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Sternengeschichten Folge 549: Der Asteroid Interamnia
Die heutige Folge der Sternengeschichte könnte ein wenig kürzer werden als üblich. Denn es geht um einen Himmelskörper, über den erstaunlich wenig bekannt ist, obwohl es eigentlich viel gäbe, was man darüber wissen wollen würde.
Fangen wir also am besten mal mit etwas an, was wir wissen. Dem Geburtstag von Vincenzo Cerulli zum Beispiel. Der italienische Astronom wurde am 20. April 1859 geboren. Er baute sich seine eigene Sternwarte, 150 Kilometer von Rom entfernt, in Teramo. Dort beobachtete er unter anderem dem Mars und kam zu dem Schluss, dass die Marskanäle, über die zu der Zeit alle diskutierten, nur eine optische Täuschung sind. Was auch richtig war: Wie ich in Folge 404 der Sternengeschichten schon erzählt habe, gab es nie irgendwelche Bewässerungskanäle auf unserem Nachbarplaneten, die von Marsbewohnern angelegt wurden, auch wenn diverse prominente Astronomen des 19. Jahrhunderts behauptet haben, so etwas gesehen zu haben. Bei seinen Beobachtungen ging Cerulli aber auch etwas anderes ins telekopische Netz: Ein Asteroid. Die waren an der Wende zum 20. Jahrhundert keine große Sensation mehr. Man hatte schon ein paar hundert davon gefunden seit der erste von ihnen im Jahr 1801 entdeckt wurde (übrigens auch von einem Italiener). Dieser erste bekannte Asteroid war Ceres, der gleichzeitig auch der größte Asteroid im Hauptasteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter ist. Ceres hat immerhin einen Durchmesser von 940 Kilometern. Im Jahr danach fand man den Asteroid Pallas, immerhin noch 511 Kilometer im Durchmesser; die in den folgenden Jahren entdeckten Asteroiden Juno und Vesta waren 254 und 525 Kilometer groß. Es kamen noch weitere dazu, alle um die 200 Kilometer groß; erst 1849 kam wieder ein größere Brocken: der Asteroid Hygiea mit 430 Kilometer Durchmesser.
Heute sieht der Stand der Dinge so aus: Die vier größten Asteroiden sind Ceres, Vesta, Pallas und Hygiea. Dann kommt ein großer Haufen an Asteroiden, die einen Durchmesser zwischen 100 und 300 Kilometer haben. Aber dazwischen ist ist irgendwie eine Lücke. Es gibt nur zwei bekannte Asteroiden im Hauptgürtel mit einem Durchmesser zwischen 300 und 400 Kilometer. Der eine davon heißt „Europa“, so wie der Jupitermond und der Kontinent und damit wir nicht durcheinander kommen, lassen wir den heute mal außen vor. Der andere ist mit einem Durchmesser von 322 Kilometer sowieso noch ein kleines Stück größer und der fünftgrößte Asteroid im Hauptgürtel. Es ist genau der Asteroid, der am 2. Oktober 1910 von Vincenzo Cerulli entdeckt wurde und wenn ich jetzt fragen würde, könnte vermutlich kaum jemand spontan seinen Namen nennen, oder?
Beziehungsweise schon, weil ich den Namen ja schon in den Titel der Folge geschrieben habe: Es handelt sich um den Asteroid Interamnia, was der lateinische Name für die Stadt Teramo ist, wo Cerulli seine Sternwarte gebaut hat. Interamnia ist nicht nur der fünftgrößte sondern vermutlich auch der fünftmassereichste Asteroid des Hauptgürtels. Ceres ist auch hier an der Spitze, seine Masse macht ganze 39 Prozent der Masse aller Asteroiden dort aus. Dann kommt Vesta mit 11% der Masse des gesamten Asteroidengürtels. Pallas schafft noch 8,5 Prozent, Hygiea hat 3,6 Prozent und Interamnia immerhin noch 1,5 Prozent der Gesamtmasse des Asteroidengürtels.
Es handelt sich also um einen durchaus relevanten Himmelskörper. Umso überraschender ist es, dass man so wenig von ihm hört. Zu Ceres und Vesta sind schon Raumsonden geflogen; wir haben die beiden großen Asteroiden aus der Nähe gesehen; sie umkreist, kartografiert, und so weiter. Pallas wurde ausführlich erforscht und selbst über Hygiea gibt es genug Wissen, um damit locker eine Folge der Sternengeschichten füllen zu können; Folge 387 wenn nochmal jemand nachhören möchte.
