Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 568: Schnellläufer auf der Flucht aus der Galaxis
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Schnellläufer. Aber wir werden natürlich nicht über Sport reden, sondern über Sterne. Mit dem etwas veralteten Wort „Schnellläufer“ bezeichnet man Sterne, die sich sehr schnell bewegen. Und bevor wir anfangen können uns damit zu beschäftigen, müssen wir erstmal klären, was wir mit der Bewegung von Sternen eigentlich meinen. Es geht nicht um die scheinbare Bewegung der Sterne die wir im Lauf einer Nacht am Himmel beobachten können. Die sehen wir ja nur, weil die Erde sich um ihre Achse dreht; die Sterne selbst haben mit dieser Bewegung nichts zu tun. Sie bewegen sich aber und zwar annähernd kreisförmig um das Zentrum unserer Milchstraße. Das darf man sich nicht so vorstellen wie die Planeten, die sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen; so regelmäßig ist die Bewegung der Sterne nicht. Im Gegensatz zum Sonnensystem ist der Großteil der Masse der Milchstraße ja nicht im Zentrum zu finden. Dort ist zwar ein sehr massereiches schwarzes Loch, dass circa vier Millionen mal mehr Masse hat als ein typischer Stern. Aber es gibt eben auch ein paar hundert Milliarden Sterne in der Milchstraße und dazwischen jede Menge kosmisches Gas, Staub und so weiter. Ein Stern spürt auf seinem Weg durch die Milchstraße also auch die Anziehungskräfte all dieser anderen Objekte sehr deutlich und seine Bahn ist daher tendenziell komplex und chaotisch, aber in erster Näherung bewegt er sich um das Zentrum der Milchstraße. Unsere Sonne braucht für eine Runde circa 200 Millionen Jahre, aber wenn ich von „schnellen Sternen“ spreche, dann meine ich auch nicht unbedingt diese Art der Bewegung. Je nachdem, ob ein Stern näher am Zentrum ist oder weiter weg, bewegt er sich schneller oder langsamer rundherum; die Schnelligkeit der Schnellläufer hat aber nichts damit zu tun.
Es geht um Sterne, die sich prinzipiell sehr schnell durch den Raum bewegen, unabhängig davon, ob sie nahe am Zentrum sind oder nicht. Und was bedeutet nun „schnell“ in diesem Zusammenhang? Grob gesagt eine Geschwindigkeit die um 65 bis 100 Kilometer pro Sekunde schneller ist als die Geschwindigkeit, mit der sich die Sterne in der Umgebung bewegen. Ein Beispiel dafür ist Barnards Pfeilstern, von dem ich in Folge 150 mehr erzählt habe. Er bewegt sich in Bezug auf das Sonnensystem mit 140 Kilometer pro Sekunde und das ist schon ziemlich schnell. Wir wollen uns heute aber mit RICHTIG schnellen Sternen beschäftigen, die deswegen auch „hypervelocity stars“ also „Hypergeschwindigkeitssterne“ genannt werden. In Bezug auf das Zentrum der Milchstraße bewegen sich typische Sterne mit Geschwindigkeiten von ein paar 100 Kilometer pro Sekunde; die Sonne zum Beispiel mit gut 220 Kilometer pro Sekunde. Es gibt aber Sterne, die sich mit mehr als 1000 Kilometer pro Sekunde bewegen und genau um die soll es heute gehen.
