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Sternengeschichten Folge 472: Somnium – Johannes Keplers Traum vom Mond

„Da geschah es eines Nachts, dass ich, nach der Betrachtung der Sterne und des Mondes für Höheres empfänglich geworden, auf meinem Bette einschlief“. Der, der da eingeschlafen ist, war Johannes Kepler. Und was er während des Schlafes erlebt hat, kann man in seinem Buch „Somnium“ nachlesen. Somnium oder „Der Traum vom Mond“ ist ein sonderbares Buch. Kepler begann im Jahr 1609 damit es zu schreiben, schrieb bis zu seinem Tod immer weiter daran und es erschien erst 1634, vier Jahre nach seinem Tod. Man findet darin Wissenschaft, Astronomie aber auch Inhalte, die man eigentlich nur der Science-Fiction zuordnen kann. Und tatsächlich wird „Somnium“ von vielen – unter anderem von Isaac Asimov – als eines der allerersten Science-Fiction-Bücher bezeichnet.

Die Geschichte beginnt damit, das Kepler davon berichtet, ein Buch über Libuše gelesen zu haben, eine mythologische Figur, die Magierin, Wahrsagerin und Stammmutter des böhmischen Herrschergeschlechts gewesen sein soll. Dabei schlief er ein und im Traum liest Kepler auf einmal ein anderes Buch, das von Duracoto handelt, einem jungen Isländer. Dessen Mutter Fiolxhilde war eine Art Hexe, macht mit ihrem Sohn Ausflüge zum Vulkan Hekla und verkauft Kräuter und Zaubersprüche. Als Duracoto ein Kräutersäckchen seiner Mutter ruiniert, ist diese so böse, dass sie ihn an einen Seemann verkauft, der ihn wiederum auf der Insel Hven aussetzt. Dort lebt – wie wir ja schon in Folge 167 der Sternengeschichten erfahren haben – der große Astronom Tycho Brahe. Er unterricht Duracoto in Astronomie und erst fünf Jahre später ergibt sich die Gelegenheit für eine Rückkehr nach Island. Dort freut sich die Mutter über das Wiedersehen, will alles über die Reisen ihres Sohnes und die Himmelskörper wissen und vertraut ihm eine Geheimnis an. Sie kann Dämonen beschwören und diese Dämonen sind in der Lage, einen Menschen an jeden beliebigen Ort der Erde und darüber hinaus zu transportieren. Dazu zählt auch der Mond und weil Duracoto jetzt selbst Experte für Astronomie und den Mond ist, möchte sie das Wissen der Dämonen gerne mit ihm teilen. Also wird der entsprechende Dämon beschworen, der Mutter und Sohn über „Levania“ unterrichtet. Das ist der Name des Mondes in der Sprache der Dämonen und zuerst wird erklärt, wer überhaupt dorthin reisen kann.

Das können nämlich nicht alle; immerhin muss die entsprechende Person ja von den Dämonen dorthin getragen werden. Der Dämon erklärt: „Keinen von sitzender Lebensart, keinen Wohlbeleibten, keinen Wollüstling nehmen wir zu Begleitern, sondern wir wählen solche, die ihr Leben im eifrigen Gebrauch der Jagdpferde verbringen oder die häufig zu Schiff Indien besuchen und gewohnt sind, ihren Unterhalt mit Zwieback, Knoblauch, gedörrten Fischen und anderen von Schlemmern verabscheuten Speisen zu fristen. Besonders geeignet für uns sind ausgemergelte alte Weiber, die sich von jeher darauf verstanden, nächtlicherweile auf Böcken, Gabeln und schäbigen Mänteln reitend, unendliche Räume auf der Erde zu durcheilen. Aus Deutschland sind keine Männer geeignet, aber die dürren
Leiber der Spanier weisen wir nicht zurück.“

