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Sternengeschichten Folge 373: 1992 QB1

1992 QB1 ist ein Asteroid. Einer von Milliarden die in unserem Sonnensystem ihre Runden zwischen den Planeten ziehen. Es ist aber auch ein ganz besonderer Asteroid. Ein Himmelskörper, der bei seiner Entdeckung unser Bild des Sonnensystems erweitert hat und Namensgeber einer völlig neuen Klasse von Objekten geworden ist. Ein Himmelskörper, der uns einen Blick in die Vergangenheit erlaubt und der nach seiner Entdeckung sogar kurzfristig als „Planet“ bezeichnet worden ist.

Ich habe schon in Folge 2 der Sternengeschichten erklärt, wie Himmelskörper ihre Namen bekommen. Aber auch ohne die Details zu kennen liegt es nahe zu vermuten, dass das Objekt mit der Bezeichnung „1992 QB1“ im Jahr 1992 entdeckt worden ist. Und genau das ist auch der Fall; es war der 30. August 1992 und es war die Mauna Kea Sternwarte in Hawaii von der aus die Beobachtung gemacht worden ist. Verantwortlich für den Fund waren der britische Astronom David Clifford Jewitt und seine damalige Doktorandin Jane Luu. Jewitt, der 1958 in London geboren wurde, begann sich für Astronomie zu interessieren als er in seiner Kindheit ein paar sehr helle Sternschnuppen am Himmel sah. Er wunderte sich, was diese Objekte mit Sternen zu tun haben sollten – und zusammen mit der ersten Landung von Menschen auf dem Mond im Jahr 1969 motivierte ihn dieses Erlebnis zu einem Studium der Astronomie. Eine Thema das Jewitt bei seiner Arbeit als Wissenschaftler in den 1980er Jahren sehr beschäftigte war das äußere Sonnensystem. „Warum ist es – verglichen mit dem inneren Sonnensystem – so leer?“ fragte er sich und aus damaliger Sicht war das eine sehr berechtigte Frage. Damals wusste man natürlich über die Planeten Bescheid: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus, Neptun und auch Pluto, der zu der Zeit noch als Planet geführt wurde. Darüber hinaus kannte man die Asteroiden von denen man den ersten im Jahr 1801 entdeckte und in den fast 200 Jahren danach hunderttausende mehr. Die befanden sich aber fast alle zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Einige von ihnen, die erdnahen Asteroiden von denen ich in Folge 271 mehr erzählt habe, ziehen ihre Bahnen innerhalb der Umlaufbahn des Mars aber außerhalb der Bahn des Jupiters kannte man keine Kleinkörper. Gerade mal zwei Asteroiden waren damals bekannt, die sich dort befanden, aber auch die waren nicht weiter von der Sonne entfernt als der Saturn.

Wieso ist im inneren Sonnensystem so viel Kleinkram zu finden, weiter außen aber nicht? Denn da sollte ja eigentlich was sein. Schon 1943 hatte der irische Astronom Kenneth Edgeworth spekuliert, dass hinter der Umlaufbahn des Neptuns eigentlich noch diverse Asteroiden zu finden sein sollten. Je weiter von der Sonne entfernt sich ein Objekt befindet, desto langsamer bewegt es sich auch. Als nach der Entstehung der Sonne vor 4,5 Milliarden Jahren sich aus dem dabei übrig gebliebenen Material zuerst kleine Brocken aus Fels und Eis gebildet haben und daraus später die Planeten, kann nicht alles verbaucht worden sein. Vor allem im äußeren Sonnensystem müsste noch jede Menge ungenützt rumliegen. Denn wegen der langsamen Bewegung konnte sich die Asteroiden dort nicht zu großen Planeten zusammenfinden; sie stießen einfach zu selten miteinander zusammen. Alles was man Ende der 1980er Jahre aber hinter der Bahn des Neptun gefunden hatte, war Pluto.

Was alles im äußeren Sonnensystem los ist, wusste man 1992 noch nicht. Im Bild sind die vier äußeren Gasplaneten eingezeichnet und in blau die Asteroiden des Kuipergürtels hinter Neptun (Bild: WilyD at English Wikipedia, CC-BY-SA 3.0)

