Dieser Gastartikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb. Alle eingereichten Beiträge werden im Lauf des Septembers hier im Blog vorgestellt. Danach werden sie von einer Jury bewertet. Aber auch alle Leserinnen und Leser können mitmachen. Wie ihr eure Wertung abgeben könnt, erfahrt ihr hier.

sb-wettbewerb

Dieser Beitrag wurde von Theresa Kruse eingereicht.
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Ich bin verrückt. Da sind sich all meine Kommilitonen einig. Dabei stehen auf der einen Seite die Germanisten und auf der anderen die Mathematiker. Ich bin irgendwo dazwischen. Wahrscheinlich ist das so, wenn man zwei Fächer studiert, ohne das Lehramt fest im Blick zu haben. Dann wüsste ich mich zumindest bei den Pädagogen heimisch.

Aber so begegnet mir auf beiden Seiten vor allem Unverständnis und ich muss mich für das jeweils andere Fach rechtfertigen. Allerdings zeigen die Germanisten dabei mehr Respekt gegenüber den Mathematikern, während es in die andere Richtung leider eher Verachtung ist. Doch wie kann es zu solch einer Hierarchie zwischen den Disziplinen kommen? Es sind schließlich beides Geisteswissenschaften!

Und über deren Sinn und Zweck lässt sich mangels direkter Anwendung ohnehin streiten. Ein Mathestudium ist schließlich ähnlich wie Sudokus lösen: Man probiert irgendetwas und freut sich, wenn es am Ende passt. Dann beginnt man mit dem nächsten. Inhaltlich klüger wird man daraus nicht direkt. Anders ist es in Germanistik: In der Literaturwissenschaft werden Texte gelesen und diskutiert. Und wer mehr Texte gelesen hat, findet mehr Zusammenhänge zwischen den Worten. Genauso hat auch die Linguistik ihren Inhalt: Warum sprechen die Menschen so wie sie sprechen?

Doch weshalb scheinen gerade Mathematik und philologische Wissenschaften so unvereinbar? Dabei wäre es doch durchaus möglich zu kombinieren: Welche Rolle spielt Mathematik in der Literatur? Oder linguistisch untersuchen, warum die Sprache der Mathematik mit den immer gleichen Phrasen funktioniert. Dafür müsste man sich natürlich auch mit der entsprechenden Mathematik auseinandersetzen. Mit solch einem Fachbereich mathematische Germanistik wäre gleichzeitig die Hierarchie überwunden.

Welchen Sinn das ganze hat? Nun, ich denke, danach darf man in der Wissenschaft zunächst nicht fragen. Manchmal ist die Anwendbarkeit von bestimmten Disziplinen erst viele Jahre später ersichtlich. Ich denke da an Primzahlen, deren Nutzen in der Verschlüsselungstechnik erst in den letzten Jahrzehnten wirklich wichtig wurde. Schließlich soll das Forschen in der Wissenschaft doch vor allem Spaß machen und neue Erkenntnisse bringen. Diese Erkenntnisse werden dann irgendwann wieder entdeckt, weiterentwickelt und angewendet. Ein bisschen verrückt ist das vielleicht schon.

31 Gedanken zu „Sind die denn wirklich so verschieden?“
  1. Wahrscheinlich verachten die Mathematik-Komillitonen die Germanistik, weil es da keinen eindeutigen Begriff von „Wahr“ und „Falsch“ gibt. Vieles läuft (angeblich) auf bloßes Meinen oder auf Belesenheit hinaus.
    Es ist das Spannungsfeld, ob ich die Welt als große Erzählung erlebe oder als eine Struktur.

  2. Ich glaube, die Abstufungen zwischen den Wissenschaften sind sehr tief in den Köpfen verankert. Wie ‚hard‘ oder ’soft‘ einige Disziplinen sind, ist jedoch wiederum recht subjektiv.

    Bei uns an der Uni ist die Mathematik übrigens eine Naturwissenschaft und niemand hier würde das was sie machen als Geisteswissenschaft interpretieren.

    Beim Lesen fiel mir dann auch noch der XKCD-Comic über die ‚purity of disciplines‘ ein. Auch als Nicht-Mathematiker musste ich etwas schmunzeln:

    https://xkcd.com/435/

    Zum Blogpost selbst: ich finde die Idee spannend, bin aber etwas unzufrieden über die Länge: da könnte man wirklich mehr draus machen und aktuell ist es etwas gar kurz bzw. habe ich das subjektive Gefühl, dass da eigentlich noch was kommen müsste. Aber das ist wie gesagt nur meine Meinung.

