So! Der Juni ist fast zu Ende. Ich fühle mich ein wenig wie im Lied „Über Nacht“ von Element of Crime beschrieben: „und kaum dass ich einmal nicht müde bin
ist der Sommer schon wieder vorbei“. Aber ein wenig Sommer ist ja hoffentlich noch da und im Gegensatz zu den letzten beiden Sommern hoffe ich sehr, ihn auch mal nicht nur mit Arbeit und durch Arbeit verursachte Müdigkeit zu verbringen sondern mit Entspannung und Urlaub. Da gehören natürlich auch jede Menge gute und neue Bücher dazu. Die werde ich aber erst lesen; im Juni hab ich mich mehr mit den älteren Exemplaren meines Bücherregals beschäftigt. Aber da war auch jede Menge Schönes dabei.
Geniale Science-Fiction-Kurzgeschichten
Wenn ihr ein Buch für den Urlaub sucht das man sehr schön auch immer wieder mal zwischendurch lesen kann, dann müsst ihr unbedingt „Stories of Your Life and Others“ (auf deutsch: „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“) von Ted Chiang lesen! Das Genre der Kurzgeschichte funktioniert ja gerade in der Science Fiction recht gut und Ted Chiang ist ein absoluter Meister was das angeht. Er braucht gerade mal einen Absatz um den Leser in eine Welt zu schleudern die absolut vertraut, absolut fremd und absolut faszinierend ist. Zum Beispiel: Ein Mann fährt mit dem Auto durch die Gegend und hört von einem Zwischenfall bei einem Einkaufzentrum. Ein Engel ist erschienen und es gab jede Menge Todesopfer. Oder: Eine Karawane ist auf dem Weg zur Baustelle des Turms von Babylon. Man steht kurz vorm Durchbruch in den Himmel. Oder: Ein Kind in der viktorianischen Ära langweilt sich und bastelt deswegen an seinem Golem herum.
Chiang nimmt die Welt wie wir sie kennen und tauscht einfach ein zentrales Element aus um daraus höchst faszinierende Geschichten zu entwickeln. Was wäre, wenn Gott, Himmel, Hölle und Engel real wären. Aber mehr so etwas wie Naturkatastrophen; Engel erscheinen irgendwo, ohne großartig etwas zu tun außer dabei aus Versehen jede Menge Menschen umzubringen. Und die Toten werden entweder sichtbar in den Himmel entrückt oder aber landen ebenso sichtbar in der Hölle…
Die Geschichte „Seventy-Two-Letters“ fand ich auch sehr wunderbar: Es ist eine Welt in der es eine Wissenschaft gibt, aber eine Wissenschaft die so funktioniert wie man sich das in der Antike und der Mystik vorgestellt hat. Die richtige Kombination aus Buchstaben kann unbelebte Materie lebendig machen; Leben entsteht spontan aus verrottender Materie, man kann aus Spermien einen Homunkulus züchten, und so weiter.
Von Chiang stammt auch die Grundlage zum Kinofilm Arrival, was ich nicht wusste, weil ich den Film immer noch nicht gesehen habe. Die Kurzgeschichte „Story of your life“ ist aber genial und ich bin gespannt wie das mit der linguistischen Grundlage der Wahrnehmung im Film umgesetzt worden ist. Ich kann die ganze Sammlung nur dringend empfehlen.
Die Kultur der kleinen Eiszeit
Klimaforschung und der Klimawandel sind ja gerade wieder stark in den Medien vertreten. Dazu passt auch das Buch „Die Welt aus den Angeln: Eine Geschichte der Kleinen Eiszeit von 1570 bis 1700 sowie der Entstehung der modernen Welt, verbunden mit einigen Überlegungen zum Klima der Gegenwart“ von Philip Blom. Zumindest ein wenig. Ich bin mir noch nicht sicher was ich von dem Buch halten soll. Es ist eigentlich keine „Geschichte der Kleinen Eiszeit“; zumindest nicht im naturwissenschaftlichen Sinn. Damit habe ich mich ja auch schon beschäftigt und es wäre interessant gewesen das alles mal in einem Buch ausführlich dargelegt zu bekommen. Blom konzentriert sich in seinem Buch aber eher auf den zweiten Teil, die „Entstehung der modernen Welt“. Man findet in dem Buch eine Darstellung der Kultur die sich in der frühen Neuzeit entwickelt hat; es geht um die religiösen Umwälzungen, die technischen Entwicklungen (Buchdruck), die sozialen Veränderungen (Schulen, Universitäten) – und auch um die Umwelt. Die Auswirkungen der kleinen Eiszeit auf Landwirtschaft, Handel, etc werden zwar anhand zeitgenössischer Quellen dargestellt, aber mir fehlt in dem Buch ein wirklich stringenter roter Faden. Wie die Unsicherheit ob des wechselhaften Wetters mit der Hexenverfolgung zu tun hat erschließt sich mir noch, warum aber ein so ausführliches Kapitel über Michel de Montaigne in dem Kontext sein muss, hab ich nicht verstanden.
