Schon mehr als 100 Tage ist es her, dass dank der Coronakrise in Österreich kein normaler Betrieb mehr in Theatern und anderen Veranstaltungsorten möglich ist. Und es damit auch nicht möglich ist, mit den Science Busters und unserer neuen Show „Global Warming Party“ auf Tour zu gehen. All die vielen Auftritte in Deutschland und Österreich mussten entfallen bzw. verschoben werden. Damit die Tour nicht völlig verschwindet, habe ich sie zumindest hier im Blog weiterleben lassen und für jeden nicht stattgefundenen Auftritt einen kurzen Artikel über die Wissenschaft geschrieben, die man am Auftrittsort erleben kann (Wildon, Wien, Passau, München, nIngolstadt, Grafenwörth, Salzburg, Leipzig, Dresden, Berlin, Wien, nochmal Wien und Saalfelden). Heute Abend wäre ein Auftritt in Linz geplant gewesen. Da ist es immer nett und ich freu mich schon, wenn ich wieder mal ohne Corona-Stress dort sein kann. Bis dahin erzähle ich euch ein wenig was über Ludwig Boltzmann.

Boltzmann ist in Wien geboren worden. Und war einer der wichtigsten Physiker des 19. oder 20. Jahrhunderts, je nachdem wie man es betrachtet. Boltzmann war der, der die klassische Physik im 19. Jahrhundert mehr oder wenig zu Ende gebracht hat; was man darüber wissen kann hat Boltzmann rausgefunden und mit seiner Arbeit war die „normale“ Physik dann im Wesentlichen durchgespielt. Boltzmann hat aber massiv daran mitgearbeitet, die Grundlage für das zu legen, was die klassischen Physik im 20. Jahrhundert ablösen sollte: Die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik.

In einem kurzen Blogartikel kann man natürlich nicht das komplette Leben und Werk eines wissenschaftlichen Giganten wie Boltzmann umfassend erläutern. Weswegen ich mich auf ein paar Details beschränke. Das erste hat mit der Kindheit von Boltzmann zu tun und dem Grund für diesen Artikel. In dem es ja auch um Linz gehen soll. Die Hauptstadt von Oberösterreich hat überraschend wenige große Forscherinnen und Forscher zu bieten. Ok, Johannes Kepler hat dort gelebt, das ist schon mal was. Aber sonst war eher wenig los. Boltzmann hat mit der Stadt deswegen zu tun, weil sein Vater ein Beamter der k.u.k-Monarchie war und immer wieder mal versetzt wurde. Aus Salzburg nach Wien, gerade lange genug damit Boltzmann dort geboren werden konnte. Dann ging es aber weiter nach Wels und schließlich nach Linz, wo Boltzmann in die Schule ging. Am „Akademischen Gymnasium“ legte er die Matura ab und ging dann zum Studium wieder nach Wien. Seine Schulzeit in Linz war prägend, schreibt man in solchen Fällen. Aber eigentlich war sie das nicht. Die meisten Lehrer in Linz waren Geistliche; die Ausrichtung der Schule eine religiöse und fast alle Klassenkameraden hatten für ihr späteres Leben eine Karriere in der Theologie geplant. Boltzmann, der beste Schüler der Schule (vor seinem leider schon mit 16 Jahren verstorbenen Bruder), hatte andere Pläne und studierte Mathematik und Physik.

Keplers Wohnhaus in Linz. Geht aber heute nicht um Kepler.

Einmal kehrte er noch zurück ans Gymnasium, um dort ein Probejahr als Lehrer zu absolvieren. Aber dann ließ er die Karriere als Lehrer sein und nahm eine Professur an der Universität Graz an. Seine Forschung die er dort, später in Wien und Leipzig durchführte betrifft so gut wie alles, was man in der damaligen Physik erforschen konnte. Boltzmann war vor allem Theoretiker, hat aber auch Experimentalphysik betrieben. Mechanik, Elektrodynamik, Thermodynamik, Kinetik, Strahlung… Boltzmanns Arbeitsfelder lesen sich wie das Vorlesungsverzeichnungs eines Physikstudienganges. Ich möchte vor allem einen Aspekt hervorheben, den man gerne vergisst: Die Atome.

