Müll im Weltall ist ein nicht zu unterschätzendes Problem. Noch kommt man damit halbwegs klar – aber in Zukunft könnte eine katastrophale Kettenreaktion die Situation massiv verschlimmern. Das „Kessler-Syndrom“ beschreibt einen Zustand, in dem der erdnahe Weltraum für uns quasi unbenutzbar wäre und das hätte massive Auswirkungen für unsere Zivilisation.

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Transkription

Sternengeschichten Folge 229: Das Kessler-Syndrom

Unsere moderne Welt wird massiv von der Satellitentechnik beeinflusst. Wir brauchen die Satelliten in der Erdumlaufbahn für alles mögliche: Für die Wettervorhersage, für die alltägliche Navigation im Auto, mit unseren Handys und überall sonst wo wir GPS-Empfänger einsetzen. Die weltweite Warenlogistik braucht die Satelliten und die Navigation, Satellitenbilder der Erde werden in der Archäologie, der Landwirtschaft oder dem Katastrophenschutz eingesetzt. Die Grundlagenforschung benötigt Satelliten in der Erdumlaufbahn um Daten über unseren Planeten zu sammeln um die Auswirkungen von Klimawandel oder Umweltverschmutzung zu erforschen. Ohne Satelliten gäbe es kein Satellitenfernsehen, keine Live-Übertragungen und keine globale Telekommunikation. Und dann sind da noch die Raumstation, die Weltraumteleskope und auch die Raumsonden, die die Erde zwar nicht umkreisen aber den erdnahen Weltraum auf dem Weg zu ihren Zielen im Sonnensystem durchqueren müssen.

Ohne Satelliten und ohne die Möglichkeit sie im erdnahen Weltraum zu platzieren sähe unsere Welt ganz anders aus. Und es wäre fatal, wenn wir diese Technik irgendwann nicht mehr nutzen können. Genau das könnte aber passieren. Diese Gefahr hat als erster der amerikanische Astrophysiker Donald Kessler im Jahr 1978 entdeckt als er in einer wissenschaftlichen Arbeit ein Phänomen beschrieben hat, das heute als „Kessler-Syndrom“ bekannt ist.

Großer Weltraummüll: Eine Delta-2-Oberstufe (Bild: NASA)
Großer Weltraummüll: Eine Delta-2-Oberstufe (Bild: NASA)

Kessler hat sich eigentlich mit Asteroiden beschäftigt und damit, wie durch Kollisionen zwischen diesen Himmelskörper immer mehr immer kleinere Bruchstücke entstehen. Aber was bei Asteroiden passieren kann, kann auch bei künstlichen Himmelskörper wie Satelliten stattfinden. In der am 1. Juni 1978 veröffentlichten Arbeit hat Kessler gemeinsam mit seinem Kollegen Burton Cour-Palais sich daher angesehen, wie realistisch die Kollision zwischen Satelliten tatsächlich ist und welche Folgen daraus entstehen könnten. Damals wurde die Erde von knapp 4000 künstlichen Objekten umkreist. Damit waren nicht nur funktionstüchtige Satelliten gemeint sondern auch der Weltraummüll über den ich schon in Folge 56 der Sternengeschichten gesprochen habe. Denn wenn eine Rakete ins All fliegt, dann setzt sie dort nicht nur Satelliten aus, sondern hinterlässt auch Teile von sich selbst im All. Die ausgebrannten Raketenstufen zum Beispiel die nicht zurück zur Erde fallen. Oder auch diverse Trümmerstücke, wie zum Beispiel abgesprengte Abdeckungen oder Sprengbolzen. Es können auch kleinste Stückchen von ausgedampften Treibstoffresten sein; Batterien in zurückgelassenen Raketenstufen können explodieren und so weitere Trümmer erzeugen. Und dann gibt es noch die „Killersatelliten“. Viele Nationen haben Spionagesatelliten und besonders während des Kalten Krieges hat man auch Satelliten entwickelt die die Satelliten des Gegners neutralisieren können in dem sie absichtlich auf einen Kollisionskurs geschickt wurden. Wie oft so etwas vorgekommen ist, ist natürlich öffentlich nicht bekannt aber es ist vorgekommen und es wird vermutlich auch heute noch ab und zu vorkommen. 2007 hat China zum Beispiel eine „Anti-Satelliten-Rakete“ getestet und damit einen chinesischen Wettersatelliten zerstört und dabei ungefähr 150.000 Trümmerstücke erzeugt.

