Kommentator Pianoman ist ja hier bei Scienceblogs schon öfter durch äußerst gute und lesenswerte Kommentare aufgefallen. Einen davon möchte hier noch einmal extra als Gastbeitrag veröffentlich. Ich habe vor kurzem ja über den „Bewerbungsexperten“ Hans Christian Schrader geschrieben, der Vorträge darüber hält, warum angeblich Astrologie sinnvolle Hinweise für die Arbeitssuche geben kann.

Pianoman hat sich so einen Vortrag von Schrader angehört und berichtet nun darüber.


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Wer heute, angesichts der Unwägbarkeiten unserer Ökonomie und den daraus möglicherweise resultierenden Orientierungsschwierigkeiten, Hilfe dabei sucht, eigene Ressourcen in Lohn und Brot umzusetzen, d.h. einen Beruf zu erlernen oder sich nach einem neuen Arbeitsplatz umzuschauen, ist nicht nur ein potentieller Mandant der dafür ausgebildeten Berufsberater, sondern auch ein Objekt der monetären Begierde abgedrifteter Vertreter der akademischen Lebensberatergilde.

Die nennt ihre honorargenerierende Tätigkeit camouflierent „psychologische Astrologie“, und leitet – unter dem Deckmäntelchen vorgetäuschter wissenschaftlichkeit – aus der Konstellation willkürlich  ausgewählter Himmelskörper die Begründung dafür ab, Menschen dazu zu veranlassen, Autos zu reparieren oder Orchesterdirigent zu werden; je nach dem, wie nahe Saturn bei Chiron steht. Beispielsweise.

So auch der aus vielen Publikationen bekannte „Bewerbungspapst“ Dipl. Psychologe Hans Christian Schrader, der – im Duo mit seinem Studienkollegen Hesse – mannigfaltige Lektüre zum Thema Bewerbung verfasst hat. Bücher von Hesse/Schrader galten bis dato als seriöse, praxisorientierte Vorbereitung im Kampf mit den ideenreichen Selektionsmechanismen der Personalabteilungen.

Was die Seriosität der Beratung angeht, muss man zukünftig bei Herrn Schrader Abstriche machen. Der nämlich setzt sich vor seinen Laptop, gibt den Geburtszeitpunkt in ein Astroprogramm ein , und hat nach etwa 2 Min. ein atemberaubend präzises Bild der Seelenlandschaft des Klienten; sagt Schrader. Und das Volk glaubt´s ihm.

Zumindest die meisten von denen, die am 12.3.09 um 14.00 Uhr im Raum C des „Forum Berufsbildung“ in der Berliner Charlottenstrasse saßen. Und das waren viele; so viele, dass sich der Veranstalter entschlossen hat, 2 Stunden später den Vortrag zu wiederholen. Dass von diesen Menschen der weitaus überwiegende Teil weiblichen Geschlechts war, erlaube ich mir ohne jeden chauvinistischen Hintergedanken anzumerken.

Dieses Faktum ist nämlich Bestandteil des soziologischen Rahmenbedingungen, die solche
Scharlatanerie erst ermöglichen. Neben der geschlechtsbedingten Affinität zu irrationalen Weltbegründungen ist noch ein weiterer Aspekt zu berücksichtigen: Die meisten derjenigen, die einen „psychologischen“ Rat suchen, befinden sich in einer Krise, in der die Illusion eines sicheren Ufers eine derartige Faszination ausübt, dass man den Kollegen der Erleuchtungsabteilung alles, aber auch wirklich alles an Glückseeligkeitsversprechen abzunehmen bereit ist, sofern nur die Zumutung der Ungewissheit endlich verschwindet. Egal welcher Unsinn dabei verzapft wird, Hauptsache, die Erlösung von den Bedrängnissen des Alltags winkt am Horizont.

Denn erst in einem solchen Klima, in dem es beispielweise nicht mehr bedeutsam ist, dass der Protagonist mehrfach wiederholt, es gäbe keinerlei wissenschaftlichen Nachweis für das angewendete Verfahren, und, von dieser Feststellung selbst völlig unbeeindruckt, trotzdem – mit unglaublicher Chuzpe – schon allein durch die Vermeidung sämtlicher konjunktivistischer Redewendungen jeden Zweifel am Gesagten ausschließt, erst in einem solchen Klima ist eine solche wie die erlebte Publikumsverblödung überhaupt möglich, ohne dafür anschließend geteert und gefedert zu werden.

