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Ich habe zwar in letzter Zeit schon ein paar mal über die Studentenproteste berichtet – aber ich selbst bin ja schon seit 2004 kein Student mehr. Es wird also mal Zeit, zu diesem Thema auch mal die zu Wort kommen zu lassen, die mitten in den Protesten stecken.

Deswegen gibt es nun einen Gastbeitrag von Michael Pürmayr. Michael hat hier in meinem Blog schon mal einen Beitrag über Granderwasser im Schulunterricht geschrieben (und er war auch der Hauptakteur bei der klingonischen Pi-Rezitation).

Michael hat im Herbst ein Studium der Politikwissenschaften an der Universität Wien begonnen und wurde direkt nach Studienbeginn mit der Besetzung des Audimax konfrontiert. Wie erlebt ein Student im ersten Semester die Proteste? Michael war so nett, und hat seine Erlebnisse aufgeschrieben.


Da ich als Student der Politikwissenschaft an der Uni Wien (1. Semester) die Geschehnisse rund um den aktuell noch immer andauernden Bildungsstreik und die Uni-Besetzung vom 1. Tag an hautnah miterlebte, hat Florian mich gebeten, in einem Gastbeitrag meine Erfahrungen zu berichten.

Einmal hatte ich zu einem gänzlich anderen Thema schon das Vergnügen und die Ehre auf diesem Blog einen Gastbeitrag veröffentlichen zu dürfen und mein Name ist der gleiche geblieben: Michael Pürmayr.

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Bild: Christoph Liebentritt, Creative Commons 2.0

Der erste Tag der Uni-Proteste war für mich der 22. Oktober. Dies war auch der 1. Tag der Audimax-Besetzung in Wien und Ausgangsereignis für Besetzungen in ganz Österreich und auch im Ausland (zB Italien, Deutschland…). An diesem Tag war ich in einer Vorlesung und saß neben einem Nürnberger (einem männlichen Menschen aus Nürnberg), welchen ich wenige Tage zuvor kennen gelernt hatte. Wir unterhielten uns gerade über die Besetzung der Akademie der bildenden Künste, als eine Gruppe von vielleicht 50 Personen in den Saal kam, sich mit einem Transparent bewaffnet vorne aufbaute und begann, uns etwas von wegen einer Audimax-Besetzung zu erzählen. Ehrlich gesagt: ich war nicht froh darüber. Ich war Student im 1. Semester, habe Stress ohne Ende, weil ich die Organisation nicht kapiere und die wollen etwas besetzen? An dem Folgenden Streit zwischen zwei oder drei Frauen aus den Zuhörerrängen und der Audimax-Besetzer-Delegation habe ich mich nicht beteiligt und ehrlich gesagt gefielen mir die Argumente der Besetzer dann mit der Zeit auch besser.
Als schließlich zum Zug aufs Audimax aufgerufen wurde, schlossen wir (ich und mein neuer deutscher Freund/Kommilitone) uns ebenso wie etwa 80% der Anwesenden den Besetzern an.

Im Audimax war ich erstmal begeistert von der Stimmung und allem. Alles war im Aufbruch, überall wurde organisiert, AGs wurden gegründet, lösten sich auf, bildeten sich neu und es wurden Reden gehalten.

Nach ein paar Stunden dort war ich von dem Großteil der Forderungen ziemlich überzeugt und hatte schöne Diskussionen mit einigen Anwesenden gehabt.

In den nächsten Tagen verbrachte ich mehr oder minder viel Zeit im besetzten Audimax, je nachdem, wie viel ich erübrigen konnte. Dabei kam es zu einem Wechselbad aus Sympathie und Irritation/Ablehnung bezüglich der Entwicklung der Bewegung.

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Bild: Christoph Liebentritt, Creative Commons 2.0.

Auf der einen Seite wurde die gesamte Sache gleich einmal von Antikapitalisten, Anarchisten, Kommunisten, Marxisten, Trotzkisten und was weiß ich noch was vereinnahmt. Sie bestimmten dann auch im Plenum, denn dieses funktionierte nach dem Prinzip: Schreie laut und protestiere wild und du bist die Mehrheit.

Hier verbesserte sich die Situation aber tagtäglich. Bald funktionierten die Plena so, wie sie sollten und waren sehr angenehm zu besuchen. Auch die radikale Durchsetzung mancher Forderungen (vor allem der Frauenquote) und die ebenso radikale Vorstellung von Basisdemokratie gingen mir ziemlich auf die Nerven.

