Es ist April. Heute noch, morgen noch und sogar noch übermorgen. Aber dann kommt schon der Mai. Und bevor der da ist, gibt es – wie immer – den Überblick über die Bücher, die ich in diesem Monat gelesen haben. Zwei davon waren absolut großartig; eines so mittelmäßig und eines leider eher schlecht. Ist also alles dabei diesmal!

Tod, Trauer und ein Hamster

Die erste und absolute Leseempfehlung ist „Abschied von Hermine: Über das Leben, das Sterben und den Tod – und was ein Hamster damit zu tun hat“ von Jasmin Schreiber. Den Roman „Mariannengraben“ der selben Autorin haben ich ja schon im Januar empfohlen. Jasmin Schreiber ist aber nicht nur Romanautoren, sondern hat auch Biologie studiert (und macht gemeinsam mit dem Biologen Lorenz Adlung den wunderbaren Podcast „Bugtales“). Deswegen ist sie auch hervorragend geeignet, ein Buch wie „Abschied von Hermine“ zu schreiben.

Abschied von Hermine von Jasmin Schreiber

Das Thema verursacht Unbehagen: Es geht um den Tod und kaum jemand hat Lust darauf zu sterben. Wir wissen zwar, dass uns allen dieses Ereignis bevor steht. Aber das verdrängen wir gerne und ich nehme mich da nicht aus. Dabei ist das Thema enorm interessant: Warum müssen wir überhaupt sterben? Warum werden wir alt und was passiert dabei? In diesen Frage steckt jede Menge faszinierende Wissenschaft, die Jasmin Schreiber ebenso faszinierend erklärt und vermittelt. Als Beispiel dafür dienen Leben und Tod des titelgebenden Hamsters „Hermine“. Mit der biologischen Beschreibung von Altern, Sterben, Tod und Verwesung hört das Buch aber noch lange nicht auf. Denn für uns Menschen (und nicht nur für uns) ist der Tod ja kein rein biologisches Phänomen. Dem Tod folgt die Trauer und in diesem Teil ist das Buch am stärksten. Jasmin Schreiber erklärt, was passiert, wenn wir Trauer empfinden. Warum ist dieses Gefühl so unangenehm? Wie kann man damit umgehen? Welche kulturellen und persönlichen Strategien haben wir entwickelt um Tod und Trauer zu begegnen?

„Abschied von Hermine“ ist ein erschütterndes Buch. Das Kapitel, in dem die fiktive Lebensgeschichte einer Krebspatientin von der schockierenden Diagnose bis zum Tod erzählt wird, liest man angesichts der eindringlichen und klaren Erklärungen mit einer unbehaglichen Faszination. Aber immer dann, wenn einen die Gedanken an den (eigenen) Tod unangenehm stark berühren, wird man von der warmherzigen Sprache Jasmin Schreibers wieder eingefangen. Der in der Biologie begründete tiefere Sinn des Todes macht die individuelle Trauer zwar nicht ungeschehen. Aber das Wissen schafft Verständnis. Und das Verstehen mildert die Angst vor dem Unbekannten. Jasmin Schreibers Buch über den Tod macht Lust auf das Leben. Lest es!

Die Kosmographie unserer Nachbarschaft

Harter Schnitt. In „Von der Vermessung des Kosmos: Und der Entdeckung von Laniakea“ von Hélène Courtois geht es um Kosmologie. Es geht um Astronomie, aber nicht um Planeten oder Sterne; nicht einmal um Galaxien. Es geht um die viel größeren Strukturen im Universum, die Galaxienhaufen und die Superhaufen, die aus einzelnen Galaxienhaufen bestehen. Die Autorin ist maßgeblich an der Erforschung dieser Strukturen beteiligt und erzählt im Buch von ihrer Arbeit. Es geht darum, immer besser zu verstehen, wie das Universum in unserer Nachbarschaft organisiert ist. Und „Nachbarschaft“ ist hier großzügig zu verstehen: Courtois erforscht unsere Ecke des Universums, „nur“ die paar hunderttausend Galaxien und Galaxienhaufen die sich rund um die Milchstraße befinden. Das spektakulärste Resultat dieser Forschung war die Entdeckung des Super-Galaxienhaufens „Laniakea“, in dem sich auch die Milchstraße befindet.