Dass es dem psychologischen Astrologen Schrader nicht um Aufrichtigkeit, sondern um die Schaffung eines entsprechenden Klimas ging, konnte man schon an Kleinigkeiten erkennen. Beispielweise nannte Schrader als Hinweis für die Bedeutung des Mondes im Horoskop, die schon längst und auch mehr als nur einmal als Aberglaube entlarvte Häufung von Straftaten oder aggressiverem Verhalten während Vollmondnächten. Wir wissen, dass diese Behauptungen genau so jeder Grundlage entbehren, wie z. B. die angebliche Mehrzahl von Geburten; und die Vielfalt anderer außergewöhnlicher Effekte, die Vollmondnächte so bescheren.

Auch der Rest der Veranstaltung war eine klimagestaltende Maßnahme: Schrader interpretierte Mozarts Lebensaspekte an dessen Horoskop, danach ein anonymisierter Fall aus seiner Beratungspraxis, zum Schluss eine Dame aus dem Publikum, bei der die „2 Min. Psychoanalyse“ per PC coram publico angewendet wurde
.
Was zu hören war, waren banale Barnum-Sätze, ubiquitäre Problemsituation (z.B. Vater- Sohn-Konflikt) und, bei der Dame aus dem Publikum, die Einbindung deren persönlicher Aussagen in die Horoskop-Interpretation. Nun ist bekannt, wie der Mechanismus der astrologischen Beratung funktioniert – und Schrader hat dabei nichts Neues geliefert:

Barnum-Aussagen (Manchmal ist Ihnen warm, an anderen Tagen dagegen frösteln Sie…) , geschicktes Ausfragen des Klienten, kommunikationsgesteuerte Interpretation und nicht zuletzt selbsterfüllende Prophezeiungen, lassen aus Zufallshypothesen stichhaltige Astrologie entstehen. Das „psychologische “ daran ist die fachkundige Exploration des Klienten und die Nutzung des Horoskops als Projektionsfläche für dessen offenbarte seelische Dispositionen.

Nun verwendet die Psychologie projektive Verfahren (Rorschach etc.) regelmäßig. Allerdings geht es dabei um freie, ergebnisoffene Auseinandersetzung mit Materialien oder Stimuli, ohne irgendeinen Bezug zu einem festgelegtes System von vorgeblich „richtigen“ und als – zweifelsfrei feststehend – suggerierten Eigenschaften, wie sie in einem Horoskop angeblich dargestellt werden.

Insoweit ist Nachsicht für Schrader im Hinblick auf dessen möglicherweise auch fachlich angemessene Anwendung einer etwas unkonventionellen Projektionsfläche absolut nicht angebracht, da der Vorwurf der Manipulation des Klienten einfach nicht zu entkräften ist. Deshalb bleibt Schraders Behauptung, mit Hilfe eines PC-gestützten Analyse der Planetenkonstellation tatsächlich valide Aussagen über seelische Dispositionen oder Charaktereigenschaften treffen zu können, weiterhin der wesentliche Kritikpunkt.

Nicht nur, dass Schrader damit seiner früheren Einschätzung astrologischer Personalauswahl widerspricht: „Firmen bzw. Arbeitgeber, die nach dem Prinzip „Management by Astrology“ arbeiten, genießen in der Wirtschaft einen höchst zweifelhaften Ruf. Machen Sie sich bei so einer Firma Sorgen um ihre berufliche Zukunft, oder besser noch, fangen Sie gar nicht erst dort an“ (Hesse /Schrader, Das Neue Test-Trainingsprogramm, Goldmann, 1994, S. 125).

Man muss sich auch die Frage stellen, was Schrader dazu veranlasst – trotz seiner Ausbildung als Psychologe – sich und vor allem seinen Klienten den Weg in die Täuschungen eines Wahndenksystems zu eröffnen, das so typisch ist für Astrologie-Gläubige.

Die Nennung der Referenzgrößen Fritz Riemann und C.G. Jung zur Legitimation der Schraderschen Weltsicht komplettiert dann das Bild.

Was bleibt über ?

Zum einen das soziologische Erstaunen über die Mannigfaltigkeit der Parallelwelten und -wirklichkeiten von Menschen direkt neben uns. Das Erstaunen über Zauberei und Magie direkt aus dem Personal Computer, und die Frage, ob die von Max Weber beschrieben Entzauberung der Welt, unter den grünen Ampeln der postmodernen Beliebigkeit zum Ende des 20. Jahrhunderts, sich genau ins Gegenteil gekehrt hat ?