Warum sollte niemand mit der Presse sprechen und warum rechtfertigte sich dauernd jeder, er könne nur für sich sprechen, selbst wenn er der „Chef“ der AG Presse ist?
Gut – ich habe da vielleicht als in Redaktions-Angelegenheiten nicht ganz unerfahrender Mensch einen anderen Zugang und verstehe die Situation des Reporters besser, der ein zitierfähiges Statement für seinen Bericht braucht.
In diesem Punkt brauchten die Besetzer sehr viel länger als bei den Plena, um ein funktionierendes System zu finden.

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Bild: Creative Commons 2.0

Sehr beeindruckt haben mich die Demonstrationen, welche wirklich viele Leute anzogen (die Zahlen der Polizei sind wirklich eine Frechheit, sorry), aber viel mehr noch die spontanen Aktionen, an denen ich mich dann auch immer wieder beteiligte (Putzen von Straßenbahnfenstern in der Aktion „Freie Sicht für Freie Bildung“ zum Beispiel).

Inzwischen ist das besetzte Audimax für mich als Erstsemester zu einer völlig normalen Institution geworden. Ich esse nicht im McDonalds, sondern nehme meinen Burger (+Pommes) mit ins Audimax über die Straße, schau dort zwischen 2 Vorlesungen vorbei oder wenn ein Redner auf dem Programm interessant erscheint. Viele Studenten harren dort nicht mehr aus und die wenigen werden oft von einer gleich großen Anzahl Obdachloser ergänzt, welche sich vor der Wärme ins Audimax flüchtet, aber noch ist die Besetzung aufrecht und ich hoffe sehr, dass dies noch einige Zeit so bleibt. Das Audimax in seiner besetzten Form ist für mich einfach eine Institution des Alltags geworden, welche ich nicht mehr missen will. Ich kann hingehen wann immer ich will, es ist ein genialer Treffpunkt für Lerngruppen etc. und hin und wieder ist auch die Volksküche für nen Snack ganz gut zu gebrauchen.

Ich hoffe, ich konnte euch einen kleinen Einblick geben, wie ich die Anfänge und den Verlauf des Protestes selbst miterlebt habe.

20 Gedanken zu „„Eine Institution des Alltags“ – Bericht aus dem besetzen Audimax“
  1. @Michael
    Irgendein Kommentar von deiner Seite zu Florians Kritik, dass das niemanden auch nur peripher interessiert, dass das Audimax besetzt ist?
    Und das solche Formen des Protests sehr gestrig erscheinen? Was uebrigens das Plakat mit dem „rassistischen Normalzustand“ erklaert. Das wurde vielleicht einfach als Wandschmuck von einer Demo in den 90er mitgenommen.

  2. Es ist interessant zu lesen, wie ein Erstsemster die Streiks sieht und wie anders sie in Österreich ablaufen. Von meiner eigenen Uni kenne ich es nicht, dass Besetzungn konsequent durchgehalten werden.
    Was sind denn jetzt genau die Probleme oder Forderungen gewesen? Sind die untergegangen?

  3. @ Georg Hoffmann:

    Ein Kommentar zu Florians Einstellung, dass Besetzungen (alleine) nicht zeitgemäß sind?

    Gerne! Sie sind es nämlich tatsächlich nur zum Teil.

    Am Anfang ist so eine Besetzung das perfekte Startsignal an alle Studenten: hier tut sich was! So eine Besetzung macht schnell die Runde, es gibt einen konkreten Treffpunkt und die Medien sind auch sofort zur Stelle.
    Leider wird dieser damit geschaffene „Raum“ für Diskussionen, Organisation und Protest von vielen überbewertet (es herrscht ja kein Krieg, in dem jeder Zollbreit eroberten Landes verteidigt werden müsste!).

    Von daher hätte ich es sehr begrüßt, wenn die Studenten in Wien und Innsbruck, welche durchaus annehmbare (in Innsbruck meiner Meinung nach sogar sehr entgegenkommende) Angebote für das Auflösen der Besetzung von den Rektoren bekommen haben (wöchentlich würden Räume für Diskussionen zur Verfügung gestellt, es würde den Studenten eine Webpräsenz finanziert usw. )
    Es hat nämlich wirklich keinen Sinn, den Unibetrieb über den Protestzweck hinaus zu behindern. Dadurch spaltet man nur die Studentenschaft.

    Zu anderen Protestformen, welche näher an „die Bevölkerung“ kommen:
    Ich finde auch, dass hier viel zu wenig gemacht wurde und wird. Ich habe mich an einer Anzahl von kreativen Aktionen beteiligt (a la Freie Sicht für Freie Bildung), welche meiner Meinung nach schon eher (mehr als die Besetzung an sich) dazu geeignet waren, die Aufmerksamkeit der Leute zu gewinnen.

