Die abgesagte Tour der Science Busters geht (nicht) weiter. Nachdem ich schon davon erzählt habe wie wir nicht in Wildon, nicht in Wien und nicht in Passau waren reisen wir heute (nicht) weiter nach München. Die Auftritte im Münchner Lustspielhaus sind immer besonders schön und es ist deswegen besonders schade das wir zwei ausverkaufte Shows dort ausfallen lassen müssen. Aber wie bei den vergangenen abgesagten Terminen nutze ich die Gelegenheit um zumindest ein wenig von der Wissenschaft zu erzählen die man an den Orten die wir nun nicht besuchen finden kann.
München mangelt es nicht an Wissenschaftsprominenz. Albert Einstein hat dort als Kind gelebt, dort haben die Nobelpreisträger Rudolf Mößbauer und Theodor Hänsch gearbeitet. Dort hat Joseph von Fraunhofer gelebt und Georg Simon Ohm. Wilhelm Röntgen, Ernst Mach, Arnold Sommerfeld, Werner Heisenberg, Max Planck: Jede Menge prominente Namen aus der Wissenschaft haben mit der bayrischen Landeshauptstadt zu tun. Ich habe mich aber trotzdem für eine Person entschieden, deren Name nicht prominent ist. Unverständlicherweise, denn ausreichend wichtig genug wäre ihre Arbeit auf jeden Fall gewesen.
Erika Cremer wurde am 20. Mai 1900 in München geboren. Sie stammte aus einer Familie von Naturwissenschaftlern und wollte selbst von Anfang an auch in der Wissenschaft arbeiten:
„Ich kann mich erinnern, daß ich in der ersten Volksschulklasse von einer Lehrerin herausgeholt wurde, nach vorne, was meistens etwas Schlechtes bedeutete, aber
in diesem Falle wollte sie eigentlich etwas ganz Gutes von mir wissen. Sie wollte nämlich wissen, was ich einmal werden möchte. Das war noch eine sehr moderne Frage damals, denn Mädchen sollten ja nichts werden, die sollten ja zu Hause bleiben, sollten dann wieder einen Haushalt gründen – in dieser Umgebung ihr ganzes Leben verbringen. Ich war aber absolut nicht verlegen zu sagen, was ich zu sagen hatte, nämlich: „Ich möchte eine Studentin werden.““
(Die Zitate von Erika Cremer stammen aus dem Film „Ein Leben für die Wissenschaft. Erinnerungen der Forscherin Erika Cremer“ von Michael Stöger, so wie sie in dem Text „Erika Cremer“ von Klaus Benecke in den „Mitteilungen der Kolloid-Gesellschaft (1999, 311-334, PDF) zitiert werden)
Studiert hat sie dann auch, und zwar ab 1921 an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Berlin. Frauen war es noch nicht lange erlaubt die Hochschulen zu besuchen; und das Chemie-Studium das Cremer gewählt hatte, war für Frauen damals besonders außergewöhnlich. 1927 aber schloß sie dieses Studium ab, unbeeindruckt von den generell und besonders für Frauen schlechten Berufsaussichten in dieser Disziplin:
„So lange man studierte, ging das ganz gut. Aber als man dann fertig war und als Konkurrent auftrat, da merkte man schon, daß man sehr viel weniger Chancen
hatte als die Männer. Im übrigen hat man´s eigentlich selber auch erkannt, daß das so sein muß. Erstens waren wir ja eine Art „neue Eindringlinge“, die jetzt in ein Geschäft
hineinkamen, das bisher nur von Männern geführt wurde; und dann wollten die Männer ja auch eine Familie gründen und wollten dazu eine feste Stellung haben. Ich
habe nach meinem Doktor, den ich 1927 gemacht habe, mehr als 10 Jahre nie eine feste Stelle gehabt.“
Cremer aber ließ sich nicht abhalten. 1938 beendete sie ihre Habilitation an der Uni Berlin und ließ sich auch nicht von der Aussagen des dortigen Dekans abschrecken: „Den Dr. habil.