Und letztendlich auch die Frage, wie die, die sich der Faktizität des wissenschaftliche Beweises verpflichtet fühlen, mit dem sprudelnden Narrativum eines Welten-Erklärers umgehen, der sich ausschließlich seiner Phantasie und einer konstruierten Realität verpflichtet sieht.

Schrader praktiziert Magie. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Magie, die sich auf der Flucht vor Aufklärung, Wissenschaft und Technik, durch die Ausbildung neuer Sozialformen ins 21. Jahrhundert rettet, und ihr Auftreten an die Anforderungen des modernen Lebens anpasst. Mit seriöser – besonders „psychologischer“ – Beratung hat das allerdings nichts zu tun, und es ist, liebe Leute vom Forum Berufsbildung, auch keine weiteres Beratungsangebot… Es ist der direkte Weg in ein Stadium des mythisierten Nichtwissens, der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Schrader verrät seine Profession, die ethische Grundlage seines Berufstandes, wenn er die mühsame Suche nach der Begründung und den Antrieben des menschlichen Handelns, das eigentliche Motiv psychologischer Analysetätigkeit, durch ein absurdes, pseudowissenschaftliches Erkenntnisverfahren ersetzt.

Nun gibt es allerdings noch eine andere Sichtweise der Dinge: Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, dass die Verwendung eines PCs für den unbedarften Zeitgenossen eine wissenschaftliche Validität des Verfahrens suggeriert, so drängt sich der Eindruck auf, dass es möglicherweise nur um die Bequemlichkeit einer von jedem tieferen Auseinandersetzung mit der Lebenswelt des Klienten befreiten Beratungstätigkeit geht, letztlich um die „Faulheit des Psychologen“.

Dieser Ansatz ist zwar nicht moralischer, aber befreit Schrader zumindest vom Verdacht, die Bodenhaftung komplett verloren zu haben.

Dafür, dass Schrader nur die Bedürfnisse verunsicherter Zeitgenossen befriedigt, spricht nicht wenig: Auf eine Nachfrage aus dem Publikum nannte Schrader sein Honorar für eine psychologisch-astrologische Beratung, mit 75,- Euro/Std.

Nun muss man davon ausgehen, dass für dieses Geld ganz sicher keine fundierte Persönlichkeits-Analyse zu bekommen ist. Andererseits sind aber auch wohl die wenigsten der solchen Rat Suchenden, bereit und in der Lage, soviel Geld zu investieren, um einem Psychologen den zeitlichen Aufwand zu honorieren, der nötig ist, sich ein umfassendes Bild vom Klienten zu verschaffen.

Zwar nimmt die Sehnsucht nach einer „Anderen Realität“ offenbar proportional zur gefühlten emotional-spirituellen Entleerung im technisch verwalteten Leben zu, aber der Gegenentwurf, – die selbstfinanzierte Erleuchtung – muss nicht nur in spektakulärer Eindeutigkeit erfolgen, sondern eben auch schnell und preiswert daher kommen. Insoweit sind nämlich auch die EinwenigüberdenTellerrandschauenden Kinder der von ihnen so verachteten, materialistischen Gegenwart.

Hier funktionieren also banale Marktgesetze: Der Nachfrage nach gesicherten Erst- und Letztbegründungen – am besten als Sonderangebot vom Wühltisch – steht das Angebot der astrologischen Lebensberater gegenüber: Erkenntnis per Kopfdruck aus dem PC, wie ein Pulverkaffee aus dem Automat, und, quasi wie der Keks auf der Untertasse, ´ne nette Geschichte als Beigabe.

Eben „Instant Karma“. Belanglose Erkenntnis „to go“.

23 Gedanken zu „„Instant Karma“ oder „Die Faulheit des Psychologen““
  1. sehr schön !
    Das interessante ist, dass für so einige Menschen Psychologie fast ebenso mythisch scheint wie Astrologie und vielleicht sogar auch Kernphysik und Quantenmechanik.
    Nichtwissen gepaart mit Respekt vor angeblich unerschütterlichen, höheren Wahrheiten über die Welt in Form eines Titels (ob nun Dipl.Psych oder Physiker etc.) führt (m.E.) zu einer oben beispielhaft geschilderten Nachfrage nach z.B. Computer-Astro-Psychologie und Ähnlichem.
    Ist der Scharlatan, der selbst nach seinen Regeln und Menschen glücklich macht böse?
    Das gute alte Dilemma der Aufklärung ..

  2. „gibt den Geburtszeitpunkt in ein
    Astroprogramm ein , und hat nach etwa 2 Min. ein atemberaubend präzises Bild“

    gibt es eine zuverlässige statistik über geburten zum selben (objektiven) zeitpunkt?
    es müßten doch haufenweise klon-figuren mit exakt derselben persönlichkeitsstruktur zu finden sein, oder verstehe ich das mal wieder nicht?