Das Buch ist nicht schlecht; es ist voll mit interessanten Informationen über die freue Neuzeit und man findet dort jede Menge Quellen und Material für weitere Lektüre. Aber es ist auch wenig zu durcheinander für meinen Geschmack und wenn man schon eine „Geschichte der kleinen Eiszeit“ im Titel verspricht wäre ein klein wenig mehr Naturwissenschaft nett gewesen.
Die Fortsetzung des Kriegs der Welten
Tatsächlich enttäuscht war ich von „The Massacre of Mankind“ (auf deutsch: „Das Ende der Menschheit“ von Stephen Baxter. Und die Enttäuschung kam unerwartet, denn immerhin ist das Buch die „offizielle“ Fortsetzung des Klassikers „Krieg der Welten“ von H.G. Wells. Denn nachdem die Menschheit der Invasion der Marsmenschen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerade noch entkommen ist, kommen die Marsianer wieder. Und diesem sind sie besser vorbereitet… Das klingt nach gutem Material und Baxter hat ja auch schon mit „Zeitschiffe“ eine gute Fortsetzung von „Die Zeitmaschine“ geliefert. Aber mit dem neuen Buch konnte ich nicht viel anfangen. Die Handlung ist gut; sie ist originell so wie Baxter immer originell ist. Und wenn er diese Geschichte um drei Viertel gekürzt hätte, dann wäre es sicher auch ein gutes Buch geworden. So ist es aber eines der wenigen, die ich nicht zu Ende gelesen habe. Noch nicht, aber nach ungefähr 80% hatte ich einfach keine Lust mehr, noch ein weiteres Kapitel darüber zu lesen wie die Marsianer irgendwo landen und alle umbringen. Das einzige was sich ändert ist die Szenerie und die zerstörten Wahrzeichen… Nach 80% des Buches hat Baxter immer noch nicht wirklich verraten, wie die Marsianer besiegt werden (was jetzt kein Spoiler ist; das ganze Buch beginnt gleich mit einer Rückblende; wir wissen also von Anfang an dass die Menschheit irgendwie erfolgreich gewesen sein muss). Ich werde es sicher noch irgendwann zu Ende lesen, aber eigentlich nur damit ich das abhaken kann, nicht weil es mich so fasziniert…
Die unsterblichen Herren der Gezeiten
Ich hab mir leider ein paar Bücher aus dem Regal geholt von denen ich wusste, dass sie mir gefallen und ein weiteres Mal die schöne „Tide Lord“-Serie von Jennifer Fallon gelesen. Sie besteht aus den vier Bänden „The Immortal Prince“, „The Gods of Amyrantha“, „The Palace of Impossible Dreams“ und „The Chaos Crystal“. Auf deutsch sind sie teilweise nur noch gebraucht unter „Der unsterbliche Prinz“, „Die Götter von Amyrantha“, „Der Palast der verlorenen Träume“ und „Der Kristall des Chaos“ zu erhalten, obwohl die ganze Serie demnächst als ebook unter dem Titel „Gezeitenstern-Saga“ neu aufgelegt wird.
Die Geschichte spielt auf dem fiktiven (obwohl…) Planeten „Amyrantha“. Dort leben die Menschen in einem typischen Kaiser/König/Ritterburg-Fantasy-Setting. Aber nicht nur Menschen. Sondern auch „Crasii“ – seltsame Mischwesen aus Tieren und Menschen. Und die „Tide Lords“, die aber die meisten nur für einen Mythos halten. Die Tide Lords sind ganz normale Menschen die irgendwann einmal unsterblich wurden. Durch die „ewige Flamme“ die vor langer Zeit durch einen Meteoriteneinschlag auf den Planeten gekommen ist (und mittlerweile wieder verloschen ist). Die Tide Lords sind aber nicht nur unsterblich; einige von ihnen können auch die Magie der Gezeiten nutzen und Wasser, Wind, Feuer und andere Elemente beeinflussen. Ihre Kraft hängt dabei von der Stärke der Gezeiten ab, die von einem „Tide Star“ gesteuert werden. Immer wenn „Flut“ herrscht, sind die Tide Lords quasi allmächtig und weil sie sich alle nicht sonderlich leiden können, zerstören sie bei ihren Streitigkeiten gerne mal den halben Planeten und Millionen normaler Menschen. Während der „Ebbe“ haben sie keine besonderen Kräfte – und wenn die Ebbe lang genug dauert, dann vergessen die Menschen das es sowas wie Unsterbliche überhaupt gibt. Nur nicht der Geheimbund der sich der Vernichtung der Tide Lords verschrieben hat…
Genau am Ende einer sehr langen Ebbe setzt die Geschichte ein. Die Tide Lords tauchen langsam wieder aus ihren Verstecken auf und machen sich daran die Zeit der Flut zu planen….
