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Sternengeschichten Folge 546: Hyperkompakte Sternensysteme

Das Wort „Sternsystem“ ist ein wenig schwierig in der Astronomie. Es ist nicht immer klar, was damit gemeint ist. Beim Wort „Sonnensystem“ ist es klar; das ist all das, was gravitativ an die Sonne gebunden ist. Also die Sonne, die acht Planeten, all die Monde, Asteroiden und so weiter. Und man könnte meinen, dass – weil die Sonne ja ein Stern ist – mit „Sternsystem“ einfach ganz allgemein ein System aus einem Stern und all dessen, was ihn umkreist gemeint ist. Tatsächlich kann das eine Bedeutung des Wortes sein. Aber wenn, dann wird das Wort auf diese Weise eher außerhalb der Wissenschaft verwendet; in der Wissenschaft eher nicht. Da redet man sowieso auch englisch und wenn man von einem „stellar system“ oder „star system“ spricht, meint man im allgemeinen einen Doppel- oder Mehrfachstern. Also ein System aus zwei oder mehr Sternen, die sich gegenseitig umkreisen. Man kann den Begriff aber auch weiter fassen, und mit „Sternsystem“ das meinen, was wir ansonsten „Sternhaufen“ nennen würden. Also ein paar tausend bis Millionen Sterne, die durch ihre Gravitation in einem Haufen gebunden sind. Manchmal wird es auch als Begriff für eine Galaxie aus Milliarden von Sternen verwendet.

Ich diskutiere das deswegen so ausführlich, weil ich in dieser Folge etwas über „hyperkompakte Sternensysteme“ erzählen will. Und ich bin mir nicht sicher, ob es dieses Wort auf deutsch eigentlich gibt. Also schon, ich habe es ja gerade verwendet. Dabei aber nur den englischen Fachbegriff übersetzt und der lautet „hypercompact stellar system“ oder kurz „HCSS“. Und bevor sich jemand unter meiner Übersetzung von „stellar system“ etwas falsches vorstellt, wollte ich die sprachlichen Probleme gleich zu Beginn klären. Andererseits wäre es auch überraschend, wenn jemand der oder die sich nicht beruflich damit beschäftigt, unter einem „hypercompact stellar system“ überhaupt etwas vorstellen kann.

Fangen wir also am Anfang an und das sind in diesem Fall supermassereiche schwarze Löcher. Die waren ja schon oft das Thema in den Sternengeschichten. Es geht um schwarze Löcher, die die millionfache oder viele hundert milliardenfache Masse unserer Sonne haben. Wir finden solche gewaltigen Objekte in den Zentren der Galaxien; auch im Zentrum unserer eigenen Milchstraße. Wir wissen noch nicht genau, wie diese enormen Himmelskörper entstehen. Ein kleines schwarzes Loch entsteht, wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens unter seinem eigenen Gewicht kollabiert und immer dichter wird; so dicht, bis irgendwann so viel Masse auf so kleinem Raum zusammengedrängt ist, dass sich darum ein Ereignishorizont bildet. Bzw. nicht bildet, denn ein Ereignishorizont ist ja kein reales Ding, sondern einfach nur der Abstand zu einer Masse, bei dem die Anziehungskraft so groß geworden ist, dass man schneller als das Licht sein müsste, um sich wieder zu entfernen. Einem normalen Objekt, wie einem Stern, kann man gar nicht so nahe kommen, aber wenn die Masse enorm verdichtet wird, wird es möglich.

