Als am 9. November 1989 die Mauer zwischen Ost- und Westdeutschland eingerissen wurde, war ich 12 Jahre alt. Ich habe das ganze also durchaus bewusst miterlebt; allerdings aus der Ferne. Mir war klar, dass hier bedeutende und historische Dinge passieren, aber als Österreicher war ich von den Ereignissen nicht so unmittelbar betroffen wie die Menschen in der BRD und natürlich die nun freien Bewohner der DDR. Nun lebe ich aber schon seit fast 10 Jahren im „Osten“ und möchte den Tag nutzen, um ein paar ganz persönliche Eindrücke aufzuschreiben (und es sollen wirklich nur persönliche Eindrücke sein und keine historische und gesellschaftpolitische Abhandlung – und auch auf den Unsinn der bescheuerten Diskussion um das Wort „Unrechtsstaat“ möchte ich nicht eingehen).

Da die Hälfte meiner Familie aus Deutschland kommt, war ich von klein auf immer wieder in der BRD und kannte das Leben dort genau so gut wie das Leben zuhause in Österreich. Die Existenz eines zweiten Deutschlands war mir auch immer irgendwie bewusst; genau so wie die Tatsache, dass die Menschen dort ihr Land nicht verlassen dürfen. Aber als Kind nimmt man solche geopolitischen Fakten mehr oder wenig einfach hin; ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, mir früher großartige Gedanken darüber gemacht zu haben. Auch nach dem Mauerfall hat mich die Situation nicht sonderlich beschäftigt. Ich habe die Lage zwar von Österreich aus verfolgt, aber auf der Welt passieren jede Menge Dinge und als Teenager interessiert man sich nicht für alle davon.

Das erste Mal besucht habe ich die ehemalige DDR im Jahr 1999. Mit einer Freundin bin ich nach Berlin gefahren und ich war beeindruckt von der gigantischen Baustelle in der Mitte der Stadt. Aber die brandenburgischen Dörfer, die wir danach besucht haben, haben zumindest in meiner Erinnerung keinen irgendwie speziellen Eindruck hinterlassen. Es waren eben Dörfer, die genau so gut irgendwo in der österreichischen Provinz stehen hätten können. Aber gut, ich war ja auch nur ein paar Tage dort und das war vermutlich zu wenig für irgendwelche intensiveren Eindrücke.

Im März 2005 bin ich dann aber nicht nur auf Besuch in den Osten gekommen, sondern mit Sack und Pack dorthin übersiedelt. Ich habe eine Stelle an der Universität Jena angetreten und seit damals lebe ich in Thüringen. Die großen Renovierungs- und Bauarbeiten waren 2005 in Jena schon weitestgehend abgeschlossen und die Stadt hat sich kaum von all den anderen österreichischen und deutschen Städten unterschieden, die ich bisher besucht hatte. Es gab dort die gleichen Läden wie überall sonst; es gab eine Universität voller Studenten; jede Menge Touristen und nichts, was auf den ersten Blick nach „DDR“ ausgesehen hätte.

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Aber nachdem ich ein paar Jahre lang in Thüringen gelebt hatte, hat sich schon ein Unterschied bemerkbar gemacht. Es fällt mir aber schwer, ihn zu beschreiben. Die Sache hat zumindest meiner Auffassung nach auch wenig mit der DDR oder dem Kommunismus an sich zu tun, sondern einfach mit der Tatsache, dass in Thüringen erstens jahrzehntelang gezwungenermaßen eine ganz andere Kultur herrschte als anderswo und zweitens Thüringen halt auch von sich aus eine ganz andere Region ist als man sie anderswo in Deutschland finden kann. Das Leben an der norddeutschen Küste ist ja auch anders als in den bayrischen Bergen und für diese Unterschiede kann der Kommunismus nichts (höchstens die CSU).

Auf den ersten, flüchtigen Blick merkt man im Osten wenig von der DDR-Vergangenheit, aber sie steckt natürlich noch überall in den Erinnerungen der meisten Menschen die dort leben. Und das merkt man durchaus, wenn man sich lange genug dort aufhält. Ich kann die Sache vielleicht anhand meines Umzugs von Österreich nach Deutschland illustrieren: Die ersten 27 Jahre meines Lebens habe ich als Österreicher in Österreich verbracht. Österreich war meine „Heimat“ aber ich habe nie sonderlich stark unter übertriebenen Patriotismus gelitten. Irgendwo muss man ja leben und ich habe eben in Österreich gelebt. Eine spezielle „Beziehung“ zu Österreich habe ich erst entwickelt, als ich ausgewandert bin. Seitdem reise ich viel bewusster nach Österreich; bin mir bei meinen Besuchen in meinem alten Zuhause all des „österreichischen“ um mich herum viel bewusster als früher; achte viel mehr auf Nachrichten über Österreich, wenn ich woanders bin – und so weiter. Man kann vielleicht sagen, dass Österreich als Land erst dann ein echter Teil meines Lebens geworden ist, nachdem es (für mich) nicht mehr ständig vorhanden war.

Die Menschen aus der ehemaligen DDR sind zwar nicht kollektiv ausgewandert – aber ihr Heimatland existiert trotzdem nicht mehr und sie können nicht mal einen kurzen Besuch dort machen. Natürlich werden sich die meisten sowieso die alten Zeiten nicht zurück wünschen. Aber es war eben trotz allem das Land, in dem sie probiert haben, ihr Leben zu leben und es kann nicht einfach sein, wenn das alles auf einen Schlag verschwindet; selbst wenn man sich dieses Verschwinden gewünscht hat. Es wundert mich also nicht, dass die DDR im Leben der Menschen im Osten immer noch sehr stark präsent ist und es für sie immer noch einen Unterschied macht, ob sie im „Osten“ oder im „Westen“ sind.

Die Wiedervereinigung war ein historisches Ereignis, ein erfreuliches Ereignis, aber eben auch ein Ereignis, durch das sich das Leben sehr vieler Menschen sehr massiv verändert hat. Allerdings hauptsächlich für die Menschen der ehemaligen DDR. Und das ist zumindest meiner Meinung nach einer der Gründe, warum Deutschland auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch nicht wieder komplett zusammengewachsen ist. Denn die Zusammenführung von BRD und DDR war ja genau genommen keine „Vereinigung“ sondern eher ein „Anschluss“. Im Leben der Menschen der ehemaligen DDR hat sich mehr oder weniger alles geändert; im Alltagsleben der Westdeutschen mehr oder wenig nichts. Natürlich lag das in der Natur der Sache. Man wollte eben kein neues Gesellschafts- und Wirtschaftssystem schaffen, sondern in der DDR das System einführen, das in der BRD schon existiert hat. Da ist es nur logisch, dass sich auf der einen Seite sehr viel und auf der anderen sehr wenig ändert. Aber ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass der Beitrag der DDR zum neuen Gesamtdeutschland aus mehr bestehen hätte können, als dem grünen Abbiegepfeil, dem Ampelmännchen und dem Sandmann. Es wäre ja nicht darum gegangen, den Kommunismus auch im Westen einzuführen. Aber wenn man sich die Sache gut und objektiv genug überlegt hätte, hätten sich vielleicht noch ein paar andere Aspekte des ostdeutschen Lebens gefunden, von denen auch Westdeutschland profitieren hätte können.

