2958 bis dahin unbekannte erdnahe Asteroiden wurden im Jahr 2020 entdeckt. Das war mehr als in jedem Jahr zuvor. Das ist kein Grund für Panik, dafür aber eine sehr interessante Geschichte. „Erdnahe Asteroiden“ klingt nach einer simplen Beschreibung, ist aber tatsächlich ein wissenschaftlich exakt definierter Begriff. Dabei handelt es sich um eine Gruppe von Asteroiden, die die Bahn der Erde kreuzen oder in unmittelbare Nähe der Erdbahn gelangen können. Wenn irgendwann mal ein Asteroid mit der Erde kollidieren sollte (und wir kennen keinen Asteroid, der auf einer Kollisionsbahn ist!), dann wird es einer aus der Gruppe der ernahen Asteroiden (NEAs für „Near Earth Asteroids“) sein.
Den ersten NEA fand man am 13. August 1898. In den 1980er Jahren wurde der 100. NEA entdeckt und als ich Anfang der 2000er Dissertation über NEAs geschrieben habe, waren noch keine 2000 entdeckt. Mittlerweile (März 2021) sind wir bei über 25.000 bekannten NEAs angekommen. Und fast 3000 davon wurden im letzten Jahr entdeckt. Der starke Anstieg liegt nicht – wie man vielleicht vermuten könnte – an den Weltraumteleskopen, die in den letzten Jahrzehnten in immer größere Zahl ins All geflogen sind. Die finden zwar auch immer wieder Asteroiden; die Suche nach solchen Himmelskörpern ist aber normalerweise nicht ihre hauptsächliche Aufgabe. Es liegt vor allem daran, dass die Instrumente immer besser werden, die wir hier auf der Erde verwenden. Die Zahl der entdeckten NEAs ist Jahr für Jahr gestiegen; es ist also nicht überraschend, dass 2020 das bisher beste Jahr war (und es würde mich nicht wundern, wenn der Rekord 2021 wieder übertroffen wird).
Seit 1998 gehört das Catalina Sky Survey (CSS) zu den erfolgreichsten Asteroidsuchprogrammen. Es wurde auch für genau diesen Zweck von der amerikanischen Regierung eingerichtet. Im Jahr 2020 war CSS für die Entdeckung von 1546 NEAs verantwortlich. Die Verantwortlichen führen das einerseits auf längere Phasen stabilen Wetters in Arizona zurück (wo die Sternwarte steht), andererseits auch auf bessere Software und Beobachtungsstrategien. Beeindruckend ist die Sache dennoch, denn immerhin musste der Betrieb 2020 aufgrund der Pandemie zeitweilig unterbrochen werden UND dann war da auch noch ein großer Waldbrand, der die Sternwarte fast zerstört hätte.
Mit dem Pan-STARRS Teleskop hat CSS seit 2010 eine starken „Konkurrenten“ bekommen. Das Teleskop auf Hawaii hat eine Kamera mit einem 1,4 Milliarden-Pixel-Sensor und ein entsprechend großes Gesichtsfeld. Im Jahr 2020 hat es immerhin 1152 neue NEAS gefunden. Von den restlichen 260 Entdeckungen des Jahres stammt der überwiegende Teil vom ATLAS-Projekt der Uni Hawaii (148 Stück), der Rest verteilt sich auf das Weltraumteleskop NEOWISE (21 Stück) und diverse andere Teleskope (89).
Von den neu gefundenen Asteroiden sind 107 in einer Distanz an der Erde vorbei geflogen, die geringer als ihr Abstand zum Mond ist. Im August war der Asteroid 2020 QG nur 2950 Kilometer von der Erdoberfläche entfernt und im November ist 2020 VT4 in nur 400 Kilometer Abstand zur Oberfläche an uns vorbei geflogen. Damit war er uns ungefähr so nahe, wie es die Raumstation ISS und viele Satelliten sind. Gefährlich war er dennoch nicht, denn das Objekt war höchstens 10 Meter groß und wäre bei einer noch weiteren Annäherung in der Atmosphäre verglüht.
Es ist verständlich, wenn man ein wenig beunruhigt ist angesichts all der Asteroiden die so knapp an uns vorbei fliegen und der Tatsache, dass wir immer mehr davon finden. Für Unruhe gibt es aber keinen Grund: Denn die Anzahl der Asteroiden im Sonnensystem wächst ja nicht plötzlich; sie kommen auch nicht plötzlich öfter an der Erde vorbei als früher. Wir sind einfach nur besser geworden, sie zu finden und vor allem auch in der Lage, immer kleinere Asteroiden zu entdecken. Die wirklich großen Brocken haben wir alle schon vor ein paar Jahrzehnten gefunden; jetzt geht es um den „Kleinkram“, der da auch noch rumschwirrt. Der stellt für uns keine allzu große Gefahr dar, ist aber aus wissenschaftlicher Sicht sehr interessant.
WENN irgendwann mal doch einer auftauchen sollte, der sich auf einem Kollisionskurs befindet, dann haben wir hoffentlich bis dahin so viele Informationen über Asteroiden gesammelt wie möglich. Nur dann haben wir eine echte Chance, etwas gegen einen Einschlag zu unternehmen. Wir sollten also darauf hoffen, dass auch 2021 wieder ein Rekordjahr bei der Asteroidenentdeckung wird.
Sehr interessanter Artikel, die Größenordnung war mir so nicht bewusst. Sind nicht gerade Objekte mit hoch exzentrischen Bahnen, die nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden plötzlich im inneren System erscheinen, viel gefährlicher (weil nicht im Vorhinein vermessbar)? Da bräuchte man schon ein Abfangsystem wie in Arthus Clarkes „Rendezvous with Rama“. An den Roman musste ich übrigens denken, als uns Oumuamua besucht hat..
Wenn ich das richtig verstanden habe, wurden also mindestens 97% der 2020 entdeckten NEAs von US-Organisationen entdeckt. Dass es auf diesem Feld eine so große Dominanz der USA gibt, hätte ich nicht erwartet. Haben die Europäer, Chinesen, Russen, Japaner, … keine vergleichbaren Suchprogramme?
Florian, glaubst du, dass wir die kleinen Astreroiden irgendwann mal als Rohstoffquellen benutzen werden? (Stichwort: Asteroidenbergbau)
@Panos: Irgendwann vielleicht… aber nicht bald. (Dazu hab ich übrigens sogar ein ganzes Buch geschrieben: „Asteroid Now“).
Ich glaube, ich bin der Hinsicht immer zu optimistisch und zu forsch.
(Bin gerade dabei den ersten Abschnitt deines Buches zu lesen, allerdings nur digital)