Als Jewitt im Jahr 1986 von seiner Studentin Jane Luu nach einem Forschungsprojekt gefragt wurde an dem sie arbeiten könne, hatte er das passende Thema für sie: Die Suche nach noch unbekannten Objekten im äußeren Sonnensystem. Jane Luu wurde 1963 in Saigon in Vietnam geboren, damals lautete ihr Name Luu Le Hang. 1975 flüchtete sie aufgrund des Vietnamkrieges in die USA wo sie ihre Namen in Jane Luu bzw. Jane X. Luu änderte. Das „X“ steht allerdings nicht für irgendeinen konkreten zweiten Vornamen; Luu hatte ihn einfach aus Bequemlichkeit als Initial für den zweiten Vornamen gewählt, der in vielen amerikanischen Formularen eingetragen werden sollte. Nach ihre Grundstudium der Physik arbeitete sie im Sommer 1984 am JPL-Institut des California Institute of Technology und bediente dort die Großrechenanlangen. Dort kam sie auch mit den Missionen der Voyager-Raumsonden in Kontakt die ebenfalls vom JPL aus gesteuert wurden und das weckte ihr Interesse für die Astronomie. Gemeinsam mit David Jewitt machte sie sich dann ab 1987 auf die Suche nach Himmelskörpern im äußeren Sonnensystem. Es war eine lange Suche. Aber im August 1992 waren Luu und Jewitt erfolgreich. Der kleine Lichtpunkt den sie mit dem 2,2 Meter großen Spiegelteleskop am Mauna Kea in Hawaii sahen bewegte sich langsam, aber er bewegte sich. In den beiden folgenden Nächten konnten sie ihn erneut beobachten und so seine Umlaufbahn bestimmen. Das Ding leuchtete 6 Millionen mal schwächer als die Sterne, die wir ohne Teleskop mit bloßem Auge noch sehen können. Aber es war da und zwar 43 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Das ist weiter weg als alle großen Planeten; das ist sogar eine größere Entfernung als die mittlere Distanz zwischen Pluto und der Sonne.

Den Regeln der Asteroidenbenennung entsprechend bekam das Objekt die Bezeichnung „1992 QB1“ mit der Jahreszahl der Entdeckung und einem Code aus Buchstaben und Zahlen der den Entdeckungszeitraum genauer eingrenzt. „Neuer Planet im äußeren Sonnensystem entdeckt“ lautete die Schlagzeile in vielen Medien und sogar wissenschaftliche Einrichtungen wie die Europäische Südsternwarte nutzten diese Bezeichnung. Aber eigentlich war allen klar, dass es sich nicht um einen Planeten handelt. Wäre 1992 QB1 ein großer Planet gewesen, hätte er viel heller leuchten müssen. Schon damals schätzte man seine Größe nur auf etwa 200 Kilometer, heute wissen wir das er sogar noch etwas kleiner und nur circa 160 Kilometer groß ist. Es ging aber ja auch gar nicht um die Entdeckung neuer Planeten. Luu und Jewitt hatten genau das gefunden, was sie gesucht hatten: Den ersten Himmelskörper des Asteroidengürtels dessen Existenz schon Kenneth Edgeworth im Jahr 1943 vermutet hatte und der heute – aus historischen Gründen auf die ich jetzt nicht weiter eingehen will – den Namen des niederländisch-amerikanischen Astronomen Gerard Kuiper trägt. 1992 QB1 war der erste Asteroid des Kuiper-Gürtels und dieser ersten Entdeckung folgten nun schnell weitere. Viele davon machten Luu und Jewitt; aber nun blickten auch jede Menge andere Astronominnen und Astronomen in das äußere Sonnensystem das nicht so leer war, wie man dachte.

1992 QB1, fotografiert von der Europäischen Südsternwarte im September 1992 (Bild: ESO)

Heute wissen wir, dass der Kuipergürtel deutlich größer ist als der Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Ich habe in Folge 174 mehr davon erzählt, aber 1992 QB1 hat sich als ein sehr typischer Asteroid dieser Region herausgestellt. So typisch, das er zum Namensgeber einer ganzen Gruppe von Asteroiden geworden ist, den „Cubewanos“. Diese Bezeichnung leitet sich von „QB1“ ab, das englisch ausgesprochen wie „CuBeWan“ klingt. Diese Cubewanos jedenfalls sind Objekte, die sich typischerweise 41 bis 50 mal weiter von der Sonne entfernt befinden als die Erde. Ihre Umlaufbahnen sind annähernd kreisförmig und sie befinden sich ganz explizit NICHT in einer Resonanz mit Neptun. Mit „Resonanz“ sind spezielle Umlaufbahnen gemeint, bei denen die Umlaufzeit in einem ganzzahligen Verhältnis zur Umlaufzeit des Neptuns steht. Pluto zum Beispiel schafft zwei Runden um die Sonne in ziemlich genau der gleichen Zeit die Neptun für drei Runden benötigt. Die beiden Himmelskörper stehen in einer 2:3 Resonanz und das gilt auch für eine ganze Gruppe anderer Asteroiden, die „Plutinos“ genannt worden sind. Andere Asteroiden im Kuipergürtel befinden sich in einer 1:2 mit Resonanz mit Neptun und allen resonanten Positionen gemeinsam ist, dass es sich um eine dynamisch spezielle Position handelt. Da sich die relative Position von Asteroid und Neptun immer wieder periodisch wiederholt, können sich gravitative Störungen im Laufe der Zeit aufschaukeln. Sind die beiden Himmelskörper sich zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr nahe, dann stellt die Resonanz sicher, dass sich diese Konstellation regelmäßig wiederholt und so kann die Gravitation des größeren Objekts das kleinere im Laufe der Zeit quasi aus dem Sonnensystem „rausschubsen“. Aber und das ist bei den Plutinos der Fall, umgekehrt ist es genau so. Kommen sich die beiden Himmelskörper nicht nahe, dann stellt die Resonanz sicher, dass das auch nie passieren kann. Die Plutinos sind also auf sehr stabilen Umlaufbahnen was auch der Grund ist, warum es so viele von ihnen gibt.