    1. @Lulu: „Den Artikel finde ich ebenfalls zu kurz. Könnte es sich eventuell um einen Formatierungsfehler handeln“

      Nein. Manche Texte sind eben einfach kurz – und die Länge alleine ist ja auch kein Kriterium zur Beurteilung eines guten Artikels. Das hängt vom Inhalt ab. In dem Fall hätte man natürlich noch mehr erzählen können. Aber zumindest als Diskussionanstoß ist der Text schon sehr interessant.

  3. Einspruch:
    1. Mathematik ist keine Geisteswissenschaft, sondern eine Strukturwissenschaft (zusammen mit z.B. der Informatik).

    2. „linguistisch untersuchen, warum die Sprache der Mathematik mit den immer gleichen Phrasen funktioniert.“ <- Das wird/wurde gemacht und ist zentraler Inhalt der mathematischen Logik. Die entsprechende Sprache nennt sich Prädikatenlogik. Linguisten interessieren sich dafür, meines Wissens nach Germanisten eher weniger, weil die Sprache der Prädikatenlogik (als formale Sprache) nunmal mit der deutschen Sprache nichts mehr zu tun hat.

    3. @Spacedude Auch in der Mathematik (zumindest in der Logik/Mengenlehre) gibt es keinen eindeutigen Begriff von "Wahr" und "Falsch" und vieles läuft auf "bloßes" Meinen hinaus 😉 (Ist die Kontinuumshypothese wahr? Gibt es messbare Kardinalzahlen? Wenn ja, kleinere als 2^omega? Was ist mit dem Determiniertheitsaxiom? In welchem Sinne kann sowohl das, als auch ZFC wahr sein, wenn es dem Auswahlaxiom widerspricht? etc.pp.)

  4. Vermutlich liegt es einfach daran, dass die Mathematik gesicherte Erkenntnisse hat. So etwas existiert in anderen Disziplinen einfach nicht.
    Am nächsten dran ist die Physik mit eher viel gesicherter Erkenntnis, dich gefolgt von der Chemie.

    Die anderen Wissenschaften sind eher beschreibend. Das heißt, aus ihren Erkenntnissen kann man neue Erkenntnisse nur begrenzt ableiten, im Gegensatz zur Physik und Chemie.

    Literatur“wissenschaften“ auf der anderen Seite sind völlig willkürlich. Gesicherte Erkenntnisse gibt es kaum und wenn beziehen sie sich auf den historischen Kontext von Werken, wobei man dann schon beim zweiten Problem ist: Jede (mir gekannte) mögliche Erkenntnis bringende Forschung, ist von anderen Disziplinen abgedeckt – Linguistik, Geschichte, (Sprach-)Anthropologie, Neurologie, Soziologie, etc

    Sorry, ich siehe Literaturwissenschaften als reines Ergänzungsstudium zu einem „richtigen“ Studium, genauso wie Philosophie.
    Was wird denn ein studierter Literaturwissenschaftler (außer Lehramt)?

    Literaturtipp 😉 „Logik der Forschung“, Karl Popper, Überarbeitung X oder später

  5. Ein Mathestudium ist schließlich ähnlich wie Sudokus lösen: Man probiert irgendetwas und freut sich, wenn es am Ende passt.

    Nein. In der Mathematik, so wie in den meisten Wissenschaften, wird nicht irgendetwas probiert, sondern schon systematisch geforscht. Und diese Systematik sollte sich auch im Studium wiederspiegeln – zumindest in den späteren Semestern.

    Doch weshalb scheinen gerade Mathematik und philologische Wissenschaften so unvereinbar?

    Aus meiner Sicht (als Mathematiker), weil die Mathematik kaum bis keinen Spielraum für Interpretationen zu lässt. Hingegen leben die philologischen Wissenschaften gerade von der Interpretation.

    Nebenbei, ich als Mathematiker sehe die Mathematik aber eher bei den Naturwissenschaften, als bei den Geisteswissenschaften. Was Mathematik genau ist, weiß leider nicht einmal Wikipedia.

