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Sternengeschichten Folge 561: Die Entstehung des Universums aus dem Nichts
„Das Universum ist eines der Dinge, die von Zeit zu Zeit einfach passieren“. Je nachdem, wie lange man über diesen Satz nachdenkt, ist er entweder eine flapsige Bemerkung oder eine sehr tiefgründige Aussage. Tatsächlich stammt der Satz aus einer wissenschaftlichen Arbeit, die im Jahr 1973 veröffentlicht worden ist und zwar von Edward Tryon. Ein Name, den kaum jemand kennt; selbst innerhalb der Wissenschaft nicht und das obwohl Tryon der erste war, der sich ernsthaft wissenschaftliche Gedanken über die Entstehung des Universums gemacht hat.
Bevor wir aber zu Tryon kommen und zu seiner Arbeit, müssen wir zuerst ein paar mögliche Missverständnisse aus dem Weg schaffen. Denn vielleicht denkt jetzt der eine oder die andere: Moment mal, die Urknalltheorie ist doch viel älter als 1973! Das stimmt, aber das, was landläufig als „Urknalltheorie“ bekannt ist und wissenschaftlich korrekt als Lambda-CDM-Modell bezeichnet werden muss, ist eine kosmologisches Modell, das die ENTWICKLUNG des Universums beschreibt. Es geht darin um die Entstehung der ersten Elementarteilchen; darum, wie sich aus diesen Teilchen die ersten Atome entwickelt haben, daraus die ersten Sterne, und so weiter. Es geht um die fundamentalen physikalischen Kräfte und wie die sich unter den extrem Bedingungen im sehr, sehr frühen Universum verhalten haben. Das Urknallmodell ist sehr gut darin zu beschreiben, wie sich unser heutiges Universum aus einem extrem dichten, extrem heißen Anfangszustand vor 13,8 Milliarden Jahren entwickelt hat. Es macht aber keine Aussagen darüber, wie das Universum selbst entstanden ist!
Und das ist ja eine ziemlich fundamentale Frage: Warum gibt es das Universum überhaupt? Dass es da ist, ist offensichtlich und Astronomie und Kosmologie sind recht gut darin, zu beschreiben wie es funktioniert und was darin alles passiert. Aber warum ist es da? Warum gibt es etwas und nicht einfach nur nichts? Das ist natürlich eine zutiefst philosophische Frage; es ist eine Frage mit der sich alle Religionen der Welt auf die eine oder andere Weise beschäftigt haben. Und es ist eine Frage, die von der Wissenschaft die längste Zeit über ignoriert worden ist. Beziehungsweise ist „ignoriert“ vielleicht der falsche Begriff. Man hat festgestellt, dass die Wissenschaft nicht in der Lage ist, darüber irgendwelche sinnvollen Aussagen zu treffen und deswegen darauf verzichtet, das zu tun.
Aber prinzipiell gibt es keinen Grund, nicht doch auch auf wissenschaftliche Weise über Fragen dieser Art nachzudenken. Ansonsten würde man ja in der Forschung nie zu etwas kommen. Womit wir bei Edward Tryon wären. Geboren wurde er am 4. September 1940 in Terre Haute, in den USA und studierte an der Cornell Universtät Physik. Später machte er sein Doktorat in Berkeley an der Uni von Kalifornien wobei er vom Nobelpreisträger Steve Weinberg betreut wurde. Weinberg war nicht nur einer der Mitbegründer des Standardmodells der Teilchenphysik sondern hat sich auch mit Kosmologie beschäftigt. Es ist also nicht verwunderlich, wenn auch Tryon über die Verbindungen zwischen den ganzen großen und den ganz kleinen Dingen nachgedacht hat. Denn das ist genau das, was man braucht, wenn man es mit der Entstehung und Entwicklung des Universums zu tun hat. Das Universum ist heute groß; war aber früher klein. Und irgendwann kleiner als die kleinsten Objekte die wir uns vorstellen können. Wenn wir irgendwas über seine Entstehung herausfinden wollen, müssen wir uns zwangsläufig mit den Phänomenen der Teilchenphysik und der Quantenmechanik beschäftigen.