geben wir Ihnen, eine Dozentur bekommen Sie nie“. Genau das gelang ihr aber 2 Jahre später, als sie an den Lehrstuhl für Physikalische Chemie der Universität Innsbruck berufen wurde. Dort verbrachte sie den Rest ihrer wissenschaftlichen Laufbahn bis zu ihrer Emeritierung im Jahr 1970; dort lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1996. Dort entwickelte sie aber auch das, was heute als ihre bedeutendste Leistung gilt. 1945 bat sie der Student Fritz Prior um ein Thema für eine Dissertation. Cremer schlug vor eine Methode zu untersuchen bzw. zu entwickeln um ein Gasgemisch in seine einzelnen chemischen Bestandteile aufzuspalten. Und genau das taten Cremer und Prior dann auch. Die Methode ist zu komplex um sie kurz, verständlich und vollständig zu erklären (bzw. habe ich zu wenig Ahnung von Chemie um das zu tun). Aber es läuft darauf hinaus dass das Gasgemisch in eine Röhre geschickt wird, die mit einem chemisch nicht reagierenden Trägergas (wie zum Beispiel Helium) speziell präpariert ist und deren Temperatur verändert werden kann. Die einzelnen Bestandteile des Gases brauchen unterschiedlich lange um diese Röhre zu durchqueren und man kann mit einem Detektor am Austrittsende aufreichnen wie viel wann rauskommt und so analysieren aus welchen Elementen das Gemisch besteht.
Die Arbeit von Cremer und Prior wurde 1949 erstmals öffentlich präsentiert – und heftig kritisiert. Es dauert ein wenig, bis sich die Forschung von Cremer und ihren Kollegen durchsetzen konnte. Aber heute ist das was sie (und unabhängig auch von anderen) entdeckt hatte und seitdem immer weiter entwickelt wurde ein wichtiges Standardverfahren in der Naturwissenschaft: Die Gaschromatographie.
Von Erika Cremer erzählen wir in der nicht in München aufgeführten Show „Global Warming Party“ leider nichts. Aber ihre Arbeit spielt indirekt eine wichtige Rolle. Denn in der Show geht es um die Klimakrise und die haben wir deswegen weil wir zu viele Treibhausgase in die Atmosphäre getan haben. Um zu verstehen was da abgeht und was man dagegen tun kann, muss man aber erst mal genau wissen, wie viel dieser Treibhausgase wie zum Beispiel Kohlendioxid da überhaupt drin sind. Genau das war übrigens auch die erste offizielle gaschromatographische Analyse die Cremer und Prior durchgeführt haben: Die Trennung von Luft und Kohlendioxid.
Um den CO2-Gehalt in der Luft zu messen verwendet man heute meist zwar andere Methoden. Aber wenn es um spezielle Fragen geht kommt auch in der Klimawissenschaft die Gaschromatographie zum Einsatz. Zum Beispiel beim SouthTRAC-Projekt der Universität Frankfurt, wo untersucht wird wie sich das Ozonloch über der Antarktis verändert und welche Auswirkungen das auf den Klimawandel hat. Dazu wird von einem Flugzeug aus mit einem speziell entwickelten Gaschromatographen gemessen, wie groß der Anteil der Gase und Elemente in der Luft ist, die die Entstehung des Ozonlochs begünstigen.
Und mit dem Ozonloch schließt sich auch wieder der Kreis zu unserer Bühnenshow. Denn das spielt eine wichtige Rolle – welche genau und was es mit dem Klimawandel und schlechter Rockmusik aus den 1980er Jahren (und noch viel schlechterer aus den 1990er Jahren) zu tun hat, verrate ich aber nicht. Dazu müsst ihr in die Show kommen und könnt euch die schlechte Musik sogar live anhören. Irgendwann wird es ja wieder weitergehen und alle ausgefallenen Termine werden sofern es irgendwie möglich ist auch nachgeholt! Was auch für unseren Auftritt in Ingolstadt gilt, der am Montag in echt nicht stattfindet, aber zumindest schriftlich hier im Blog aufgearbeitet wird!
Bis dahin könnt ihr euch ja noch dieses Video von einem Interview mit Erika Cremer aus dem Jahr 1990 anschauen (ich hoffe, es steht offiziell bei YouTube und wurde da nicht unrechtmäßig reinkopiert – falls ja bin ich für Hinweise dankbar):
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Die abgesagteste Tour des Wissenschaftskabaretts
- 18.03.2020: Rotalgenberge und die langsame Welt der Geologie: Die Science Busters kommen nicht nach… Wildon!
- 20.03.2020: Wilhelm Wien und der Klimawandel: Die Science Busters kommen nicht nach… Wien!
- 27.03.2020: Donau, Inn und die beruhigende Gewissheit der Flussordnungszahlen: Die Science Busters kommen nicht nach… Passau!
Schöner Artikel!
Ich muss allerdings zugeben, dass ich in der Überschrift zuerst „Gasch-romatografie“ gelesen habe … und musste die Überschrift dreimal lesen um mir die Frage zu beantworten, was das nun wieder ist … 🙂