  3. Ich befürchte, mit Verständnis wirst Du beim Thema Astrologie nicht weiterkommen – da ist fester Glauben angesagt 😉 Nun, manche wie z.B. =»jener hätten gerne noch die Koordinaten des Geburtsortes – da im verlinkten Fall der Geburtsort reicht, reduziert sich allerdings nur die Gruppenstärke. Aber wie gesagt: u.a. für die Astrologen sind Argumente Tinnef, für andere u.a. die Astrologie.

  4. hier ein weiteres merkwürdiges zitat aus einer astrologie-werbung…..???
    Zitat:
    „„Meine“ Realität wird aktuell sukzessive geändert. Die vermeintliche Außenwelt begleitet mich., weil sie ein Teil dieser Realitäten ist und sie ändert sich quasi mit mir, weil es im Prinzip immer nur die eine Realität ist, so wirkt sich meine Änderung immer auf diese Gesamtrealität aus, ich werde anders, die Anderen werden anders, das was und wie ich war existiert nicht mehr, wird durch diese bewussten Änderungen auch nicht mehr von den Anderen erinnert, so wie ich vermeintlich war hat es durch meine bewusste Änderung nie gegeben, nicht in mir, wenn ich es in mir transzendiert habe und somit dann auch nicht mehr im Bewusstsein dieses vermeintlichen Außen, da dieses vermeintliche Außen ja immer nur meine Projektion war. Ändere ich also meine Projektionen, ändert sich auch dieses vermeintliche Erfassen des Außen, es gibt mich quasi nicht mehr, das was ich gestern noch war existiert heute nicht mehr und das was ich jetzt bin ist morgen schon wieder vergessen. Der Trick ist der, diese Prozesse bewusst zu kreieren und sie werden so eintreten, die vermeintliche Außenwelt wird sich nicht mehr daran erinnern, wie ich heute war, ich bin das was ich morgen bin, was übermorgen schon wieder vergessen ist. Es gehen immer die jeweiligen Selbste aus den multiplen Möglichkeiten mit in diese von mir bewusst geänderten Realitäten. Diese sich da manifestierenden Selbste sind Teil meiner neuen Projektionen und erfassen mich morgen so wie ich morgen bin, weil ich es bewusst so kreiere, was heute war ist vergessen, durch meine bewusste Änderung gehen diese vermeintlich anderen Selbste, die mich heute noch interpretiert haben, durch meine Selbstprojektion, nicht mit in diese neuen Realitäten. Es sind tatsächlich andere Selbste dieser vermeintlichen Außenwelt, die rein durch meine neuen Projektionen mitgehen, das ist der Trick und hier sind diese multiplen Realitäten, die ich, wenn ich den Trick kenne selbst projizieren kann. Der Schlüssel für den Trick ist das letzte Erfassen der reinen Virtualität, hier lösen sich ALLE Begrenzungen auf.“

  5. Her mit dem Pianoman-Blog, und nicht erst zur nächsten Vollmond-Nacht! 🙂

    Eine Formulierung lässt mich aber innehalten: Sie sprechen von der „geschlechtsbedingten Affinität zu irrationalen Weltbegründungen“. Das zumindest ist diskussionswürdig: Gibt es den biologischen Nachweis für entsprechend abweichende Gehirnstrukturen bei Mädchen/ Frauen? Oder ist diese Affinität ein kulturelles Produkt – einerseits einer Sozialisation, die es „weiblich“ findet, wenn Frauen gefühlsduselig auf die Anwendung schneidend-analytischer, rationaler Fähigkeiten verzichten? Andererseits eine Folge der drei K’s – Kinder, Küche, Kirche – jenen Betätigungsfeldern, auf die Frauen im Lauf der Jahrhunderte gedrängt wurden? Dann dürfte es nicht verwundern, dass sich Frauen, wenn ihnen schon ein großer Teil des beruflichen Karrierekuchens verwehrt bleibt, im esoterischen Kuscheleck einrichten und zu den kaum vorhandenen Aufstiegschancen die Sterne bzw. Herrn Schrader befragen. Oder ist das alles ganz anders?