Wenn es um so etwas höchst abstrakes wie die Entstehung des Universums selbst geht, gibt es – neben allen anderen Problemen – zwei grundlegende Probleme. Zuerst wäre da einmal die fundamentale Energieerhaltung. Wieso kann „etwas“ einfach aus dem „nichts“ heraus entstehen? Alle bekannten Gesetze der Naturwissenschaft sagen uns, dass es nicht möglich ist, dass irgendwas „einfach so“ zu existieren beginnt. Und zweitens: Wenn da einfach nur nichts ist, welchen Grund; welche Ursache sollte es geben, damit aus dem Nichts ein „etwas“ wird? Wir haben also Probleme mit der Kausalität, also den Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung und mit den Erhaltungssätzen, wenn wir erklären wollen, wie das Universum entstanden ist.
Und jetzt sind wir bei Vakuumfluktuationen. Das war auch das Wort, mit dem Edward Tryon zuerst für Gelächter und erst sehr viel später für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Bei einem Vortrag des britischen Kosmologen Dennis Sciama hat Tryon in einer Pause die Bemerkung gemacht, dass das Universum vielleicht eine Vakuumfluktuation sein könnte. Damals hielten das alle für einen Witz; erst später wurde klar, dass Tryon das durchaus ernst gemeint hatte. Und zwar 1973, als sein Aufsatz mit dem Titel „Ist das Universum eine Vakuumfluktuation?“ in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlich wurde. Der berühmte Kosmologe Alan Guth, der maßgeblich zum Verständnis der allerersten Vorgänge im Universum beigetragen hat, hat Tryons Bemerkung und späteren Aufsatz als „wahrscheinlich erste wissenschaftliche Idee über die Herkunft des Universums „bezeichnet und wenn wir verstehen wollen, um was es dabei geht, müssen wir die Sache mit den Vakuumfluktuationen ein wenig genauer ansehen.
Was soll das sein; ein Vakuum ist ja nichts und wie soll das Nichts fluktuieren; sich also verändern? Klingt alles sehr paradox, aber wenn man es mit der Quantenmechanik zu tun hat, dann kommt man um solche paradox erscheinenden Phänomene nicht umhin. Ich habe vorhin erwähnt, dass nicht einfach irgendwas aus dem Nichts entstehen kann. Nur dass das in der Quantenmechanik unter Umständen durchaus möglich ist. Tryon schreibt in seiner Arbeit „In der Quantenelektrodynamik ist es zum Beispiel möglich, dass ein Elektron, ein Positron und ein Photon spontan aus dem Vakuum entstehen. Wenn das passiert, existieren die drei Teilchen für einige Zeit, bevor sie sich gegenseitig auslöschen und keine Spur zurück lassen. Das spontane, zeitlich begrenzte Auftauchen von Teilchen aus einem Vakuum wird Vakuumfluktuation genannt und ist ein völlig normales Phänomen in der Quantenfeldtheorie.“
Soweit Tryon im Jahr 1973; und bevor ich weiter erzähle, möchte ich noch anmerken, dass die Sache mit den Vakuumfluktuationen WIRKLICH knifflig ist. Das, was Tryon da beschreibt ist nicht exakt das, was man heute unter Vakuumfluktuationen versteht; da geht es um virtuelle Teilchen und eigentlich geht es um sehr viel Mathematik, die man mit der Existenz realer oder virtueller Teilchen veranschaulichen kann aber nicht unbedingt muss und vielleicht auch nicht in allen Fällen veranschaulichen sollte. Ich beschränke mich jetzt auf die eher allgemeine Beschreibung, dass laut dem, was wir durch die Quantenmechanik wissen, durchaus Teilchen „einfach so“ entstehen können. In der Quantenmechanik geht es um Statistik und Wahrscheinlichkeiten; man kann zum Beispiel nicht exakt sagen, wo sich ein Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit angeben, mit der es sich an einem bestimmten Ort befinden könnte. Und auch das mit dem Vakuum ist nicht so einfach. Das ist nicht einfach leer, sondern voll mit Quantenfeldern, die zwar nicht nichts sind, aber eigentlich auch nicht etwas, sondern eher das Potenzial für etwas. Was aber genaugenommen eine enorm und zu sehr vereinfachende Beschreibung ist; aber egal – Quantenfelder sind etwas, aus dem Teilchen spontan entstehen können.