Dass es solche Sterne geben könnte, hat der amerikanische Astronom Jack Hills 1988 in einem Fachartikel erstmals vermutet. Seine Idee: Die Mehrheit der Sterne zieht nicht allein durch die Milchstraße sondern tut das als Teil eines Doppel- oder Mehrfachsternsystems. In den späten 1980er Jahren hat man schon sehr stark vermutet, dass sich im Zentrum der Milchstraße und den Zentren aller großen Galaxien enorm massereiche schwarze Löcher befinden, wie ich ja in Folge 455 ausführlich erzählt habe. Man war sich nicht absolut sicher, aber WENN da so ein Loch ist, dann kann es passieren, dass ein Doppelsternsystem auf seinem Weg durch die Galaxie in die Nähe dieses Lochs gelangt. Und dann wirkt die Gezeitenkraft: Auf den Stern, der dem schwarzen Loch näher ist, wirkt eine sehr viel stärkere Gravitationskraft als auf den, der ein Stückchen weiter weg ist. Das Paar wird auseinander gerissen, der nähere der beiden wird vom schwarzen Loch quasi eingefangen wird und beginnt, es zu umkreisen. Der andere Stern verliert dann plötzlich seinen Partner und wird hinaus ins All geschleudert. Das ist ein bisschen so wie beim Hammerwerfen: Zuerst drehen sich Mensch und Hammer gemeinsam im Kreis, aber sobald der Hammer losgelassen wird, saust er mit hoher Geschwindigkeit davon. Hill hat das alles durchgerechnet und kam zu dem Schluss, dass – je nach Masse des schwarzen Lochs – Sterne mit bis zu 4000 Kilometer pro Sekunde davon rasen könnten. Und würde man solche hypervelocity stars finden, dann wäre das ein ziemlich guter Beleg dafür, dass da wirklich ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum unserer Galaxie sitzt.
Im Jahr 2005 hat man – belegt durch sehr viele andere Beobachtungsdaten – schon längst keinen Zweifel mehr an der Existenz der supermassereichen schwarzen Löcher gehabt. Aber Jack Hills Vorhersage ist dennoch eingetreten: Warren Brown, Margaret Geller, Scott Kenyon und Michael Kurtz entdeckten einen Stern, der sich in Bezug auf das Zentrum der Milchstraße mit 853 Kilometer pro Sekunde bewegt. Das war zwar weniger als Hill prognostiziert hatte, aber die damals höchste beobachtete Geschwindigkeit für einen Stern in der Milchstraße. Und schnell genug, dass der Stern nicht mehr an die Milchstraße gebunden war. Das ist so wie bei den Raketen und der Erde. Die Gravitationskraft der Erde sorgt dafür, dass alles, was man nach oben wirft, wieder nach unten kommt. Nur wenn es schnell genug ist, kann es der Anziehungskraft der Erde dauerhaft entkommen und bei der Erde ist dafür eine Geschwindigkeit von über 11 Kilometer pro Sekunde nötig. Um der Anziehungskraft der gesamten Milchstraße zu entkommen, braucht man um die 500 Kilometer pro Sekunde. Es hängt natürlich davon ab, ob man sich nahe am Zentrum befindet, wo die meiste Masse ist oder weit außen, wo man nicht mehr so viel Anziehungskraft überwinden muss. Aber bevor es zu kompliziert wird, halten wir fest: Die Geschwindigkeit dieses Sterns war definitiv schnell genug, um sich dauerhaft von der Milchstraße entfernen zu können. Was der Stern mit der Bezeichnung SDSS J090745.0+024507 auch vor hat. Er bewegt sich direkt vom Zentrum der Milchstraße weg und wird diesen Weg auch dauerhaft fortsetzen, bis er irgendwann im intergalaktischen Raum verschwunden ist. Deswegen hat man ihm auch den Spitznamen „Outcast“, der Ausgestoßene verpasst. Outcast hat für den Weg vom Zentrum der Milchstraße bis dorthin, wo man ihn entdeckt hat, gute 80 Millionen Jahre gebraucht. Das passt auch gut zu seinem Alter und auch seine chemische Zusammensetzung zeigt, dass er vermutlich vor besagten 80 Millionen Jahren irgendwo in der Nähe des galaktischen Zentrums entstanden sein muss; als Teil eines Doppelsternsystems, wie es Jack Hill vorhergesagt hat. Sein Partner wurde vom schwarzen Loch eingefangen und Outcast auf seinen Weg aus der Galaxis hinaus geschleudert. Diese nahe Begegnung mit einem schwarzen Loch ist der einzige plausible Weg, wie Outcast seine enorme Geschwindigkeit erreicht haben kann.
