Beim Stöbern im Internet bin ich vor einiger Zeit auf den Begriff „Siriometer“ gestoßen. Eine schnelle Recherche bei Wikipedia ergab, das es sich dabei offensichtlich um eine astronomische Entfernungseinheit handelt. Mir persönlich ist diese Maßeinheit noch nie untergekommen – das ist aber auch nicht verwunderlich – es ist eine veraltete Einheit. Da mich aber auch die historische Astronomie sehr interessiert (und man bei solchen Recherchen meistens jede Menge interessante Dinge lernt) habe ich mal ein bisschen in der Literatur gekramt um herauszufinden was es mit dieser Einheit auf sich hat. Dabei habe ich eine sehr interessante Geschichte gefunden, vom „Kampf“ zweier Definitionen und von der Auseinandersetzung ihrer jeweiligen Anhänger.

Dazu muss ich zuerst einmal ein bisschen was zu den Grundlagen der astronomischen Entfernungsmessung sagen. Man hatte eigentlich sehr lange keine genauen Vorstellungen über die Entfernungen in unserem Universum. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts wusste man genug, um feststellen zu können, das die kleinen „Nebel“, die man am Himmel schon lange beobachtete, eigentlich Galaxien sind, in bis dahin unvorstellbaren Entfernungen! Den endgültigen Beweis lieferte der heute berühmte Edwin Hubble, der mit seiner späteren Entdeckung des Zusammenhangs zwischen der Entfernung von Galaxien und deren Rotverschiebung zeigte, das sich eine Galaxie umso schneller von uns fortbewegt, je weiter sie entfernt ist und damit die Grundlage für die Urknalltheorie legte.

Bis wir uns der wahren Ausdehung des Universums bewusst waren, hat es also eine ganze Zeit gedauert. Bei unserem Sonnensystem ging es ein wenig schneller. Aber auch hier tappte man lange im Dunkeln. Die Position der Planeten am Himmel konnte man zwar schon in der Antike einigermaßen genau vorhersagen – über die Entfernungen wusste man allerdings nicht Bescheid. Aristarch von Samos schätzte beispielsweise, das die Sonne etwa zwanzig mal weiter von der Erde entfernt ist, als der Mond (in Wirklichkeit ist sie knapp 390 mal weiter entfernt). Andere Philosophen und Forscher fanden bessere Werte – allerdings konnte niemand die absoluten Entfernungen angeben; es war nur möglich relative Abstände zu finden.

Mit Keplers Gesetzen zur Planetenbewegung wusste man zwar gut über die Bahnen der Planeten Bescheid – absolute Angaben über die Entfernung waren allerdings immer noch nicht möglich. Man definierte daher den Abstand zwischen Erde und Sonne als Maßeinheit und gab die Entfernungen im Verhältnis zu diesem Wert an. Diese Einheit wurde „Astronomische Einheit (AE)“ genannt; der Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt also 1 AE. Venus ist etwa 0.7 AE von der Sonne (und damit 0.3 AE von der Erde) entfernt; Jupiter befindet sich in einem Abstand von 5.2 AE und der ferne Zwergplanet Pluto befindet sich etwa 40 AE von der Sonne entfernt. Diese relativen Abstände konnten durch Beobachtungen recht genau gemessen werden; was man aber wissen wollte, waren die absoluten Werte: wieviele Kilometer entsprechen einer astronomischen Einheit. Über die genaue Erforschung dieser Frage werde ich sicherlich mal einen eigenen Eintrag machen; im Endeffekt benutzte man im späten 19. Jahrhundert die speziellen Planetenkonstellationen, die bei einem Venustransit (bei dem die Venus von der Erde aus gesehen vor der Sonnenscheibe vorbeiwandert) auftreten um mittels trigonometrischer Rechnungen die absolute Entfernung auszurechnen.

Heute ist die astronomische Einheit mit 149597870.691 Kilometer definiert und ist die Standardeinheit bei Untersuchungen innerhalb unseres Sonnensystems.

Das gleiche Problem, das man bei der Entfernungsmessung in unserem Sonnensystem hatte, existierte natürlich auch bei dem Versuch, die Entfernungen zu den Sternen zu bestimmen. Auch hier war es lange nicht möglich, absolute Werte zu bestimmen. Auch die Bestimmung relativer Abstände erwies sich hier als schwieriger als in unserem Sonnensystem. Nach und nach konnte man allerdings sowohl relative als auch absolute Abstände bestimmen. Da sich diese Abstände natürlich als sehr groß verglichen mit irdischen Größen herausstellten, suchte man eine neuen Einheitsgröße, die für stellare Entfernungen verwendet werden konnte. William Herschel maß die Abstände der hellsten Sterne am Himmel (Sterne der sg. ersten Größe) und bestimmte den Mittelwert dieser Entfernungen. Diesen Abstand nannte er Siriometer bzw. „distance of Sirius“. Es existierten aber auch noch andere potentielle Maßeinheiten. Das führte in der damaligen astronomischen Forschung zu unnötiger Verwirrung. Unter anderem hing auch die Definition der absoluten Helligkeit eines Sterns von der Wahl der grundlegenden Maßeinheit ab; es waren also verschiedene Systeme im Umlauf, die auch verschiedene Werte für die Helligkeiten angaben. Um Unklarheiten zu vermeiden und die Forschung zu vereinfachen war es also nötig, das man sich auf eine einheitliche Grundeinheit für stellare Entfernungen einigte. Ein Artikel aus dem Jahr 1925 beschreibt diese Suche: „On the Units of Distance in Stellar Astronomy“ von K.G. Malmquist („The Observatory“, Vol. 48, p. 142-144). Damals gab es noch 2 Kandidaten, die zur Wahl standen: das Siriometer von Herschel und das sg. Parsec.

