedem Fall wird ein gutes Buch über Wissenschaft gelesen und mit etwas Glück geht jemand nicht an die Pseudowissenschaften verloren oder ein Esoteriker erlebt sogar eine echte Epiphanie… 😉
„Goldacre kenn‘ ich nicht, vielleicht ein Pseudonym von Broers, Bremer oder Hubbard. *schnapp*““
Muahaha. ^^
DER BRÜLLER: Suche ich in der Bucht nach dem Buchtitel, empfiehlt mir der erste Anbieter als Ergänzung dazu „Prof.“ Hademar Bankhofers „Die 500 Besten Vitaltipps“.
Na denn…
Schliesse mich der Kaufempfehlung gerne an. Das englischsprachige Original (ich liess mir hier eins von Ben signieren) verwende ich immer wieder als nützliche Quelle.
Bezüglich des Effekts des deutschsprachigen Titels bin ich aber ebenfalls skeptisch. Ich denke, dieses Szenario dürfte recht häufig vorkommen:
IV – Ich bin ein Wissenschaftsfeind. Der Titel bestärkt mich in meinem «Wissen», dass WIssenschaftler lügen. Lesen brauche ich so was aber nicht. *weitergeh“
Interessantes Thema, aber die meisten Antworten, die du als Beispiele aufgezählt hast, kann jeder normal denkende Mensch von alleine nachvollziehen. Ich bin mit einer Lebenspartnerin zusammen, die an Gott glaubt, homöopathische Mittel nimmt und Verstorbene an einem schönen Ort wähnt. Und das obwohl ich mich selbst als Atheist und Realist bezeichnen würde.
Schon als ich das erste Mal von Homöopathie erfahren habe, war mir klar, das kann so nicht funktionieren. Jede Gesteinsschicht durch die das Wasser sickert, jede Kontaminierung durch andere Stoffe müsste das Wasser zu einem ulimativen Homöopathischen Mittel machen und uns alle vollkommen durcheinander bringen.
Ich behaupte aber, dass die positiven Effekte, die trotzdem viele Erfahren dadurch, daher rühren, dass sie sich mit ihren Problemen auseinander setzen. Denn Homöopathen halten in der Regel intensive Sitzungen ab und ergründen die Wehwechen bis ins kleinste Detail.
Welcher Arzt oder welche andere Bezugsperson würde das schon mit einem machen?
Man sollte dem mal nachgehen und nicht nur den technischen Aspekt betrachten. Wissenschaftlich natürlich. 😉
Hm, als Studentin packe ich das gleich mal pflichtbewusst ein 😉
Den Titel find ich auch nicht so super, zum einen wegen Typ IV, den Andreas genannt hat, zum anderen weils im Moment einfach zu viele so Bücher gibt. Bei dem Titel denke ich an diverse Pharma-Arzt-Verschwörungstheorien und was man sonst noch so an Bahnhöfen findet: „Ach sowas mal wieder…“ Wenn ich nur den Titel ohne Untertitel sehen würde, würde ichs wohl nicht kaufen… wenn ich Goldacre nicht kennen würde 😉
@Megatherium: „Welcher Arzt oder welche andere Bezugsperson würde das schon mit einem machen? „
Der Arzt würde es sicher machen – wenn er könnte. Aber er kann sich es i.A. halt nicht leisten, die gleichen Preise zu verlangen wie der Homöopath. Die schlechten Arbeitsbedingungen der Ärzte sind aber ein Problem der Gesundheitspolitik und kein Beleg dafür, das man Homöopathie einsetzen sollte.
„Man sollte dem mal nachgehen und nicht nur den technischen Aspekt betrachten. Wissenschaftlich natürlich. „
Das tut man auch – wie man in Goldacres Buch nachlesen kann.
Das ist wohl eher Wunschdenken lieber Florian. Arzt sein bedeutet Geschäftsmann sein, und du solltest nicht vergessen, dass nicht alle Patienten aus gesetzlichen Kassen stammen, wo vielleicht zwei Minuten für die Diagnose anberaumt sind. Ich hätte so ein naives Standard-Statement von dir nicht erwartet.