Aber Interamnia? Es ist erstaunlich, wie wenig wir über diesen Asteroid wissen. Aber zumindest wissen wir ein bisschen was. Interamnia ist ein Asteroid vom F-Typ. Dabei geht es um eine Klassifikation von Asteroiden anhand ihrer spektralen Eigenschaften. Man beobachtet also das Licht, dass die Objekte von der Sonne reflektieren und spaltet es dann in seine Bestandteile auf. Je nach Material aus dem die Asteroiden bestehen, wird man dann sehen, dass bestimmte Farben fehlen. Je nachdem, ob da jetzt mehr rotes Licht reflektiert oder mehr blaues Licht, und so weiter, kann man herausfinden, woraus die Asteroiden bestehen und sie klassifizieren. Es gibt drei Obergruppen, die C-Typ-, die S-Typ- und die X-Typ-Asteroiden. C-Typ-Asteroiden sind am häufigsten, sie sind eher dunkle Objekte die aus kohlenstoffreichen Gestein bestehen. Circa drei Viertel aller Asteroiden lassen sich hier einordnen; S-Typ-Asteroiden sind mit einem Anteil von 17 Prozent am zweithäufigsten. Sie sind ein wenig heller und bestehen aus Silikaten. X-Typ-Asteroiden sind, vereinfacht gesagt, alle anderen die nicht in die beiden ersten Gruppen passen. Aber natürlich gibt es jede Menge Untergruppen. F-Typ-Asteroiden sind eine Untergruppe vom C-Typ; sie sind eher selten und Iteramnia ist der größte von ihnen.
Der Asteroid hat einen mittleren Abstand zur Sonne von 3 Astronomischen Einheiten, ist also im Mittel dreimal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Seine Bahn weicht deutlich von einer Kreisbahn ab, am sonnennächsten Punkt kommt er unserem Stern auf bis zu 2,6 Astronomischen Einheiten nahe, am sonnenfernsten Punkt sind es 3,5 Astronomische Einheiten. Die Bahn ist außerdem um 17 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt. Für eine Runde um die Sonne braucht der Asteroid 5 Jahre und 129 Tage und er rotiert außerdem mit einer Periode von 8 Stunden und 44 Minuten um seine eigene Achse.
Wir haben Interamnia bis jetzt noch nicht aus der Nähe gesehen, die besten Aufnahmen stammen vom Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte. 2019 gab es ausführliche Beobachtungen damit, bei denen auch der Durchmesser auf 332 Kilometer festgelegt werden konnte. Die Dichte die aus den Daten bestimmt werden konnte, liegt bei 1,98 Gramm pro Kubikzentimeter. Das ist ein ähnlicher Wert wie bei Ceres und deutet darauf hin, dass Interamnia zu einen guten Teil aus Eis besteht. Die Bilder die man machen konnte, sind zwar nicht sonderlich detailreich, aber man erkennt zumindest keine Spuren irgendwelcher größere Krater oder Oberflächenstrukturen, was ebenfalls auf Eis hinweist. In Gestein überleben Krater wesentlich länger als auf einer Oberfläche aus Eis. Der Asteroid scheint auch eine sehr regelmäßige Form zu haben; er ist im wesentlichen ein Ellipsoid im hydrostatischen Gleichgewicht. Das soll folgendes heißen: Die Erde zum Beispiel ist ja nicht deswegen rund, weil sie exakt so entstanden ist. Sondern weil das eben die Form ist, die man kriegt, wenn man ausreichend viel Masse auf einen Haufen wirft. Wenn die Gravitationskraft dieser Masse groß genug ist, dann zieht sie sich unter ihrer eigenen Schwerkraft zu einer Form zusammen, die man in erster Näherung als Kugel beschreiben kann. Wenn diese Kugel dann auch noch um ihre eigene Achse rotiert, dann wird die Form ein wenig abgeplattet, um so stärker, je schneller sie rotiert. Nur kleine Objekte, die nicht genug Eigengravitation haben, können irreguläre Formen haben. Je nach Material kann man die Mindestgröße für das hydrostatische Gleichgewicht bei ein paar hundert Kilometer Durchmesser ansetzen; Interamnia zeigt, dass sie in diesem Fall aber unter 300 Kilometer liegen muss. Denn der Asteroid hat genau die Form, die ein Objekt mit einer Dichte von knapp 2 Gramm pro Kubikzentimeter haben sollte, wenn es sich unter seiner eigenen Schwerkraft verformt.
Interamnia ist also nicht nur ein Asteroid, der von der Größe und der Masse her genau im Übergangsbereich zwischen den großen und den kleinen Asteroiden im Hauptgürtel steht. Sondern auch ein Objekt, dass genau im Übergangsbereich zwischen den eher größeren, sphärischen Himmelskörpern steht; den Planeten und Zwergplaneten wie Ceres und den irregulären kleinen Objekten; den typischen Asteroidenfelsbrocken mit ein paar Dutzend Kilometern Größe und irgendwelchen chaotischen Formen.
Mit dieser Erkenntnis ist das Wissen über Interamnia im Wesentlichen auch schon wieder erschöpft. Wir wissen, dass es sich um einen faszinierenden Himmelskörper handeln muss, von dem wir viel über die Entstehung des Sonnensystems und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Arten der großen und kleinen Objekte im Weltall lernen können. Aber uns fehlen mehr Daten. Das ist einerseits frustrierend. Andererseits ist es aber auch gut zu wissen, dass da draußen noch so viele tolle Forschungsobjekte existieren.