Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2016. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier.
Das sagt der Autor des Artikels, Walter S. über sich:
Keine Angabe
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Zuerst: Was ist überhaupt Kartonmodellbau und wie zur Hölle wird man Kartonmodellkonstrukteur?
Kartonmodellbau ist, man möchte es nicht glauben, ein sehr altes Hobby. Erste Modelle aus Papier entstanden schon im 16. Jahrhundert. So richtig populär wurde die ganze Sache in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als die ersten kommerziellen Modellbögen entstanden und bis zum Aufkommen der Kunststoffmodelle war „Papier zusammenkleben“ äußerst beliebt.
Nach einer Flaute bis in die 1990er Jahre kam mit verbesserter Druckqualität, computergezeichneten und somit erheblich detaillierteren und passgenaueren Modelle eine „Renaissance“.
Die heutigen Modellbögen sind teilweise wahre Kunstwerke und enorm detailliert. Bis an die Grenzen des Machbaren – und oft darüber hinaus. Über die Sinnhaftigkeit von 1mm kleinen Teilen kann man streiten…
Wenn man sich die Bögen so anschaut, dann mag man sich fragen, wer hat denn nun diese Modelle konstruiert? Irgendwer muss es ja machen. Und genau da bin ich beim springenden Punkt und dem eigentlichen Thema.
Man setze sich vor die Zeichentafel oder den Computer und los geht’s. Laaaaaangsam…..
Zuerst braucht man genaue Zeichnungen. Am besten aus allen Richtungen – sprich Draufsicht, Untersicht, Links, Rechts, von Vorne und Hinten. Diese Zeichnungen werden in ein 3D fähiges Zeichenprogamm eingebettet. Am besten schon im richtigen Maßstab, damit man gleich vorweg sieht, wie groß die entsprechenden Teile werden. Alles in Orginalgröße zu zeichnen und dann entsprechend verkleinern ist der berühmte Schuss ins Knie. Denn es gibt einen Faktor beim Kartonmodellbau, den wahrscheinlich niemand wirklich kennt.
Die Papierstärke.
Hä? Ja, die Stärke des verwendeten Papiers bzw. Karton. Fast alle Modellbögen sind auf 160g m² dickem Papier gedruckt. Das hat ungefähr eine Stärke von 0,16 – 0,18mm. Klebt man jetzt einen Ring (die einfachste Form) so ist der Außendurchmesser größer als der Innendurchmesser. Jeder kann das leicht überprüfen, indem er sich so einen Ring zusammenklebt und dann zuerst innen und dann außen einen Streifen drüberlegt, jene Stelle an der er sich überlappt, markiert und dann abmisst. Der Unterschied in der Länge ist mindestens 1 – 2mm. Und genau diesen Wert der Papierstärke muss man bei jeden Teil akribisch berücksichtigen. Mit der Zeit bekommt man aber ein Gespür dafür (oh das reimt sich sogar).
Nun gut. Man entwirft mittels der Zeichnungen das Modell. Begonnen wird meistens mit dem Rumpf, dann Tragflächen, Steuerflächen, Cockpit, Fahrwerk, Triebwerke usw. Und das nicht nacheinander, sondern parallel. Denn ein Teil greift in den Anderen und eine kleine Änderung irgendwo zieht einen wahren Rattenschwanz an Änderungen an anderen Teilen nach sich.
Ist man mit der Konstruktion fertig, müssen alle Teile, die man virtuell entworfen hat, „abgewickelt“ werden. Das heißt nichts anderes, als das alle Teile auseinander gefaltet werden. Viele Zeichenprgramme für Metallbau haben solch eine Funktion. Ich verwende jedoch ein spezielles 3D Zeichenprogramm, das für meine Zwecke wie geschaffen ist. Eine Einschränkung gibt es dabei aber trotzdem – die abwickelbare Fläche darf nur in eine Richtung gekrümmt sein. Ein Zylinder, Kegel, Kegelstumpf ist kein Problem. Eine Kugel, Torus, oder sonstige, in alle Richtungen gekrümmte Form kann nicht abgewickelt werden. Außer man zerlegt sie wieder in einfachere Formen. Ist ein wenig kompliziert zu beschreiben….
Anschließend müssen alle Teile im Sinne des Originals „angemalt“ werden. Das erledige ich mit entsprechenden Grafikprogammen. Dabei ist es hilfreich, alles als Vektorgrafik zu zeichnen, da diese Objekte nachträglich ohne Qualitätsverlust vergrößert oder verkleinert werden können. Pixelorientierte Programme sind dafür nicht oder nur eingeschränkt verwendbar.
