Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 554: Sternbeben
Wir alle wissen, was ein Erdbeben ist. So schrecklich die Folgen solcher Naturkatastrophen für uns Menschen sein können, sind Erdbeben trotzdem etwas, was auf einem geologisch aktiven Planeten wie der Erde völlig normal ist. Und wir können froh sein, dass die Erde geologisch aktiv ist, denn ohne Plattentektonik und Vulkanismus wäre der Planet nicht lebensfreundlich. Diese Phänomene sind Teil jeder Menge geologisch-chemisch-biologischer Zyklen, ohne die wir keine lebensfreundliche Atmosphäre hätten.
In dieser Folge soll es aber nicht um Erdbeben gehen, sondern um Sternbeben. Und die erste Frage die sich hier stellt lautet: Was soll denn da bitte beben bei einem Stern? Ein Stern ist eine riesige Kugel aus heißem Gas; da ist nichts, was beben kann. Das ist richtig. Aber nicht ganz richtig. Die Bewegung des Materials im Inneren der Erde sorgt dafür, dass ihre Oberfläche manchmal bebt. Und genau so kann die Bewegung des heißen Gases im Inneren eines Sterns dafür sorgen, dass der ganze Stern zu Schwingen beginnt. Ein bisschen so, wie eine Glocke, die man angeschlagen hat. Aber auch das ist nicht das, worum es in dieser Folge gehen soll. Was nicht heißt, dass die Erforschung der Sternschwingungen nicht wichtig ist! Das ist sie sehr wohl und ich habe in Folge 164 ausführlich über die „Asteroseismologie“ gesprochen, also die Disziplin, die sich genau damit beschäftigt.
Das, wovon ich in dieser Folge sprechen möchte, sind Ereignisse, die nicht bei normalen Sternen vorkommen und der Begriff „Sternbeben“ ist daher auch ein wenig missverständlich. Er wird aber trotzdem so verwendet, wie das halt oft ist in der Wissenschaft. Für die Sternbeben, um die es heute gehen soll, müssen wir uns Neutronensterne ansehen. Also das, was von einem großen Stern übrig bleibt, nachdem der mangels Brennstoff die Kernfusion eingestellt hat. So ein Stern schleudert seine äußeren Schichten bei einer großen Explosion hinaus ins All, während gleichzeitig sein inneren Kern extrem kollabiert. Die Materie dort wird so sehr verdichtet, dass am Ende ein Objekt übrig bleibt, das circa so schwer ist wie die Sonne, aber nur noch ein paar Dutzend Kilometer groß.
Ein Neutronenstern ist keine Kugel aus Gas mehr. Er besteht überhaupt nicht mehr aus irgendwelchen identifizierbaren chemischen Elementen; die Struktur normaler Atomkerne kann bei der extremen Dichte des Materials eines Neutronensterns nicht mehr aufrecht erhalten werden. Bis auf die äußerste Schicht; die besteht bei einem Neutronenstern aus einer Kruste aus den Kernen von Eisenatomen. Diese Kruste ist aber maximal ein paar Dutzend Meter dick, darunter nimmt der Anteil an Neutronen immer weiter zu. Diese Teilchen sind es ja auch, die dem Objekt seinen Namen gegeben haben. Normalerweise können Neutronen nicht frei existieren; sie müssen zusammen mit den elektrisch positiv geladenen Protonen in einem Atomkern verbunden sein. Ein ungebundenes Neutron ist instabil und wandelt sich schnell in ein Proton und ein Elektron um. Und ein Antineutrino ist bei diesem Prozess auch noch dabei, aber das ist jetzt gerade nicht wichtig.
In einem Neutronenstern herrscht aber ein so immenser Druck, dass – vereinfacht gesagt – die Elektronen sofort wieder in die Protonen zurück gequetscht werden. Ein Neutron kann also gar nicht zerfallen. In den inneren Schichten besteht ein Neutronenstern also tatsächlich fast komplett aus Neutronen und was ab einer Tiefe von circa 10 Kilometern, also schon im Kern des Neutronensterns passiert, wissen wir noch nicht exakt. Man vermutet, dass dort vielleicht nicht einmal mehr Neutronen existieren können, sondern dass der Druck so hoch ist, dass dort freie Quarks existieren. Quarks sind die Elementarteilchen, aus denen Protonen und Neutronen bestehen und auch sie können normalerweise nicht alleine vorkommen. Sie müssen immer mit anderen Quarks verbunden sein und eben Neutronen oder Protonen bilden. Aber unter den extremen Bedingungen im Kern eines Neutronensterns könnte es anders sein.