Ich wollte auch nicht die Homöopathen in irgendeiner Weise unterstützen, sondern nur sagen, dass die heiligen Weißkittel mit ihren taffen Standarddiagnosen nicht das NonplusUltra sind. Es ist einfach nur blauäugig zu meinen, die armen Ärzte sind die Helden, denen man nur keinen Raum für Heldentaten lässt. Die meisten, die ich besuchen musste, waren desinteressierte, geldgierige „Austittsöffnungen des Enddarmes“. Das Beste ist, man sagt ihnen was man hat und was man dagegen haben möchte, dann kommt man noch mal ums dritte Röntgen im Jahr (das Gerät muss ja abbezahlt werden) herum. 😉
Dass das oben Angesprochene im Buch vorkommt, ist natürlich positiv zu erwähnen. Für mich wäre das der einzige Hinweis darauf, warum diese Leute immer wieder zu Homöopathen gehen. Was das kostet und ob man das machen sollte oder nicht, stand von meiner Seite aus nicht zur Debatte. Ich von meiner Seite habe keine Erfahrung mit Homöopathie.
Es ist verständlich, dass Wissenschaft rationell und sachlich sein sollte, nur ist das eben bei Medizin nicht der Fall, zumindest nicht, wenn es um die Behandlung von Menschen geht. Das ist vielschichtiger und erfordert mehr Einfühlungsvermögen als die Bahn eines Planeten zu berechnen. (Obwohl man dafür wohl auch eine Menge Leidenschaft in sich haben muss.) Und das es den Placebo-Effekt gibt, ist ja das beste Beispiel dafür, dass eben manchmal etwas fehlt oder geklärt werden muss, das man nicht auf den ersten Blick erkennen kann, und dass es auch interessante Selbstheilungskräfte gibt.
Danke 🙂
@megatherium: „Arzt sein bedeutet Geschäftsmann sein, und du solltest nicht vergessen, dass nicht alle Patienten aus gesetzlichen Kassen stammen, wo vielleicht zwei Minuten für die Diagnose anberaumt sind.“
Also Ärzte sind Geschäftsmänner und Homöopathen sind was? Heilige die ihre Globulis verschenken?
Ich habe natürlich nicht behauptet, dass jeder Arzt toll ist. Wie überall gibts auch hier unfähige und schlechte Ärzte. Aber zu sagen „Ärzten gehts nur ums Geld; Homöopathen aber um die Patienten“ ist noch viel unsinniger.
Bleib mal ruhig! Ich habe unmissverständlich geschrieben, dass ich weder Homöopathie unterstütze noch dass ich es rechtfertige, sondern lediglich, dass ich nur EINEN Grund sehe, warum Menschen so viel Geld ausgeben und an diese Kügelchen glauben, weil sie dort über ihre eigene Situation reflektieren können. DAS könnte Menschen, deren Ursachen für bestimmte Krankheitssymtome unerkannter, psychischer Natur sind, tatsächlich helfen. Etwas anderes kann ich mir NICHT vorstellen! Mehr nicht.
Außerdem hatte ich auch geschrieben, wie mir schon vom normalen logischen Denken (unreines Wasser) klar war, dass diese Verdünnungen nicht funktionieren können. Also nix da mit Homöopathen-Lobbyismus meinerseits!
Du hast eher pauschalisiert, und ich habe dir nur dagegen gehalten, dass es den „Gott im weißen Kittel“ nicht gibt.
Können wir uns darauf einigen? 😉
PS: Übrigens lese ich schon eine ganze Weile mit viel Interesse deinen Blog und bin froh eine Ansammlung von Menschen gefunden zu haben, die sich der Entmystifizierung unzähliger pseudowissenschaftlicher Personen und Thesen hingibt und damit mal ein cleveres Feedback der Wissenschaft darstellt. Vielen Dank dafür.
@megatherium: Kein Problem, ich weiß schon, dass du kein Homöopathie-Fan bist. Ich wollte halt nur klarstellen, dass es nicht allein die Schuld der Ärzte ist, dass sie nicht so viel Zeit für die Patienten aufbringen können wie die Homöopathen.