Naja und nach endlosen Stunden hat man ein fertiges Modell, das allerdings zusammengebaut werden muss. Und dabei erlebt man dann sein blaues Wunder 🙂 Denn was in der virtuellen Welt perfekt gepasst hat, passt in der Realität nur bedingt. Deshalb werden zuerst mindestens 2 Probebauten gemacht, an denen die Passgenauigkeit, die allgemeine Machbarkeit und jede Menge Fehler, die sich eingeschlichen haben, kontrolliert und ausgebessert werden.
Erst wenn wirklich alles passt, kommt der Bogen in die Druckerei. Am Tag der Veröffentlichung gibt es dann garantiert noch eine kleine Überraschung in Form irgendeiner Kleinigkeit, die man übersehen hat (gottseidank nie etwas wirklich Gravierendes). So oft kann man gar nicht kontrollieren, als dass man nicht trotzdem was übersieht.
So und warum schreib ich das alles? Weil ich selber Konstrukteur von Kartonmodellen bin. Flugzeuge im Maßstab 1:33. Und da wiederum Geräte, die in der Wirklichkeit laut und schnell sind.
Meine Leidenschaft für Kartonmodelle hat .. ja wann war das? Ich bin Jahrgang 66, irgendwann Mitte der 1970er Jahre… naja so um die 10 Jahre war ich damals, als mich mein Vater in ein Spielwarengeschäft verfrachtet hat und ich das erste Kartonmodell kaufen durfte. Es war eine Vickers Viscount von GELI – DIE legendäre Modellbaufirma in Österreich. Gegründet in den 1950er Jahren, wurden bis Mitte der 1990er Jahre Modelle produziert. Ich hab die Dinger ohne Ende gebaut und irgendwann entstand der Wunsch, auch einmal für diese Firma Modelle zu zeichnen. Naja ein Bubentraum halt…
Meine Ausbildung als technischer Zeichner war schon so etwas wie ein kleiner Fingerzeig und im Laufe der Jahre war ich immer – auch beruflich – mit Zeichnen beschäftigt. Zuerst waren es Häuser, dann in der Vermessung und schließlich bin ich bei Bahnhoflageplänen gelandet. Zuerst alles mit Tuschestiften, später dann mit AutoCAD.
Mitte der 2000er Jahre probierte ich dann einfach eine neue Ebene aus. Ich kaufte mir das noch immer verwendete 3D Programm und begann mit dem Konstruieren meines ersten Modells. Der Saab Lansen. Erschienen ist dieser Modellbogen 2007 und fast 10 Jahre später steh ich bei 15 Veröffentlichungen. Zum 10-jährigen Jubiläum soll eines der derzeit besten Flugzeuge – den Eurofighter Typhoon – erscheinen.
Hab ich früher einen Bubentraum erwähnt? Ja, und – ich fass es noch immer nicht – er ist tatsächlich in Erfüllung gegangen. 2012 wurde ich von den neuen Besitzern der GELI Bögen kontaktiert und um eine Mitarbeit gebeten. Was als einmaliges „Ereignis“ gedacht war, ist mittlerweile eine fixe Mitarbeit (allerdings nur als Hobby, Hauptberuflich ist das nicht möglich).
Aus einer Faszination für Flugzeuge wurde ein Hobby, daraus eine Leidenschaft für den Kartonmodellbau und damit erfüllte sich nach Jahrzehnten ein – immer irgendwo im Hinterkopf gebliebener – Traum. Klingt fast nach klassischem Hollywood Kino ?
Wer jetzt neugierig geworden ist, kann sich diese Geschichte in der längeren Fassung und mit allerlei anderem Zeug auf meinem Blog
https://ws-kartonbau.blogspot.co.at/
genauer anschauen bzw. durchlesen. Dort gibt es auch die Geschichte zu den GELI Bögen und wie ich Teil davon wurde.
danke fürs teilhabenlassen an deinem ungewöhnlichen hobby und deinem erfüllten traum.
da mutmasslich die wenigsten eine vorstellung davon haben wie soetwas aussieht (oder überhaupt wissen, dass es das gibt) wären 1-2 bilder wirklich hilfreich für ein besseres verständnis gewesen.
Schön geschrieben. liest sich gut.
Ein paar Bilder wären noch nett 🙂
Das ist mal ein Thema, was völlig von den sonst so üblichen ScienceBlog-Artikeln abweicht. Aber deswegen umso interessanter. Sehr schön und Daumen hoch. 🙂
Schon interessant, aber das Thema schreit nach Bildern. Vorlagen, Einzelteile, fertiges Objekt.
Geht’s hier nur um Flugzeuge, oder auch Alltagsgegenstände? Man kann ja sogar benutzbare Stühle aus Papier bauen, wenn sie richtig konstruiert.