    Ich muss gestehen, wie sehr mich meine irrationalen Geschlechtsgenossinnen nerven. Dieser infantile Stolz auf die grandiose Leistung, „sich ganz auf seine Gefühle zu verlassen“, dem Ruf des Herzens zu folgen, den bösen, bösen Verstand erfolgreich zu ignorieren…Dieses moralische Überlegenheitsgefühl gegenüber den „verkopften Männern“…Mich beschleicht oft der Verdacht, dass Frauen mit dieser freiwilligen Selbstverblödung kräftig dazu beitragen, dass sich an ihrer gesellschaftlichen Situation nichts ändert. Andererseits gibt’s genug clevere Eso-Tanten, die jede Menge Kohle scheffeln mit ihrem vordergründigen Gefühlsgeschwurble, hinter dem sich meist ein recht profaner Geschäftssinn verbirgt.

    Des Pudels Kern: Was macht Frauen zur Zielgruppe Nr.1 für irrationalen Schmus?

    Ich will nicht glauben, dass der Grund dafür in unseren Eierstöcken oder der Evolution sitzt. Was ist es dann? (Name auf Verlangen entfernts Sexappeal? 😉

    Ich bitte um Antworten, ehrlich!

  6. @rose, florian
    ich versuch mal was als gelernter Verhaltensforscher dazu zu sagen:
    An den unterschiedlichen Fähigkeiten kann es nicht liegen, denn die sind zwischen den Geschlechtern minimal und nur mit großen Statistiken nachzuweisen. Viel stärker wiegen die unterschiedlichen Neigungen und Strategien – die sind auch klar evolutionär geprägt. Wer nach dem Sex davonlaufen kann (Männer) entwickelt andere Strategien, als wer nach dem Sex neuen Monate massives Investment in den Nachwuchs leisten muss (Frauen). Aus dieser simplen Grundkonstellation habe sich viele unterschiedliche Systeme des Zusammenlebens entwickelt, vom Harem bis zu nordischen Systemen in denen sich Männer um die Kinder ihrer Schwestern kümmern – ah, ich schweife ab, sorry.
    Eigentlich will ich nur betonen, dass es vermutlich mehr eine Frage der sozialen Rolle ist – Frauen leben Freundschaften und Beziehungen anders und diese Partnerschaften spielen eine andere Rolle als im Leben von Männern.
    Man müsste es noch in eine griffige Hypothese basteln, aber ich denke, das der weibliche Zustrom zur Esoterik damit zu tun hat, dass einige Frauen sachliche Probleme nicht über Ratio, sondern über Beziehungen angehen. Da ist der Kontakt zu den Gurus und Gleichgesinnten wichtiger als der Inhalt.
    War das jetzt geschwurbelt oder nachvollziehbar?

  7. @e.c.
    Google mal nach der Studie „Is astrology relevant to consciusness and psi“ von Geoffrey Dean und Ivan Kelly. Die beiden haben die Daten von etwa 2000 Kindern, die innerhalb von wenigen Tagen in London geboren und in den nächsten über 20 Jahren regelmäßig nach verschiedensten Kriterien untersucht und befragt wurden ausgewertet. Bei der Auswertung wurden jeweils nur die Daten der Personen mit aufeinanderfolgendem (bzw. gleichem) Geburtsdatum verglichen und die Korrelation entsprach ziemlich genau der Zufallserwartung. Die Unterschiede in der Geburtszeit lagen in der Mehrzahl bei weniger als 5 Minuten.
    Natürlich haben Astrologen auch da wieder Ausreden parat – gegen Dean zu argumentieren fällt ihnen jedoch nicht leicht: der Mann hat früher selbst als Astrologe praktiziert …

  8. @Rose: Was macht Frauen zur Zielgruppe Nr.1 für irrationalen Schmus?

    Vielleicht liegt es ja daran, dass Frauen nicht so ein großes Agressionspotential wie Männer haben und Kämpfe eher scheuen. Wenn jemand einem Mann esoterisches Geschwurbsel präsentiert beginnt in unseren Gehirnen sofort die Ich muss besser sein Maschinerie zu laufen und wir versuchen ein besseres Geschwurbel zu finden. Oder wir gehen auf Konfrontation weil wir unser eigenes Weltbild durchpressen wollen. Oder wir kämpfen drum, dass unser Spielzeug das beste ist. Wie schon Bernhard Ludwig (Kabarettist) sagte: ‚Bei Männern gilt die Regel: Wer mit den teuersten Spielzeugen stirbt, hat gewonnen‘.

    Frauen hören mehr zu und versuchen sich vielleicht eher mit dem Gegenüber zu arrangieren, frei nach dem Motto: Ok, wenn er glücklich ist:) oder wie meine Frau immer sagt: ich probiers aus statt drüber nachzudenken. Dann gibts einen vermeintlichen Erfolg und – schwupp – schon ist frau in der Glaubensfalle.

