Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.
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Sternengeschichten Folge 108: Die kleine Eiszeit und der Sonnengott
Im Winter wird es kalt. Das ist nicht weiter überraschend sondern liegt an den Jahreszeiten die von der geneigten Erdachse verursacht werden. Je nachdem, welche Hälfte der Erde gerade in Richtung Sonne geneigt ist, kann dort die Sonnenstrahlung länger und intensiver eintreffen und die Temperaturen sind höher beziehungsweise niedriger. Die Neigung der Erdachse ist im wesentlichen stabil und damit auch die Jahreszeiten. Es gibt aber auch länger dauernde Temperaturzyklen, die Eiszeiten und Warmzeiten auf der Erde, die unter anderem durch Veränderungen der Bahn der Erde um die Sonne verursacht werden. Über diese Milankovic-Zyklen habe ich schon in Folge 55 der Sternengeschichten gesprochen.
Manchmal gibt es aber auch Klimavariationen, die weder zu den kurzfristigen Jahreszeitenzyklen, noch zu den längerfristigen Klimaperioden passen. Zum Beispiel die sogenannte „Kleine Eiszeit“. So wird vor allem ein Zeitraum im 17. Jahrhundert bezeichnet, in dem es deutlich kälter war also normal und der große Auswirkungen auf Kultur und Gesellschaft hatte. Die Winter dauerten länger und waren kälter als sonst; die Gletscher der Alpen wuchsen und zerstörten Häuser und Dörfer.
Bevor es kalt wurde, war es aber zuerst einmal überraschend warm. Vor der kleinen Eiszeit herrschte auf der Welt die sogenannte Mittelalterliche Warmzeit. Die Durchschnittstemperaturen waren bis zu zwei Grad höher als normal. Das war auch der Grund, weswegen im 9. und 10. Jahrhundert die Wikinger Island und Grönland besiedeln konnte. Gerade in Grönland war damals ein halbwegs normales Leben möglich und eine kleine Wikingerkolonie konnte sich etablieren. Die folgende kleine Eiszeit dagegen war nicht mehr so angenehm für die Menschen.
Überall in Europa gab es zum Beispiel Hungersnöte, weil die tiefen Temperaturen eine Aussaat auf den Feldern verhinderte. Die langen Winter verkürzten die Wachstumsphasen; es gab weniger Nahrung; die Produkte wurden teurer, es kam zu Mangelernäherung, Seuchenausbrüchen und generell großen Spannungen überall in den europäischen Gesellschaftschichten. Die sozialen Unruhen führten schließlich zu dramatischen Ereignissen wie dem dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648, der in Mitteleuropa unvorstellbare Verheerungen verursachte. Vor allem in der Region, die später zu Deutschland werden sollte, war es schlimm. In den Jahrzehnten zuvor hatte sich dort durch Einwanderung die Bevölkerung fast verdoppelt und als dann die Lebensbedingungen immer schlechter wurden, waren die Konflikte kaum zu vermeiden.
Natürlich wäre es zu einfach, den gesamten dreißigjährigen Krieg nur auf das Einsetzen der kleinen Eiszeit zurückzuführen. Es gab noch viele andere politische Gründe – aber das Klima hat mit Sicherheit eine relevante Rolle gespielt.
Die Ursachen für die kleine Eiszeit sind heute übrigens noch immer nicht völlig verstanden. Vermutlich war es eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Eine wichtige Rolle spielte sicherlich der Vulkanismus. In der Zeit vor dem Temperaturrückgang gab es einige stärkere Vulkanausbrüche, bei denen Staub und Schwefeldioxid in die Erdatmosphäre gelangten. Das Material kann dort für viele Jahre verbleiben und die aus dem All eintreffende Sonnenstrahlung absorbieren. Auf der Erdoberfläche wird es dadurch dann kälter. Der Effekt wird durch die einsetzenden längeren und härteren Winter noch verstärkt: Liegt mehr Eis und Schnee und auf der Erde und wachsen die Polkappen, dann wird auch von der Erdoberfläche mehr Sonnenstrahlung reflektiert und es wird NOCH kälter. Es gibt noch mehr Eis, das noch länger bleibt, die Temperaturen noch weiter sinken lässt – und so weiter.
Ein weiterer Faktor und Rückkopplungseffekt könnte durch den Rückgang der Bevölkerung entstanden sein. Als die Bevölkerungszahlen sanken, konnte sich der Wald wieder ausbreiten. Die zusätzlichen Bäume können die CO2-Konzentration in der Luft verringern und dadurch auch die Wirkung des natürlichen Treibhauseffekts schwächen. Es gibt auch Untersuchungen, die andeuten, dass zur damaligen Zeit der Golfstrom ein bisschen schwächer war als sonst. Diese Meereströmung ist ja dafür verantwortlich, das Nordeuropa halbwegs erträglich Temperaturen hat. Sieht man sich eine Weltkarte an, dann liegen Länder wie Großbritannien oder Skandinavien ja in etwa so weit nördlich wie Kanada. Dass es in Europa aber bei weitem nicht so eisig ist, wie in Nordamerika liegt an der Strömung aus warmen Wasser, die aus der Äquatorregion kommt und sich an den europäischen Küsten entlang bis ins Polarmeer zieht. Die Wärme aus den südlichen Regionen wird im Norden abgegeben und dadurch sind die Temperaturen dort höher als sie es eigentlich sein sollten.