  6. Übrigens hat bei uns an der Uni eine studierte Mathematikerin UND Germanistin mal einen ausführlichen Vortrag gehalten über die historische Realität und literarische Darstellung/Mythifizierung von Evariste Galois; womit das Themengebiet „Rolle der Mathematik in der Literatur“ zumindest mal nicht leer wäre 😉
    Da gibt es bestimmt noch viel mehr interessantes zu tun, aber so verrückt wie der Autor meint ist die Idee wohl gar nicht, dass nicht andere schon ähnliche Ideen gehabt hätten ^^

  7. @Jazzpirate: Klar, das mag in Teilen der Mathematik (bzw. Grundlagenmathematik) so sein und wird da dann ja auch als Problem wahrgenommen. Das Wesen der Mathematik besteht aber dennoch im Beweisen, also in dem Versuch eine Aussage als eindeutig und für alle Zeiten als wahr zu erkennen. Das ist schon eine Besonderheit der Mathematik.

  8. Spacedude
    … verachten die Mathematik-Komillitonen die Germanistik …

    Ha, ha, ha, Germanistik. Ich habe einen Komillitonen erlebt für den waren Physikstudenten Leute
    bei denen es nicht zum Mathematiker reicht.

    Andererseit muss sich ein Mathematiker bei Bewerbungsgesprächen fragen lassen ob denn
    die Mathematik nicht reine Wixxerei ist.

  9. Germanistik ist aber nicht einfach nur Literaturwissenschaft, wie es in manchen Kommentaren m.E. anklingt 😉

    „“Literatur”wissenschaften” auf der anderen Seite sind völlig willkürlich.“

    Das stimmt halt auch nur so halb: Es kommt drauf an, wie der jeweilige Wissenschaftler vorgeht, wie eng oder weit man den Begriff Literatur fasst, wie sehr Verbindungen zu anderen Disziplinen bestehen, beispielsweise der Geschichtswissenschaft, da ergeben sich schon „Synergien“.

    Aber auch ich muss zugeben, dass mir Germanistik nicht soviel gebracht hat, dass hatte aber noch weitere Gründe.

  10. @Spacedude Genau da rennt man aber gegen die Wand: Ein Beweis fußt immer auf irgendwelchen Annahmen, also auf Axiomen. Aus dem Nichts kann ich nichts herleiten, also auch nichts beweisen. Jede „Wahrheit“ in der Mathematik ist nur „wahr“ im Rahmen einer bestimmten Logik und einem bestimmten Axiomensystem. Ein Intuitionist würde viele Aussagen abstreiten, die die meisten Mathematiker als „eindeutig und für alle Zeiten wahr“ betrachten würden, zum Beispiel den Satz von Tychonow (Das Produkt kompakter topologischer Räume ist wieder kompakt), weil der einzige bekannte Beweis vom Auswahlaxiom gebrauch macht. Das gesamte Maßproblem verschwindet genauso, wenn ich das Auswahlaxiom ablehne, wodurch der Satz von Banach-Tarski ungültig wird und ich ein echtes Maß auf der vollen Potenzmenge der reellen Zahlen erhalte. Letzteres ist (zumindest bei uns) Stoff einer Grundlagenvorlesung (Analysis III).
    Klar, die Mathematik hat die Sonderstellung, dass sie echte, eindeutige Beweise enthält; aber auch da bleibt eben sehr viel subjektiver Spielraum, und vieles ist mehr „Glaubenssache“, als die meisten Leute denken/wissen.

  11. @Volki

    Aus meiner Sicht (als Mathematiker), weil die Mathematik kaum bis keinen Spielraum für Interpretationen zu lässt. Hingegen leben die philologischen Wissenschaften gerade von der Interpretation.

    Sehe ich genau so. Sprach Feynman in diesem Zusammenhang nicht sogar von Cargo-Kult-Wissenschaften? Er bezog das wohl speziell auf Erziehungswissenschaften und Soziologie, sowie auch Pseudowissenschaften (Parapsychologie).

    So weit würde ich allerdings nicht gehen wollen. Aber Psychologie oder Soziologie haben mangels der Möglichkeit, wiederholbare Experimente unter streng kontrollierten Bedingungen durchzuführen, einen schwereren Stand als etwa die Physik. Was nicht heißt, dass sie gar keine Experimente durchführen können. Es ist halt immer die Frage, wie aussagekräftig die dann sind.

    Mathematik macht im übrigen überhaupt keine Experimente, sondern beweist exakt, was den Abstand zur Philologie eher noch vergrößert.

