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Sternengeschichten Folge 584: B2FH und die Entstehung der Atome

„Die Sterne, die Sterne bilden unsre Sinnesart“ und „Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, Durch eigne Schuld“. Mit diesen beiden Zitaten von William Shakespeare beginnt ein wissenschaftlicher Fachartikel, der im Oktober 1957 veröffentlicht worden ist. Er trägt den Titel „Synthesis of the Elements in Stars“, also auf deutsch: „Entstehung der Elemente in Sternen“ und wurde von Margaret Burbidge, Geoffrey Burbidge, William Fowler und Fred Hoyle verfasst. Aus den Anfangsbuchstaben ihrer Nachnamen setzt sich auch der Spitzname dieses Artikels zusammen: B2FH. Und die Tatsache, dass ein wissenschaftlicher Fachartikel einen Spitznamen bekommen hat zeigt schon, dass es sich um eine ganz besondere Arbeit handeln muss. Es geht um nichts weniger als den Ursprung der Atome, der damals 1957 endlich verstanden wurde.

Wir müssen aber ein wenig früher beginnen. Vor 1957 und eigentlich noch viel, viel weiter in der Vergangenheit. Heute wissen wir, dass das Universum vor circa 13,8 Milliarden Jahren begonnen hat. Damals ist in einem sehr kurzen Zeitraum sehr viel Energie freigeworden und daraus haben sich die ersten Bausteine der Materie gebildet. Protonen, Neutronen und Elektronen, also die Teilchen, aus denen die Atome bestehen. Damals aber noch nicht bestanden haben, und das ist der Punkt. Wir sehen heute eine Welt, die voll mit unterschiedlichsten Atomen ist. Mit Wasserstoff und Helium, aus dem die Sterne bestehen. Aber auch mit Kohlenstoff, der die Grundlage für das Leben bildet oder mit Sauerstoff, den dieses Leben atmet, zumindest hier auf der Erde. Wir sehen Silizium, wir sehen Eisen, wir sehen Gold, und so weiter. All diese chemischen Elemente unterscheiden sich durch die Anzahl der Protonen und Neutronen in ihrem Atomkern und die der Elektronen in ihrer Atomhülle. Aber wie sind sie entstanden? Wie haben sich die ganzen Protonen, Neutronen und Elektronen zu den verschiedenen Elementen zusammengefunden? Und vor allem: Wann und wo haben sie das getan?

Als man in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts angefangen hat, sich genau darüber Gedanken zu machen, wusste man noch nicht viel über die Entstehung und Entwicklung des Universums. Man hatte gerade erst entdeckt, dass das Universum expandiert, aber mehr Details kannte man nicht. Viele Menschen sind wegen dieser Expansion davon ausgegangen, dass das Universum einen Anfang gehabt haben muss. Wenn es in der Vergangenheit kleiner war als heute und noch weiter in der Vergangenheit noch kleiner: Dann muss es zwangsläufig irgendwann mal mehr oder weniger ein Punkt gewesen sein. Aber es gab keine wirklich guten Belege für diese Behauptung. Und durchaus auch Alternative, wie zum Beispiel das Steady-State-Universum, von dem ich in Folge 491 ausführlich erzählt habe. Diese Hypothese besagt, kurz zusammengefasst, dass das Universum zwar expandiert – diesen Beobachtungsbefund konnte man nicht ignoriere – aber trotzdem ändert sich nichts. Soll heißen: Die Galaxien streben auseinander, aber im Raum dazwischen entsteht ständig spontan neue Materie, aus der dann neue Galaxien entstehen, die wieder auseinander streben, und in den neuen Zwischenräumen entsteht wieder neue Materie, und so weiter: Am Ende kriegt man ein expandieres Universum, das zu jedem Zeitpunkt quasi gleich aussieht; unendlich groß und ohne Anfang und Ende.

Wie gesagt: Damals war das plausibel beziehungsweise genau so viel oder wenig plausibel wie die konkurrierende Urknalltheorie. Was hat das aber jetzt alles mit den Elementen zu tun? Die Frage nach der Entstehung des Universums ist deswegen wichtig, weil sie Einfluss auf die Art und Weise hat, wie die Elemente entstehen können. Der Physiker George Gamow zum Beispiel hat maßgeblich dazu beigetragen, die Theorie eines Urknalls zu entwickeln. Und schon in den 1930er Jahren darüber nachgedacht, wie dabei die chemischen Elemente entstehen können. Wenn, so seine Idee, damals die Protonen, Neutronen und Elektronen entstanden sind und auch alles noch extrem heiß und extrem dicht beieinander war, dann können die Atomkernbausteine ja miteinander verschmelzen und die diversen Atome bilden. Um den Wasserstoff muss man sich sowieso keine Gedanken machen, der besteht ja sowieso nur aus einem Proton im Kern, der ist quasi schon von Anfang an fertig. Wenn zwei Protonen (und zwei Neutronen) miteinander fusionieren, dann kriegt man ein Helium-Atom; wenn die Helium-Atome fusionieren, dann kriegt man noch schwerere Elemente, und so weiter. Die extremen Bedingungen nach dem Urknall haben dafür gesorgt, dass die ganzen Atome durch Fusion entstanden sind. Klingt gut, ist aber problematisch. Vor allem, weil die Sache schwierig wird, wenn man bei Helium angelangt ist.