Hugo von Seeliger benutzte das Siriometer um die sg. Siriusweite zu definieren. Die Siriusweite ist der Abstand, der einer Parallaxe von 0.2 Bogensekunden entspricht. Die Parallaxe ist ein weiterer grundlegender Begriff bei der astronomischen Entfernungsmessung. Beobachtet man die Position eines Sterns von der Erde aus, dann befindet man sich ja genaugenommen auf einem sich bewegenden Objekt: die Erde läuft innerhalb eines Jahres einmal um die Sonne. Beobachtet man also einen Stern einmal im Januar und einmal im Juni hat die Erde in der Zwischenzeit einen halben Umlauf vollendet und befindet sich 2 Astronomische Einheiten vom ersten Beobachtungspunkt entfernt (der genäherte Kreis, den die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne beschreibt hat ja einen Radius von 1 AE). Durch diese Positionsänderung ändert sich auch die scheinbare Position des Sterns im Vergleich mit den Hintergrundsternen. Man kann diesen Effekt leicht selbst ausprobieren: dazu streckt man die Hand und den Daumen aus und betrachtet ihn einmal nur mit dem linken Auge; einmal nur mit dem rechten. Der Daumen „springt“ dabei; ändert also seine Position vor dem Hintergrund.

Parallex (Wikipedia)Das Bild (links) zeigt das Ganze nochmal. Je nachdem, von wo man den Stern beobachtet, sieht man in an einer anderen Stelle am Himmel. Der Winkel zwischen den beiden Geraden die von den jeweiligen Beobachtungspunkten aus auf den Stern gerichtet werden, wird Parallaxe genannt. Je weiter so ein Objekt entfernt ist, desto kleiner ist auch seine Parallaxe. Seeligers Siriusweite entsprach also der Entfernung eines Objekts, das gerade so weit entfernt ist, das man eine Parallaxe von 0.2 Bogensekunden messen kann (Eine Bogensekunde ist der 3600ste Teil eines Grads. Sechzig Bogensekunden entsprechen einer Bogenminute; 60 Bogenminuten entsprechen einem Grad und 360 Grad bilden schließlich einen kompletten Kreis). Diese Definition hatte außerdem den Vorteil, das man das Siriometer aufbauend auf eine andere Entfernungsgrundeinheit definieren konnte. 0.2 Bogensekunden entsprechen 1.03 Millionen Astronomischen Einheiten – man schlug als vor, das Siriometer als die Entfernung zu definieren, die genau einer Million astronomischer Einheiten entspricht.

Der „Konkurrent“ des Siriometers war das „Parsec“. Ursprünglich wurde diese Einheit von Jacobus Kapteyn aufgestellt; er definierte es als die Entfernung, die einer Parallaxe von 0.1 Bogensekunden entspricht. Hermann Kobold griff diese Idee auf, wandelte sie aber und verwendet eine Parallaxe von einer Bogensekunde als Grundlage. Herbert Turner schließlich hatte die Idee, diese Entfernung als „Parsec“ zu bezeichnen – eine Abkürzung die für „Parallaxensekunde“ steht. Und das war eine sehr gute Idee – denn auch in der Wissenschaft hängt oft viel vom „Marketing“ ab. Malmquist schreibt in „On the Units of Distance in Stellar Astronomy“:

„This unit has wholly displaced Kapteyn’s unit, thanks mainly to the fact that Turner has given the former a smart name – parsec.“

Das die Namenswahl eine wichtige Rolle spielt, zeigt sich auch an der Diskussion über das Siriometer. Bei einer Sitzung der britischen Royal Astronomical Society sagte der damalige köngliche Astronom, Sir Frank Dyson:

„The name od siriometer has been suggested in this connection. I do not like that, it suggests a machine for measuring.“

