Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 462: Die Wega
Dass es da draußen am Himmel mehr als genug Sterne gibt, sollte alle Hörerinnen und Hörer mittlerweile wissen. Ebenso wie die Tatsache, dass man eigentlich über jeden Stern eine spannende Geschichte erzählen kann. Es gibt aber Sterne, die für uns Menschen und auch für die Wissenschaft eine besondere Rolle einnehmen. Dazu gehört natürlich die Sonne, aber dass muss man eigentlich nicht mehr extra erwähnen.
Man kann darüber streiten, welcher Stern nach der Sonne der für uns wichtigste Stern ist. Aber auf einer entsprechenden Liste mit Kandidaten müsste man auf jeden Fall auch die Wega listen. Dieser Stern gehört zu denen, der von der Wissenschaft am intensivsten untersucht worden ist und der auch in den Mythen der Menschheit eine prominente Rolle gespielt hat.
Fangen wir also mal mit den Grundlagen an. Die Wega findet man im Sternbild Leier. Und man findet sie dort ziemlich leicht, denn sie ist dort der hellste Stern. Es sind überhaupt nur vier andere Sterne des Nachthimmels heller als die Wega und ihre Helligkeit wird uns später noch beschäftigen.
Die Wega ist uns vergleichsweise nahe, der Abstand zur Sonne beträgt nur 25 Lichtjahre. ES handelt sich um einen jungen Stern, der ein paar hundert Millionen Jahre alt ist – so genau lässt sich das nicht sagen – aber auf jeden Fall nicht älter als eine halbe Milliarde Jahre. Wega hat eine mehr als doppelt so große Masse wie die Sonne und die fast 40fache Leuchtkraft unseres Sterns. Als großer, junger Stern ist die Wega auch sehr viel heißer als die Sonne und leuchtet bläulich weiß.
So weit die nackten Fakten – aber schon lange bevor wir dieses astronomische Wissen hatten, hat der Stern die Fantasie der Menschen angeregt. Der Name kommt – wie so oft bei den Sternen – aus dem arabischen und leitet sich von „an-nasr al-wāqi“ ab, was so viel wie „herabstoßender“ bedeutet und das, was da herabstößt, ist ein Adler. In der heutigen Einteilung der Sternbilder hat die Wega in der Leier aber nur indirekt mit dem Adler zu tun. Die Wega bildet nämlich zusammen mit Altair, dem hellsten Stern im Sternbild Adler und Deneb, dem hellsten Stern im Schwan das sogenannte „Sommerdreieck“. Altair und Deneb sind ebenfalls sehr helle und markante Sterne und bilden zusammen mit Wega, wie man am Namen ja auch erkennen kann, am Sommerhimmel ein sehr gut zu erkennendes Dreieck.
Im alten Ägypten und in Indien wurden Wega und die Sterne in der Umgebung als Raubvogel betrachtet und über die arabische Astronomie kam der Name dann auch nach Europa. Die schönste Geschichte über die Wega kommt aber aus dem asiatischen Raum. Es gibt viele Variationen, aber meine Lieblingsversion ist die vom Kuhhirten und der Weberin. Orihime war die Tochter des Himmelsgottes und hat immer ordentlich und brav ihren Job als Weberin erledigt. Damit sie vor lauter Arbeit aber auch noch was anderes tut, hat ihr Vater sie mit Hikoboshi verkuppelt, einem Rinderhirten. Wie das so ist in Mythen und Geschichten haben sich die beiden sofort massiv ineinander verliebt. So sehr, dass sie – nicht überraschend bei jungen und verliebten Menschen – ihre Arbeit vernachlässigt haben. Es wurde keine Kleidung mehr für den Himmelsgott gewebt und niemand hat sich um die Rinder gekümmert. Der Himmelsgott war nicht mehr so begeistert von seiner Entscheidung die beiden zu verkuppeln und hat sie auf unterschiedliche Seiten des großen Himmelsflusses verbannt. Hat aber nichts geholfen, denn jetzt waren beide zu traurig, um ihre Arbeit zu machen. Also dürfen sich die beiden zumindest einmal im Jahr treffen, am 7. Tag des 7. Monates eines jeden Jahres. Allerdings nur, wenn es an diesem Tag nicht regnet, da sonst der Himmelsfluss zu breit wird, um überquert zu werden.