Wie es wirklich ist, wissen wir aber noch nicht. Wir können die Bedingungen im Inneren eines Neutronensterns nicht im Labor oder mit Teilchenbeschleunigern nachstellen und wir können auch nicht in einen Neutronenstern hinein schauen. Zumindest nicht direkt und jetzt sind wir bei den Sternbeben angelangt. Genau so wie die Erdbeben ein wichtiges Instrument sind, um die Vorgänge im Inneren der Erde zu verstehen, können die Sternbeben uns helfen, das Innere der Neutronensterne zu erforschen.
Dazu müssen wir uns noch einmal klar machen, wie enorm hoch die Dichte dieser Himmelskörper ist. Seine mittlere Dichte beträgt typischerweise 1 Billiarde Gramm pro Kubikzentimeter. Oder anders gesagt: Ein Zuckerwürfelgroßes Stück würde ungefähr eine Billion Kilogramm wiegen, was ungefährt so viel ist wie eine Milliarde Autos. Man kann sich also vorstellen, dass auf der Oberfläche eines Neutronensterns eine enorme Anziehungskraft herrscht. Beziehungsweise kann man es sich vermutlich nicht vorstellen, wie denn auch! Auf der Erde gibt es hohe Berge und tatsächlich sind die Berge bei uns ungefähr so hoch, wie sie theoretisch sein können. Wären sie noch höher, dann würden sie unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen. Wenn die Erde eine höhere Dichte hätte und damit eine höhere Anziehungskraft, dann wären auch die Berge niedriger. Auf einem Neutronenstern kann es auch Berge geben – die können dann aber maximal ein paar Millimeter hoch sein. Alles andere ist bei der dort herrschenden Anziehungskraft nicht möglich.
Was Neutronensterne außerdem tun: Extrem schnell rotieren. Auch das ist ein klassischer Effekt: Wenn eine rotierende Masse komprimiert wird, muss sie sich schneller drehen als vorher. Das liegt an der Drehimpulserhaltung und man kann das leicht im Alltag ausprobieren. Setzt euch auf einen Drehstuhl, dreht euch und streckt dabei die Arme aus. Wenn ihr euch jetzt komprimiert, also die Arme dicht an den Körper führt, dann werdet ihr euch schneller drehen. Bei einem Neutronenstern wurde die ganze Masse eines Sterns auf ein paar Dutzend Kilometer verdichtet und dementsprechend stark hat sich die Rotationsgeschwindigkeit erhöht. So ein Ding kann sich bis zu ein paar 1000 Mal pro Sekunde um seine Achse drehen. Das führt dazu, dass die Form eines Neutronensterns nicht exakt kreisförmig ist. So wie auch die Erde ein wenig abgeplattet ist, weil sie rotiert, ist das auch ein Neutronenstern. Im Laufe der Zeit nimmt die Rotationsgeschwindigkeit eines Neutronensterns aber ab. Das hat unterschiedliche Gründe. Ein Neutronenstern kann auch ein extrem starkes Magnetfeld haben; so wie sich die Rotationsgeschwindigkeit erhöht, wenn der Stern verdichtet wird, verstärkt sich auch das Magnetfeld. Es kann sein, dass die magnetischen Pole dieses Magnetfeldes nicht mit der Ausrichtung der Rotationsachse übereinstimmen. Bei der Erde fallen magnetischer Nord- und Südpol ja auch nicht exakt mit den geografischen Polen zusammen. Wenn das bei einem Neutronenstern der Fall ist, dann erzeugt er sehr starke Strahlung, die er dann entlang seines Magnetfeldes ins All schleudert – wie das genau passiert habe ich ja schon in Folge 142 erklärt.