Wo kommt das alles her? (Bild: gemeinfrei)

Helium hat zwei Protonen im Atomkern und zwei Neutronen. Also insgesamt vier Kernbauteilchen, sogenannte Nukleonen. Wenn da jetzt noch ein Nukleon dazu kommt, dann gibts ein Problem. Es gibt keine stabilen Atomkerne mit fünf Nukleonen. So ein Ding zerfällt sofort wieder. Gut, könnte man sagen. Dann schmeißen wir einfach zwei Helium-Atome zusammen, dann haben wir ein Atom mit acht Nukleonen. Kann man machen, aber dann kriegt man wieder ein instabiles Atom. Wir müssen aber irgendwie zu Kohlenstoff kommen, ein Atom mit sechs Protonen und sechs Neutronen, also zwölf Nukleonen. Diese Lücke zu überspringen; das „Fünf-Nukleonental“ zu überwinden und bei Kohlenstoff zu landen: Da hatte niemand so recht eine Idee, wie das gehen könnte.

Beziehungsweise stimmt das nicht ganz: Man kann natürlich überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass zwei Helium-Atome fusionieren und dann ein Beryllium-8-Atom bilden. Das ist zwar das instabile Ding, das ich vorhin erwähnt habe, aber vielleicht knallt ja gerade in der extrem kurzen Zeit, in der es noch existiert, ein drittes Helium-Atom dazu und wir kriegen stabilen Kohlenstoff? Sowas nennt sich ein „Drei-Alpha-Prozess“ und rein theoretisch kann es passieren. Rein praktisch braucht es dafür aber eine ausreichend große Menge an Helium-Atome und natürlich auch ausreichend hohe Temperaturen. Heiß genug war es nach dem Urknall, aber es wäre nicht genug Helium da gewesen.

Und jetzt kommt Fred Hoyle. Das ist einer der vier, die den B2FH-Artikel geschrieben haben, um den es ja heute eigentlich gehen sollte. Und Hoyle war es auch, der in den 1940er Jahren mit zwei Kollegen die Theorie des Steady-State-Universums entwickelt hat und deswegen war er kein großer Fan des Urknalls. Hoyle fand die Sache so bescheuert, dass er in einer Radiosendung die Idee eines Universums mit einem Anfang mit dem Begriff „Big Bang“ lächerlich machen wollte. Was nicht so ganz funktioniert hat, denn das wurde später zum offiziellen Begriff um diesen Urknall zu beschreiben. Aber weil Hoyle den Urknall abgelehnt hat, war er natürlich auch davon überzeugt, dass die chemischen Elemente NICHT zu Beginn des Universums entstanden sein konnten. Wie denn auch, wenn es seiner Meinung nach keinen Beginn gegeben hat. Es muss also anderswo passiert sein, und da kommen eigentlich nur die Sterne in Frage. In ihrem Inneren ist es auch sehr heiß, das Material dort ist auch sehr dicht und besteht auch vor allem aus Wasserstoff und Helium. Da können die Atome auch fusionieren und neue chemische Elemente produzieren. Aber können sie das wirklich? Um das zu berechnen, muss man den Wirkungsquerschnitt der Atome kennen; also – vereinfacht gesagt – wissen, wie leicht sie mit anderen Atomen verschmelzen. Solche Messungen waren damals noch vergleichsweise neu, aber bei einem Besuch in den USA fand Hoyle entsprechende Werte bei einem Kollegen und nutze sie, um eine erste Arbeit zu schreiben, die zeigen sollte, wie die Atome im Inneren von Sternen entstehen. Darin war aber noch sehr viel nicht erklärt, unter anderem die Sache mit der unüberwindbaren Lücke bei fünf Nukleonen.