Fest steht also: Es gibt jede Menge Zeug in der Erdumlaufbahn. Damals als Kessler seine Arbeit schrieb kannte man, wie schon gesagt, knapp 4000 Objekte. 4000 Objekte zumindest die groß genug waren um von der Erde aus mit Radartechnik erfasst zu werden. Wie viel winziger Kleinkram da oben herumschwirrt war damals unbekannt und ist es heute immer noch. Kessler hat in seinem mathematischen Modell der Satellitenbewegung nun genau überlegt, wie oft es zu Kollisionen zwischen Satelliten kommen würde. Wenn zwei Objekte in der Erdumlaufbahn zusammenstoßen, dann ist das kein kleiner Rumms oder ein sanfter Schubser. Die Satelliten treffen durchschnittlich mit Geschwindigkeiten von 10 Kilometern pro Sekunde aufeinander. Wenn das passiert, dann hat das dramatische Folgen. Es entstehen jede Menge neue Trümmer; je nach Material können Teile der Satelliten schmelzen und die geschmolzenen Tröpfchen bilden weitere Trümmer. Und all diese Trümmer erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass es in Zukunft zu noch mehr Kollision kommt.

Anhand der im Jahr 1978 vorhandenen Daten hat Kessler probiert vorherzusagen, wann es rein statistisch zur ersten Kollision zwischen zwei Satelliten im Weltall kommen wird. Sehr genau konnte er es nicht eingrenzen weil auch nicht bekannt war, wie viele Satelliten man in Zukunft ins All schicken würde. Aber er landete bei einem Zeitraum zwischen 1989 und 2005. Damit lag er nicht allzu weit daneben. Der erste tatsächliche unbeabsichtigte Zusammenstoß zwischen Satelliten im All fand am 10. Februar 2009 statt.

Eigentlich dachte man, man wüsste wo sich die beiden Kommunikationssatelliten Iridium 33 und Kosmos 2251 befinden und wie sie sich bewegen. Für den späten Nachmittag des 10. Februars 2009 sagten die entsprechenden Überwachungssysteme einen Vorbeiflug der beiden Objekte in einem Abstand von 600 Metern voraus. Das ist zwar aus astronomischer Sicht eine sehr geringe Distanz, für zwei Satelliten sind 600 Meter aber eigentlich ein ausreichend großer Abstand. Die Bewegung von Objekten im Weltall zu berechnen ist allerdings knifflig, zumindest dann wenn man es wirklich genau machen will. Da reicht es nicht, einfach nur die Anziehungskraft der Erde zu berücksichtigen – man muss auch auf jede Menge Details achten. Darauf zum Beispiel, dass die Masse im Inneren der Erde nicht exakt gleich verteilt ist und ihre Anziehungskraft sich geringfügig ändert, je nachdem über welches Gebiet der Satellit gerade fliegt. Das alles macht es schwer bis unmöglich, die Bahnen von Satelliten auf den Meter genau vorherzusagen; besonders wenn es automatisch für ein paar tausend Objekte erfolgen soll.

Bei Iridium 33 und Kosmos 2251 war der Fehler in den Vorhersagen offensichtlich groß genug. Vom alten russischen Kommunikationssatelliten Kosmos erwartete niemand irgendein Signal; das Ding war schon seit 1995 nicht mehr aktiv. Der Kommunikationssatellit Iridium 33 dagegen stand seit 1997 im Dienst und sollte das eigentlich auch weiter tun. Doch mit ihm brach die Kommunikation an diesem Tag plötzlich ab. Die beiden Satelliten waren miteinander kollidiert. Der 25 Meter lange und 556 Kilogramm schwerer Iridium und der 17 Meter lange und 900 Kilogramm schwere Kosmos waren mit einer Geschwindigkeit von 11,6 Kilometern pro Sekunde zusammengestoßen. Schon wenige Stunden nach der Kollision gab es statt der Satelliten nur noch zwei große Trümmerwolken die sich immer weiter ausbreiteten. Hatten sich die beiden Satelliten in einer Höhe von knapp 800 Kilometern über dem Erdboden befunden, erreichten die Trümmer Regionen zwischen 200 und 1700 Kilometern Höhe.