Nun. Auch heute noch müssen Astronautinnen und Astronauten auf ihr Gewicht achten, wenn sie ins All wollen. Je mehr Masse in den Weltraum transportiert werden soll, desto größer ist der Aufwand. Das hat Kepler also richtig erkannt; Deutsche waren aber mittlerweile schon ein paar Mal im All…

Bild: gemeinfrei

Der Dämon erzählt weiter: Vier Stunden dauert die Reise zum Mond und es ist kein einfacher Weg! Vor allem der Anfang, wo die Person von den Dämomen mit enormer Kraft Richtung Himmel geschleudert wird: „Diese Anfangsbewegung ist für ihn die schlimmste, denn er wird gerade so emporgeschleudert, als wenn er durch die Kraft des Pulvers gesprengt über Berge und Meere dahin flöge. Deshalb muss er zuvor durch Opiate betäubt und seine Glieder sorgfältig verwahrt werden, damit sie ihm nicht vom Leibe gerissen, vielmehr die Gewalt des Rückschlages in den einzelnen Körpertheilen vertheilt bleibt.“

Natürlich hatte Kepler nicht die geringste Ahnung von Raketen und moderner Raumfahrt. Aber Menschen werden heute tatsächlich durch „die Kraft des Pulvers“ ins All getrieben, zumindest im übertragenen Sinn, weil nicht immer Festbrennstoffe in der Raketen verwendet werden, sondern auch flüssiger Treibstoff. Betäubt werden müssen die Astronautinnen und Astronauten dabei nicht, ihre Glieder müssen aber immer noch „sorgfältig verwahrt“ werden und die „Gewalt des Rückschlags“ muss durch entsprechend angepasste Sitzgelegenheiten verteilt werden.

Kepler beziehungsweise der Dämon wusste auch um die Lebensfeindlichkeit des Alls: „Sodann treffen ihn neue Schwierigkeiten: ungeheure Kälte sowie Athemnoth; gegen jene schützt uns unsere angeborene Kraft, gegen diese ein vor Nase und Mund gehaltener feuchter Schwamm.“

Aber ist man einmal im All, dann wird die Reise leichter, „dann geben wir unsere Begleiter frei und überlassen sie sich selbst“, wie der Dämon erklärt. Erst bei der Annäherung an den Mond müssen sie wieder eingreifen: „Infolge der bei Annäherung an unser Ziel stets zunehmenden Anziehung würden sie durch zu hartem Anprall an den Mond Schaden leiden, deshalb eilen wir voran und behüten sie vor dieser Gefahr.“

Modern interpretiert: Einmal im Weltall angekommen braucht es keine Beschleunigung durch einen Antrieb mehr, dann fliegt man von selbst. Und man muss aktiv abbremsen, wenn man sich dem Mond nähert, ansonsten besteht die Gefahr eine Kollision.

Wie gesagt: Man muss aufpassen, nicht zu viel von unserem modernen Wissen in den alten Text hinein zu lesen. Kepler hatte keine Ahnung von Raketen; hat auch die Raumfahrt nicht „vorhergesehen“. Aber als Wissenschaftler hatte er Ahnung von den grundlegenden Phänomen der Physik und der Mechanik und konnte entsprechend spekulieren. Raumfahrt im modernen Sinn hatte er sicher nicht im Kopf, als er seine Geschichte schrieb; eher die antiken Vorbilder,
zum Beispiel die fast 2000 Jahre alte Geschichte von Lukian von Samosata, der beschreibt wie Menschen von Vögeln gezogen zum Mond reisen.