Mittlerweile haben wir auch eine Handvoll andere Hypergeschwindigkeitssterne entdeckt, zum Teil noch schneller unterwegs als Outcast. Zum Beispiel S5-HVS1, der im Jahr 2019 gefunden wurde und sich mit fast 1800 Kilometer pro Sekunde bewegt. Vor circa 5 Millionen Jahren muss auch er seinen Partnerstern bei einer Begegnung mit dem galaktischen schwarzen Loch verloren haben. Mittlerweile befindet er sich fast 29.000 Lichtjahre von der Erde entfernt und damit schon weit von der Zentralregion der Milchstraße weg. Auch er wird den intergalaktischen Raum erreichen und sich zu den vermutlich zahlreichen anderen Sternen gesellen, die dort im Laufe der Zeit gelandet sind. Wie viele es genau sind, ist schwer zu sagen, aber da alle Galaxien durch die beschriebenen Prozesse immer wieder Sterne rauswerfen, wird es eine durchaus relevante Menge sein. In einem typischen Galaxienhaufen könnten die intergalaktischen Sterne zusammen eine Masse habe, die der einer Galaxie gleich kommt. Aber angesichts der Leere die im Raum zwischen den Galaxien herrscht und den enormen Distanzen, ist es so gut wie unmöglich, dass sich zwei davon einmal treffen werden. Übrigens: Falls einer dieser Sterne nach seiner Entstehung auch Planeten gebildet hat, dann ist es definitiv möglich, dass sie immer noch mit ihm unterwegs sind. Sie können auch nach dem Rauswurf durch das schwarze Loch an ihren Stern gebunden bleiben. Und sollte auf so einem Planeten eines intergalaktischen Sterns Leben existieren, dann hat es zwar vermutlich einen ziemlich beeindruckenden Ausblick auf die Galaxien in der Umgebung – wäre ansonsten aber ziemlich einsam.
Titelbild: Illustration: James Josephides (Swinburne Astronomy Productions)
‚SchnellLäufer‘ – hach, da werden Erinnerungen wach…
Doch so unterhaltsam und unfreiwillig komisch die Raumpatrouille auch war&ist – der Artikel hier ist deutlich interessanter 😉
Zivilisationen auf Planeten intergalaktischer Sterne werden wohl nie Raumfahrt über ihr Sternsystem hinaus entwickeln…
Es ist auch alles andere als gewiss, dass Zivilisationen auf Planeten am Rande von Galaxien jemals eine Raumfahrt über ihr Sonnensystem hinaus entwickeln werden. Wenn der nächste Stern schon mehr als vier Lichtjahre entfernt liegt, fliegt man nun einmal nicht mal so eben dorthin.
Am ehesten dürfte es Zivilisationen, denen eine Ausbreitung über mehrere Sternsysteme gelungen ist, in Kugelsternhaufen geben – allerdings sind meines Wissens dort die meisten Sterne schon im Rote-Riesen-Stadium… oder gibt es auch Kugelsternhaufen mit überwiegend Hauptreihensternen?
Das ist ja genau das Problem! Zu große Sterne dürften kaum lange genug für lebensfreundliche Bedingungen auf den Planeten in ihren Orbits sorgen. Und zugleich muss ja auch genügend Material vorhanden sein, damit so etwas wie „Leben“ überhaupt entstehen kann.
Leider scheinen die unzähligen Roten Zwerge aber auch nicht das Gelbe vom Ei zu sein. Zwar existieren die lange genug, neigen aber zu heftigen Ausbrüchen. Und viele Planeten dürften in einen gebundenen Orbit gezwungen werden und somit ihrem Stern immer dieselbe Seite zuwenden – mit allen zugehörigen katastrophalen Folgen. Am besten wären wohl Rote Sonnensysteme, bei denen ein Gasriese (oder irgendein anderer Effekt? MASCONs auf dem Planeten?) dafür sorgt, dass ein bewohnbarer Planet in einer 2:3-Kopplung um seinen Stern kreist.