Ein Stern KANN unter seiner eigenen Schwerkraft ausreichend stark verdichtet werden, sofern er groß genug ist. Es gibt aber nichts, was groß genug wäre, um zu einem supermassereichen schwarzen Loch zu kollabieren. Zumindest nichts, was wir kennen oder uns im Rahmen des derzeitigen Wissens über das Universum vorstellen können. Deswegen ist es ziemlich klar, dass bei der Entstehung der supermassereichen schwarzen Löcher Verschmelzungen eine Rolle spielen müssen. Wir wissen, dass Galaxien ständig wechselwirken. Sie ziehen einander an, sie kollidieren miteinander, sie verschmelzen zu neuen, größeren Galaxien und irgendwann kollidieren dann auch die jeweiligen supermassereichen schwarzen Löcher aus ihren Zentren. Wie das ganze angefangen hat und ob die gigantischen schwarzen Löcher wirklich durch zahllose Verschmelzungen kleinerer schwarzer Löcher entstanden sind, wissen wir nicht. Aber für diese Geschichte reicht es zu wissen, dass supermassereiche Löcher miteinander kollidieren.

Wenn sie das tun, dann entstehen dabei Gravitationswellen. Darüber habe ich in Folge 184 genauer gesprochen, aber sehr vereinfacht gesagt: Wenn zwei Objekte mit Masse einander umkreisen, dann wird dabei die Raumzeit zum Wackeln gebracht. Die Objekte verlieren dabei Energie und kommen einander näher, bis sie irgendwann miteinander zusammenstoßen. Das gilt prinzipiell für alle Objekte, auch für mich, wenn ich jetzt aufstehen und um meinen Schreibtisch laufen würde. Aber die Gravitationswellen wären in dem Fall absurd winzig und ebenso mein Energieverlust. Seit 2015 können wir Gravitationswellen nachweisen, aber nur dann, wenn es sich um sehr massereiche Objekte handelt, die einander enorm schnell umkreisen, also bei schwarzen Löchern und Neutronensternen in den letzten Phasen ihrer Verschmelzung. Wenn zwei schwarze Löcher verschmelzen, dann gibt es sehr starke Gravitationswellen und am Ende bleibt ein neues schwarzes Loch mit größere Masse übrig.

Es kann jetzt aber passieren, dass dieses schwarze Loch plötzlich mit enormer Geschwindigkeit davon saust. Das klingt seltsam und das würde eigentlich auch dem dritten Newtonschen Gesetz widersprechen. Das besagt ja, dass es für jede Kraft eine gleich große, entgegengesetzte Kraft geben müssen. Oder anders gesagt: Ein schwarzes Loch kann nicht einfach so aus dem Nichts losfliegen. Was in diesem Fall aber auch nicht passiert. Die Details sind ein wenig kompliziert, aber es läuft daraus hinaus, dass Gravitationswellen nicht unbedingt gleichmäßig in alle Richtungen abgegeben werden müssen. Und wenn das der Fall ist, dann kann eine Art Rückstoß entstehen, der das schwarze Loch, das sich bei der Verschmelzung gebildet hat, mit hoher Geschwindigkeit davon schleudert. Und „hoch“ meint hier wirklich hoch: das Ding kann mit bis zu 5000 Kilometer pro Sekunde davon sausen, eventuell sogar noch schneller. Das ist auf jeden Fall schnell genug, um die Anziehungskraft der gesamten Masse der Galaxie zu überwinden, in der es sich befindet.

Ein supermassereiches schwarzes Loch, das bei einer Verschmelzung entsteht, kann dabei also aus seiner Galaxie geworfen werden. Diesen Weg muss es dann aber nicht alleine gehen. Denn es war ja zuvor im Zentrum und da ist ja meistens sehr viel los. Das gilt auch bei Galaxien; hier stehen die Sterne sehr viel dichter als in den äußeren Bereichen und diese Sterne sausen mit hoher Geschwindigkeit um das schwarze Loch herum. Man kann sich das ein bisschen wie bei einem Stern vorstellen, der von seinen Planeten umkreist wird. Aber wirklich nur ein bisschen, denn so ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie wird unter Umständen von ein paar hunderttausend bis zu ein paar Millionen Sternen umkreist. Und von denen wird es viele auf seinem Weg hinaus aus der Galaxie mitnehmen. Nicht alle, aber alle, die sich gerade noch schnell genug um das Loch herum bewegen, um durch den Rückstoß nicht zurück gelassen zu werden.