So war die Wiedervereinigung im wesentlichen eine Sache der Ostdeutschen. Das merke ich immer dann besonders stark, wenn ich mit Leuten aus Westdeutschland darüber rede, dass ich in Jena wohne. Die Stadt kennen die meisten zwar schon, aber so gut wie niemand war dort. So wie – wieder nur meiner ganz persönlichen Erfahrung nach – die meisten Ostdeutschen mittlerweile durchaus viele Besuche im Westen gemacht haben; meine westdeutschen Gesprächspartner aber höchstens Berlin, Leipzig oder Dresden aus eigener Anschauung kennen. „Der Osten“ ist im Westen immer noch irgendwie grau, langweilig, unattraktiv, nicht lebenswert und kein Ort, wo man unbedingt hinfahren muss. Erfahren die Menschen, dass ich in Jena lebe, dann führt das oft zu entsprechenden Reaktionen. Darunter Sätze wie: „Wirklich? Ist es da nicht langweilig?“. Oder „In Jena? Das könnte ich ja nicht…“ Und mein absoluter Favorit (geäußert von einer Buchhändlerin aus Nordrhein-Westfalen): „Jena? Kann man denn da wirklich wohnen?“

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Ja, in Jena kann man tatsächlich wohnen. Wir haben hier Häuser, Straßen und sogar das eine oder andere Geschäft. Wir hocken nicht in dunklen Erdlöchern – oder was immer man sich im Westen da anscheinend noch oft vorzustellen scheint 😉 Wie gut man in Jena wohnen kann, zeigen auch die absurd hohen Mieten in der Stadt und die Tatsache, dass die Verwaltung gar nicht mehr mit dem Neubau von Wohnungen hinter her kommt. Um mal ein bisschen Werbung zu machen: In Jena kann man sogar hervorragend gut wohnen. Mit knapp über 100.000 Einwohnern ist es zwar offiziell eine „Großstadt“ aber klein genug, um zum Beispiel nicht so versifft zu sein wie Berlin. In Jena gibt es mehr oder weniger alles, was man so erwarten kann (aber halt nur eben nur drei Hipster-Imbissbuden und keine 100 wie anderswo; nur zwei Kinos und keine zwei Dutzend, etc). Dadurch, dass ein Viertel bis ein Drittel der Einwohner von Jena Studenten sind oder sonst irgendwie mit der Uni zu tun haben, ist kulturell jede Menge los; viel mehr als man von einer Stadt dieser Größe eigentlich erwarten würde. Die Universität und die Wissenschaft haben die Stadt geprägt und tun das heute immer noch. Und durch die spezielle Geografie im Saaletal ist die Stadt zwar sehr lang, aber auch sehr schmal. Egal wo man sich befindet: Nach knapp 15 Minuten spazierengehen in die richtige Richtung steht man mitten in der freien Natur. Und Jena ist trotz der Zerstörungen während Krieg und Sozialismus immer noch eine sehr schöne Stadt, mit einem Stadtkern voller alter Gebäude; großen Wohnvierteln mit historischen Häusern und diverser moderner Architektur. Das sieht man aber nur, wenn man Jena auch tatsächlich einen Besuch abstattet – die meisten kennen von Jena nur das, was man bei der Vorbeifahrt auf der Autobahn sehen kann. Und das ist halt nur das Wohnviertel am südöstlichen Ende der Stadt, dessen großen Plattenbauten genau so wenig attraktiv aussehen wie die Massensiedlungen in allen anderen Städten.

Ok – genug Werbung für Jena! Ich lebe seit fast 10 Jahren hier und das mit großer Begeisterung. Traut euch ruhig, der Stadt mal einen Besuch abzustatten. Es lohnt sich! Und wenn genügend Leute zu Besuch kommen, dann müssen sich die Menschen im Westen der Republik auch irgendwann nicht mehr so sehr gruseln, wenn ich ihnen erzähle, dass ich in Thüringen wohne. Dann merken irgendwann hoffentlich alle, dass die Dinge in Ostdeutschland auch nicht mehr so sehr anders sind als anerswo. Aber die Unterschiede zwischen Ost und West werden natürlich weiterhin bleiben. Wie sollte es auch anders sein? Das Leben in Hamburg wird immer anders sein als das Leben in München, egal wie lange beide Städte schon Teil des gleichen Deutschlands sind. Genau so wie das Leben in Dresden immer anders sein wird als das in Köln. Und Thüringen wird Thüringen bleiben und nicht zu einem zweiten Saarland werden. Und das ist auch gut so – es wäre langweilig, wenn die lokalen Unterschiede alle verschwinden würden. Was sich aber durchaus möglichst bald verflüchtigen dürfte, sind die ganzen bescheuerten „Ossi“/“Wessi“-Vorurteile. Für die ist 25 Jahre nach dem Mauerfall wirklich kein Platz mehr!

64 Gedanken zu „25 Jahre Mauerfall: Ein paar persönliche Gedanken zum Leben im „Osten““
  1. Sehr schöner Artikel. Mein besonderes Verhältnis zu dem Mauerfall ist zum einen, dass meine Großmutter Verwandschaft in Thüringen hatte und ich nach dem Mauerfall schon öfter in Thüringen zu Besuch war. Zum Andern, dass mein Vater in Berlin geboren und bis Anfang der 50’ger in Westberlin aufgewachsen ist. Als Jugendlicher stand ich mal an der innerdeutschen, Hessisch-Thüringischen Grenze. Als Abiturient bin ich 1988 mit meinem GK-Kurs in die DDR gefahren. Da waren wir in Eisenach, Weimar, Leipzig, Wittenberg und Ost-Berlin. Für mich war es auch wie eine Zeitreise in meine früheste Kindheit, Anfang der 70’ger. Mir blieben da die teils herumliegenden Braunkohlehaufen, mit denen die Menschen in der DDR noch heizten gut in Erinnerung. Das kannte ich noch von meinen Großeltern, die noch Anfang der 70’ger mit Kohle heitzten und einen Kohlekeller hatten.
    Nach der Wende war ich dann öfter in Berlin und habe gesehen, wie sich die Stadt nach 1988 stark entwickelt und verändert hat.
    Schade fand ich im übrigen, dass es der Astronomieunterricht, den es in der DDR gab es leider nicht in den Westen geschafft hat.

    1. @Oliver: „Schade fand ich im übrigen, dass es der Astronomieunterricht, den es in der DDR gab es leider nicht in den Westen geschafft hat.“

      Das wäre zB einer der Punkte gewesen, bei denen auch der Westen bei der Vereinigung vom Osten profitieren hätte können… (und vermutlich gibts gerade im Bildungssystem noch mehr solcher Punkte)

  2. Sehr schöner Text 🙂 und nach zwei Jahren in Jena kann ich letztendlich doch sagen, dass es mir hier auch gefällt. Es ist einfach sehr anders als zuhause und alles scheint sehr viel „kleiner“. Aber die Umstellung Ruhrpott – Jena ist vielleicht auch etwas zuviel gewesen für mich.

    1. @Desolace: „Aber die Umstellung Ruhrpott – Jena ist vielleicht auch etwas zuviel gewesen für mich.“

      Ich bin ja aus Wien nach Jena gekommen. Und es hat auch länger gedauert, bis ich mich an den Wechsel von der Groß- und Haupstadt in die kleine Provinz“großstadt“ gewöhnt habe. Am Anfang hat es mich regelrecht wahnsinnig gemacht, nicht wie sonst überall Stadt zu sehen, sondern – wie in Jena halt normal – überall rundrum auf die Berge zu blicken. Wo man auch hingesehen hat; überall hat man das Ende von Jena gesehen 😉
      Aber mittlerweile könnte ich in einer großen Großstadt wie Berlin, Hamburg oder München gar nicht mehr leben…

  3. Naja das mehr Ostdeutsche in Westdeutschland waren als umgekehrt ist ja eine zwangsläufige Sache aufgrund der Größenunterschiede. Und die Vorurteile gegenüber dem Osten haben die Leute meiner Meinung nach genau so über alle Regionen die sie nicht kennen. Ich kann zumindest ähnliches über meine Erfahrungen berichten wie die Reaktionen sind wenn die Leute in einer Großstadt erfahren das man „vom Land“ kommt.

    Selber war ich bisher nur bewusst in Rostock und in Berlin um etwas von der Kultur zu sehen. Sonst war ich aber auch schon zum Eishockey gucken in relativ vielen Städten auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Ich finde das die Menschen in Westdeutschland schon lange keine wirkliche Trennung zwischen „Wessis“ und „Ossis“ machen. Zumindest weniger stark als Nordlichter von Bayern unterschieden werden. (Objektiv ist der Unterschied auch wesentlich größer) Da ist das Bild von Polen oder Tschechien schon um einiges reformierungsbedürftiger was viele haben.

    1. @Hobbes: „haben die Leute meiner Meinung nach genau so über alle Regionen die sie nicht kennen.“

      Ja klar. Das hatte ich ja auch gemeint. Aber wenns um Regionen im Osten geht, werden die Vorurteile immer mit der Ex-DDR in Verbindung gebracht…

      “ Zumindest weniger stark als Nordlichter von Bayern unterschieden werden.“

      Es fasziniert auch mich immer wieder, dass Hamburg und Bayern beide Teil des gleichen Landes sind. Ich bin ja halb Hamburger; halb Österreicher – aber wenn Österreich ein eigenes Land sein kann, dann könnte man genau so gut HH, HB, SH, MP und NS zu nem eigenen Land zusammenfassen. Und Bayern zu Österreich dazu geben…

    1. @Kyllyeti: „Dafür erhältst du jetzt in Bayern mindestens drei Jahre Einreiseverbot …“

      Hey! Ich bin Österreicher! Uns hat früher quasi alles gehört in Mitteleuropa 😛 Ich lese übrigens gerade das sehr empfehlenswerte Buch „Kaisers Rumpelkammer: Unterwegs in der Habsburger Geschichte“. Schon erstaunlich, WIE groß der Einfluss der Habsburger früher war und WIE enorm irrelevant Österreich dazu im Vergleich heute ist…

  4. Auf den ersten, flüchtigen Blick merkt man im Osten wenig von der DDR-Vergangenheit, aber sie steckt natürlich noch überall in den Erinnerungen der meisten Menschen die dort leben.