  12. Zitat:“Es sind schließlich beides Geisteswissenschaften!“

    Ich fürchte ich muss dir widersprechen. Auch falls ich mich damit unerwünscht mache bei dir? Es wurde auch schon von Lulu geschrieben:

    Mathematik ist eine Hilfswissenschaft. Sie ist weder Natur- noch Geisteswissenschaft obwohl von beiden stark genutzt.

    Sorry für das Klugscheissen. Ich kann es nicht lassen.

  13. Kurze Gegenfrage: Was ist der Sinn der Diskussion „Mathematik beweist etwas exakt daher ist sie anders als Philologie“? Das Mathematik&Physik usf. etwas exakt Beweisen ist schön, aber das erklärt mir halt nicht wie ein Roman funktioniert. Da kann ich auch kein Experiment draus machen 😉

    Ich frage mich eher: Was bringt hier eine Hierarchisierung? Es sind unterschiedliche Wissenschaften mit unterschiedlichen Fragestellungen, mit unterschiedlichen Methoden und unterschiedlichen Erkenntnisinteressen. Das ist nun ja kein Geheimnis und darüber immer wieder zu diskutieren ist zwar nicht falsch, bringt aber letztlich auch nicht weiter.

    Was ich daher an dem Text gut finde ist Wissenschaft als etwas zu verstehen, dass gesicherte Erkenntnisse produziert. Und das tut Literaturwissenschaft ebenfalls, ob man es glaubt oder nicht 😉 Was eine „mathematische Germanistik“ sein soll leuchtet mir allerdings nicht ein, abgesehen von dem Aufruf, dass man doch voneinander lernen kann.

  14. @Matthias Friedmann

    Das Mathematik&Physik usf. etwas exakt Beweisen ist schön, aber das erklärt mir halt nicht wie ein Roman funktioniert. Da kann ich auch kein Experiment draus machen

    Na ja, die wissenschaftliche Methode zeichnet sich ja gerade dadurch aus, dass sie

    1) Beobachtungen macht
    2) Gesetzmäßigkeiten findet und in Theorien fasst
    3) Diese durch Vorhersagen, die durch Experimente oder andere Beobachtungen überprüft werden können, verifiziert.

    (In der Mathematik steht anstelle der Theorie die Behauptung und anstelle des Experiments der Beweis)

    In der Soziologie oder Psychologie ist so ein Vorgehen möglich. Inwiefern die Literaturwissenschaft noch in das Schema passt, mögen mir Literaturwissenschaftler erklären. Wenn sie nicht passt, aber trotzdem Wissenschaft ist, dann ist sie jedenfalls von anderer Art als die Naturwissenschaften und nicht direkt vergleichbar. Äpfel und Birnen (sind aber beide Obst).

    Es sind unterschiedliche Wissenschaften mit unterschiedlichen Fragestellungen, mit unterschiedlichen Methoden und unterschiedlichen Erkenntnisinteressen.

    Wenn das so ist, dann ist die Frage im Artikeltitel halt mit einem klaren „Ja“ zu beantworten.

  15. @Alderamin:
    Genau bei dem finden von Gesetzmäßigkeiten würde ich gerade bei Wissenschaften die sich mit Kultur und Sozialem beschäftigt widersprechen: Das geht nicht immer so ohne weiteres. Das war das was ich meinte: Das ist die wissenschaftliche Methode für Naturwissenschaften, aber wenn man sich mit Kultur befasse: Was wären dann die Gesetze? Ich kann hier am besten nur für die Geschichte sprechen: Man kann dort nicht einfach ein Gesetz aufstellen a la „immer wenn x Menschen unzufrieden sind und y gegeben ist, dann gibt es eine Revolution“. Dann sieht man sich ein paar Fälle an, vielleicht passt es, aber dann schaut man sich dutzende weitere Fälle an, wo diese Bedingungen gegeben sind, aber nichts passiert ist. Das würde dann dazu führen, dass man Gesetze hätte, die so speziell sind, dass sie wertlos sind oder welche die so allgemein sind, dass sie ebenfalls wertlos sind 😉 Dennoch hat man Ergebnisse, die „Wahr“ (oder wie in jeder Disziplin sich manchmal auch als falsch erweisen) und bewiesen und nicht einfach nur „freie Interpretation“ sind.