Das Thema des Buches ist großartig. Wir Menschen wollen immer wissen, wie es anderswo aussieht. Jahrtausende lang haben wir uns bemüht, jeden Flecken der Erde zu kartografieren. Courtois und ihre Kolleg:innen setzen dieses Vorhaben für die kosmische Umgebung fort. Aber wie findet man überhaupt heraus, wo sich die anderen Galaxien und Galaxienhaufen befinden? Wie bestimmt man ihre Entfernung; wie beobachtet man, wohin sie sich bewegen? Wie rekonstruiert man aus den Daten die großräumige Struktur des Universums? Was sagen uns die Ergebnisse über die Natur des Kosmos? Das sind faszinierende Fragen; es ist faszinierende Forschung und darüber ein Buch zu schreiben, ist eine wunderbare Idee. Für meinen Geschmack ist das Buch aber nicht optimal gelungen. Hélène Courtois hat einen prinzipiell guten Ansatz gewählt: Sie verbindet die Erklärung der Wissenschaft mit ihrer persönlichen Geschichte als Astronomin. Sie erzählt von ihrem Studium; von ihrem ersten Wunsch, das Universum zu kartografieren. Sie erzählt von den diversen Beobachtungsaufenthalten und davon, wie sie ein weltweites Netzwerk aus Kolleg:innen aufbauen musste, um die Antworten zu bekommen, die sie gesucht hat. Aber trotzdem fehlt dem Buch ein roter Faden; die persönlichen und wissenschaftlichen Episoden laufen irgendwie nebenher, anstatt eine große Geschichte zu erzählen. Für diesen Eindruck sind mit Sicherheit auch die vielen Infokästen verantwortlich (Verlage: Lasst das!). Alle paar Seiten wird der Text durch eine Infobox unterbrochen, die man aber auch nicht einfach überspringen kann, wenn man verstehen will, worum es geht. Also blättert man vorwärts, blättert zurück, hat den Lesefluss verloren und am Ende immer noch nicht so viel Ahnung wie man gerne hätte. Manche Themen werden sehr, sehr ausführlich erklärt; manche in wenigen Sätzen abgehandelt, obwohl sie deutlich mehr Zeit benötigt hätten. Und die Fachwortdichte ist für das Buch, dass „Von der Vermessung des Kosmos“ sein möchte, zu hoch.

Wer Ahnung von Astronomie hat und sich mit der Beobachtung von Himmelsobjekten auskennt, wird das Buch vermutlich ohne allzu viele Wissenslücken lesen können. Die breite Öffentlichkeit könnte am Ende aber – trotz des faszinierenden Themas – ein wenig frustriert zurück bleiben.

Die Mega-Schlacht der Bronze-Zeit

Nach „Mythos“ und „Heroes“ (die ich beide vorgestellt habe) hat der großartige Stephen Fry sich in „Troy“ (noch nicht auf deutsch erhältlich) dem nächsten großen Thema der griechischen Mythologie zugewandt. Oder besser gesagt: DEM großen Thema der Antike schlechthin. Es geht um den trojanischen Krieg und die „Ilias“ von Homer. Das ist quasi die älteste aufgeschriebene Geschichte Europas und eine, die unsere Kultur maßgeblich beeinflusst hat.

Wer die Mythologie der griechisch-römischen Antike nur aus trockenen Wälzern wie etwa denen von Gustav Schwab oder Michael Köhlmeier kennt und deswegen dem Thema gegenüber ein wenig skeptisch ist, liegt mit den Büchern von Fry absolut richtig. Die sind alles andere als trocken; sie sind genau so, wie Geschichten erzählt werden müssen. Fry erzählt nicht einfach nur nach; er lässt die handelnden Personen auch selbst sprechen und sie tun das so, wie echte Menschen auch damals gesprochen haben. Da werden keine Epen deklamiert, da wird geflucht, gewitzelt, geliebt, gehasst und in jeder Sekunde hat man das Gefühl, es mit realen Personen zu tun haben. Frys Stil macht die Belagerung von Troja so lebendig, wie sie vorher nie war. Höchstens damals, als sie wirklich stattgefunden hat. Und OB die Schlacht um Troja real war oder nicht: Das erläuert Fry in einem Anhang ebenso lesenswert wie er zuvor die Ilias nacherzählt.

Die Geschichte um Troja, den Kampf zwischen König Agamemnon und König Priamus, zwischen Achilles und Hector, zwischen Menelaos und Paris; die Geschichte um den Streit der Göttinnen, die Entführung von Helena, das berühmte Holzpferd: All das hat man sicher schon irgendwo mal gehört. In irgendwelchen Sagenbüchern; im Schulunterricht; in Kinofilmen oder Theaterstücken. Aber erst durch Frys Buch habe ich so richtig verstanden, um was es bei diesem trojanischen Krieg eigentlich ging. Was die Menschen damals, als man sich diese Geschichten erzählt hat, damit erzählen wollten. Und ich verstehe jetzt auch ein wenig, warum dieses Buch so wichtig für unsere Geschichte ist und als eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur gilt.

Wenn ihr ein paar sehr vergnügliche und amüsante Stunden verbringen wollt: Lest „Troy“ von Stephen Fry!