    Was mir auf jeden Fall bei einem Besuch in Dresden auffiel waren, gleich um den Stadtkern herum, die hässlichen Plattenbauten, die in der DDR so beliebt waren. Die werden noch eine Weile herumstehen (ähnliche Gebäude gibt’s natürlich auch im Westen, nur viel seltener).

    Dann fielen mir in Dresden (es war damals, glaube ich, bald Bundestags- oder Landtagswahl) die Omnipräsenz der NPD-Wahlplakate auf, das fand ich sehr erschreckend.

    Ansonsten war ich ein paarmal in Rostock und auf Rügen, da merkt man von der DDR-Vergangenheit praktisch nichts mehr (na ja, auf Rügen gibt’s noch ein paar weniger schöne Ecken).

    Ich habe die gesamte Entwicklung damals sehr bewusst erlebt. Wir haben in der 10. Klasse eine Fahrt nach Berlin gemacht, durch die ziemlich trist aussehende Gegend um die Bahn-Transitstrecke. In Westberlin das blühende Leben auf dem Ku’damm und um den Bahnhof Zoo (Zeit der Neuen Deutschen Welle, „Berlin, Berlin“ von Ideal), und dann über die Grenzanlagen in der Nähe des Reichstags geschaut.

    Einen Tag sind wir rübergefahren in den Osten, wo sie mit bunten Spruchbändern die Feiern zum 30-jährigen Bestehen der DDR vorbereiteten. Am Alexanderplatz stand eine riesenlange Schlange an einem Currywurststand an, wobei die Soße irgendwie nicht vertrauenserweckend aussah. Wir standen auch an und als mein Mitschüler dran war, sagte er „keine Soße bitte“, was den Verkäufer völlig aus dem Konzept brachte. Als ich als nächster dran war, hatte ich keine Chance, die Soße abzulehnen, so schnell hatte ich die drauf…

    Unser Lehrer verbot uns den Mund bzgl. kritischer Äußerungen über die DDR, damit wir keinen Ärger bekamen. Und dann starb er tausend Tode, als eine Schülerin ihren Ausweis nicht mehr fand…! Ich war jedenfalls ziemlich eingeschüchtert von dem Besuch.

    Kurz nach dem Mauerfall war ich dann auf einer DFG-Tagung drüben und konnte schon über den Wachweg der Grenzanlagen am Potsdamer Platz spazieren. Das war schwer zu fassen. Die Hotels, immer noch auf Oststandard, hatten sofort die Westpreise übernommen, das stieß unangenehm auf. Wie auch die in der Mikrowelle schlecht aufgewärmte und innen noch eiskalte Pastete in einem an sich schick aussehenden Restaurant am Gendarmenmarkt, wohin die DFG eingeladen hatte.
    Schließlich in den 2000ern weitere Besuche, mittlerweile war der Osten im wesentlichen „verwestlicht“, bis auf die Plattenbauten. Eine faszinierende Entwicklung, die schwer zu fassen ist, wenn es vorher als Naturgesetz galt, dass dieses Land ewig geteilt bleiben wird.

    1. @Alderamin: „die hässlichen Plattenbauten, die in der DDR so beliebt waren. Die werden noch eine Weile herumstehen (ähnliche Gebäude gibt’s natürlich auch im Westen, nur viel seltener). „

      Du warst noch nie in Alt-Erlaa in Wien…

      Es wäre echt mal interessant, hier konkrete Daten zu sammeln (aber vermutlich sehr schwer). Ich hab ja ua auch viel Zeit in Hamburg verbracht und 2 Jahre in Heidelberg verbracht und überall dort ebenso große und häßliche Wohnsiedlungen gesehen (und bilde mir ein, sie auch in ähnlichen Ausmaß in den meisten anderen Städten – egal ob Ost oder West – gesehen zu haben). Solche Massensiedlungen hat man in den 50er und 60er Jahren überall gebaut – aber mMn fallen sie im Osten mehr auf, weil man sich dort eben die „typischen Plattenbauten“ erwartet. Mich würde echt interessieren ob das „Im Osten stehen überall Plattenbauten“ nur selektive Wahrnehmung ist oder tatsächlich so. Abgesehen davon kann ich sagen, dass zumindest die Jenaer Plattenbauten in Lobeda (das, was man von der Autobahn aus sieht) zwar von außen hässlich aussehen – innen aber sehr schöne und meistens kürzlich renovierte Wohnung sind (mit ner super Anbindung ans Zentrum; alle 10min fährt ne Straßenbahn und man braucht 15-20min bis in die Stadtmitte). Es gibt schlimmeres, als dort zu wohnen…

  5. Mir, als westdeutscher Eingeborener aus dem Ruhegebiet, fallen einige erhaltenswertenden Dinge aus der DDR ein.

    Das Schulsystem mit Gesamtschulen und Polytechnischer Oberstufe.
    Aber wahrscheinlich werden wir auch noch die nächsten 100 Jahre mit dem dreigliedrigen Schulsystem aus Kaisers Zeiten herumwurschteln.

    Die ambulante medizinische Versorgung durch Polikliniken
    dieses System ist nicht nur billiger sondern auch besser als die Versorgung durch selbständige, niedergelassene Ärzte. Teile dieses Systems gibt es auch in Norwegen, bekanntlich das Land mit der höchsten Lebensqualität und einer deutlich höheren Lebenserwartung als Deutschland.

    1. @zockerjoe: „Mir, als westdeutscher Eingeborener aus dem Ruhegebiet, fallen einige erhaltenswertenden Dinge aus der DDR ein. „

      Ich glaube, ich hab dazu mal von Gregor Gysi (ev. in diesem WRINT Interview: https://www.wrint.de/2013/04/24/wr171-gregor-gysi/) einen schönen Satz gehört: „Die Westdeutschen sind um ihr Wiedervereinigungserlebnis gebracht worden.“ Und das stimmt auch irgendwie: Aus Sicht des Westens bzw. des Alltagslebens des normalen Westdeutschen hat sich 1990 nicht viel getan. Ganz im Gegensatz zum Osten…

  6. Bevor ich los gehe und in Erinnerungen an die damalige Zeit schwelge … in der ich eine dermaßen üble Grippe hatte, dass ich nur per Telefon, Radio und TV den Fall der Mauer mitbekam, …

    Ich schließe ich zockerjoe an – und bin der Meinung, dass viele positive Dinge verschwanden und sich nicht durchsetzen konnten. Da wurden, weils so schnell gehen musste, Chancen vertan. Die Straßenschilderitis hat heftig Einzug erhalten, leider. Die stehen immer an den besten Fotografiestandorten, ganz wie im ehemaligen Westen 😉

    Der Osten war grau. Rot war da wenig, nur meine Augen und die Nase, wegen des Braunkohlemiefs. Aber, die Platten dominieren m. E. tatsächlich, denn alte Häuser wurden auch in den wenigen erhaltenen Stadtkernen verfallen lassen, um gegen Plattenbauten ausgetauscht zu werden. Das gilt in Städten wie Städtchen, auch in Dörfern stehen, je nach dem, ob es dort Industrie oder eine sehr große LPG gab, die Wohnsilos herum. Das Alte zählte weniger … und das ist an einigen Stellen schlicht schmerzhaft anzusehen, immer noch. Dabei mag ich die Platte, ich wohne selbst in einer.

    Der Wandel kam dann aber sehr schnell, das für mich damals so typische und entsetzliche Einheitsgrau der Häuser ist nur noch an wenigen Stellen zu sehen, heute, dort wo es wieder Leerstand gibt. Ich bin derzeit nur besorgt, weil die Dörfer aussterben und die Kleinstädte nur noch Probleme haben – das wünsche ich mir wirklich anders.