Heute ist allen auch nur halbwegs naturwissenschaftlich interessierten Menschen klar, dass die Materie aus Atomen aufgebaut ist. Und dass die Atome selbst aus kleineren Bausteinen zusammengesetzt sind. Von Protonen, Neutronen oder gar Quarks hatte man zu Boltzmann Zeiten aber noch keine Ahnung. Denn da war selbst die Sache mit den Atomen noch umstritten. Nicht für Boltzmann allerdings. Er war von Anfang an fest davon überzeugt, dass es Atome geben muss und in seinen frühen Arbeiten geht er auch ganz selbstverständlich davon aus. Erst später sieht er sich genötigt, ihre Existenz auch in wissenschaftlichen Publikationen argumentativ zu verteidigen. Vor allem, um den ständigen Angriffen der „Energetiker“ zu begegnen. Das sind nicht die Esoteriker, die wir heute mit dem Begriff „Energetik“ in Verbindung bringen. Die Energetik war eine philosophische Strömung, die den Atombegriff abgelehnt hat.

Man kann nachlesen, was Boltzmann dazu zu sagen hat. Neben seinen vielen wissenschaftlichen Aufsätzen hat er auch „populäre Schriften“ veröffentlicht, zu allen möglichen Themen. Über Luftschifffahrt, über die neu entdeckten Röntgenstrahlung, darüber was eine „Theorie“ ist, und so weiter. Aber eben auch Texte wie „Über die Unentbehrlichkeit der Atomistik in der Naturwissenschaft“. Die gesammelten populären Schriften sind 1905 erschienen und hier als pdf-Datei verfügbar. Gewidmet hat Boltzmann den Sammelband dem deutschen Dichter Friedrich Schiller. Und ich möchte unbedingt ein wenig aus dem Vorwort zitieren:

„forwort.

ich musste mir in meinen letzten büchern di neue ortografi gefallen lassen, di zu erlernen ich zu alt bin; so möge man sich hir im forworte di neueste ortografi gefallen lassen. ich glaube, man soll di abweichungen fon der fonetik, wenn man si nicht ganz ferschonen will, dann schon alle hinrichten. wenn man dem hunde den schwanz nicht lassen will, schneide man in mit einem griffe ganz ab!

ich habe im forligenden buche über eine fom ferleger an mich ergangene aufforderung meine populären schriften zusammengestellt. si sind fon ser ferschidenem inhalte, teils reden, teils populärwissenschaftliche forträge, abhandlungen mer filosofischen inhalts, rezensionen etc.

obwol natürlich meine anschauungen im verlaufe der zeit modifikazionen erfaren haben, und ich heute fileicht nicht mer alles so schreiben würde, so habe ich doch alles unferändert gelassen, da es offenbar immer nur ein bild meiner damaligen anschauungen geben kann und soll.“

Ludwig mag die Rechtschreibung nicht… Bild: gemeinfrei

Boltzmann hatte anscheinend keine große Freude mit den Resultaten der Orthographische Konferenz von 1901. Die neue Rechtschreibung findet er doof. Und nutzt seine Öffentlichkeit um dagegen zu protestieren. Das erinnert ein wenig an 1996, als die deutsche Rechtschreibung ein weiteres Mal reformiert worden ist. Und auch da gab es jede Menge Leute die sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, weil die neuen Schreibweisen schrecklich unnatürlich seien. Und früher alles besser war. Nur dass eben das „früher“ genau das nervige Neue war, das Boltzmann so gestört hat 😉