Ich finde die Gezeitenstern-Saga deswegen so gut, weil sie zwar durchaus sehr klassische Fantasy ist, aber auf Elfen, Zwerge und den ganzen Rest verzichtet sondern sich allein auf unsterblichen Tide Lords und ihre seltsame Gezeitenmagie konzentriert. Die Tide Lords sind ein wenig so wie die antiken Götter: Eigentlich menschlich mit all ihren menschlichen Eigenschaften, aber eben auch mit massiven Kräften ausgestattet. Vor allem aber finde ich die vielen Gedanken zur Unsterblichkeit interessant die sich Fallon macht und die in anderen Büchern über Untsterbliche meist ignoriert werden. Was passiert mit einem Menschen, der zehntausend Jahre lang lebt und immer noch kein Ende in Sicht ist? Was motiviert solche Leute bei ihren Handlungen; wie verändert sich ihre Sicht auf die Welt. Und so weiter – und bei all diesen Gedanken ist es nicht überraschend das die ganze Saga auf die Antwort auf eine Frage hinaus läuft: Wie tötet man jemanden, der unsterblich ist?
Ich persönlich fand ja besonders das Ende gut und hätte da gerne noch ne neue Buchreihe gelesen die die Geschichte von dieser überraschenden Situation aus weiterführt. Aber die gibt es leider nicht – was die Gezeitenstern-Saga nicht weniger gut macht. Packt euch die vier Bände in den Urlaubskoffer; es lohnt sich!
Ein paar Krimis
Zur Entspannung hab ich dann noch ein paar Krimis gelesen die ich schon früher kurz besprochen haben. Zuerst die sehr lustigen, sehr spannenden und sehr nett gemachten Krimis um den erfolglosen Anwalt Fickel aus dem thüringischen Meiningen von Hans-Henner Hess:
Und dann die ebenso lustigen, ebenso spannenden und ebenso gut gemachten Krimis aus der niederösterreichischen Provinz von Rainer Nikowitz (die auch früher schon mal erwähnt habe:
Das wars für den Juni. Ich hab jetzt noch ein paar Tage Arbeit vor mir bevor ich mich endlich auf in den Urlaub mache. Mit jede Menge Büchern im Gepäck über die ich dann – so wie immer – Ende Juli berichten werde. Bis bald!
Die Links zu den Bücher sind Amazon-Affiliate-Links. Beim Anklicken werden keine persönlichen Daten übertragen.
Schade, dass Stephen Baxter – leider schon wieder – eine Gurke abgeliefert hat. Waren die Zeitschiffe und der zweiteiler „Die Flut“ und „Die Arche“ noch ganz großes Kino, so sind die letzten Bürcher fast durchwegs Rohrkrepierer gewesen. Proxima hab ich nach 100 Seiten entsorgt. Die Zusammenarbeiten mit Clarke und Pratchett waren ebenfalls max. unterer Druchschnitt. Schade.
Aber die Empfehlung von Ted Chiang klingt vielversprechend!
Arrival war gar nicht schlecht.
Ist es auf jeden Fall wert, ihn anzuschauen.
Und Baxter hat zwar wohl die geilsten und originellsten Ideen, aber sein Schreibstil hat mich noch nie besonders begeistert. Ich mag z.B. Alastair Reynolds und Richard Morgen viel mehr!
Vielen Dank!
Falls du was suchst, ich habe gerade das Bobiversum gelesen und die sind wirklich gut.
„We are many (we are Bob)“ ist das erste.
Sogar sehr gut, ziemlich intensiv vermisse ich die früher™ so allgegenwärtigen KurzgeschichtenReihen (Heyne, Goldmann und Ullstein fallen mir als erstes ein) – doch gefühlt genauso gut funktionieren sie zB auch bei Krimi.
@ Florian Freistetter
Ted Chiang hat auch schon in ’nature‘ veröffentlicht: What’s Expected of Us
Eine sehr kurze Kurzgeschichte zum Thema Zeitreisen (von Signalen) und freier Wille (von Menschen). Pflichtlektüre, Du hast keine Wahl.
„Ein Mann fährt mit dem Auto durch die Gegend und hört von einem Zwischenfall bei einem Einkaufzentrum. Ein Engel ist erschienen und es gab jede Menge Todesopfer.“
Hört sich verdächtig nach der Simspons Episode an…
„Auf deutsch sind sie teilweise nur noch gebraucht unter “Der unsterbliche Prinz”, “Die Götter von Amyrantha”, “Der Palast der verlorenen Träume” und “Der Kristall des Chaos” zu erhalten, obwohl die ganze Serie demnächst als ebook unter dem Titel “Gezeitenstern-Saga” neu aufgelegt wird.“
Einzeln gibt’s die jetzt auch schon als ebook.