@Alderamin
Ich baue Rüstungen und Waffen aus Karton nach. (z.B. Iron Man Armor, Cyberman oder Sachen aus Skyrim). Gibt dafür eine große Community. Diese Sachen sind für mich allerdings nur das Grundgerüst um diese mit Glasfaser zu verstärken. Danach hat man dann komplett anziehbare Rüstungen für Cosplay.
Spannende Materie. Ich finde auch, man hätte da noch viel mehr draus machen können, vor allem mit Bildern!
Als Grafiker habe ich manchmal z.B. Verkaufsdisplays gestaltet, d.h. die Form lag schon vor, aber für die Bedruckung musste man das Teil auch erstmal nachbauen, dann (skizzenartig) bemalen/beschriften, dann wieder abwickeln und dann mit dem Grafikprogramm das Design in Reinform anlegen. Besonders interessant wurde es, wenn ein Rapport, d.h. ein sich wiederholendes Muster, verlangt wurde. Das so anzulegen, dass die Übergänge an (möglichst) allen Ecken genau passen, ist schon nicht mehr trivial.
Diese Art Jobs war immer besonders cool. Ich beglückwünsche dich zu diesem interessanten Beruf und zur Verwirklichung deines Kindertraums :)))
@Florian, gibt es irgendwo einen Überblicksartikel mit Links zu allen Beiträgen?
@:q! Mit dem Tag „Blog-Schreibwettbewerb“ kommst du zu allen bisher erschienenen Artikel: https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/tag/blog-schreibwettbewerb/
@ :q!
https://scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2016/07/19/der-scienceblogs-blog-schreibwettbewerb-2016/#comment-975366
Sehr schöner Artikel zu einem Hobby, welches etwas in der Nische existiert.
Ich kann mich aber auch noch erinnern (bin Bj. 62) daß irgendwann als Junge auch diverse Bastelbögen in der Hand hatte.
Leider hat mir damals die nötige Geduld gefehlt, um solche Schnippel- und Klebeorgien durch zu stehen. Trotzdem haben wir früher (in Ermangelung von Kids TV, Konsolen u.a. Ablenkern) viel gebastelt haben.
Größtes Projekt: Wir hatten aus Pappe und Packpapier einen Flugzeugträger gebaut, den wir schwimmfähig machten, diesen dann mit ausreichend Silvesterböllern bestückt, alles angezündet und auf dem Bach hinterm Haus dann zu Wasser gebracht hatten.
Quasi Peral Harbour für 10-jährige Provinzjungs!
Aber ja, es macht Spaß, ist mir aber auch heute zu filigran….
Warum bauen Modellbauer eigentlich immer nur Waffen und Kriegsgerät?
uiiii, da gibt es doch tatsächlich Interesse daran ! Das freut mich. Fotos wollte ich eigentlich keine dazugeben – die gibt es auf meinem Blog…
@Dampier: Der Modellbau umfasst eigentlich JEDE Sparte. Es gibt z.b. hervorragende Architekturmodelle, Sci-fi Modelle, teilweise mechanische Modelle, Figuren, Schiffe (auch zivile) in ungeahnter Detailverliebtheit.
Und das Thema Waffen im Modellbau und die Diskussionen darüber sind wahrscheinlich so alt wie der Modellbau selbst. Ein Flugzeug, Panzer usw. wird erst dann zur Waffe, wenn der Mensch es dazu verwendet. Bestes Beispiel sind die Anschläge am 9. September 2001. Niemand hätte sich gedacht, dass ein simples Passagierflugzeug, das im Grunde ein Transportmittel ist, als Mittel für einen Terroranschlag und somit als Waffe verwendet wird.
Wer sich über Kartonmodellbau ein wenig näher beschäftigen will, dem sei ein Besuch auf http://www.kartonbau.de empfohlen (ich treib mich da mit meinen Konstrutionsberichten auch rum). Da is so ziemlich jede Sparte vertreten – natürlich auch mit Fotos.
… Achtung jetzt kommt ein Karton – so kennen ich es aus der Kindersendung.
Karton kann viel – und ist keine alte Schachtel.
Im Modellbau – Verstrebungen testen – leicht wie Papier aber super stark – gegen durch biegen oder verdrehen. Frage – Passt das Design wenn nicht – NEU geht schneller mit Schere und Lineal als aus dem Metallblock neu fraßen.
Und Recycling zurück zur Natur – als Blumentopf. Hab gesehen gibt jetzt Buntstifte mit kartonmantel – SuperIDEE.
Auch Regenwürmer machen in der Pampe aus Karton neue Gartenerde für bioAnbau.
JA die moderne Schachtel hat es in sich – biotec4u