Die Cubewanos aber sind gerade die Objekte, die sich nicht in resonanten Positionen befinden, also quasi die ganz „normalen“ Asteroiden des Kuipergürtels. Man kann sie grob in zwei Gruppen teilen, die „heißen“ und die „kalten“ Cubewanos. Damit ist aber nicht die Temperatur gemeint. So weit von der Sonne entfernt sind die alle kalt. Damit ist die „dynamische Temperatur“ gemeint, also das Ausmaß der Störungen von anderen Himmelskörpern die die Asteroiden spüren. Die meisten der Cubewanos haben sehr kreisförmige Bahnen und eine sehr geringe Bahnneigung; ihre Umlaufbahn liegt also fast genau in der Ebene der Umlaufbahnen der anderen Planeten. Das alles sind Anzeichen dafür, dass sie kaum äußeren Störungen ausgesetzt sind, denn die würden die Asteroiden auf Bahnen zwingen die stärker geneigt sind bzw. stärker von der Kreisform abweichen. Sie gehören zur „kalten“ Gruppe der Cubewanos im Gegensatz zu den restlichen Asteroiden, deren Bahnen tatsächlich stärker geneigt sind. Woher diese „heißen“ Cubewanos ihre Störungen bekommen haben ist noch unklar. So wie vieles andere dort draußen. Wir kennen mittlerweile zwar tausende Objekte im Kuipergürtel. Aber wirklich gut verstehen tun wir diese Region noch nicht. Sie ist so enorm weit weg und im Gegensatz zum inneren Asteroidengürtel haben wir sie noch so gut wie gar nicht mit Raumsonden erforscht. Während die Asteroiden im inneren Sonnensystem schon vergleichsweise oft von Raumsonden aus der Nähe besucht worden sind, hat sich im äußeren Sonnensystem nur eine rumgetrieben: New Horizons, die Sonde der NASA die 2014 den Pluto aus der Nähe gesehen hat und dann weiter geflogen ist zu Arrokoth, dem ersten Cubewano von dem wir detaillierte Bilder haben.

Albion, gezeichnet von William Blake (Bild: gemeinfrei)

Es gibt noch viel zu entdecken! Aber zumindest eine offene Frage ist mittlerweile geklärt. „1992 QB1“ ist ja eine sogenannte provisorische Bezeichnung. Also eine Bezeichnung die Asteroiden bekommen, so lange noch kein offizieller Name gewählt worden ist. Das hätten Jewitt und Luu tun können sobald die Umlaufbahn des Asteroiden ausreichend gut bekannt war, also schon in den 1990er Jahren. Aber irgendwie kam es nie dazu und alle haben sich an „1992 QB1“ gewöhnt; so sehr, dass man daraus immerhin auch die Bezeichnung der Cubewanos abgeleitet hat. Im Januar 2018 wurde dann aber doch noch ein „echter“ Name vergeben. Eigentlich wollten Luu und Jewitt den Asteroid ja „Smiley“ nennen, nach einer Figur aus dem Spionageroman „Tinker Tailor Soldier Spy“ von John Le Carré den beide toll fanden. Allerdings gab es schon einen Asteroid der so hieß; in dem Fall allerdings benannt nach dem amerikanischen Astronom Charles Hugh Smiley. Also wählten Luu und Jewitt den Namen „Albion“, der aus dem Werk des englischen Dichters und Malers William Blake stammt. Albion ist dort der mythische Gründer Großbritanniens. Nun heißt der Asteroid also offiziell „15760 Albion“ – die Gruppe der Cubewanos hat man aber trotzdem nicht umbenannt.

4 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 373: 1992 QB1“
  1. „Pluto […] schafft zwei Runden um die Sonne in ziemlich genau der gleichen Zeit die Neptun für drei Runden benötigt“

    In ziemlich genau der Zeit, also nicht in exakt in der Zeit. Heißt das, dass irgendwann in ferner Zukunft, Pluto doch nahe an Neptun kommen kann? Oder werden sich die Umlaufperioden so verändern, dass das nie passieren wird?

  2. @pane:

    In ziemlich genau der Zeit, also nicht in exakt in der Zeit. Heißt das, dass irgendwann in ferner Zukunft, Pluto doch nahe an Neptun kommen kann? Oder werden sich die Umlaufperioden so verändern, dass das nie passieren wird?

    Das Sonnensystem ist bekanntlich ein chaotisches System, und von aus ist letztlich alles möglich. Bis auf weiteres sollte die Resonanz zwischen Neptun und Pluto stabil sein, und das ist nach menschlichem Ermessen ein ziemlich langer Zeitraum.

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