Und manchmal ist übrigens gerade der authoritäre „Gott in weiß“ das beste Placebo…
Oh man. Florian du bist Schuld daran dass ich mir noch am selben Tag kurz vor Ladenschluß das Buch gekauft hab.
Dasselbe Geld, was ihnen fehlt, wenn sie über Erhöhungen von Sozialabgaben jammern.
Homöopathen und sämtliche Heilpraktiker verlangen für dieselbe Dienstleistung höhere Sätze, ohne dabei wirkungsvolle Arneien zu verabreichen. Warum gehen viele Leute trotzdem lieber zu ihnen statt zum Arzt? Weil erstere Anti-Medizin-Propaganda (Medizin=böse, Natur und Zauberei=gut) betreiben. Die Leute könnten ihr Geld genausogut zu Ärzten tragen, vielleicht sogar ein wenig sparen, wenn sie die Ärzte genauso bereitwillig privat für Sonderleistungen bezahlen würden wie sie Scharlatane bezahlen. Aber wenn ein Arzt (oder die KK) Geld haben wollen, gelten sie als gierig und korrupt und man reagiert empört. Wenn ein Homöopath mehr Geld für weniger Leistung verlangt, wird das bereitwillig bezahlt.
Was wir brauchen ist mehr Aufklärung, mit den Quacksalbern vergleichbares Marketing, nicht Erforschung der Alternativen. Die sind nämlich erforscht und da sie nicht zur Medizin gestoßen sind, gibt es da nichts, was man nicht schon längst weiß. Wie zum Beispiel, dass mehr Zeit und individuellere Behandlung für jeden Patienten wesentlich zur Genesung beiträgt. Jeder Arzt weiß das und kann jedem Patienten sagen „Der Hömöopath um die Ecke nimmt 45€/Stunde. Ich behandle Sie nach KK-Sätzen und wenn Sie mehr wollen, kostet jede Extra-Stunde mit mir nur 35 Euro. Ist das ein Angebot?“
Interessant, dass Du darüber schon gebloggt hast. Ich muss das Buch noch bis zur kommenden Woche rezensieren und hatte eigentlich vorgehabt, unter anderem Brain Gym und Homöopathie mit zwei, drei ganz ähnlichen Punkten herauszugreifen. Na mal schauen.
Unheimlich ist es mir, wenn Du schreibst, dieses Buch in einem einzigen Tag „durchgelesen“ zu haben, und das auch noch nach zufälliger Entdeckung — aber dieses Wort wird wohl in der Tat recht dehnbar verwendet. Nun ja, Brain Gym und Homöopathie freilich kommen sowieso eher am Anfang. 🙂
@metascience: Was ist daran unheimlich? Knapp 400 Seiten kann man während einer 4,5 stündigen Zugsfahrt von Jena nach Heidelberg gut lesen…
Ich will gar nicht off-topic gehen, aber: 400 Seiten in gut 4 Zugstunden, das nenne ich querlesen, aber nicht durchlesen. Das erinnert mich an einen Professor, der erzählt hat, auf einer Zugfahrt „lese“ er 1 Dissertation oder 2 Magisterarbeiten. Was soll’s.
@metascience: „400 Seiten in gut 4 Zugstunden, das nenne ich querlesen, aber nicht durchlesen.“
Nenn es wie du willst – aber ist es so unvorstellbar, das manche Menschen schneller lesen können als andere? Wenn der Text deutsch ist, nicht allzu kompliziert und spannend (trifft alles hier zu), dann schaff ich knapp 100 Seiten/Stunde. Und die letzten Kapitel hab ich dann zuhause im Bett gelesen.
Aber meine Lesegeschwindigkeit ist ja auch irrelevant was die Rezension angeht, oder?
Off-topic, sagte ich doch selbst. Bei Versicherungen übers Schnelllesen bei angeblich gleicher Verständnistiefe bin ich schon mehr als skeptisch. Nein, das ist für das Lob des Buches nicht relevant. Nur etwas beunruhigend bei etlichen anderen Texten, wo nicht von vornherein so klar ist wie bei Goldacre, dass etwas Zutreffendes drinsteht.