    Wenn ich mir das so durchlese, klingt es auch nicht anders als die typische Ansammlung von Vorurteilen – aber ich hab Belege, also unbearbeitete Fotos 🙂

  7. Ich war neulich in Jena – das erste Mal. Nur für ein paar Stunden in einem (Sub-)Kulturladen, den es in jeder anderen Stadt genauso auch hätte geben können. Die Anfahrt war schön (das gute Wetter tat sein Übriges). Eine Umleitung verwirrte das Navi wie auch mich und leider habe ich bis auf die Anfahrt und nächtliche Abfahrt nichts von Jena mitbekommen. Dieser Umstand jedoch war mir durchaus bewusst, so dass ich überlegte … Jena? Da war doch was … und dann fielst Du mir ein, Florian. Also halte ich mal fest: auch wenn wir uns noch nie persönlich begegneten: Jena verbinde ich mit dem Florian Freistetter. Und mit einer wunderschönen alte Trauerweide, die vor dem Kulturbahnhof steht und nachts surreal dunkel-gelbgrün im Licht von Strassenlaternen erscheint.

  8. @Florian

    Man sieht die Platten in Berlin auch gut, wenn man im Flieger von Osten aus Tegel anfliegt, quer über die Stadt. Ich hatte mal während meiner Zeit bei einer Firma mit Zentrale in Berlin das „Vergüngen“, in so einer Wohnung ein paarmal übernachten zu dürfen. Hellhörig ohne Ende.

    Es mag sein, dass es Dinge im Osten gab, die man im Westen hätte übernehmen können oder sollen (wenn man sie hätte finanzieren können; die DDR war ja auch pleite gegangen, obwohl sie im Ostblock noch zu den stärksten Wirtschaftsräumen zählte). Aber im Westen war man im wesentlichen (bis auf Umweltverschmutzung und Aufrüstung) mit sich selbst zufrieden, während viele dem Osten den Rücken kehrten, weil sie nicht warten wollten, bis Kohls „blühende Landschaften“ zu ihnen kamen. Ganze Ortschaften wurden entvölkert. Man musste also schnell irgendetwas unternehmen, und da war die Übernahme des westlichen Systems (inklusive westlicher Ministerpräsidenten) der schnellere Schritt. Die Idee, den Osten als eigenes Land weiterzuführen, haben die Wähler im Osten ganz schnell in der Luft zerrissen, die forderten den Anschluss schneller, als es den Politikern im Westen geheuer war. Während sich im Westen länst nicht alle über den Anschluss freuten. Mein Prof warnte damals vor den immensen Kosten. Dann kam der Soli, und blieb bis heute.

    @Theres
    Bist Du im Osten Berlins aufgewachsen? Oder zog der Braunkohlemief nach Westen rüber? Als Berliner muss die Wende ja noch viel krasser erscheinen als für einen Westdeutschen.

    1. @Alderamin: “ Die Idee, den Osten als eigenes Land weiterzuführen, haben die Wähler im Osten ganz schnell in der Luft zerrissen, „

      Darum gings mir auch gar nicht. Zwei parallele Deutschlands NACH dem Mauerfall wären höchst absurd gewesen. Aber mMn hätte man sich durchaus ein paar mehr Gedanken darüber machen können, obs nicht auch im Osten Dinge gab, die man für den Westen übernehmen hätte können (Gesundheits- und Bildungssystem wurden ja schon angesprochen).

  9. Ein sehr schöner Artikel, Florian.

    Ich bin ja in einer Kleinstadt im Osten aufgewachsen (ca 40000 Einwohner) und da gab es nicht nur Astronomie als Schulfach, nee kein Witz: Schulsternwarte plus Planetarium.

  10. die Platte war beliebt? Es gab ja nix anderes mehr. Viele alte Häuser/ Wohnungen liess man verfallen…. So auch in Leipzig, wo ich ursprünglich her stamme. Ausserdem war es extrem schwer, überhaupt eine Wohnung und dann erst bewohnbar zu bekommen.
    In meiner Familie gibt es auch heute noch welche, die sich die Mauer zurückwünschen.

  11. @Florian

    Aber mMn hätte man sich durchaus ein paar mehr Gedanken darüber machen können, obs nicht auch im Osten Dinge gab, die man für den Westen übernehmen hätte können (Gesundheits- und Bildungssystem wurden ja schon angesprochen)

    Wie gesagt, die Mehrheit im Westen war mit ihrem System ganz zufrieden, warum hätten sie etwas ändern sollen (hätten sie ja auch vorher schon machen können)? Noch dazu, wo das sozialistische System doch offensichtlich unterlegen war? Dafür sah man im Westen keinen Anlass. Selbst wenn es sinnvoll gewesen wäre. Da dachte man eher „lieber keine Experimente“. Es war ganz logisch, dass es so kam, wie es gekommen ist.

    Wenn der Osten mehr Bevölkerung als der Westen gehabt hätte, hätten sich vielleicht Mehrheiten verschoben, aber so…

    1. @ALderamin: “ Es war ganz logisch, dass es so kam, wie es gekommen ist.“

      Hab ich ja auch nicht bestritten. LOgisch war es auf jeden Fall – aber obs auch sinnvoll war? Ich wollte ja nur begründen, warum es heute immer noch nen Unterschied zwischen Ost und West gibt und diese asymmetrische „Vereinigung“ war mMn eben einer der Gründe dafür.

  12. Was mir auf jeden Fall bei einem Besuch in Dresden auffiel waren, gleich um den Stadtkern herum, die hässlichen Plattenbauten, die in der DDR so beliebt waren.

    Diesen Satz höre ich seit 25 jahren immer wieder, kann aber im Prinzip keinen Unterschied zu den Plattenbausiedlungen im Westen erkennen. Außer vielleicht, dass die „Neustädte“ städtebaulich mehr auf die sozialen/wirtschaftlichen Bedürfnisse ausgelegt waren. Aber dazu kenne ich zu wenig solcher Städte in den alten Bundesländern.

  13. dazu kenne ich zu wenig solcher Städte

    Och, da haste nix verpaßt, Sulu, die Dinger sind hier zur selben Zeit gewachsen, verkamen in ähnlichem Tempo, unterscheiden sich am ehesten in den bevorzugten Biermarken. Allerdings werden sie statt ‚Plattenbausiedlung‘ hier typischerweise ’sozialer Brennpunkt‘ genannt.

  14. @zockerjoe:

    Teile dieses Systems gibt es auch in Norwegen, bekanntlich das Land mit der höchsten Lebensqualität und einer deutlich höheren Lebenserwartung als Deutschland

    Naja, in Norwegen lebt ein bevölkerungsarmes Land von großen Ölvorkommen. Da ist es keine Kunst eine hohe Lebensqualität zu erreichen (vor allem wenn es landschaftlich auch noch so schön ist).
    Die Lebenserwartung ist aber kaum höher als in Deutschland:
    Norwegen 81.4 Jahre und Deutschland 80.6 Jahre (2012).

  15. Allerdings werden sie statt ‘Plattenbausiedlung’ hier typischerweise ‘sozialer Brennpunkt’ genannt.

    Ja, sieht doch alles recht ähnlich aus.

    Das war vielleicht etwas misverständlich – „soziale“ Stadt war ja ein klarer Anspruch im Osten. Und die Idee solcher Siedlungen kam schon in der Moderne auf. Und als modern und angenehm wurde das damals im Osten durchaus empfunden.

    Eigentlich schade, dass solcherlei Utopien keinen Platz mehr haben…

  16. Du warst noch nie in Alt-Erlaa in Wien…

    Naja, sooo schirch is Alt Erlaa auch wieder nicht. Und sicher kein Plattenbau.
    Ich find Alt Erlaa sogar ziemlich faszinierend, auf seine Art. Das is wie ein kleine Stadt. Du hast in der Anlage eigentlich alles was du brauchst. Alle Arten von Ärzten, Geschäften usw… Die Wohnungen sind auch nicht billig. Alles Eigentums/Genossenschaftswohnungen die sich ein Durchschnittsverdiener eigentlich erst nach ein paar Jahrezehnten sparen oder mit einem zünftigen Kredit leisten kann.
    Was an Alt Erlaa häßlich ist, sind die Gemeindebauten rundherum. Die verdienen auch den Vergleich mit den Plattenbauten aus der DDR.

    Ich wohn derzeit übrigens in der Nähe von Knittelfeld. Und Knittelfeld hat nicht viel mehr Einwohner als der Wohnpark Alt Erlaa. Aber Knittelfeld hat eine Fläche von ca. 4,5km² und Alt Erlaa 24000m².