Am Himmel wird Orihime durch den Stern Wega symbolisiert und Hikoboshi durch Altair. Wenn der Himmel klar ist, kann man auch den Himmelsfluss zwischen den beiden erkennen, der natürlich von der Milchstraße dargestellt wird. Und am 7. Tag des 7. Monats, also im Juli, kann man beide Sterne hoch am Himmel stehen sehen. Und sogar das Happy-End kann man sehen. Denn natürlich kann die Liebe nicht einfach vom Wetter abhängen! Was tun also Orihime und Hikoboshi, wenn zu viel Wasser im Himmelsfluss ist und sich nicht treffen können? Dann kommt ein Schwarm hilfreicher Elstern und bildet eine Brücke. Und wenn man sich die Milchstraße zwischen den beiden Sternen ganz genau ansieht, dann erkennt man dort einen dunklen Bereich. Das ist die Elsternbrücke des Mythos und in der Realität eine riesige Staubwolke, die das Licht der hellen Sterne in der Milchstraße verdeckt.
Die Geschichte von Orihime und Hikoboshi wird auch heute noch jedes Jahr in Japan beim Tanabata-Fest gefeiert. Man könnte noch viel mehr Mythen über Wega erzählen. Aber die Wissenschaft hat im Laufe der Zeit ihre eigenen Geschichten über Wega erzählt.
Ein heller Stern wie die Wega hat die Astronomie natürlich immer schon interessiert. Und am 17. Juli 1850 wurde die Wega zum ersten Stern – nach der Sonne natürlich – der fotografiert worden ist und zwar von den Astronomen William Bond und John Adams Whipple an der Sternwarte des Harvard College. 1872 hat Henry Draper das erste Sternspektrum mit dem Licht von Wega aufgenommen. Die Spektroskopie ist im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Instrument der Astronomie geworden: Spaltet man das Licht in seine Bestandteile auf, erhält man nicht nur den üblichen Regenbogen aus Farben, sondern sieht darin auch dunkle Bereiche. Sie entstehen, wenn das Licht auf seinem Weg aus dem Inneren des Sterns durch seine äußeren Schichten auf die dort befindlichen Atome trifft. Jedes chemische Element blockiert einen ganz charakteristischen Bereich des Lichts und dort sieht man dann eine dunkle Linie im Regenbogen. Viel wichtiger aber: Man kann damit herausfinden, woraus die Sterne bestehen und wenn man die Spektren unterschiedlicher Sterne vergleicht, kann man sie klassifizieren und in Gruppen einteilen. Für jede Einteilung braucht man aber mindestens einen Referenzpunkt und für die Spektralklassifikation wurde das die Wega.
Die Wega hat sich überhaupt als sehr praktischer Referenzsstern erwiesen. Ihre Helligkeit beträgt ziemlich genau 0 Magnituden. Das ist diese etwas gewöhnungsbedürftige Helligkeitsklassifikation in der Astronomie, über die ich ja schon früher gesprochen habe. Im antiken Griechenland hat man die hellsten Sterne am Himmel zur „1ten Größenklasse“ gezählt und die, die gerade noch so zu sehen waren, zur „6ten Größenklasse“. Diese Einteilung hat man später dann auf wissenschaftliche Grundlagen gestellt und wir verwenden sie noch heute. Und auch da braucht man irgendwas, mit dem man die Helligkeiten vergleichen kann, und weil die Wega mit ihrer Helligkeit nahe an der 0ten Größenklasse liegt, wurde sie auch dafür zum Referenzstern. Ebenso wie bei der Einteilung der Sternfarben, wo man einen Stern als Referenz braucht, der möglichst weiß leuchtet, was bei der Wega der Fall ist.