    Ist sicher nicht der einzige Grund, aber vielleicht ein Mosaiksteinchen. Der wahre Grund dürfte eine Kombination von Erziehung, Evolution und ‚Verführung‘ (der Esoteriker) sein.

  9. @Jörg : War das jetzt geschwurbelt oder nachvollziehbar?

    Nö, ist nachvollziehbar. Man sieht das auch in der Sprache. Männer benutzen Sprache um Hierarchien festzulegen, während Frauen eher versuchen Beziehungen herzustellen (frei nach Watzlawick). Besonders deine Aussage dass Frauen oft den Kontakt zu Gleichgesinnten über den Inhalt stellen finde ich sehr interessant. Was meint frau dazu ?

  10. Liebe Rose,

    ich schließe mich dem Gedanken an, dass das Phänomen der höheren Affinität des weiblichen Geschlechts zu irrationalen, esoterischen-okkulten Welterklärungen – die, als Ergebnis vieler statistischer Erhebungen, einfach nicht zu ignorieren ist – einer tiefergehenden Diskussion bedarf.

    Da bieten kulturanthropologische ebenso wie neuro- und soziobiologische Überlegungen sicher viele Ansätze.

    Was ich in diesem Zusammenhang allerdings bedenklich finde, ist im Grunde die Verweigerung, das Bedürfnis nach Religion und Spiritualität zu analysieren, sondern es unabdingbares Element weiblicher Natur voraus zu setzen. Denn die oben angesprochene Diskussion findet de facto nicht statt.

    Das wiederum ist solchen Leuten wie Schrader bewußt, davon profitieren selbsternannte Überdurchblicker wie Name auf Verlangen entfernt.

    Suchtbeauftrage registrieren, dass die überweigen Mehrzahl von Kunden astrologischer Beratungsdienste Frauen sind, die dort regelmässig hemmungslos ausgenommen werden.
    Wer sollte deshalb, außer den wenigen Betroffenen, denen irgendwann klar wird, wie gnadenlos ihre Bedürfnisse ausgenutzt werden, ein Interesse daran haben, die Diskussion über die Motive zu führen, wenn es doch viel einfacher – und gewinnbringender ist – den systemimmanente Zwang, Geld verdienen zu müssen, um zu überleben, spirituell zu überhöhen, anstatt ihn zu kritisieren.

    Spirituelle Rechtfertigung für Abzocke ist nicht nur übelster Kapitalismus, sondern auch ein erbärmlicher Versuch, die Verwerfungen unseres ökonomischen Systems durch dessen Sakralisierung sakrosankt zu gestalten.

    Wenn also ein Herr Schrader psychologische Astrologie als sinnträchtiges Angebot darstellt, mit den ökonomischen Bedingungen unserer westlichen Welt besser klarzukommen, dann ist das nichts weiter, wie ein anderer Psychologe, Klaus Ottomeyer, feststellt, als ein Wegreden der Verzweifelung angesichts sozioökonomischer Zumutungen.
    Mag sein, dass Frauen – auch in unserer Gesellschaft – davon stärker betroffen sind.
    Ob es tatsächlich ein Heilmittel ist, darf bestritten werden.

  11. Diesen Artikel hatte ich bereits als Kommentar gelesen und mich prompt geaergert, nicht auch dabei gewesen zu sein – bei der Schraderschen Veranstaltung. Zumal der Veranstaltungsort nur einen Katzensprung von hier entfernt liegt.

    Nun ein bisschen „Mecker“:
    Die nochmalige Veroeffentlichung des Kommentars als Gastbeitrags finde ich gut – man haette sie aber durch eine Neuformatierung des in der vorliegenden Form doch nicht gerade fluessig lesbaren Textes (Zeilenumbrueche) optimieren koennen (sollen?).

  12. „man haette sie aber durch eine Neuformatierung des in der vorliegenden Form doch nicht gerade fluessig lesbaren Textes (Zeilenumbrueche) optimieren koennen (sollen?).“

    Ich dachte eigentlich, das hätte ich getan… aber da sind mir wohl ein paar falsche Umbrüche durch die Lappen gegangen.

  13. @all
    Je mehr ich darüber nachdenke, desto unsicherer werde ich in der „Geschlechterdiagnose“. Ich würde inzwischen behaupten, dass Frauen und Männer unterschiedliche Nischen des Irrationalen unterschiedlich stark besetzen. Insofern stimmt die Generalhypothese von weiter oben für mich schon nicht mehr.