  17. “soziale” Stadt war ja ein klarer Anspruch

    Oh aber sicher, da agierte der sich durchbeißende Zeitgeist, war auch ‚diesseitig‘ hohe System-, Sozial- und Sonstwas-theorie am Werk, mit großem Anspruch und hehren Zielen. Gibt ja auch einen hauptstädtlichen Klassiker dazu.

    schade, dass solcherlei Utopien keinen Platz mehr haben

    Allerdings, bloß mit dem damaligen „Hier isset, freuet euch und macht mal alleine weiter“ konnte wie mittlerweile eindeutig belegt kein Blumentopf gewonnen werden. Beiderseits des Vorhangs dämmerte die Erkenntnis, daß auch noch so toll scheinende Entwürfe nicht per Planung der Herde Mensch aufgedrückt werden können – und die Macher und Vordenker reagieren wie beleidigte Leberwürste, weil das beschenkte Kind sich mit einem anderen Spielzeug beschäftigt: Rückzug und Däumchendrehen statt Lösungsansätze auf den Tisch des Hauses zu klatschen, einen nach dem anderen.

  18. daß auch noch so toll scheinende Entwürfe nicht per Planung der Herde Mensch aufgedrückt werden können

    Musste man im Osten nicht, froh war der, der da leben durfte. Mag sein, dass es v.a. auch am desolaten Zustand des Altbaubestands lag. Bestimmt aber auch am ‚großen Gefühl‘, etwas gänzlich Neues aufzubauen…

    Nutzernießer waren sicher die Kinder in dieser Zeit… es gab so viele in den Blöcken…

  19. sehr interessanter Beitrag. Ich stamme aus Berlin-Ost, und ich habe das alles genau mitbekommen, bis hin zu dem Umstand, daß ich am 09.11.89 am Grenzübergang Invalidenstraße Dienst hatte.

    bei Plattenbauten geht es aus meiner Sicht nicht zwingend um die Methode, eine Wohnung aus Betonplatten zu errichten, sondern um die in diesen Wohngebieten herrschende Verdichtung und die in der DDR dann vorherrschende Kleinheit der Wohnung. Es gab Dreizimmerwohnungen mit 39 qm, solch eine Wohnung wurde mir noch 1990 als Erstwohnung angeboten.
    Als man dann in den neunziger Jahren begann, Plattenbauten zurückzubauen, entstanden sehr interessante Wohnungen, so z.B. durch den Umbau von zwei Einzimmer und zwei Dreizimmerwohnungen auf einer Etage zu dann zwei Vierzimmerwohnungen, es gab den Höhenrückbau auf dann drei bis 5 Etagen, es gab auch die Entkernung bestimmter Gebiete, so daß man zwischen zwei Wohnblocks nicht mehr zwanzig Meter Platz hatte, sondern deutlich mehr.
    Ob man in den westlichen Plattenbaugebieten ähnlich verdichtet gebaut hat, weiß ich aber nicht.
    Ich bin froh über die schnelle Vereinigung, schlicht deshalb, weil ich es so einschätze, daß eine Verlängerung des Zeitraumes nicht möglich war. Es gab da diesen Slogan „Kommt die D-Mark nicht hierher, gehen wir zu ihr“, und dieser Slogan sagt vieles aus über die Befindlichkeiten vieler Menschen.

  20. froh war der, der da leben durfte

    Dito, Sulu, wir können wohl höchstens versuchen herauszufinden, wo die Ernüchterung sich schneller breit machte.

    gab so viele in den Blöcken

    Selbst bei uns im winzgen Dorf gabs am Rand so eine dreihäusige Variante, da konntste als Panz egal wann vorbeikommen, immer Halligalli 😉 Der Umgang war auch lockerer als im alten Kern, gefiel mir ausnehmend gut.

    Verdichtung

    ist imho eines der auslösenden Momente für das Scheitern des Modells, sumo, gestern zum zum Konzert abholen war ich in der Version eine Nummer davor, Nachkriegs¹-Genossenschafts-Siedlung, lokale Ausprägung parallel augerichtete Wohnblöcke á 5 Eingänge, 3 oder 4 Stock hoch, ordentlich Grünstreifen mit viel Gehölz dazwischen. Dank der etwas lockereren Bebauung und der bemühten Verwaltung funktionierend bis heute.

    _____
    ¹ nicht Vietnam, sondern WW1

  21. Der Fall der Mauer war für mich ein reines Fernsehereignis. Damals lebte ich in Freiburg, also geografisch denkbar weit weg, und es dauerte eine Weile, bis der erste Trabbi bis in den Schwarzwald kam 🙂 Auf der Straße hat nur die freiburgtypische Antifa rumgenörgelt und vor einem neuen Großdeutschland gewarnt.
    Für mich waren zwei Ereignisse wichtiger: Als die Ungarn die Grenze öffneten, war ich bei der Bundeswehr in einer bayerischen Kaserne stationiert, also recht nahe bei Österreich/Ungarn. Von einem Augenblick zum anderen stand vor dem Kasernentor ein riesiger Trabbi-Konvoi bis zum Horizont – dieses tolle Bild werde ich nie vergessen und die Party mit den ganzen DDR-Flüchtlingen in der Kaserne auch nicht. 🙂
    Mein zweites Erlebnis war mein Besuch in Meißen und der Blick von der Albrechtsburg ( https://www.albrechtsburg-meissen.de/de/startseite/ ). Ich war tief erschüttert, wie man eine alte historische Stadt so dermaßen herunterwirtschaften kann. Die Häuser waren alle so baufällig, kaputt und einsturzgefährdet, dass ich wirklich gedacht habe, dass in jedem Augenblick alles zusammenbricht. Aus familiären Gründen fahre ich jedes Jahr mal in die Region Dresden/Meißen. Heute gehört für mich Meißen zu einer der schönsten Städte der Welt.
    Es ist unglaublich, was da alles geleistet wurde und immernoch wird. Ich muss immer an Meißen denken, wenn sich mal wieder jemand über Kohls Satz von den „Blühenden Landschaften“ lustig macht. Wir haben da wirklich einmal etwas richtig gut gemacht in der deutschen Geschichte.

    @Florian: „meine westdeutschen Gesprächspartner aber höchstens Berlin, Leipzig oder Dresden aus eigener Anschauung kennen.“
    Also wenn man Berlin, Leipzig oder Dresden kennt ist das doch schon mal nicht schlecht. Ich war dieses Jahr zum ersten mal in meinem Leben in Köln. 🙂

    1. @STefan: „Satz von den “Blühenden Landschaften” lustig macht. Wir haben da wirklich einmal etwas richtig gut gemacht in der deutschen Geschichte.“

      Da kann ich nur zustimmen. Und dann soll man auch nicht ständig über den Soli meckern (denn eh alle bezahlen; egal wo sie wohnen). Es ist nicht einfach, ein ganzes Land quasi über Nacht von Ostblockniveau auf das Niveau von Westeuropa zu heben. Das kostet eben Geld – man muss ja nur schauen, wie lange die anderen Ex-Ostblockländer dafür gebraucht haben…

  22. Als Kind hab ich immer geglaubt, Westberlin sei eine Insel. Das war auf Karten immer separat dargestellt. Außer auf Karten die in Bayern im Schulunterricht verwendet wurden, da war die innerdeutsche Grenze immer schwächer gezeichnet.

    Ich selbst hätte vor ein paar Monaten die Möglichkeit gehabt in Jena zu arbeiten, leider hätte ich da mit 5 Jahren Berufserfahrung als Ingenieur wieder das gleiche Gehalt wie gleich nach dem Studium gehabt. Und die Arbeit wäre da auch nicht so spannend gewesen. Dafür hat aber Jena einen Hackerspace, das ist wirklich ein Vorteil.

    Inzwischen bin ich in Hof. Das ist ungefähr so wie man sich die DDR vorstellt. 🙂 Da gibts jede Menge leer stehende Geschäfte und leider nicht mal einen Hackerspace.

    1. @Christian: „Inzwischen bin ich in Hof. Das ist ungefähr so wie man sich die DDR vorstellt.“

      Nachdem ich dort schon zweimal zu Besuch war, neige ich fast dazu, dir zuzustimmen 😉

      „Dafür hat aber Jena einen Hackerspace, das ist wirklich ein Vorteil.“

      Ja, da hab ich auch schon mal nen Vortrag gehalten.