Die Reise macht aber sowieso nur einen kleinen Teil von Keplers Traumgeschichte aus. Der Hauptteil beschäftigt sich mit den Eigenschaften des Mondes und da wusste der Astronom sehr gut Bescheid. Er beschreibt im Detail, wie der Anblick des Himmels vom Mond aus aussehen würde. Die Sterne wären die gleichen, aber natürlich steht „Volva“ am Himmel, wie die Erde im Somnium genannt wird. Und der Mond teilt sich in eine „subvolvane“ und eine „privolvane“ Hälfte. Auch das wusste Kepler: Wenn man von der Erde aus immer nur eine Hälfte des Mondes sehen kann, dann muss es auch auf dem Mond eine Hälfte geben, auf der die Erde ständig zu sehen ist und eine, auf der man sie nie sehen kann. Kepler – beziehungsweise der Dämon – beschreibt nun wie sich die Sterne scheinbar über den Himmel bewegen, wie oft die Sonne auf und untergeht, gibt Umlauf- und Rotationszeiten an, und so weiter. Man erfährt etwas über den Tag- und Nachtzyklus auf dem Mond, wobei „Tag“ und „Nacht“ hier jeweils gut zwei Wochen dauern. Auf der privolvanen Hälfte ist es stockfinster in der Nacht, auf der subvolvanen Hälfte kann man aber die Volva, also die Erde, hell am Himmel stehen sehen. Kepler erläutert, dass die Erde am Mondhimmel viel größer aussieht als der Mond am Himmel der Erde und stellt auch korrekt fest, dass die Position der Erde am Mondhimmel sich nicht ändert: „Für die Mondbewohner steht die Volva fest, wie mit einem Nagel an den Himmel geheftet, unbeweglich am selben Ort“, erklärt der Dämon. Genau so ist es, denn der Mond zeigt der Erde immer die gleiche Seite. Was es aber gibt sind Erdphasen und Kepler erklärt genau, wie und wann man „Neuvolva“ oder „Vollvolva“ beobachten kann (und wer mehr dazu wissen will, kann sich Folge 331 noch einmal anhören).

Volva am Himmel von Levania
Bild: NASA/Goddard/Arizona State University

Es folgen Beschreibungen des Anblicks von Sonnenfinsternissen und „Erdfinsternissen“, vom Mond aus gesehen und jede Menge weitere astronomische Details. Auf den letzten Seiten des Buchs widmet sich Kepler dann den Lebewesen auf dem Mond. Dort gibt es keine Städte wie auf der Erde, die Mondlebewesen ziehen ständig umher, um dem Wasser zu folgen beziehunsgweise verstecken sich in Höhlen vor der sengenden Sonne oder der eiskalten Nacht. Denn auch das stellt Kepler korrekt fest: Während der tagelangen Nacht wird es auf dem Mond richtig kalt; wenn dagegen die Sonne tagelang auf die Oberfläche brennt, wird es enorm heiß. Deswegen ist das Fell der Mondtiere oder die Rinde von Mondbäumen auch extrem dick. Sollten sie es nicht schaffen, sich vor der Sonne zu schützen, dann wirkt die dicke Außenschicht wie ein Hitzeschild, das im Laufe des langen Mondtages langsam verbrennt und abfällt und in der kühleren Mondnacht wieder nachwächst.
Leben ist nur möglich, so Kepler, weil immer wieder jede Menge Wolken vor der Hitze schützen, aus denen es immer wieder regnet.

Der Regen der realen Welt, der gegen das Fenster prasselt, weckt Kepler schließlich aus seinem Schlaf und von der Erzählung des Dämons und der „Somnium“ ist zu Ende.