    Da wäre zum einen die Komplementärmedizin, die logischerweise bei jenem Teil der Bevölkerung am meisten durchschlägt, die sich „um das Wohl der Lieben“ zu kümmern hat – und das sind in großer Mehrheit noch immer die Frauen. (Dass hier das an sich redliche Motiv der Fürsorge durch Desinformation der Abzocker missbraucht wird, ist eine andere Geschichte und passt zur obenstehenden Story über Homöopathie-Gaben an Kinder.)
    Zum anderen fällt mir in meinem sicherlich nicht repräsentativen Sample auf, dass jene Teile der Esoterik, die „soft“ daherkommen, Schutz versprechen, das angeknackste Ego stärken, eine Sinn und Sicherheit stiftende „kosmische Ordnung“ formulieren wie eben Astrologie, Engel, „Lichtarbeit“ usw. offensichtlich ein überwiegend weibliches Publikum finden.

    Männliches Publikum ist wesentlich stärker fasziniert von Voodoo-Science samt zugehörigem Technologie-Spielzeug, außerdem von Verschwörungstheorien, apokalyptischen Visionen und dem dazugehörigen Prophetenhabitus samt Größen- und Verfolgungswahn. (Man denke nur an die Nationalsozialisten bzw. deren Wegbereiter im 19. Jahrhundert: Die Thule-Gesellschaft war gewiss kein Damenkränzchen. Historiker haben Bewegungen wie diese als Reaktion auf den Verlust traditioneller sozialer Bindungen infolge der industriellen Revolution des 19.Jahrhunderts gedeutet. Die verbrecherischen Folgen sind bekannt.)

    Die New Age-Bewegung unserer Tage reagiert wiederum auf offensichtlich erlebte Defizite an Sinnstiftung und die weiter verschärfte Brüchigkeit sozialer Beziehungen.

    Darf man nun aber den Esoterikern diese zentralen Fragen nach Sinn und Identität auch weiterhin überlassen? Was läuft schief in der Vermittlung rationaler Tugenden?
    Oder: Gibt es keine Alternative, weil wissenschaftliche Erkenntnis dem Menschen irgendwann den Blick auf das Äußerste zumutet – eben den Verzicht auf Letztbegründung, auf einen wie immer gearteten „tragenden Grund“? Ich behaupte nicht – so wie Name auf Verlangen entfernt dies immer wieder tut – dass einem Menschen mit diesem Bewusstsein nur mehr die existenzielle Verzweiflung bleibe. Mich beschäftigt bloß die Frage, ob wir auf dem Feld der Sinnstiftung überhaupt noch „konkurrieren“ sollen oder können.

    Esoterik erfüllt für beide Geschlechter möglicherweise unterschiedliche Bedürfnisse.
    Warum aber so viele Menschen ganz generell diese Bedürfnisse haben, das ist ein weites Feld, das für mich zu den spannendsten Erkenntnisfeldern überhaupt gehört. Für mich liegt im Durchschauen dieser Mechanismen einfach ein ungeheures Befreiungspotenzial. Darum finde ich auch die Arbeiten des kanadischen Neurobiologen Michael Persinger so spannend. („Gott“ sitzt im Schläfenlappen, behauptet er.)

    Was mir noch einfällt: Pochen wir doch auf diesem Gebiet auf „halbe-halbe“-Regeln: 50% der Engel-Astro-Aura-Show an euch Männer, wir Mädels krallen uns die Hälfte des Tachyonen-Holopathie-Krempels…;-)

  14. Vielleicht glauben Männer eh auch genauso häufig an esoterischen Unsinn wie Frauen, trauen sich das aber nicht zu sagen/zeigen? Eben weil das ja angeblich nur „Frauenkram“ ist, und Männer die „Vernünftigen“ sein müssen?

  15. @florian:
    Hab übrigens erst jetzt in deinem Beitrag vom 15.3. das wunderbare Zitat von Washüttl, dem Freund der Zahl Pi, nachgelesen – sein Hohelied auf die befreiende Qualität der Sinnlosigkeit erscheint wie eine Antwort auf meine oben gestellte Frage nach der Notwendigkeit von Sinnstiftung: Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst. 🙂