  23. @Florian, Stefan

    Öh, falls Ihr mich meint, ich mache mich eher über Kohl lustig als über die Wiedervereinigung, weil es ja nun deutlich länger dauerte als seine prognostizierten 10 Jahre, bis der Osten den Westen wirtschaftlich eingeholt hatte. Dass er der Kanzler der Wiedervereinigung wurde, war ein historischer Zufall, er war halt gerade Kanzler und wurde von der Entwicklung mehr oder weniger mitgerissen. Er redet selbst heute noch schlecht über die Bürgerrechtsbewegung. Ich konnte ihn, ehrlich gesagt, nie leiden, seit er mit der FDP zusammen gegen Schmidt „geputscht“ hatte. Ich fand das damals äußerst würdelos.

    Und was den Soli betrifft, ich hatte damals dem Prof entgegnet, wir könnten die Wiedervereinigung doch über die Staatsverschuldung finanzieren, es würden viele Arbeitsplätze geschaffen und das ganze nachher wieder über Steuermehreinnahmen refinanziert. Aber da hatte er recht und ich unrecht.

    Heute, nach 25 Jahren, ist die Wiedervereinigung länger her, als das Wirtschaftswunder nach dem 2. Weltkrieg andauerte, aber der Soli wird bleiben. Ob damit überhaupt noch der Aufbau bezahlt wird, keine Ahnung.

    Ansonsten finde ich’s ja auch toll, dass das Land wieder zusammengewachsen ist. Ein Kollege von mir kommt aus Ostberlin und wir haben Verwandtschaft in Thüringen. Mein (im Rheinland geborener und nach dem Krieg wegen der Liebe in Thüringen gebliebener) Großonkel weinte immer, wenn er als Rentner aus der DDR auf Besuch zu uns dürfte, und die Schaufensterläden in der Stadt sah. Leider lag er schon sterbend im Krankenhaus, als die Mauer fiel. Aber seine Tochter kommt noch gelegentlich zu Besuch. Und klagt darüber, dass die Bevölkerung in ihrem Dörfchen Themar ständig schrumpft.

  24. Ich muß zugeben, daß ich mich nicht erinnern kann, was ich am 9. November gemacht habe. Ich kann mich aber an meinen ersten Besuch an einem kalten, windstillen Wintertag in Schwerin erinnern, an den Geruch von Braunkohlerauch und Zweitakterabgasen. Und an das Grau in allen seinen Schattierungen. Und an eine Fahrradtour auf Usedom und die Übernachtung auf dem Zeltplatz in Karminke und einen extrem lustigen Abend auf einem der Schiffe der Weißen Flotte, die 3 x pro Woche als „Dorfkneipe“ dort anlegten.
    Und besonders gerne erinnere ich mich an einen Haufen nette Leute, die wir überall kennengelernt haben.
    Total ungerne erinnere ich mich an die Vorgänge in Rostock-Lichtenhagen 1992.

    Das der Aufbau Ost Geld gekostet hat, ist klar. Unter Bezug auf den vorherigen Kommentar einmal über den Tellerrand geblickt:
    Besonders anerkennenswert finde ich die Aufbauleistungen der Polen. Dort hat sich auch ohne Soli sehr viel getan.

  25. Ach ja, Erinnerung.

    Wo war ich am 9. November 1989?

    In Berlin. da hatte ich damals studiert und sass in meiner Wohnung in Charlottenburg als der ganze Kram in den Nachrichten in meinem Dampfgetriebenen Mini-Fernseher kam.

    Das war alles ziemlich bizarr, wenn ich so daran zurück denke.

    Später am Abend kam dann ein Anruf von einem Freund (der ironischerweise Jahre vorher aus der DDR abgehauen war) ob wir nicht mal „da hin gehen wollen“.

    Kurze Zeit später war ich dann am Grenzübergang Bornholmer Strasse und wir sind tatsächlich ein paar Meter rüber in den Osten und dann zurück.
    Da wir wieder zurück in die Innenstadt wollten, haben wir einfach einen von den Trabbi-Fahrern die da rüber gefahren sind angehauen und gefragt ob der uns mit nimmt, wenn wir ihm den Weg zum Ku-Damm zeigen – wo er unbedingt hin wollte …

    Letzlich haben wir dem ein paar Bier in einer Kneipe am Ku-Damm ausgegeben und uns die halbe Nacht mit ihm unterhalten – keine Ahnung mehr worüber (zuviel Bier 🙂 ), aber ich weiss noch dass das ziemlich interessant war.

    Ein Tag den ich in meinem Leben nicht vergessen werde ….

  26. @Alderamin
    Von oben … deine Frage
    Nein, ich war Wessi, lebte im Wedding „as the wall came down“ – und ich bin das heute glatt wieder gefragt worden, mehrfach von jungen Leuten. Fazit: Ich bin alt.

    Ich litt aber unter Mauerkoller, nicht an dieses Eingesperrtsein gewöhnt – und hab so was von gefeiert. War klar, dass wir dann bald auch rüber machen konnten, ums mal so zu sagen …
    Der Braunkohlemief war übel im Westen wie im Osten, auch deshalb war ich so krank an dem Abend vor 25 Jahren (und noch zwei Wochen länger, grml). Ein Freund von mir arbeitete bei nem winzigen Sender als Reporter und war so lieb, mich anzurufen und zu informieren. Sehr heldenhaft, von Telefonzellen aus, eisig kalt war es auch. Ich hab dann alle nicht kranken Freunde angerufen und alarmiert. Hätten wir nie gedacht … Ich war halblive dabei 🙂 Tolle Nacht.

    Die Lichtergrenze war eine klasse Aktion – lauter Leute, die sich erinnerten, Kinder, die fragten (und was die alles fragten und meinten 🙂 ) Alle möglichen und einige unmögliche Nationen auf einem Streifen und gute Gespräche. Und die Innenstadt war ja so dermaßen erfrischend leer – traumhafte Stille … Ich hab mich um 19 Uhr verzogen, war mir am Mauerstreifen einfach zu voll.

  27. als Jenenser freut es mich, dies hier zu lesen. Herr Freistätter, als Freund des geschriebenen Wortes und des Hopfentees, würde ich Sie gerne mal auf ein Bier einladen.
    Ps: in Jena gibt es noch den Astronomieunterricht.

  28. Als Österreicher fühlte ich damals eine tiefe Dankbarkeit an jene Politiker, die 1955 eine Teilung des Landes verhindert hatten und mir ein Leben in Freiheit ermöglichten.

    Es hat mich auch ziemlich geprägt, denn schon als Ungarn vorher die Grenzen öffnete, fuhren wir ‚Ossis schauen‘. Was als eher witzige, fast herablassende Aktion begann, wurde schnell zu einem bewegenden Gefühl. Menschen aus einem ‚bösen‘ Land (quasi alles östlich des eisernen Vorhangs) waren freundlich, nett, lustig, quasi normal. Das hat mir damals eindringlich gezeigt wie dumm Nationalismus, Religion, Kulturen und Grenzen sind, weil sie Menschen die Freunde sein könnten ohne zu denken trennen und manchmal aufeinanderhetzen.

    Menschen können untereinander das ganze Spektrum von Beziehungen haben, von verliebt über respektiert zu gehasst. Nationalismus/Religion/Kultur kann maximal akzeptieren und ist somit meist negativ.

  29. Für uns im Westen kamen die Veränderungen schleichend, und sie werden alles andere als gut empfunden. Damit ihr mich nicht falsch versteht – nach 25 Jahren kann ich Willy Brandts Spruch („Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört!“) so allmählich verstehen, damals war die (Ex-) DDR einfach nur der Feind, dem ich mich nur wenige Jahre zuvor im Kalten Krieg mit der Waffe in der Hand entgegen gestellt hatte.

    Um noch einmal den Unterschied zwischen „Solidaritätsbeitrag“ und „Aufbau Ost“ heraus zu stellen: Den Soli zahlen wir alle, die in Lohn und Brot stehen, also auch viele Bürger Ostdeutschlands. Das ist eine allgemeine Steuer und kann nach Belieben im Bundeshaushalt verschoben werden. Die Gelder des Aufbaus Ost müssen, zurzeit noch bis 2019, von westdeutschen Ländern, Städten und Kreisen aufgebracht und in den Osten überwiesen werden. Dieses Geld hat in den fast 25 Jahren seit der Wiedervereinigung viele Schäden beseitigen können, die 40 Jahre SED-Misswirtschaft angerichtet haben. So weit, so gut. Leider ist dafür bei uns vieles liegen geblieben und es mussten Schulden gemacht werden, um in die Ost-Infrastruktur investiert zu werden. Wir müssten also noch mehr Schulden machen, um endlich unsere eigenen Länder wieder aufzubauen.