    Ich hätte den Titel daher eigentlich auch anders gelesen: Für mich scheint es so, als würde des dem Artikel vor allem darum gehen unter dieser Fragestellung für gegenseitiges Verständnis zu werben. Von daher wäre die Antwort so eher „Nein! Uns geht es doch allen am Ende nur um Wissen“.Aber die skizzierten Anwendungsfelder finde ich allerdings auch nicht sonderlich überzeugend, von daher hast Du recht: Die Antwort wäre dann „Ja“.

  16. @Alderamin

    Die drei Punkte können nicht alle Wissenschaften abdecken, es sei denn, man fasst den Begriff sehr eng.

    Es gibt z.B. auch Naturwissenschaften, die keine Vorhersagen im strengen Sinne machen können, z.B. die Paläontologie oder weite Teile der Evolutionsbiologie. Dort können Vorhersagen allenfalls in der Form getätigt werden, dass bestimmte Funde postuliert werden können.

    Einen möglichen Zusammenhang zwischen Literaturwissenschaft und Mathematik sehe ich in der Fokussierung auf formale Systeme. In der Mathematim dürfte das unstrittig sein (Mathematik als Formalwissenschaft). Die Literaturwissenschaft hat es ebenso mit formal gegliederten Zeichensytemenen zu tun. Diese funktionieren jedoch nicht (oder nur sehr bedingt) nach mathematischnen, sondern nach semiotischen Gesetzmäßgkeiten. Spätestens seit dem Strukturalismus zu Beginn des 20ten Jahrhunderts bildet eine formale Herangehensweise den Kern der Literaturwissenschaft.

    In diesem Rahmen sind durchaus auch klare Aussagen über Struktur und Sinnproduktion von Texten möglich. Dass diese in Berührung zu anderen bereichen (Geschichte, Soziologie, Biologie, Psychologie, Anthropologie etc.) zunehmend „ausfransen“, liegt in der Natur des Forschungsgegenstandes. Dies ist aber bei den meisten Wissenschaften der Fall.

    Lesenswert in diesem Zusammenhang sind die Arbeiten des Wissenschaftstheoretikers und Physikers Paul Hoyningen-Huene.

  17. Hm, als Computerlinguist kann ich mich mit dem Artikel doch recht gut identifiziren, da hat man genaso mit Germanisten und Mathematikern/Informatikern zu tun, Prädikatenlogik trifft auf Lautverschiebung quasi.

    Das Problem das beschrieben wird, und das auch in den Kommentaren durchklingt, kenn ich deswegen auch: Ich studiere auf einer eher geisteswissenschaftlich ausgerichteten Uni, und von Freunden in Ingenieursstudiengängen kriegt man dann schon einiges an Häme und Herablassung ab, wenn auch meistens ironisch-freundschaftlich.
    Trotzdem merkt man ständig, dass verschiedene Wissenschaften einfach generell als weniger wert angesehen werden (da gibt es ganz nette Hierachielisten im Internet, wo die MINT-Fächer weit über dem „shit-tier“ (aka Sozial- und Geisteswissenschaften) stehen), woran auch immer das liegt. Ob das jetzt Arroganz seitens der Naturwissenschaftler ist, eine Fehleinschätzung bezüglich der Schwierigkeit („ein bisschen Labern zu nem Buch kann jeder“ – ich hab da manchmal das Gefühl, manche haben da zu sehr Deutsch aus der Schule im Kopf, ohne dran zu denken, dass man das dann aber auch mit Schulmathematik vegleichen muss) oder einfach nur eine lange zementierte Rivalität ist, kann ich nicht beurteilen, wäre aber mal interessant, dazu was zu hören.

  18. @niv

    Es gibt z.B. auch Naturwissenschaften, die keine Vorhersagen im strengen Sinne machen können, z.B. die Paläontologie oder weite Teile der Evolutionsbiologie. Dort können Vorhersagen allenfalls in der Form getätigt werden, dass bestimmte Funde postuliert werden können.

    Was aber auch eine Möglichkeit ist (wie auch in der Astronomie). Hauptsache, man findet eine Bestätigung, die belegt, dass die Theorie schlüssig ist (z.B. Fossilienfunde vs. andere Hinterlassenschaften vs. genetische Verwandtschaft der Nachfahren anhand der DNA).

    Dies funktioniert, @Matthias Friedmann, natürlich auch in der Geschichtswissenschaft – da geht es ja weniger darum, etwas über das Verhalten des Menschen zu lernen, sondern um die Wahrheitsfindung: x hat das überliefert, y etwas anderes, wer hat recht und wie kann man dies durch weitere Funde oder überlieferte Quellen belegen?