  16. @ Rose: Schon krass, was so manche Wissenschaftler für Versuche machen……..
    Zitat aus der Zeit über Michael Persinger:
    „Reichlich ungeniert wagt Michael Persinger in der Neuroabteilung der Laurentian University , wovor die meisten Bewußtseinsforscher sonst zurückschrecken: Mit magnetischen Feldern bearbeitet er die Gehirne von Hunderten Versuchspersonen und studiert am lebenden Objekt die Manipulierbarkeit des menschlichen Denkorgans. Sein spektakulärstes Ergebnis dürfte dabei die Erzeugung mystischer Erfahrungen sein. So mancher Proband meinte, in Persingers Labor übernatürlichen Wesen oder Gott persönlich begegnet zu sein. Andere dagegen flohen entsetzt aus der Versuchskammer und sahen darin eher den Teufel am Werk.“
    https://www.zeit.de/1996/45/seltsam.txt.19961101.xml

    und auch zur angeblichen Induzierung spiritueller Erfahrungen:
    https://religionswissenschaft.twoday.net/stories/4056554/

  17. @rolak:
    Danke für den Link! In der Tat eine spannende Kontroverse, in der Persinger auch schwer unter Druck gerät. Mal sehen, wie sich die Erkenntnislage entwickelt…

  18. Ja, wirklich spannend, wenn man dem Artikel in der Zeit Glauben schenken darf.
    Genauso wie bei den Medikamentenstudien wundert es immer wieder, wieseo sich Menschen für solche Versuche zur Verfügung stellen. Geldmangel ? Forschung ? Da würd ich lieber noch Globulis essen….. die haben wenigstens keine Wirkung.

    Hier noch der letzte Teil des Artikels aus der Zeit, verschärfte Bedingungen, Dr. Frankenstein lässt grüssen.
    Zitat:
    „Zu Recht warnt Susan Blackmore davor, daß niemand die Langzeitwirkungen der Anwendung von magnetischen Feldern auf das Gehirn kenne. Der von seiner Forschung besessene Persinger macht sich darüber jedoch wenig Sorgen. „Ach wissen Sie“, wiegelt er ab, „wenn jemand stundenlang vor dem Fernseher sitzt, dann ist er hinterher auch benommen.“

    In der Abgeschiedenheit seiner Provinzuniversität geht Michael Persinger derzeit mit seinen Experimenten jedenfalls schon in die nächste Phase. „Mit dem sogenannten Oktopus können wir das Magnetfeld um den ganzen Kopf rotieren lassen und erzielen damit noch stärkere Effekte“, sagt er und zeigt einen mit Klebeband umwickelten Kranz von acht Magnetspulen, der den Probanden über den Kopf gestülpt wird. „Hinterher sind die Leute allerdings wirklich benommen, und manchmal verlieren sie sogar das Bewußtsein.“

    Wenigstens überwacht er die Hirnveränderung mit einem EEG. Für alle Fälle bekommen die Versuchspersonen überdies die Telephonnummer des selbsternannten Hirnexperten mit nach Hause. „Wenn es Komplikationen gibt, können sie mich jederzeit danach anrufen.“

  19. Nachtrag zu vorigem Artikel, dass Medikamentenstudien wichtig sind ist mir schon klar, ich will hier auch etwas zurückrudern und die Medikamentenstudien nich allgemein verurteilen, im Zusammenhang mit diesen Versuchen von M. Persinger habe ich da etwas überreagiert.
    Zu denken gibt es jedoch trotzdem, da ja nicht immer alles ohne Nebenwirkungen bei den Medikamententests abläuft, siehe z.B. folgenden Link. Tut mir leid, bei so etwas stosse ich einfach an die Grenzen, was in wissenschaftlichen Versuchen noch gerechtfertigt ist und wo die Grenzen überschritten überschritten werden.

    Hier der Link:

    https://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/zukunftsmedizin/news/medikamentenstudie_aid_106230.html

  20. Zur Diskussion darf ich nur ergänzen, dass Männer und Frauen tatsächlich auch „spirituell“ ganz unterschiedliche Nachfragen generieren: Frauen befürworten z.B. häufiger monotheistische Glaubensinhalte, aber auch eben z.B. Astrologie, Männer sind dagegen häufiger von UFOs & Co. überzeugt. Siehe Studie von Prof. Euler (Evolutionspsychologe, Kassel) dazu (hier als Grafik auf S. 9): https://is.gd/nYZm

    Die oben formulierten Vermutungen, dass dies mit unterschiedlichem Investment in Reproduktionsspielen zu tun hat, kann ich ebenfalls bestätigen. Ein neuer Artikel in Gehirn & Geist dazu hier: https://is.gd/nZ0o

    Zu Persinger und anderen „Gottesmodultheoretikern“ haben Sie hier ja schon alles notwendige gesagt bzw. geschrieben… 😉 Herzliche Grüße!

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