Schnelllese ist ne Trainingssache (und Frage der Begabung). Kann man – ist aber nicht Pflicht 😉
Goldacre hat ganz recht, das eigentliche problem ist das dysfunktionale Denken.
Und das ist folgenreich, nicht nur in Hinblick auf Wissenschaft und Wissenschaftsverständnis… sondern in so ziemlich jedem Lebensbereich…
und was die Ärzte als Geschäftsleute angeht, so gibt es einen haufen von ärztlichen Geschäftsleuten, die sind Mediziner UND Homöopathen.
Offensichtlich DAS Geschäftsmodell der Zukunft.
s.o. dysfunktionales Denken.
Dabei gehörten eine ganze handvoll Patienten weder zum Arzt noch zum Homöopathen, sondern vielmehr zum Psychotherapeuten.
Von der Sache her.
Hi metascience bloke, wg des Lesens kannst Du Dich gerne mal mit meiner Mutter kurzschließen. Die hatte schon gegenüber mir als noch nicht 10-Jährigem geargwöhnt, daß ich bei meinem Tempo doch gar nicht ‚richtig‘ lesen könne und mich (ohne daß ich vorher davon gewußt hätte) überprüft, indem sie eines der betroffenen Bücher durchlas und mir ein gerüttelt Maß Detailfragen stellte. Das Ergebnis dieses Tests zerstreute dann ihre Bedenken restlos 🙂
Es gibt natürlich auch viele Bücher, bei deren Lesen ich nach{schauend|prüfend|rechnend} abwschweife, die somit effektiv langsam erlesen werden, aktuell =»Greene, was mich aber in keiner Weise daran hindert eher Unterhaltsames nebenher zu lesen.
Ich habe das Buch heute auch an einem Tag durchgelesen. Es ist wirklich großartig.
+++ zur hälfte gelesen +++
ich bin etwas überrascht über den hemdsärmeligen stil des verfassers. oft bedient er sich der ich-form bzw. kommentiert sehr subjektiv. stellenweise klingt es, als hätte er einen relativ frei gehaltenen vortrag einfach niedergeschrieben. das mutet nicht sonderlich seriös an.
an einer stelle erklärt er etwas zum studiendesign und fügt in klammern ein: „keine sorge, ich höre gleich auf“. was soll sowas? erinnert an eine talkrunde, in der der gast abgewürgt wird, wenns gerade spannend wird. im TV macht man das, um den für dumm gehaltenen zuschauer nicht mit fakten zu langweilen. hat goldacre das nötig? ist das buch für unbedarfte?
schließe mich radicchio an.
das buch ist zu journalistisch und polemisch aufgemacht.
die fakten sind größtenteils bekannt,aber ohne die polemik viel beeindruckender.
denn homöopathiefans reagieren sofort beleidigt und aggressiv(teiweise verständlich).
leute, die sich informieren wollen,könnte der stil des buches auch anstößig sein.
und die seit langem bereits kritisch eingestellten haben an und für sich einen solchen stil nicht nötig.
oder reichen sachliche argumente nicht mehr???
Wobei beim Buch oftmals gewisse Dinge vorausgesetzt werden, die das Zielpublikum wohl nur schwerlich wissen können. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, daß der Begriff Surrogat- Parameter besonders erklärt wurde, obwohl er in einem Kapitel sehr inflationär verwendet wurde.
Es hat mir sehr Spass gemacht zu lesen, bezweifle aber, daß es das leistet, was sich der Autor wünscht.
Genau so gut könnte der Papst erwarten, daß eine Enzyklika Atheisten zum Glauben bekehrt 😉
Hallo Florian
Ich habe in meinem neuesten Blog-Artikel „Ursachen der Gewässerverschmutzung“ einen Link auf deine hervorragende Zusammenfassung der Wissenschaftslüge von Ben Goldacre gemacht:
https://heidismist.wordpress.com/2011/07/13/ursachen-gewasserverschmutzung/
Bad Science habe ich seit Blog-Beginn unter Heidis Lieblingslinks platziert.
Grüsse aus der Schweiz
Heidi