    Vielleicht ist das eine Brücke zur Literatur, wo es ja auch irgendwie um die Wahrheitsfindung geht: was will der Autor uns sagen? Was man dann vielleicht durch Rückgriff auf andere Veröffentlichungen des Autors, den historischen Kontext, Parallelen mit anderen Werken etc. zu erschließen versucht. Dann passt es vielleicht doch ins Schema. Mal so aus Laiensicht.

  19. @Martin (#14)

    Hilfswissenschaft

    …das ist wohl eher eine Perspektive denn Kategorisierung. Beispiele:
    – Differenzialgleichungen: da sind (bspw.) physikalische Probleme Input ( = Hilfswissenschaft(HW)) für Mathemtik oder Physiker benutzen (= HW) mathematische Konzepte/Sätze um ihre Theorien zu untermauern/aufzustellen;
    – Chemische Reaktionen/Produkte: „funktionieren“ (teilweise) nur aufgrund physikalischer Erkenntnisse(=HW) oder Physik beschäftigt sich mit dem Verhalten chemischer Elemente/Eigenschaften( e.g. Wasserstoff ) (= HW);
    – Sprachliche Konstrukte: Literatur ohne Linguistik(=HW) kaum sinnvoll oder Linguistik bezieht sich auf Literatur(= HW)
    …usw ( Worthäufigkeiten / Relationen –> Math als HW oder Codierungsmethoden/Syntaktisch & semantische Grundlagen Lingusitik als HW in Mathematik; Literatur…Aufzeichnungsmethoden/Inhalte/Kontext…)
    – (Be)Nutzen eines Computers ( HW Informatik), basteln eines Computers (und schon ist Physik HW der Informatik)…
    (scnr): das mit dem Klugscheissen muß wohl noch geübt werden.

    zu @Alderamin

    Mathematik macht im übrigen überhaupt keine Experimente

    Ehh – Nein. Bsp(direkt experimentell):
    – Einige Lösungen von Differenzialgleichungen sind gefunden durch „try & error“
    – Numerische Simulation gerade in Bezug auf Anfangswerte ( Chaostheorie – und klar Überschneidungen heutzutage zu Informatik; Input aus anderen Gebieten etc.)
    – Vierfarbtheorem würde ich auch durchaus in „Experiment“ einordnen ( oder auch Gaston Tarry)
    – Polynome die Primzahlen liefern – Zahlen einsetzen und (experimentell) ausrechnen
    – Prinzipiell ( wissenschaftliche Methodik): Lösungsansätze für Problemstellungen werden „probiert(Experiment)“( e.g. Großer Fermat)
    – Prinzipieller formalisierter experimentieller Ansatz: Widerspruchsbeweis
    – oder ganz einfache Aussagen: es gibt genau vier Primzahlen ≤ 10;
    In gewissen Sinn trifft da tatsächlichzu, dass ein (mathematisches) Experiment schlicht der (nicht notwendig positive) Beweis einer (mathematischen) Aussage ist.(…auch z.Bsp. Unabhängigkeit von Axiomen)
    Bzgl. „Theorie“ ist eine „Aussage/Satz/Theorem“ nur ein Bestandteil einer Theorie – Theorie der DGL, Zahlentheorie usf. – Das unterscheidet nun mathematische Theorien überhaupt nicht von Theorien(salopp = in sich konsistente zusammengehörige Aussagensammlung) in anderen Fachgebieten.

    D.h. (imho) „Beobachten“, „Theorienbildung“, „Überprüfung“ sind durchaus Kernpunkte von „Wissenschaft“.

  20. @Alderamin:
    Ja, Wahrheitsfindung im Sinne des „Was ist wirklich passiert?“ ist natürlich ein Aspekt. Es geht in der Geschichtswissenschaft aber durchaus auch darum zu verstehen, wie Gesellschaften funktionieren eben mit Blick auf vergangene Gesellschaften und mit Blick auf den Einzelfall. Warum hat sich die eine Gesellschaft in der Weise entwickelt, die andere so? Am besten wird dies deutlich, wenn man versucht die Gegenwart zu historisieren. Ich picke einfach mal ein Beispiel heraus: Ab wann und vor allem warum fing man eigentlich an Streitfragen über autonome Gerichtsverfahren lösen zu lassen, an stelle ein Gottesurteil oder sonst was zu erbitten? Und wieso fand diese Entwicklung statt? Usf.