Mit Radarmessungen hat man bisher circa 2200 größere Bruchstücke identifiziert, also Objekte die größer als 5 bis 10 Zentimeter sind. Fast 400 davon sind mittlerweile in der Erdatmosphäre verglüht, der Rest ist aber weiterhin im All. Und von den kleineren Trümmern gibt es nach Schätzungen mindestens 100.000 die noch für lange Zeit durchs All fliegen werden. Das schafft natürlich Probleme: Aktive Satelliten aber auch die Raumstation müssen immer wieder Ausweichmanöver fliegen um weiteren Kollisionen zu entgehen.

Heute enthalten die Datenbanken der Radar-Überwachungsstationen schon weit über eine halbe Million Trümmerteile in der Erdumlaufbahn die größer als 1 Zentimeter sind. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass es auch in Zukunft zu Kollisionen kommt. Und genau das ist das Problem auf das Kessler schon im Jahr 1978 gestoßen ist: Jede Kollision erzeugt neue Trümmer und je mehr Trümmer es gibt, desto wahrscheinlicher werden Kollisionen. Das ganze ist ein sich selbst verstärkender Prozess der die Zahl der Trümmer immer schneller und schneller anwachsen lässt. Irgendwann ist das Wachstum dann exponentiell; in einer späteren Arbeit aus dem Jahr 1991 schätzte Kessler, dass sich die Kollisionsrate sich alle 5 Jahre verdoppeln kann. Um das zu verhindern müsste man dafür sorgen, dass weniger Satelliten in speziellen, dicht bevölkerten Regionen der Erdumlaufbahn existieren. Wir tun aber genau das Gegenteil und schicken immer mehr hinauf. Wenn die katastrophale Kollisionskaskade aber erst einmal los gegangen ist, dann lässt sie sich nicht mehr aufhalten – selbst wenn wir dann gar nichts neues mehr ins All schicken würde sie weiter gehen.

Dieses Modell von Envisat steht auf der Erde. Der echte ist noch im All und könnte Probleme machen (Bild: gemeinfrei)
Dieses Modell von Envisat steht auf der Erde. Der echte ist noch im All und könnte Probleme machen (Bild: gemeinfrei)

Noch ist es nicht so weit; es gibt noch keine Kettenreaktion die den erdnahen Weltraum unbrauchbar macht. Aber wir sollten das Thema nicht ignorieren. Es ist nicht leicht, den Weltraummüll zu entsorgen. Er ist im Weltraum d.h. wir müssen dorthin um irgendwas zu tun und jeder Raketenstart macht nur noch mehr Müll. Und trotz allem ist der Weltraum groß. Man kann da nicht einfach mit einem „Weltraumstaubsauger“ durchfliegen und alles einsammeln. Man muss vor allem dafür sorgen, dass so wenig neuer Müll wie möglich entsteht. Weltraumagenturen wie die NASA oder die ESA haben daher auch spezielle Richtlinien nach denen ausgediente Satelliten entweder gezielt zum Absturz gebracht oder aber in weit von der Erde entfernte Umlaufbahnen geschickt werden müssen wo sie niemanden stören. Nur: Verbindlich sind diese Richtlinien nicht und eine Weltraumpolizei die sie durchsetzen kann gibt es auch nicht.

Und dann bleibt immer noch der alte Müll. Zum Beispiel der riesige, mehr als 8 Tonnen schwere und 25 Meter lange Umweltsatellit Envisat, der 2012 ausgefallen ist und nun inaktiv die Erde umkreist. In einer Gegend, in der sich auch noch anderer Müll befindet und die Möglichkeit einer Kollision zwar nicht zwingend aber auch nicht unwahrscheinlich ist. Sollte Envisat mit einem anderen Satellit kollidieren, dann – so Kessler – könnte das genau der Auslöser sein, der die nicht mehr aufzuhaltende Kettenreaktion startet an deren Ende der ernahe Weltraum so mit Trümmern verseucht ist, dass die Raumfahrt danach wenn vielleicht auch nicht unmöglich so aber doch deutlich schwieriger werden wird.

16 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 228: Das Kessler-Syndrom“
  1. Interessant.
    Ein kleiner Tippfehler hat sich eingeschlichen, bei dem 2007er Fall.
    Wie ist denn die Geschwindigkeitsverteilung der einzelnen Teilchen?
    Ich finde es ja spannend, daß man eine halbe Million Trümmerteile in der Erdumlaufbahn, die größer als 1 Zentimeter sind, katalogisieren konnte. Aber auch kleinerer Teile könnten wie Geschosse wirken.