Die Frauen der Astronomie

Über „The Unforgotten Sisters: Female Astronomers and Scientists before Caroline Herschel“ habe ich mich wirklich geärgert. Gabriella Bernardi hat es geschrieben um Leben und Werk von fünfundzwanzig Astronominnen zu vermitteln. Aber man hat bei der Lektüre nicht das Gefühl, dass sie wirklich konzentriert oder motiviert bei der Sache war. Da wird zum Beispiel die sumerische Priesterin En-hedu-anna vorgestellt. Oder besser: Nicht vorgestellt. Man kann sie zwar durchaus als frühe Astronomin bezeichnen. Aber es gibt eben nicht viele konkrete Informationen über ihr Leben und ihr Werk. Was Bernardi überspielt, in dem sie einfach sehr viel allgemeines über die babylonische Astronomie schreibt. Genau so wie im Kapitel über Aglaonike zur griechischen Astronomie. Man kann natürlich keine Informationen erfinden, wenn sie nicht da sind. Aber wenn sie wirklich nicht zu finden sind, dann sollte man auch nicht so tun, als würde man hier eine Biografie einer Person schreiben, zu der man nicht mehr sagen kann als „Hat vielleicht mal gelebt“. Bei den Astronominnen der späteren Epoche gibt es dann schon mehr zu erzählen. Was Bernardi aber auch nur bedingt tut. In manchen Kapitel gibt es haufenweise Reproduktionen von Briefwechseln, bei denen nicht klar ist, was sie genau relevant macht; anderen Kapiteln mangelt es an grundlegenden Infos. Jedes Kapitel endet mit der Rubrik „As They Said of Her“, wo eigentlich Zitate von anderen über die jeweilige Astronomin gesammelt werden sollen. Was eine gute Idee wäre, würde Bernardi nicht meistens einfach nur das nochmal die Zitate wiederholen, die sie sowieso schon weiter vorne im Text gebracht hat.

Abgesehen davon ist das Buch schlicht und einfach schlecht gemacht. Die Struktur ist verwirrend, das Layout ist schlecht. Es ist voll mit Tipp, Schreib- und Grammatikfehlern. Ich habe es mir gekauft, weil ich prinzipiell an wissenschaftlichen Biografien interessiert bin und ganz besonders an den Biografien von Astronominnen. Erfahren habe ich in diesem Buch aber kaum etwas. Am hilfreichsten war da noch das Inhaltsverzeichnis, das ich jetzt als Stichwortliste für eigene Recherchen verwende.

Ich war ja schon beim Kauf skeptisch, weil das Buch im Springer-Verlag erschienen ist. Und mein Misstrauen war leider komplett gerechtfertigt. Ich habe in den letzten Jahren immer wieder festgestellt, dass Springer – zumindes in seiner „populärwissenschaftlichen“ Sparte – alles druckt, was man ihm zu drucken gibt. Ein Lektorat findet nicht statt (oder wenn es stattfindet, dann ist es so mies, dass es besser wäre, man würde es lassen). „Unforgotten Sisters“ hätte ein tolles Buch werden können. Aber die Autorin hat sich nicht sonderlich bemüht und dem Verlag war das offensichtlich egal. Und dann kommt eben so ein liebloses und unbrauchbares Werk raus. Schade.

Das wars für den April. Jetzt kommt der Mai. Da hab ich schon ein dichtes Programm an (Sach)Büchern – bin aber wie immer an euren Vorschlägen interessiert! Immer her damit.

4 Gedanken zu „Trauer, Tod, ein Hamster, Galaxienhaufen und Astronominnen: Die Buchempfehlungen vom April 2021“
  1. Aus aktuellem Anlass würde ich „A Planet of viruses“ von Carl Zimmer empfehlen, dass gerade eine aktualisierte Fassung bekommen hat. Zimmer schreibt klar und verständlich und hier sucht er sich für jedes Kapitel einen anderen Virus raus und beschreibt was diesen besonders macht, Entdeckungsgeschichten und alles was so dazugehört. Wirklich, wie es sich für ein gutes
    Populärwissenschaftliches Buch gehört. Es ist allerdings ein sehr dünnes Buch, insbesondere wenn man vorher sein (großartiges) Buch „she has her mother’s laugh“ gelesen hat… in dem deutlich dickeren geht es um alles was mit Vererbung zu tun hat, aber nicht nur die reine Biologie, sondern z.B auch die langen Versuche herauszufinden ob Intelligenz eigentlich vererbbar ist.

  2. Kennst du „Beneath the Night“ von Stuart Clark? Das hab ich diesen Monat gelesen. Ist ganz gut. Es geht darum, wie unser Interesse am Himmel sich in den unterschiedlichen Epochen auf die Geschichte ausgewirkt hat. Von der Steinzeit bis zur jüngeren Geschichte mit Mondlandung, Satelliten, etc. Manchmal hätte ich mir etwas mehr Details gewünscht, aber es ist gut zu lesen und lesenswert. Ob allerdings für dich als Astronom allzu viel Neues dabei ist, ist eine andere Frage 😉

  3. „Troy“ kenne ich noch nicht, aber Hörbuch-Hörern empfehle ich sich das Buch von Fry selber vorlesen zu lassen. Seine Stimme und Art zu lesen sind der einzige Grund aus dem ich 130 Stunden Harry Potter und 70 Stunden Sherlock Holmes durchgehalten habe 🙂

    Die Empfehlung für Hörbücher gilt auch für die schon früher hier vorgestellte Oddjobs-Serie von Heide Goody und Iain Grant, gelesen von Matthew Lloyd Davies.
    @Florian: Besten Dank für die Empfehlung dieses Autorenpaars!

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