Wir haben aber immer noch ein Problem mit der Energieerhaltung. Das Universum ist voll mit Energie (und Masse, was aber ja eigentlich das selbe ist). Die kann nicht aus dem Nichts kommen, soweit wir wissen. Aber auch das hat sich Tryon überlegt. Die ganze Masse, all die Sterne, die Galaxien und alles andere im Universum stellen eine enorme Menge an Energie dar, das stimmt. Aber die Gravitationskraft, die zwischen all diesen Objekten wirkt, kann man in diesem Zusammenhang als eine Art von negativer Energie interpretieren. Das kann man sich vielleicht mit diesem Vergleich besser vorstellen: Wenn ich einen schweren Stein in den 20. Stock eines Hochhauses trage, dann muss ich dafür Energie aufwenden, weil ich ihn durch das Gravitationsfeld der Erde bewege und diese Gravitation den Stein eigentlich am Boden liegen lassen möchte. Der Stein im 20. Stock hat jetzt eine sogenannte „potentielle“ Energie und was für ein Potenzial das ist, kann man beobachten, wenn man den Stein von dort zu Boden fallen lässt. Der Stein gewinnt an Energie, wenn er fällt. Oder anders gesagt: Ein Stein hoch oben hat eine größere potenzielle Energie als einer der Boden liegt. Der am Boden hat eine potenzielle Energie gleich Null; was man auch daran merkt, dass so ein Stein wenig macht; der liegt nur rum und wenn man will, dass er was tut, muss man Energie zuführen. Ich könnte jetzt auch ein Loch buddeln, und einen Stein, den ich dort hineinwerfe, hätte dann eine negative potenzielle Energie, denn ich muss Energie aufwenden, um ihn wieder auf das Nullniveau, das heißt die Erdoberfläche zu heben. Das gilt jetzt aber nur für die Erdoberfläche, weil wir in diesem Beispiel das Nullniveau eben genau auf dort festgelegt haben. Man kann sich aber auch überlegen, wo die Gravitationskraft zwischen zwei Objekten tatsächlich gleich Null ist: Nämlich dann, wenn sie unendlich weit voneinander entfernt sind. Das eigentliche Nullniveau für die Gravitationsenergie liegt also vereinfacht gesagt unendlich weit über unseren Köpfen. Und auf diese Weise interpretiert haben alle Objekte eine negative potenzielle Gravitationsenergie. Oder noch einmal anders gesagt: Die Gravitation kann als negative Energie betrachtet werden und Tryon hat sich überlegt, dass diese negative Energie ja vielleicht genau die positive Energie der Masse im Universum ausgleichen könnte. Insgesamt betrachtet wäre das Universum dann also etwas, was eine Energie von Null hätte und wenn so etwas dann einach spontan aus dem Vakuum ploppt, sollte das kein Problem mehr sein.
Jetzt ist die Sache natürlich sehr viel komplexer; das, was ich bis jetzt erklärt habe, ist sehr stark vereinfacht und dazu kommt, dass man seit 1973 auch ein paar neue Dinge herausgefunden hat. Man hat die Quantenmechanik besser verstanden; hat Phänomene wie die dunkle Energie entdeckt, die ja auch so eine Art Gegenkraft zur Gravitation ist, und so weiter. Aber der prinzipielle Befund von Tryon bleibt – mit diversen Modifikationen – immer noch bestehen. Das Universum könnte eine Vakuumfluktuation sein. Es könnte „einfach so“, aus dem Nichts heraus entstanden sein.