    Florians Vorschlag von Diskussionen und Vorträgen/Experimenten in der Öffentlichkeit würde ich zwar ebenfalls befürworten, kann hier aber nichts machen (ich bin Erstsemester!).

  4. Ahja…

    zu den Plakaten: Dies sind eher harmlose Exemplare. Wie bei jeder Studentendemo wird diese in den ersten Tagen/Wochen immer von linken (linksradikalen) Gruppen gekapert, welche den Protest gegen die Studienbedingungen an einen allgemeinen Protest gegen „das Kapital“, „das System“ oder „den Kapitalismus“ zu binden versuchen.

    Ihnen auf dem Fuß oder sogar mit ihnen auf gleicher Höhe schießen immer FLT (Frauen/Lesben/Transgender)-Bewegungen wie Pilze aus dem Boden und fordern sozusagen die Unterwerfung aller Männer unter das Kommando der Frauenschaft.

    Was übrig bleibt, wenn diese beiden Gruppen ein bisschen in ihren extremsten Auswüchsen gestutzt werden ist eben Antirassismus (in Reinform), Kapitalismuskritik und Frauenquoten….

  5. @malefue:

    Ich habe nichts gegen Gleichstellung, nein, ich bin sogar engagiert dabei, Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts zu bekämpfen.

    Aber was soll das, wenn jedes Argument zu egal welchem Thema mit dem Satz: Du bist ein Mann, du verstehst das nicht. abgeblockt wird? Wenn es OK ist, wenn Frauen 100% Redezeit haben, aber nicht ok ist, wenn Männer 51% haben?
    Ich unterstütze Feminismus durchaus und finde ihn völlig förderungswert, aber der Trugschluss, Sexismus gäbe es nur in eine Richtung, löste sich speziell im Zuge der Besetzungen wieder mal schnell auf.

  6. Nicht das ich noch Student wäre, zumindest in Frankfurt ist die Diskussion um Anpassungen der Studienbedingungen aber ein wenig aus dem Ruder gelaufen. Leider muss ich sagen, denn die grundsätzliche Forderung das Universität mehr ist als Ausbildung für ein Berufsleben, sondern auch selbständig denkende kritische Bürger hervorbringen soll, Menschen, die an der Grenze unseres heutigen Verständnis sagen „lass uns doch mal einen Schritt weiterdenken“ – und dann analysieren was es wohl mit den Erkenntnissen auf sich hat, finde ich mehr als nachvollziehbar. Ein Land so reich wie Deutschland mit nichts außer dem, was sich in den Köpfen der Menschen befindet, das muss es sich leisten vielen jungen Menschen gute Studienbedingungen zu bieten.

    Was ich allerdings völlig inakzeptabel finde ist, wenn ein Land so viel Kohle für einen schönen Campus raushaut – und dann ein paar wenige kommen, rumrandalieren und dann auch noch dreist behaupten sie sprächen für die Studierenden. Anstatt sich in einen Dialog mit der Uni-Leitung zu begeben, die ja Verständnis für die Forderungen nach besseren Studienbedingungen hat, werden Gespräche mit dem Präsidium verweigert und statt dessen völlig unrealistische Forderungen gestellt (Klar, der Präsident tritt zurück wenn von 500 Leuten unter einem Anarchistenbanner ein paar das fordern *facepalm* …).

    Vielleicht muss man erklären, dass der „neue“ von insgesamt drei Campi der Uni in Frankfurt früher Sitz der IG-Farben war. Das Gelände der Uni zu geben war doch das Beste, was man überhaupt damit machen konnte. Jetzt erinnern Wandtafeln an die Geschichte, (hässliche ;o)) Gemälde von Künstern die von den Nazis verfolgt wurden schmücken die Wände. Klar, man könnte noch mehr machen – aber anstatt was zu organisieren gibt es irgendwelche anarchistischen Parolen und Forderungen die gesamte Gesellschaftsordnung über den Haufen zu werfen.

    Und zu guter Letzt: Wenn die Müllmänner streiken, dann merkt das jeder. Wenn ein paar Studierende nicht in die Vorlesungen gehen merkt das niemand. Besetzt lieber den Weihnachtsmarkt, da gibts dann wenigstens noch Glühwein.

  7. @straylight:

    Über Frankfurt kann ich nichts sagen, aber dem allgemeinen Teil stimme ich völlig zu.