So oder so: Die Energie für diese Strahlung wird aus der Rotationsenergie abgezweigt. Und je langsamer ein Neutronenstern rotiert, desto kreisförmiger will er werden. In seiner Kruste baut sich immer mehr Spannung auf, die sich irgendwann dann explosiv bei einem Sternbeben entlädt, genau so wie es ja auch bei einem Erdbeben ist. Spannungen kann es auch geben, wenn die Kruste unterschiedlich schnell rotiert als die darunter liegenden Schichten. Dann entstehen sehr starke Magnetfelder und durch die unterschiedlichen Rotationsgeschwindigkeiten verzwirbeln die sich immer stärker, bis auch diese Spannungen sich bei einem gewaltigen Sternbeben lösen. Es gibt noch mehr Effekte, die eine Rolle spielen, unter anderem das sogenannte Frame-Dragging, aber dafür müssten wir jetzt auch noch mit der Relativitätstheorie anfangen, und das würde zu weit führen.
Jedenfalls: In der Kruste eines Neutronensterns kann es zu Beben kommen. Ein sehr gewaltiges Sternbeben hat man am 27. Dezember 2004 registriert. So stark wie damals war bis dahin kein Sternbeben gewesen; es war die hellste Explosion die man bis dahin außerhalb des Sonnensystems beobachtet hatte. Stattgefunden hat sie bei SGR 1806-20, ein Neutronenstern der sich 42.000 Lichtjahre entfernt befindet, dort am Himmel wo das Sternbild Schütze ist. Innerhalb von winzigen Sekundenbruchteilen ist die Kruste des Objekts explosiv aufgebrochen und eine gewaltige Menge an Strahlung ist dadurch frei geworden. In einer Zehntelsekunde wurde mehr Energie frei, als die gesamte Sonne in 150.000 Jahren abstrahlt. Hätte sich der Neutronenstern innerhalb eines Radius von 10 Lichtjahren von der Erde befunden, hätte diese extreme Strahlungsmenge die Ozonschicht zerstört und unter Umständen ein Massensterben ausgelöst.
Das war aber ja nicht der Fall; stattdessen konnte man das Ereignis nutzen, um mehr über den Neutronenstern herauszufinden. Eine genaue Analyse der abgegeben Strahlung zeigt, dass der Stern sehr schnell pulsiert haben muss; er hat geschwungen wie eine angeschlagene Glocke und anhand dieser Schwingungen konnte man zum Beispiel abschätzen, dass die äußere Kruste in diesem Fall knapp 1,5 Kilometer dick sein muss. Nicht jedes Sternbeben ist allerdings so stark wie dieses und die schwächeren Beben die wir registriert haben, haben nicht genug Informationen geliefert, um auch dort mehr über den Aufbau der Neutronensterne zu erfahren. Aber das Mega-Beben aus dem Jahr 2004 wird nicht das letzte gewesen sein. Und je mehr wir davon beobachten, desto eher finden wir heraus, was im Inneren der Neutronensterne passiert. Mit besseren Teleskopen, besseren theoretischen Modellen und ein wenig Glück finden wir vielleicht auch bei einem zukünftigen Beben einen Nachweis für freie Quarks im Kern der Neutronensterne. Das wäre dann eine wirklich tolle Entdeckung, denn mit dem, was wir auf der Erde bauen können, würden wir die für so einen Nachweis nötigen Energien niemals hinkriegen. Dafür müssen wir die viel gewaltigeren natürlichen Labore der Neutronensterne und ihrer Beben nutzen.
Eindrucksvoll beschrieben hat so ein Sternbeben übrigens der amerikanische Astrophysiker und Science-Fiction-Autor Robert L. Forward in seinem Roman „Starquake“ (deutsch „Sternbeben“), der Fortsetzung von „Dragon’s Egg“ (deutsch „Das Drachenei“), wo die Entwicklung einer Zivilisation(!) auf einem Neutronenstern(!) geschildert wird…
War das nicht die Geschichte mit den superplatten Fast-2-D-Lebewesen?