Zu all diesen Effekten kommt vermutlich auch noch eine verringerte Sonneneinstrahlung dazu. Die Sonne leuchtet eigentlich ziemlich gleichmäßig und zeigt keine großen Variationen. Was sich allerdings regelmäßig ändert, ist die Sonnenaktivität. Darüber habe ich in Folge 80 der Sternengeschichten schon ein wenig gesprochen. Unser Stern ist ja eine große Kugel aus Gas. Genauer gesagt, aus Plasma – also einem Gas, in dem die negativ geladenen Elektronen der Atome nicht mehr an die positiv geladenen Atomkerne gebunden sind. Die Atome des Gases sind also nicht mehr elektrisch neutral. Das ganze geladene Plasma bewegt sich und erzeugt dabei elektrische und magnetische Felder und die Veränderung und Wechselwirkung dieser Felder erzeugt Phänomene wie Sonnenflecken oder Protuberanzen. Die Aktivität der Sonne kann sich auch auf ihre Leuchtkraft auswirken – zum Beispiel wenn die elektromagnetischen Felder die Bewegung und damit das Aufsteigen von heißem Plasma aus dem Inneren der Sonne an die Oberfläche verhindern. Der Effekt ist aber gering und die Menge an Sonnenstrahlung verändert sich aufgrund der Sonnenaktivität nur um etwa ein Zehntel Prozent.
Aber gerade während der kleinen Eiszeit war die Sonnenaktivität besonders gering. Der normale Aktivitätszyklus der Sonne beträgt 11 Jahre. Aber diesem kurzen Zyklus sind einige längere Zyklen überlagert und manchmal kann die Aktivität auch besonders stark werden oder auch besonders schwach. So eine schwache Aktivitätsphase, die mit einer geringeren Sonneneinstrahlung verbunden ist, fand zwischen 1645 und 1715 statt. Diesen Zeitraum nennt man nach dem britischen Astronomen Edward Maunder das Maunderminimum. Dass gerade eine Aktivitätsminimum der Sonne stattfindet, wusste man damals allerdings noch nicht. Sonnenflecken, die als Maß für die Aktivität verwendet werden können, wurden erst Anfang des 17. Jahrhunderts entdeckt und systematische Zählungen der Flecken gab es erst im 19. Jahrhundert. Heute wissen wir, dass damals tatsächlich deutlich weniger Flecken zu sehen waren als davor oder danach.
Momentan ist die Sonnenaktivität – zumindest was die langfristigen Zyklen angeht – wieder sehr stark. Ruhige Phasen gab es aber in der Vergangenheit immer wieder. Von 1460 bis 1550 existierte das Spörer-Minimum, davor das Wolf-Minimum von 1280 bis 1350. Während der mittelalterlichen Warmzeit war die Aktivität dagegen besonders stark und diese Phase wird auch das Mittelalterliche Maximum der Sonnenaktivität genannt, dem wiederum das Oort-Minimum von 1040 bis 1080 vorausging. Nach dem Maunderminimum während der kleinen Eiszeit folgte von 1790 bis 1820 das Dalton Minimum und seit etwa 1950 befinden wir uns im sogenannten Modernen Maximum.
Die Variation der Sonnenaktivität alleine ist allerdings ein zu geringer Einfluss, um ein Phänomen wie die kleine Eiszeit zu erzeugen. Es war vermutlich ein komplexes Zusammenspiel all der genannten Faktoren nötig, um die Temperaturen merklich zu senken. Neben all den tragischen Folgen hat sich die kleine Eiszeit aber auch in der Kunst niedergeschlagen. Viele klassische Gemälde aus der Zeit zeigen Winterszenen – zum Beispiel die berühmten „Jäger im Schnee“ von Peter Bruegel dem Älteren. Auch Aktivitäten wie das Eislaufen konnten sich damals stark verbreiten. Überall in den Europäischen Städten waren Kanäle und Flüsse zugefroren. In den Niederlanden wurden die Kanäle zu wichtigen Verkehrswegen und in London gab es die berühmten „Frostjahrmärket“ auf der zugefrorenen Themse.
Auch die klassischen weißen Weihnachtswinter aus den Büchern von Charles Dickens, die auf jeden Fall in Großbritannien aber auch anderswo das Bild von Weihnachten noch heute prägen, könnten Klimafaktoren wie der Sonnenaktivität zu verdanken sien. Weiße Weihnachten sind in Großbritannien relativ selten. In den Büchern von Dickens – wie zum Beispiel der sehr populären „Weihnachtsgeschichte“ (die im Original „A Christmas Carol“ heißt und vom geizigen Ebeneezer Scrooge handelt, der von den Geister der vergangenen, zukünftigen und gegenwärtigen Weihnacht besucht wird) liegt aber immer eine dicke Schneedecke über dem Land. Und tatsächlich fiel Dickens Kindheit in eine Phase, in der überdurchschnittliche viele weiße Weihnachten stattfanden. Während seiner neun ersten Lebensjahre erlebte er sechsmal Schnee zu Weihnachten und im Winter von 1813 war es sogar so kalt, dass die Themse zufror wie bei den Frostjahrmärkten während der kleinen Eiszeit. Und so wie damals das Maunderminimum herrscht, fällt Dickens Kindheit auch genau auf die letzten Jahre des Dalton-Minimums der Sonnenaktivität.
Wie gesagt – es ist nicht möglich, komplexe Klimaveränderungen auf einzelne Faktoren wie die Aktivität der Sonne zurückzuführen. Aber es ist irgendwie ein faszinierender und auch schöner Gedanke, dass die klassischen Wintergeschichten in der Literatur von weißen Weihnachten und zugefrorenen Flüssen am Ende auf das zurückzuführen sind, was 150 Millionen Kilometer weit entfernt im Inneren der Sonnen stattgefunden hat. Denn das wir heute Weihnachten Ende Dezember feiern, geht auf die römischen Feierlichkeiten zu Ehren von Sol Invictus zurück – dem Sonnengott.