Gelöst ist die Sache damit aber immer noch nicht. Natürlich nicht! Wenn das Universum einfach „nur“ eine Fluktuation im Vakuum ist, dann muss man als nächestes nämlich fragen: Was für ein Vakuum soll das denn sein? Tryon schreibt in seiner Arbeit vom „Vakuum eines größeren Raums“, in den das Universum eingebettet ist. Und der muss ja am Ende auch wieder irgendwo her kommen… Trotzdem: Tryons Idee war die erste, mit der man auf einer halbwegs seriösen wissenschaftlichen Basis darüber nachdenken konnte, wie so etwas wie das Universum selbst ENTSTEHEN kann. Und wenn wir irgendwann herausfinden sollten, dass es wirklich so war; das wir wirklich spontan aus dem Nichts entstanden sind, dann ist das definitiv ein Fortschritt in der Erkenntnis, selbst wenn wir dann noch klären müssen, in welchem übergeordneten Raum dieses Nichts sich befindet. Aber so wird es immer sein: Egal welche Art von Anfang wir für unsere Existenz finden; wir werden und müssen uns immer fragen, was denn DAVOR war. Und da hilft es auch nichts, wenn man einfach behauptet, das es kein „davor“ gibt oder dass es keinen Anfang gibt. Wir können uns nicht vorstellen, dass es etwas gibt, was kein „davor“ hat. Egal ob das jetzt eine quasi wissenschaftliche Behauptung ist, wie früher, als man dachte, das Universum hat immer schon existiert und würde bis in die Unendlichkeit weiter existieren. Oder ob man aus der Religion irgendeinen „Gott“ einführt, der angeblich „davor“ war und aus irgendwelchen Gründen aber selbst kein „davor“ braucht: Es ist unbefriedigend. Es kann gut sein, dass unser Gehirn schlicht und einfach nicht in der Lage ist, auf eine Weise zu denken, die diesen Zwiespalt auflöst. Aber wir werden nicht aufhören, darüber nachzudenken.
Tryon selbst hat das mit dem Satz kommentiert, den ich zu Beginn erwähnt habe. In seinem Artikel schreibt er: „Bezüglich der Frage, warum so etwas passiert, biete ich den bescheidenen Gedanken an, dass unser Universum einfach eines der Dinge ist, die eben von Zeit zu Zeit passieren“.
Tryon selbst hat seine Pioneerleistung nicht viel gebracht; seine Arbeit wurde lange Zeit ignoriert; erst später, als man ein besseres mathematisches Verständnis für all diese Phänomene entwickelt hat, hat man die Sache mit der Entstehung aus den Vakuumfluktuationen ernster genommen. Bekannt ist sein Name trotzdem nicht geworden, obwohl er es verdient hätte. Tryon ist am 11. Dezember 2019 gestorben und sein Nachruf in der New York Times weiß auch nicht viel mehr zu berichten als über seine akademische Ausbildung und seine Arbeit aus dem Jahr 1973. Aber immerhin wird dort erwähnt, dass er Katzen mochte und in seinen letzten Jahren immer wieder Streuner aufgenommen hat. Für eine Katze, die sich nicht in seine Wohnung getraut hat, hat er sogar eine beheizte Unterkunft gebaut.
Danke für den Artikel Florian.
Man könnte ja jetzt auch die Frage stellen, ob ausserhalb des Universums ein „Potential-Loch“ entstehen kann, in welches unser Universum dann wieder „reinfallen“ könnte 🙂
Und schon ist es wieder weg …
Überschrift:
Sternengeschichten Folge 561: Die Entstehung des Universums aus dem Nichts
Ein sehr interessanter Bericht, Herr Freistetter!
Mit diesem Thema habe ich mich einige Jahre abgeplagt und dazu meine persönliche String-Theorie erstellt. Es handelt sich dabei um eine Energie-Teilchenwelle der Länge Phi/3 mit der Bezeichnung: EsN = “Energiebestücktes schwingendes Nichts“ und kommt aus dem s. g. “Nichts“.
Eine nähere Beschreibung gibt es unter:
http://www.4-e-inigkeit.info/Hintergrundstrahlung.html
Unter dem Titel “Kurzfassung“ im Hauptartikel geht es um die Entstehung des Universums aus eben dem s. g. “Nichts“.
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M. f. G.