Das kann man auch ein wenig als Vergleich zur Wissenschaft sehen. Da gibt es ja auch ständig neue Entwicklungen. Die dann ebenso wie bei der Rechtschreibung von manchen Menschen abgelehnt werden. Relativitätstheorie und Quantenmechanik sind gute Beispiele dafür. Die haben das bestehende Wissen über den Haufen geworfen. Was vielen nicht gepasst hat, unter anderem auch den Leuten die am Über-den-Haufen-werfen beteiligt waren. Albert Einstein zum Beispiel, der mit seiner Arbeit nicht nur maßgeblich geholfen hat die Existenz von Atomen zweifelsfrei zu belegen sondern mit den Grundlagen der Quantenmechanik auch eine völlig neue Beschreibung dieser kleinen Teilchen möglich gemacht hat, war von der weiteren Entwicklung der Quantenphysik alles andere als begeistert.

Aber so ist eben die Welt. Sie bleibt nicht stehen. Das tun nur wir Menschen. Aber zum Glück kommen immer wieder neue Menschen nach für die „das Neue“ ganz gewöhnlich ist.

Die ganze Coronasache wird aber hoffentlich nicht zur Normalität… irgendwann würde ich schon wieder gerne mal auf einer Bühne stehen um über Wissenschaft zu reden. Der nächste geplante Termin wäre gleich morgen gewesen, dann wieder in Wien. Was nun leider auch nix wird. Tja.

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Die abgesagteste Tour des Wissenschaftskabaretts

6 Gedanken zu „Ludwig Boltzmann, die Rechtschreibung und die Atome: Die Science Busters kommen nicht nach… Linz!“
  1. Die sogenannte Rechtschreibreform wurde allerdings nicht nur deswegen kritisiert, weil die Kritiker sich nicht an Neuerungen gewöhnen wollten, sondern weil sie in Teilen durchaus unlogisch und unsinnig ist und vor allem auch sprachwissenschaftlichen Erkenntnissen widerspricht. Teilweise wurden auch Begründungen für Änderungen genannt, die einfach nicht stimmen. Deswegen mußte sie auch zu einem Teil zurückgenommen werden und wird von einigen Verlagen noch immer nicht angewendet.

    Und ja, ich kann Beispiele nennen, man sehe sich nur mal das Stammschreibungsprinzip an: https://www.belleslettres.eu/content/rechtschreibung/aufwendig-aufwandig-stammschreibung.php

    Ziel der „Reform“ war übrigens auch, es den Leuten leichter zu machen. In einigen Bereichen ist aber genau das Gegenteil passiert. Mit dem Ersetzen des „daß“ durch die Schreibweise „dass“ fällt es anscheinend einigen Leuten viel schwerer, zwischen „das“ und „dass“ zu unterscheiden – was man auch hier im Blog beobachten kann.

    Man sollte sich also vielleicht bei der Kritik an den Reformkritikern nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, und vor allem auch nicht pauschal behaupten, das wären alles Ewiggestrige.

  2. Ich finde den Vergleich ein bißchen gekünstelt. In der Physik wird eine Theorie von einer anderen ver­drängt, weil die neue bes­ser ist, also einen wei­te­ren Gül­tig­keits­bereich hat.

    Bei der Orthographiereform sehe ich keine Ver­bes­se­rung; im­mer­hin konn­te be­reits die alte (und auch die von Boltz­mann) jeden ge­spro­che­nen deut­schen Satz schrift­lich ab­bil­den. Das ist also nicht Fort­schritt, son­dern Mode. Und Mode hat mich noch nie interessiert.

  3. Schon ein bisschen bezeichnend, dass es um einen der beeindruckendsten Physiker überhaupt geht, und die einzigen Kommentare sind immer noch über eine Rechtschreibreform, die fast ein Vierteljahrhundert her ist. Illustriert das Argument des Artikels sehr gut 😀

  4. @Florian Freistetter: unter dem Zitat ist immer noch ein fehlerhafter Bild-Code.
    Außerdem:
    „Die meisten Lehrer in Linz warEN Geistliche …“ — sollte es wohl heißen.
    und: „Aber dann ließ er die Karriere als Lehrer sein und nahm eine Professor an der Universität Graz an.“ — sollte vermutlich „Professur“ heißen.

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