  2. Viele Nationen haben Spionagesatelliten und besonders während des Kalten Krieges hat man auch Satelliten entwickelt die die Satelliten des Gegners neutralisieren können in dem sie absichtlich auf einen Kollisionskurs geschickt wurden. Wie oft so etwas vorgekommen ist, ist natürlich öffentlich nicht bekannt

    Ich denke mal, den versierten Amateur-Satellitenbeobachtern dürfe so etwas nicht entgangen sein. Es gibt da Amateure, denen entgeht kein Start, auch nicht von geheimen Militärsatelliten. Die Bahnelemente von allen Satelliten kann man im Netz herunterladen und eigene Sichtbarkeitsvorhersagen mit entsprechenden Programmen erstellen.

    Außerdem gibt‘ Geräte wie auf dem Wachtberg, das einem Fraunhofer Institut gehört, also zivil ist, mit dem wird Weltraumschrott ständig verfolgt. Die werden das sicher nicht geheim halten, wenn sie die Folgen einer Kollision entdecken.

    Der Abschuss des Satelliten durch China war vom Land als großer Erfolg proklamiert worden.

  3. Wer sich das einmal plastisch vor Augen führen möchte, der könnte den Film „Gravity“ anschauen (George Clooney, Sandra Bullock). Er zeigt das sehr anschaulich, wie ausgeliefert man solchen Trümmerwolken ist, wie zerstörerisch sie sind, und welch unaufhaltsame Dominoeffekte da entstehen (so, als würde man einen Tischtennisball in einen riesen Raum werden, dessen Boden vollgepackt ist, mit Mausefallen, die alle einen weiteren Tischtennisball eingespannt haben).
    Und der Film zeigt auch sehr anschaulich, welche Gewalt solche kleinen Teile haben.

  4. Ein typisch politisches Problem : es kostet 1 wenn wir es jetzt machen, aber es sieht abgehoben und irreal aus.
    Wenn man es später macht, kostet es 10 000, aber dann kann man es auch begründen.

  5. […] und welch unaufhaltsame Dominoeffekte da entstehen (so, als würde man einen Tischtennisball in einen riesen Raum werden, dessen Boden vollgepackt ist, mit Mausefallen, die alle einen weiteren Tischtennisball eingespannt haben).

    Haha, Smamap, war das eine Referenz auf die Sendung mit der Maus zur Kettenreaktion im Atomreaktor?

  6. @Anderas

    Man kann es jetzt schon begründen, es gibt ja schon beobachtbare Schäden und dadurch unnötige entstandene Kosten – von den Risiken ganz zu schweigen.

    Das Problem ist hier nicht unbedingt die Politik (natürlich relevant, aber nicht ausschlaggebend), sondern tatsächlich scheitert es an der Machbarkeit.

    Man kann nicht einfach einen großen Staubsauger bauen und dann einfach alles leer saugen. Es gibt bereits einige Vorschläge (zB einfach mal nach „High-Tech Space-Junk Solutions“ suchen), aber bisher ist alles hauptsächlich theoretisch.

    Hinzu kommt, dass die rechtlichen Aspekte eine weitere Hürde darstellen. Wer darf/soll was/wann/wie/wo entfernen? Man schlägt sich also auch noch mit Rechtsfragen herum.

  7. Also rechtliche Aspekte scheinen mir hier – wie so oft – nur aufgebladene Sinnlosigkeit. Keiner aus China oder Luxemburg würd jemals fragen….bevor er einen Satelliten sprengt oder anfängt Gold o.ä. zu schürfen. … Juristen oder sonstige frühwer so genannt „Obrigkeit“haben keine Macht über Physikalische Prozesse, Schwerkraft oder einfache Sachzwänge….

  8. Da steht bei Kessler: aktuell ca. alle 8 Jahre eine Zufallkolision … Tendenz stark steigend…..!

    Nur die Schweizer wollen ihren einen kleine Satellit auch wieder einfangen!

    Würden Sie das auch mit Steuernhinterziehern aus D machen, könnte man die Säuberung des erdnahen Raumes leicht finanzieren!

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