Zurück an seiner Heimatuni in Cambridge, in England, setzte Hoyle einen Doktoranden auf das Problem an, der aber die Uni verließ, bevor er damit fertig war. Ein paar Jahre später, 1952, war es dann der amerikanische Astrophysiker Edwin Salpeter, der zeigen konnte, dass der Drei-Alpha-Prozess im Inneren von bestimmten Sternen durchaus funktionieren kann. Aber auch diese Arbeit war in Details noch nicht ausgearbeitet und Hoyle dachte sich, dass er diese Sache jetzt endlich vernünftig zu Ende bringen sollte. Bei einem weitere Besuch in den USA, am Caltech in Kalifornien, überzeugte er den Kernphysiker William Fowler davon, in seinem Labor ein paar Messungen anzustellen. Ich lasse die Details jetzt aus, aber es ging um folgendes: Wenn ein Kohlenstoff-Atom einen ganz bestimmten angeregten Zustand haben kann, also eine ganz bestimmte Menge Energie aufnehmen kann, dann kann das mit dem Drei-Alpha-Prozess in Sternen doch noch vernünftig funktionieren. Hoyle überzeugte Fowler, nach diesem Zustand zu suchen und die Suche war erfolgreich. Jetzt war auch Fowler mit an Bord und wollte mit Hoyle gemeinsam den Rest der Atomentstehung klären. Er reiste nach Cambridge, um dort mit Hoyle zu arbeiten. Der hatte aber keine Zeit, weil er an der Uni so viele Vorlesungen halten musste. Zum Glück waren damals aber auch Margaret und Geoffrey Burbidge dort und mit denen machte sich Fowler an die Arbeit.

Ein Jahr später trafen sich alle vier bei Fowler am Caltech und begannen, die Sache gemeinsam zu bearbeiten. Aber die Burbidges mussten wieder zurück und mussten sich vor allem neue Stellen suchen, weil ihr Vertrag in Cambridge auslief. Fowler wollte sie unbedingt dauerhaft ans Caltech holen. Er hatte Einfluss dort und wollte für Geoffrey, der Theoretiker war, eine Stelle in seinem Institut besorgen und für Margaret, die beobachtenden Astronomin war, eine Position an der nahen Mount Wilson Sternwarte. Der Direktor dort meinte aber, er könne leider keine Frau anstellen, weil es keine passenden Toiletten für sie geben würde. „Dann geh ich halt in die Büsche“, soll Margaret darauf gesagt haben, aber Fowler hat eine bessere Idee gehabt. Er hat Margaret eine Stelle am Caltech besorgt und für Geoffrey eine am Mount Wilson. Da konnte er zwar als Theoretiker nichts anfangen, aber er brachte einfach jedesmal Margaret mit, die dort dann ihre Arbeit am Teleskop erledigte, während er in einem der Büros seine theoretische Arbeit gemacht hat. Ob irgendwer die Büsche benutzen musste, weiß man nicht…

Auf jeden Fall waren jetzt Fowler und die Burbidges in Kalifornien und Hoyle immer wieder zu Besuch. Jetzt konnten sie ihre Arbeit weiter treiben und den später berühmten Artikel schreiben. Dafür nutzten sie ihre eigene Forschung und trugen alle möglichen andere Arbeiten anderer Leute organisiert zusammen. Am Ende hatten sie einen gut 100 Seiten langen Artikel, der genau erklärte, wo die ganzen Elemente herkommen. Leichtere Atome, wie Kohlenstoff oder Sauerstoff werden in den großen Sternen fusioniert; bei schwereren geht das nicht mehr, aber auch da machten die vier Vorschläge für entsprechende Prozesse. Zum Beispiel Supernova-Explosionen und so weiter; darüber habe ich ja schon in anderen Folgen der Sternengeschichten gesprochen.

Im B2FH-Artikel war nicht jedes letzte Detail der Entstehung der Elemente geklärt, aber das erste Mal gab es einen plausiblen Überblick darüber, wo und wie die ganzen unterschiedlichen Atome entstanden sind. Belegt durch Beobachtungsdaten, unterstützt durch theoretische Berechnungen: Es war ein revolutionäres Stück Astronomie. Die Nukleare Astrophysik, also die Wissenschaft der kernphysikalischen Vorgänge bei astronomischen Phänomen, konnte sich dadurch als ernsthafte Disziplin etablieren und niemand zweifelte mehr daran, dass es die Sterne sind, in denen die chemischen Elemente produziert werden.

Es war Arbeit, die eines Nobelpreises würdig war und der wurde 1983 auch verliehen. Allerdings, etwas überraschend und unverständlicherweise, nur an William Fowler. Warum Margaret und Geoffrey Burbidge ausgelassen wurden, weiß man nicht. Bei Fred Hoyle sagen die Gerüchte, dass er vom Nobelpreis-Kommittee ignoriert wurde, weil er neben seiner genialen Forschung auch so viel an unorthodoxen Theorien arbeitete (und das ist noch sehr freundlich ausgedrückt); er hielt auch dann noch an seinem Steady-State-Universum fest, als schon längst klar war, dass es den Beobachtungen widerspricht; er dachte, dass Krankheiten durch Bakterien aus dem Weltall verursacht werden, und so weiter. So oder so: Alle vier von B2FH hätten den Preis verdient und alle vier haben auch immer wieder gesagt, dass alle gleichermaßen dazu beigetragen haben.

William Fowler starb 1995, Fred Hoyle im Jahr 2001, Geoffrey Burbidge im Jahr 2010 und Margaret Burbidge 2020, im Alter von 100 Jahren. Über all ihre Karrieren könnte man noch jede Menge Geschichten erzählen. Aber das mache ich dann in anderen Folgen der Sternengeschichten.

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