    @Webbaer:

    Ich kann nur von der Uni Wien sprechen: Die Studiengebühren bewirkten, dass in der Halle 2 Lampen mehr brannten. mehr änderte sich auf Uni-Seite nicht. Ob das die Studienqualität entscheidend beeinflusste konnte ich nicht herausfinden, weil ich die Uni nie durch die Haupthalle betrete/verlasse und mir demnach kein nachteil aus nicht brennenden Lampen entsteht.

  8. @andylee
    „zu den Plakaten: Dies sind eher harmlose Exemplare. Wie bei jeder Studentendemo wird diese in den ersten Tagen/Wochen immer von linken (linksradikalen) Gruppen gekapert, welche den Protest gegen die Studienbedingungen an einen allgemeinen Protest gegen „das Kapital“, „das System“ oder „den Kapitalismus“ zu binden versuchen.

    Ihnen auf dem Fuß oder sogar mit ihnen auf gleicher Höhe schießen immer FLT (Frauen/Lesben/Transgender)-Bewegungen wie Pilze aus dem Boden und fordern sozusagen die Unterwerfung aller Männer unter das Kommando der Frauenschaft.“

    Super. Wenn ich das lese, merke ich mein Alter ploetzlich bleischwer. Da koennte ich echt nicht mehr mit machen. Meine Herren.

  9. @Georg Hoffmann:

    Die FLT-Vertreter habe ich beim letzten Aufeinandertreffen ja gefragt wie denn der Konflikt zu lösen sei, wenn ich mich davon unterdrückt fühle, wenn ich jedes Mal „Vertreter und Vertreterinnen“ sagen muss… Schließlich soll sich doch jeder frei entfalten können. Wie zu erwarten endete die Toleranz, sobald jemand eine abweichende Meinung vertrat.

    Oder wie es mein Ausbilder am Gericht formulierte „Referendare, zu verstehen nicht als sozialtypisches Phänomen sondern als geschlechtsneutrale Sammelbezeichnung“.

  10. Uni, schon lange her, derzeit zähle ich zu den Nettozahlern 🙂

    @Christian
    Du musst das so sehen, als erstes sehen die ’sich unterdrückt fühlenden‘ Gruppen eine Möglichkeit ihre Message zu transportieren.

    Die Linken kommen immer, denn wie sagt schon ein Sprichwort: Wer mit 20 kein Kommunist ist hat kein Herz und wer mit 30 noch immer Kommunist ist hat kein Hirn (sorry, ist natürlich böswillige Unterstellung).

    Dann kommen die Antirassisten, denn da kann man sich in Österreich so richtig als Gutmensch outen und mit der Nazikeule auf die Andersdenkenden hinprügeln um die Andersaussehenden zu beschützen. Seltsame Logik.

    Die Rechten bleiben lieber zu Hause, gut so, braucht eh keiner.

    Dann die Quotenforderer. Slogan: Bekämpfen wir Diskriminierung mit Diskriminierung. Super.
    Bestes Beispiel: Die InnenInnen. Anstatt den Plural geschlechtlos zu gestalten, erfogt eine dreifache Diskriminierung. Weiblicher Artikel, weibliche Endung und diese groß geschrieben.

    Wie klein muss das Selbstwertgefühl sein sich nicht angesprochen zu fühlen wenn jemand sagt: sehr geehrte Studenten. Will man wirklich eine Gleichbehandlung, dann sollten doch die Unterschiede NICHT gezeigt werden und wenn ich diese brauche, dann sage ich es dazu: an alle weiblichen Studenten.

    Die wirklichen Anliegen bleiben dann in diesem ganzen Stimmwirrwar leider oft ungehört und die anfängliche Aufbruchsstimmung etwas verändern zu können bricht zusammen.

    Als Nettozahler würde ich Studiengebühren begrüßen, da es die Möchtegernstudenten fernhält. Soziale Härtefälle könnte man mit entsprecheden Stipendien abfangen. Alles was nichts kostet wird leider oft als wertlos und Selbstbedienungsladen gesehen.

    Zum Schluss noch ein bißchen Selbstreflexion: Mann, bin ich wirklich schon so alt 🙂

  11. @Ronny
    das mit den Stipendien is halt immer so eine Sache, klar soll man die engagierten unterstützen und fördern aber was is mit denen die daneben keine Zeit haben? Soll nicht jeder einfach die Chance haben zu studieren, ohne dabei groß benachteiligt zu sein?

    Und Tatsachen wie das nichtvorhandensein des MasterBafögs forciert nun mal den Verdacht eine 2-Klassengesellschat gründen zu wollen…
    zumindest bei mir.

    Ein Student =)

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