Auch andere Astronomen kritisierten das Siriometer hauptsächlich wegen seines Namens, der an ein Meßgerät erinnerte. Malmquist stellt aber richtigerweise fest, das der Name eigentlich keine Rolle spielen sollte, nur die Qualität der Definition. Im weiteren Verlauf des Artikels spricht er sich deutlich für die Wahl des Siriometers als grundlegende Einheit der stellaren Astronomie aus. Er nennt unter anderem den Vorteil, das (wie oben beschrieben) es basierend auf einer anderen Entfernungseinheit – der astronomischen Einheit – definiert werden kann und kritisiert, das bei Verwendung des Parsecs die „Gefahr“ besteht, Entfernungen nur noch als Parallaxen anzugeben. Er argumentiert weiterhin, das man in der stellaren Astronomie auch eine neue, längere Zeiteinheit benötigt und diese analog zum Siriometer (eine Million mal der Bahnradius der Erde) als „stellares Jahr“ definiert werden kann, das einer Million normaler Jahre entsprechen soll. Geschwindigkeiten können dann in Siriometer pro stellaren Jahr angegeben werden, analog zur Verwendung von Astronomischen Einheiten pro Jahr in unserem Sonnensystem.

Auch Seeliger spricht sich deutlich gegen eine Verwendung des Parsecs aus:

„Man müsste also in der Tat in äusserster Konsequenz, wie es Herr Charlier tut, meine Bezeichnung Siriusweite festhaltend, eine solche 1 Million Erdbahnradien zuordnen. Da aber in vielen astronomischen Angaben die Parallaxen eine große Rolle spielen, wird zur Vereinfachung und der geringen Genauigkeit stellarer Entfernungsangaben entsprechend es sich empfehlen, meine Definition ‚Siriusweite = 0.2 Bogensekunden Parallaxe‘ nicht aufzugeben. In jedem Falle ist der offenbar aus dem Prinzip des Wiederspruchs entsprungene Vorschlag als Einheit für stellare Entfernungen eine solche zu wählen, welche der Parallaxe 1 Bogensekunde entspricht, als ein ganz willkürlicher und durch nichts zu rechtfertigender anzusehen.“

Trotz dieser Argumente wurde bei der Versammlung der Internationalen Astronomischen Union 1922 in Rom das Parsec als Einheitsdistanz festgelegt. Malmquist kritisiert diese Entscheidung; ausserdem weist er nochmal auf den Zusammenhang mit der absoluten Helligkeit der Sterne hin. Diese sollte natürlicherweise als die scheinbare Helligkeit der Sterne bei Einheitsdistanz definiert werden. Bei der Versammlung in Rom wurde die absolute Helligkeit nicht als die Entfernung bei einem Parsec (der neuen Einheitsdistanz) definiert, sondern als die Helligkeit bei 10 Parsec. Malmquist schließt den Artikel mit folgenden Bemerkungen:

„Such a compromise must, of course, be considered as wholly unneccessary and moreover, inconvienent, and, this is another reason, not to consider this decision as the definite one. Then the question must be first discussed before it can be considered as mature for decision. I hope this little contribution may initiate such a discussion.“

Aus heutiger Sicht ist der Ausgang der dieser Debatte bekannt. Malmquists Einwände und seine Kritik waren offensichtlich erfolglos. Das Parsec ist eine der wichtigsten Standardeinheiten der Astronomie; das Siriometer ist heute komplett vergessen.

Trotzdem fand ich es sehr interessant, diese ganzen historischen Zusammenhänge über diese veraltete Einheit zu recherchieren. Man neigt oft dazu, etabliertes Wissen und bekannte Fakten als gegeben anzusehen. Aber wenn man dann sieht, wie sehr um diese Dinge in der Vergangenheit gestritten wurde und wie lange es oft dauerte bis sich die „richtige“ Meinung durchsetzte, dann sieht man die eigene Arbeit und die aktuelle Forschung mit ganz anderen Augen. Wieviel von dem, was wir heute als gegeben ansehen, wird vielleicht in Zukunft doch wieder geändert? Wieviel davon stellt sich als falsch oder unpraktisch heraus? Auch wenn die Wissenschaftsgeschichte oft eher stiefmütterlich behandelt wird und in den naturwissenschaftlichen Studien an den Universitäten eine untergeordnete Rolle spielt, bin ich doch der Meinung, das man sehr viel daraus lernen kann. Und ich werde definitiv in der Archiven weitergraben und versuchen herauszufinden, wie sich die Kontroverse zwischen Siriometer und Parsec weiterentwickelt hat und was schlußendlich zur Niederlage des Siriometers geführt hat.

3 Gedanken zu „Siriometer vs. Parsec: ein Duell aus dem vorigen Jahrhundert“
  1. Hmm.. habe jetzt mal damit angefangen, als Star Trekker bin ich davon gleichermaßen begeistert wie irritiert (es gibt bei Star Trek natürlich auch Parsek, aber man gewöhnt sich so schnell an die bequemen Lichtsekunden und Warp-Zeiten 🙂 )

    Ich werds mir fertig lesen, sobald mir in der Schule mal wieder langweilig ist 🙂

  2. Hmh… Wieso hab ich das gefühl, dass dein Blog ein bißchen „professionellere“ Themen behandelt als meines?
    Da muss ich gleich noch ein bißchen weiterstöbern – immerhin interessiert mich das sogar ein wenig…

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