    Und damit komme ich zu jenem Aspekt der Wiedervereinigung, der mich wirklich ärgert. Da zahlt ein Land wie Nordrhein-Westfalen jahrzehntelang Unsummen in den Osten und lockt sich damit quasi sogar Arbeitsplätze weg, aber während Länder wie Sachsen oder Thüringen gerade ihre Haushalte schuldenfrei machen, höhnen manche dort bereits, die Menschen in NRW könnten nicht mit Geld umgehen. Da möchte man mit Margaret Thatcher ausrufen: „We want our money back!“

  30. Ein schöner Artikel. Als gebürtiger „Ossi“ muss ich sagen das aus meiner Sicht mittlerweile einige westdeutsche Städte mehr nach „Osten“ aussehen als Städte hier.
    Was die Ossi/Wessi Vorurteile angeht sind diese meiner Meinung nach in den letzten Jahren schon weniger geworden. Aber einige bestätigen sich aber auch immer wieder … könnte natürlich auch selektive Wahrnehmung sein. Wenn wir diese Vorurteile aber gänzlich loswerden wollen müssen 25 Jahre nach dem Mauerfall endlich einmal die Löhnen und Renten angeglichen werden, denn die Lebenserhaltungskosten haben schon längst gleich gezogen.

  31. @Theres

    Als ich gestern abend in den Nachrichten die Bilder aus Berlin gesehen habe, habe ich gedacht, wäre schön gewesen, dabei gewesen zu sein. Hatte ich so nicht auf dem Radar gehabt.

    Musste aber ohnehin das ganze Wochenende arbeiten. 🙁

    1. Ich hab gestern Nacht auf NDR noch eine interessante Dokumentation gesehen. Da liefen 2 Stunden oder so nur irgendwelche Fernsehbilder und (anscheinend) private Videoaufzeichnungen der Vorgänge am Brandenburger Tor; ohne Kommentar – einfach so, wie sie damals aufgenommen worden sind. Mir war bisher gar nicht bewusst, dass die Mauer vor dem Brandenburger Tor damals von den Westdeutschen quasi überrannt worden ist. Ich dachte, die wäre von Osten her aufgemacht worden. Aber das war ja eine regelrechte Invasion von enthusiastischen Westberlinern, die zuerst auf die Mauer geklettert sind und dann einfach kollektiv den Osten geflutet haben…

  32. Mitte der 80er Jahre wurde uns in Rostock erzählt, dass das Baukombinat Rostock (wie das genau hieß, weiß ich nicht) Aufträge aus dem Westen bekam zum Bau von Plattenbauten (ich glaube, in Hamburg und Lübeck). Insbesondere, dass die Platten mit hanseatisch anmutenden Klinkerelementen versehen wurden, hatte denen wohl gefallen.

    Wenn das stimmte, dann wurden also sogar Plattenbauten in der BRD von DDRlern gebaut. Oder zumindest die Teile zugeliefert.

    ——————–

    Zu Jena: ich bin öfters dort und kann mir ein Urteil erlauben (erst vorletzte Woche zu den Irischen Tagen). Für mich ist Jena wirklich attraktiv. Das liegt vor allem an den Studenten. Und die Umgebung mit den Hausbergen wie Fuchsturm, Jenzig & Co. Auch die nahe gelegenen Weimar und Erfurt sind mittlerweile sehr schöne Städte geworden. Besonders in Erfurt bin ich gerne.

    Aber Jena wurde leider im WK2 sehr stark zerstört. Zu DDR-Zeiten war die Innenstadt mit dem großen Parkplatz und der häßlichen Uni-Buchhandlung (die aber ein sehr gutes Angebot an Büchern hatte) nicht sehenswert. Und war daneben in Richtung Uni-Turm nicht auch die Mensa?! Mit dem Wiederaufbau des Marktes mit den teilweise historisierenden Fassaden ist das heuer aber okay. Hauptattraktion in Jena war nicht die Innenstadt, sondern das Großplanetarium.

  33. Ja, Thüringen hat noch den Astronomieunterricht, in Sachsen wurde er leider von aus dem Westen zugewanderten Politikern abgeschafft, zugunsten von mehr Religion/Ethik. Hier hat man ein wunderbares interdisziplinäres naturwissenschaftliches Fach einfach abgewickelt anstatt es zu nutzen.

  34. Sich über Kohl Ausspruch der „Blühenden Landschaften“ lustig zu machen ist eigentlich nicht angebracht.
    Nach aktueller Erkenntnis (und Kohls eigener Aussage, auch wenn man sich fragen kann was die noch Wert ist) waren das bewusste Lügen. Etwas anderes wäre dem Volk damals nicht zu vermitteln gewesen. Intern wurden wohl ganz andere Szenarien behandelt. Da war man wohl doch halbwegs realistisch.
    Was ich mich aktuell Frage: Werden wir so etwas irgendwann auch mal über die Energiewende hören die nur eine Kugel Eis im Monat kostet? Auch wenn keiner einen so günstigen Ölpreis voraussehen konnte war ja wohl damals schon klar das es etwas teurer wird.

    Es ist eh eine interessante Frage in wie fern ein Politiker zum wohl des Volkes lügen darf. Und insbesondere ab wo eine Lüge anfängt.

    Ach und zu der (in diesem Blog verständlichen) Fixierung auf Astronomie:
    Ich bin mir gar nicht sicher ob es überhaupt Sinnvoll gewesen wäre das in Westdeutschland ein zu führen. Zum einen wäre der widerstand gegen ein „Ostfach“ wahrscheinlich relativ groß gewesen zum anderen gibt es auf Grund des föderalen Schulwesens keine einfache Möglichkeit dies in die entsprechende Richtung zu reformieren. Dafür ist das Fach einfach viel zu unwichtig. Es gibt bestimmt 20 fiktive Fächer die potentiell den selben Anspruch geltend machen könnten. Gemäß der Gleichbehandlung müsste man die dann alle anhören. Zudem würde so etwas eh nur halten bis neue Regierung am Werke ist. Es ist ja ein ungeschriebenes Gesetz das eine neue Regierung für Chaos im Bildungswesen sorgen muss. Eine Ausweitung der Naturwissenschaften wäre bestimmt sinnvoll gewesen (und ist es auch heute noch). Aber das hat rein gar nichts mit der Betrachtung der DDR zu tun.

  35. @ Florian:

    Ich dachte, die wäre von Osten her aufgemacht worden.

    Das Brandenburger Tor war kein Grenzübergang, den man am 9. November hätte öffnen können. Aber es war natürlich der Ort, auf den sich dann alles fokussierte – sowohl von Ost wie auch von West.

    Da die Panzermauer eine breite Krone hatte und nicht so hoch war wie die sonstige Grenzmauer, bot sie sich zum Draufklettern geradezu an. Und da die Mauerkrone schon recht bald voll war, sprangen die ersten runter, um wenigstens einmal durch das Brandenburger Tor zu laufen, das zuvor 28 Jahre lang unpassierbar gewesen ist (außer für angemeldete Besuchergruppen von der Ost-Seite).

    Irgendwann wurden es so viele, dass auch hier die wachmannschaften kapitulierten und den Dingen freien Lauf ließen. Erst nach einigen Stunden wurden die Truppen verstärkt und die Leute wieder vom Pariser Platz zurückgedrängt. Die eigentliche Öffnung des Brandenburger Tores erfolgte am 23. Dezember 1989 an einem regnerischen Tag …

  36. @Alderamin
    Die Feier gestern war nur am Rand der Menge schön, würde ich sagen – und die Stimmung war auf den ganzen 15km bestens und eigenwillig, von knapp der Hälfte kann ichs bestätigen. Und im TV, weil man da das meiste auch sehen konnte. Der Pariser Platz ist für solche Menschenmengen nicht gut geeignet, finde ich, trotzdem ist das Tor immer dran.

    @Florian
    Besonders faszinierend waren die Gesichter der Grenzer, wenn man mit Hacke und sonstigem an den Beton ging. Meine Erinnerungen mögen ja trügen, aber das Mauerhacken ging am Brandenburger Tor los.
    Es war unglaublich, wie aus einer soliden Sperre mit tragischer Geschichte auf einmal ein Festplatz wurde!

    @McPomm
    Die Geschichte habe ich auch gehört, nur nie verifiziert.