Eben jene! Und nach diesem Sternbeben holen sich die Bewohner des Neutronensterns ihre Daten vom Raumschiff der Menschen im Orbit zurück und bauen ihre Zivilisation wieder neu auf. Durch die stark unterschiedliche Zeitwahrnehmung sind die letzten zu übertragenen Daten aber nur noch aus wissenschaftlicher Sicht interessant, weil die bereits längst wiederhergestellt werden konnten.
moin Bullet, das erinnert mich eher an die ‚Kellerasseln‘ in Hal Clements Mission of Gravity.
Aber die leben auf einem Planeten, auch wen es eine Supererde mit hoher Eigenrotation und extremer Polabplattung ist. Wenn ich mich recht erinnere, beträgt die Schwerkraft am Äquator 2-3 g und wächst zu den Polen hin auf über 100 g.
Es ging nicht um den Wohnort, sondern um die topologische Beschreibung.
Übrigens sinds im Buch nicht >100, sondern unbescheidene 700g – auch wenn der Autor (gemäß EN-wiki) später meinte, ‚real‘ wären eher so 250g zu erwarten. Ändert aber nix am (damals in den 70ern beim Lesen) ungemein spannend empfundenen plot, dessen Details sich bis heute noch an den Hirnwindungen festkrallen…
Tja, wie auch immer: Die Bewohner des Neutronensterns sind meiner Erinnerung zufolge noch um einiges platter (und formloser) als die Arthropoden von Hal Clement. Man könnte sich sich wohl vorstellen als so eine Art Amöben.
Spüren die nicht auch die Magnetfeldlinien? So dass Bewegung entlang dieser Linie relativ leicht, quer dazu aber extrem schwer ist? Ich habe aber alle vier Bücher schon lange nicht mehr gelesen.
Ungewöhnliches hat aber auch Larry Niven mit seinem schwebenden Wald geschaffen. Da kreist um einen Neutronenstern ein Torus mit (zum Teil) atembarer Atmosphäre, und die Nachfahren gestrandeter menschlicher Raumfahrer leben in den Wipfeln frei schwebender „Integralbäume“. Der Name rührt daher, dass die Bäume dermaßen groß sind, dass sich durch Gezeitenkräfte diese Wipfel wie die Enden eines Integralsymbols biegen und dort also eine leichte Gravitation zu spüren ist. Die Bäume als Ganzes kreisen im freien Fall um den Neutronenstern. Blöd nur, dass durch Störungen die Bäume aus der habitablen Zone driften und zu vertrocknen beginnen, bis ein Wipfel mit einem kleineren Teil des Stamms abbricht. Der Rest des Baumes stabilisiert sich danach wieder für eine Zeit und bildet einen neuen Wipfel aus. In dieser Zeit des Übergangs sollte man also tunlichst nicht im falschen Wipfel wohnen.
Wollt ihr mir ein Höhe/Durchmesser-Verhältnis von 1:10 als ‚fast 2D‘ verkaufen? Das bekomme ja selbst ich sterzbebend hin: VorneHinten/Höhe ~ 1:8 (mit eingezogenem Ranzen), ohne daß irgendwer angesichts meiner von einem ‚Strich in der Landschaft‘ redete. Ganz zu schweigen von zB sowas mit einem Durchmesser/Länge-Verhältnis von bummelig 1:3000…
‚Formlos‘ ist sicherlich ein Fehlgriff für Wesen, die vom Autor mit einem SesamSamen verglichen werden. Und ‚platt‘ alleine reicht imho nicht für außermathematisches (3D→)2D, da gehört schon AusmaßDim1/AusmaßDim2 ⋘1.
Aufgrund eines starken Hangs zu HardSF ist mir Niven seit Mitte der 70er wg ‚Die fliegenden Zauberer‘ ans Herz gewachsen, daher wurde der ‚The State‚-Zyklus inklusive des schwebenden Waldes, der ab ein Jahrzehnt später unsortiert in D erschien, sehr wohlwollend aufgenommen.
Die magnetischen Felder wahrnehmend, sie nutzend – das trifft allerdings eher auf die wahrlich mikroskopischen NeutronensternBewohnenden in Stephen Baxters ‚Flux‚ zu, dem dritten Band des Xeelee-Zyklus. Ebenfalls sehr empfehlenswert!