Wir haben jetzt also ein supermassereiche schwarzes Loch, das von tausenden Sternen umkreist wird und sich nicht innerhalb einer Galaxie sondern außerhalb davon befindet. Genau das ist ein „hyperkompaktes Sternensystem“. Sternensystem, weil es – so wie ein Sternhaufen – ein System von Sternen ist, die eine Gruppe bilden. Und hyperkompakt, weil diese System sehr viel kompakter sind als solche Sternhaufen es typischerweise sind. Was wenig überraschend ist, denn hier sitzt ja auch ein schwarzes Loch mit gewaltiger Masse im Zentrum und zwingt die Sterne auf enge Umlaufbahnen. Die größten hyperkompakten Sternensysteme können circa 20 Parsec durchmessen, was circa 65 Lichtjahre sind und der Größe eines normalen Kugelsternhaufens entspricht. Die kleinsten wären nur so groß wie das Sonnensystem, nur eben mit sehr, sehr viel mehr Sternen.

Ein Sternhaufen. Oder vielleicht doch nicht? (Bild: NASA/ESA gemeinfrei)

Das klingt alles sehr spannend und vermutlich wartet ihr darauf, dass ich euch jetzt erzähle, wo und wann man diese hyperkompakten Sternensysteme schon überall entdeckt hat. Die Antworten lauten: Nirgendwo und noch nicht. Ausgehend von theoretischen Überlegungen zum Gravitationswellenrückstoß hat man 2009 vorgeschlagen, dass es solche Systeme geben könnte. Aber sie sind nicht so einfach nachweisbar. Das schwarze Loch im Zentrum ist ja im wesentlichen unsichtbar und von außen sieht so ein hyperkompaktes Sternensystem aus wie ein normaler Sternhaufen; vielleicht etwas schwächer leuchtend. Um nachzuweisen, dass es sich um ein HCSS handelt, müsste man die Geschwindigkeit messen, mit der sich die Sterne um das Zentrum des Haufens bewegen und das ist zwar prinzipiell möglich. Aber es ist viel Arbeit und klappt auch nur bei ausreichend nahen Sternhaufen. Und bei denen wäre es uns aufgefallen, wenn in der Mitte ein Ding sitzt, dass ein paar millionen Mal so viel Masse hat wie die Sonne. Wir müssen die HCSS in fernen Galaxienhaufen suchen und schauen, ob da irgendwo zwischen den Galaxien ein kleiner Sternhaufen sitzt, der eigentlich kein echter Sternhaufen ist.

Und WENN wir diesen Nachweis einmal schaffen, hätten wir damit auch gleich nachgewiesen, dass der Gravitationswellenrückstoß nicht nur eine theoretische Überlegung ist, sondern in der Realität auch wirklich vorkommt. Wir hätten gezeigt, dass supermassereiche schwarze Löcher nicht ausschließlich in den Zentren von Galaxien vorkommen können. Und wüssten einiges mehr, was die Entwicklung supermassereicher schwarzer Löcher und ihrer Galaxien angeht. Man kann also davon ausgehen, dass wir die Suche nach den hyperkompakten Sternensystemen nicht so schnell aufgeben.

2 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 546: Hyperkompakte Sternensysteme“
  1. Interessant ist, dass die umgebenden Sterne es schaffen, da mitzukommen und nicht zerrissen werden. Ist für die sicher aber auch ein Schock …
    Danke, wieder mal was dazu gelernt.
    .

  2. Sehr interessante Erklärung. Vielen Dank dafür.
    Was passiert den dann mit der Galaxie aus der das schwarze Loch „entkommen“ ist? Fällt sie auseinander da der stabilisierende Mittelpunkt fehlt?

    Viele Grüße
    Tasko

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