  37. Nun ja, ist ja alles eitel Sonnenschein hier.
    Auch ich habe die Grenzöffnung mit erlebt und die Scharen von Trabbis gesehen und gerochen. Es gab in Folge den ersten verkaufsoffenen Sonntag in Lübeck, damit die Ossis ihr Begrüßungsgeld auch da lassen, wo es herkommt. Der Turbokapitalismus konnte voll durchstarten. Die blühenden Landschaften waren ein Wahlversprechen vom Dicken, dass er zu Ungunsten der alten Bundesländer eingelöst hat. Und seine Nachfolgerin IM Erika arbeitet weiter daran! Das Flottenkommndo ist mitlterweile von Glücksburg nach Rostock umgezogen. Und auch die WSV-Reform geht zu Gunsten der ostdeutschen Bundesländer voran. Also nicht, dass ich was gegen die Wiedervereinung hätte, nur wie sich das (immer noch) entwickelt ist eigentlich bedenkllich. 40 Jahr DDR-Misswirtschaft brauchen sicher auch 40 Jahre, um wieder beseitigt zu werden. Warten wir also noch 15 Jahre, um zu sehen, ob die Verhältnisse in unserem Land wieder stimmen. Oder hoffen auf die vereinigten Staaten von Europa. 😉

  38. Wenn ich auch noch meinen Senf dazu geben darf ..;-)

    Mitte bis Ende der 80er war ich häufiger auf Besuch in der DDR (hab ’nen Halbbruder dort). Ich war um das 20. LJ rum alt und kann auf jeden Fall eines mit Sicherheit sagen:

    Das Grau in Grau der Umgebung stand im krassen Gegensatz zum dort wohnenden Publikum. Feste konnten die feiern, wie keine anderen. Vielleicht gerade aufgrund der Umstände, keine Ahnung. Und ich weiss nicht, wieviele IM’s ich dort unwissender Weise kennen gelernt habe, aber ich kann mich nicht an eine einzige negative Begegnung mit anderen Menschen erinnern. Der Humor dort war zu dieser Zeit sowieso einzigartig, was natürlich auch daran lag, dass man seine Spässe intelligent verpacken musste, wenn sie politisch wurden.

    Wollte nur mal diesen Aspekt auch mal in den Raum stellen.

  39. Ein interessanter Artikel von Florian. Ich war 18 als die Mauer fiel und gerade bei der NVA. Nach dem Studium in MD ging es dann mit 25 in den Westen und ich habe als „Ossi“ bisher überwiegend gute Erfahrungen gemacht. Sicherlich wird das Zusammenwachsen noch einige Zeit dauern und Vorurteile gibt es in jedem Teil Deutschlands. Vorurteile sind auch nicht schlimm entscheidend ist, dass man bereit ist diese zu überdenken und bei entsprechender Erfahrung fallen zu lassen. Der erste Weg zur Erkenntnis ist die Selbsterkenntnis. Es gab bisher wohl kaum ein Land das diesen Weg der Wiedervereinigung gegangen ist und Fehler gehören leider zum Leben. Und natürlich gab es auch im „Unrechtsstaat“ DDR gute Dinge. Vermutlich gibt es sogar in der Hölle gute Dinge 😉
    Daumen drücken für die heiße Phase der Rosetta-Mission am 12.11.

  40. Was ich erstaunlich finde ist, wie viele Dünkel man im „Osten“ gegen die im „Westen“ hat. Grade Leute jenseits der 40 – auf dem Land oder in Kleinstädten – neigt dazu, den „Westdeutschen“ Eigenschaften wie Arroganz, Schaumschlägerei und Unehrlichkeit zuzugestehen. Ich kann mir das nur so erklären, dass sich das im Zuge der Einigung verfestigt hat, als die Menschen den beispiellosen Ausverkauf und die Liquidierung ihrer Betriebe miterlebt hatten, von Versicherungsvertretern, Autoverkäufern und sonstigem Fahren Volk aus dem Westen geneppt wurden und zudem für die gleichen Sachverhalte sogar noch weniger Geld bekamen (Rente, Arbeitslosengeld, Tarife). Ich finde es erstaunlich, dass manche dieses Urteil anscheinend nie verändert haben.
    Ich bin Baujahr ’81 und komme aus dem landschaftlich reizlosen Thüringer Becken. Ich habe das mal genauso gesehen wie manch andere heute noch aber habe sehr schnell erkannt wie einseitig das ist. Dafür muss man nur mal den eigenen Horizont erweitern, doch noch immer scheint vielen „der Wessi“ genauso fremd zu sein, wie „der Spanier“. Vielleicht liegt es daran, dass ich vielese nicht so bewusst miterlebt habe. Oder daran, dass ich seit rund 10 Jahren in Göttingen lebe.
    Wie dem auch sei: Es wird sich bei diesen Menschen vermutlich auch nichts mehr ändern.
    Aber ich kann sagen, dass mir solche Dünkel bei den Generationen nach mir praktisch gar nicht mehr auffallen. Vielleicht wächst also inzwischen wirklich alles zusammen. Zumindest die Begriffe „Ossi“ und „Wessi“ werden seltener benutzt. Das finde ich gut.

    Ich Frage mich, ob es bei den Westdeutschen mit „uns“ andersrum vielleicht genauso ist. Florians Text deutet das ja an.

  41. #36 Alderamin

    Und was den Soli betrifft, ich hatte damals dem Prof entgegnet, wir könnten die Wiedervereinigung doch über die Staatsverschuldung finanzieren, es würden viele Arbeitsplätze geschaffen und das ganze nachher wieder über Steuermehreinnahmen refinanziert.

    Das hätte man so machen können, denke ich. Aber ich glaube, das war politisch nicht gewollt, denn dann hätte man ja keyensianische Politik machen müssen. Aber die war (und ist in den herschenden Kreisen, vor allem in Deutschland immer noch) völlig out. Das geht nach meiner Einschätzung so weit, dass manche gar nicht mal wissen, was John Maynard Keynes seiner Zeit (in der 1930er Jahren, nach der Weltwirtschaftskrise) überhaupt vorgeschlagen hat, um die Krise zu beheben.

    Für interessierte, allerdings nicht über Keynes, sondern zur Politik der Wiedervereinigung: 25 Jahre Mauerfall – Einige Anregungen zum Nachdenken

  42. @Alderamin:

    „Und was den Soli betrifft, ich hatte damals dem Prof entgegnet, wir könnten die Wiedervereinigung doch über die Staatsverschuldung finanzieren, [..]“

    @Hans:

    „Das hätte man so machen können, denke ich.“

    Ähm … wo lebt ihr denn?

    Das wurde so gemacht!

    Glaubt ihr, die 1 zu 1 übernommenen Rentenansprüche der Ostdeutschen wurden aus dem Soli finanziert?
    Oder die entsprechenden Ansprüche aus den Sozialversicherungen? (Letztlich war das übrigens einer der Gründe für die Agenda 2010 und die Einführung von Hartz IV und nicht die sogenannte „ausufernde Sozialpolitik“).

    Nicht, dass ich das für grundsätzlich falch halte. Das war gesellschaftspolitisch notwendig – wenn man nicht den Weg zweier parallel existierender Deutscher Staaten für lange Zeit hätte gehen wollen …

    Googelt einfach mal die Schuldenentwicklung von D-Land in den letzten vierzig Jahren und ihr wisst, was ich meine wenn ihr euch die Kurven anseht .

  43. Punkte die man aus dem Osten hätte übernehmen können:
    -> 8 Wochen Sommerferien im Juli und August für alle Bundesländer.

    Ich habe es bis heute nicht kapiert, was diese 6 Wochen mit dem Hin- und Hergeschiebe für einen Vorteil bringen? Mir fallen nur Nachteile ein.
    Irgendwie soll das ja wegen den Urlaubsstaus eingeführt worden sein. Aber warum wird dann regelmäßig vor Staus gewarnt, wenn eizelne Bundesländer mit Ferien anfangen? Wenn die Ferien länger seind, würden sich die Urlaubsfahrten auch statistisch mehr verteilen.

  44. Übrigens, hier mal ein paar Werte zum Thema der deutschlandinternen Geldverschieberei: Ein vergleichsweise prosperierendes Land wie Sachsen (verglichen mit Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern) produziert 1.000 € weniger Steuereinnahmen pro Kopf als das krisengeplagte Nordrhein-Westfalen. Dann geht es aber los mit dem Verteilen: Mehrwertsteuerausgleich, Solidarpakt Ost, Länderfinanzausgleich. Wenn alles (um)verteilt ist, verfügt Sachsen über 500 € pro Kopf mehr als NRW. Wie gesagt: Auch aus Sachsen kommt die Kritik, NRW könne „nicht mit Geld umgehen“.

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