Wie gesagt: Es ist ein seltsames Buch. Man erkennt darin jede Menge Elemente aus Keplers eigenem Leben. Auch er hat bei Tycho Brahe auf der Insel Hven Astronomie studiert. Auch Keplers Mutter wurde beschuldigt, eine „Hexe“ zu sein, so wie Fiolxhilde aus dem Traum. Keplers detaillierte Beschreibung der Beobachtung astronomischer Phänomene vom Mond aus hat dem Stand des damaligen Wissens entsprochen. Und aus der Sicht seiner Zeit dürfte es durchaus eine sehr originelle wissenschaftliche Übung gewesen sein, sich zu überlegen, wie denn der Anblick von Sonne, Sternenhimmel und Erde aussieht, wenn man sich gerade auf dem Mond befindet. Vor allem dürfte Kepler sich diese Gedanken gemacht und sie veröffentlicht sehen wollen, um das damals immer noch umstrittene kopernikanische Weltbild zu unterstützen. Denn von der Erde aus sehen wir ja ziemlich deutlich, wie sich der Mond um uns herum bewegt. Stünden wir aber auf dem Mond, käme uns der Mond als unbewegt vor und wir würden sehen, wie sich die anderen Himmelskörper um uns herum bewegen; genau so wie Kepler es im Somnium mit wissenschaftlichen Details beschreibt.

Als rein wissenschaftliches Werk dürfte Kepler sein Buch aber dennoch nicht gesehen haben. Auch er hat vermutlich vom All geträumt, so wie die Menschen vor und nach ihm. „Gib mir Schiffe oder richtige Segel für die Himmelsluftfahrt her und es werden auch Menschen da sein, die sich vor den entsetzlichen Weiten nicht fürchten“, schreibt er 1610 an Galileo Galilei und seinem Freund Matthias Bernegger schreibt er scherzhaft: „Verjagt man uns von der Erde, so wird mein Buch als Führer den Auswanderern und Pilgern zum Monde nützlich sein“. Keplers Gedanken dürften also durchaus auch um die Reise ins All und zum Mond gekreist haben. Und warum nicht darüber nachdenken, wie es dort ist, und wer oder was dort leben könnte? Wie ich in Folge 333 schon ausführlicher erklärt habe, war es lange Zeit absolut normal davon auszugehen, dass auch die restlichen Planeten und Himmelskörper des Sonnensystems selbstverständlich bewohnt sind. Kepler war aber auch hier origineller und in gewissen Sinne visionärer als alle anderen. Die meisten Philosophen und Forscher haben sich die Bewohner von Mond oder Mars so wie die Menschen vorgestellt, nur halt ein bisschen anders. Kepler aber hat anscheinend schon lange vor den Erkenntnissen eines Charles Darwin daran gedacht, dass es immer auch auf die Umweltbedingungen ankommt, wie Leben funktioniert. Und sich seine Mondgeschöpfe entsprechend vorgestellt.

Der Träumer (Bild: gemeinfrei)

Man kann gerne darüber streiten, ob „Somnium“ das erste Science-Fiction-Buch war oder nicht. Ob nicht schon diverse Werke des Mittelalters oder der Antike auch als Science-Fiction gelten sollten beziehungsweise ob erst die Bücher und Romane der Neuzeit als echte Science-Fiction gelten dürfen. Was aber sehr deutlich wird ist: Auch Johannes Kepler war nicht nur Astronom, sondern auch – im wahrsten Sinne des Worstes – ein Träumer. Sein „Traum vom Mond“ erzählt genau die Geschichte, die auch heute noch von den Autorinnen und Autoren der Science Fiction erzählt wird. Es geht darum, was wir wissen und das, was wir nicht wissen, aber vielleicht sein könnte. Es geht um Welten, die wir erforschen wollen, aber nicht können. Und deswegen in unserer Fantasie auf Warp-Antrieb oder Wurmlöcher zurück greifen müssen. Oder eben auf isländische Dämonen. Aber der Traum, den Kepler vor mehr als 400 Jahren geträumt hat, wird heute immer noch geträumt.

2 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 472: Somnium – Johannes Keplers Traum vom Mond“
  1. Danke, hatte vor langer Zeit mal was über Somnium gelesen und zwar in Brian W. Aldiss‘ „Der Milliarden Jahre Traum“ (Co-Autor David Wingrove). Für Aldiss markiert im Übrigen „Frankenstein“ von Mary Wollstonecraft Shelley den Beginn der Science Fition als Genre; eine Auffassung, der ich mich anschließe.

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