In anderer Hinsicht hat sich die Wega aber als ganz und gar nicht normal erwiesen. Diese spannende Geschichte fängt 1983 an, als das Weltraumteleskop IRAS auf seine Mission geschickt wurde. Es sollte – erstmals – den gesamten Himmel im Infrarotlicht katalogisiert werden. Dabei hat IRAS natürlich auch Wega im Blick gehabt und dort etwas entdeckt, was man mit dem wenig spannenden Wort „Infrarotexzess“ bezeichnet. Anders gesagt: Man hat bei Wega mehr Infrarotlicht gemessen, also von dort eigentlich kommen sollte. Man kann ziemlich genau sagen, wie viel Licht bei einer bestimmten Wellenlänge ein Stern mit einer bestimmten Temperatur aussendet. Und Wega hat mehr Infrarotlicht ins All geschickt, als bei einem Stern dieser Temperatur zu erwarten war. Die Ursache: Staub! Wega ist von einer Scheibe aus Staub umgeben. Dieser Staub wird vom Licht des Sterns aufgeheizt und gibt die Wärme in Form von Infrarotlicht wieder ab. Das kommt zum normalen Infrarotlicht des Sterns dazu und deswegen sieht man dort einen Infrarotexzess.
Es war das erste mal, dass man so etwas bei einem Stern beobachtet hat. Und das war durchaus eine Sensation. Denn der Staub muss irgendwo her kommen. Ein sehr, sehr junger Stern kann durchaus von sehr viel Staub umgeben sein; das ist der Staub, der noch von der Entstehung des Sterns übrig ist und aus dem später Planeten entstehen. Wega ist zwar noch jung, aber schon zu alt für diese Art von Staub. Das, was man bei Wega sieht, ist eine „Trümmerscheibe“. Also Staub, der entsteht, weil dort schon größere Himmelskörper – mindestens Asteroidengroß – miteinander kollidieren und Staub produzieren.
Das klingt jetzt nicht so spektakulär. Aber 1983 hatte man noch keine Planeten anderer Sterne entdeckt. Man wusste nicht, ob anderswo überhaupt Planeten entstehen können. Es wäre zwar unwahrscheinlich, wenn die Sonne der einzige Stern mit Planeten wäre – aber solange man anderswo nichts findet, eben auch nicht unmöglich. Der Staub bei Wega war nun zwar kein Planet. Aber auf jeden Fall ein deutliches Anzeichen, dass dort genau die Prozesse ablaufen, die ablaufen müssen, damit Planeten entstehen. Denn wenn sich aus dem ursprünglichen Staub um einen Stern herum schon Asteroiden gebildet haben, die bei durch ihre Kollisionen eine Trümmerscheibe erzeugen, dann ist das genau das, was auch auch vor 4,5 Milliarden Jahren im Sonnensystem passiert ist.
Wega war also der erste ganz konkrete Hinweis darauf, dass auch anderswo im Universum Planeten entstehen und damit auch zu finden sein müssen. Was ja dann auch 1995 passiert ist – allerdings nicht bei Wega. Dort haben wir im Laufe der Zeit zwar immer mehr Hinweise auf die Existenz von Planeten gefunden. Die Staubscheibe ist klumpig und schief, irgendwas muss also dafür sorgen, dass der Staub dort ungleichmäßig verteilt ist und die Gravitationskraft eines dort rumschwirrenden Planeten könnte genau diese Ursache sein. Aber nachweisen konnten wir so einen Planeten noch nicht.
Wir haben die Wega so ausführlich untersucht wie kaum einen anderen Stern. Aber längst noch nicht alle ihre Geschichten entdeckt.