    Der Literaturwissenschaftler hört die Frage nach dem „Was will der Autor uns damit sagen?“ nicht so gern. Er interessiert sich vor allem für den Text an sich und was dieser Text „macht“. Sicher, der Autor ist eine wichtige Figur, aber nicht der wesentliche Erkenntnisgegenstand. (Das führte in der Schule, aber auch in Medien immer gern dazu, dass man sich vor allem mit dem Autor befasst, als mit seinem Text: ‚Im Buch findet die Hauptfigur ja eine Freundin, aber er verliert sie dann wieder. Auch der Autor hatte mal eine Freundin und sie verloren. Ist das jetzt autobiographisch oder nicht?‘ Nette frage, aber etwas banal, oder? ;-))

    @Lulu: Hm? Ich sehe da gerade nicht, was Du meinst. Mir ging es eher darum, dass man aus geisteswissenschaftlichen Arbeiten nicht einfach Gesetzte ableiten kann.

  21. @Matthias Friedmann

    Der Literaturwissenschaftler hört die Frage nach dem “Was will der Autor uns damit sagen?” nicht so gern. Er interessiert sich vor allem für den Text an sich und was dieser Text “macht”.

    Ich meinte das auch nicht mit dem Fokus auf den Autor selbst und möglicher autobiographischer Bezüge, sondern in dem Sinne, dass der Autor ja mit dem Text etwas bezwecken will, und dass man halt analysiert, was dieser Zweck aus Sicht des Autors sein soll und wie (und ob) er ihn erreicht. Ob das nun gesellschaftliche Kritik ist (offensichtlich oder getarnt gegen repressive Obrigkeiten), oder den Leser nachdenklich oder auf ein Problem aufmerksam zu machen, ihn zu bilden oder ihn nur zu unterhalten. Was insbesondere bei Texten aus anderen Zeiten oder Kulturen ja eine Menge Wissen um die entsprechenden Gegebenheiten erfordert. Hätte ich mir jedenfalls so vorgestellt, mit meinen bescheidenen Kenntnissen aus dem (wie ich gestehen muss, nicht immer geliebten) Deutschunterricht.

  22. @Matthias Friedmann

    Hm? Ich sehe da gerade nicht, was Du meinst. Mir ging es eher darum, dass man aus geisteswissenschaftlichen Arbeiten nicht einfach Gesetzte ableiten kann.

    Dann habe ich dich wohl nicht ganz richtig verstanden. Gesetze kann man in der Tat nicht immer einfach ableiten. Weil es – sobald es um Menschen handelt – schlichtweg zu viele Faktoren zu berücksichtigen gilt. Und das wäre vom Aufwand und von der Datenmenge her nicht durchführbar. Daher muss man sich zwangsläufig auf einige Merkmale konzentrieren und wenn ein Ereignis x in 7 von 10 Fällen eintritt, wenn gleichzeitig Voraussetzungen y und z vorhanden sind, dann kann man durchaus von einer Gesetzmäßigkeit sprechen. Auch wenn nicht im streng mathematischen Sinn.

    Menschliches Verhalten ist nicht willkürlich. Es folgt durchaus gewissen Regeln – die biologisch bedingt sind, oder kulturell etc. Aber es gibt auch sehr viele Störfaktoren. Auch unvorhergesehene. Deshalb kann man in den Geisteswissenschaften nicht von Gesetzen sprechen, die immer, überall und mit 100%er Wahrscheinlichkeit eintreffen. Dennoch ist es ganz spannend und sinnvoll zu erforschen, wie Personen oder Personengruppen sich in bestimmten Situationen verhalten.

  23. Was gerne übersehen wird, weil es so trivial ist, ist, dass Zahlen zum Zählen verwendet werden, und sich so sehr wohl empirisch überprüfen lässt, dass, wenn ich 2x 3 Äpfel nehme ich soviele Äpfel habe, wie wenn ich 3x 2 Äpfel nehme, oder 1x 6 Äpfel.

    Oder Primzahlen – dass man kein Raster aus x Spalten und y Zeilen bilden kann, auf dass man p Elemente genau verteilt, außer man nimmt nur eine Spalte oder eine Zeile. Oder Flächenberechnung – ein Quadrat der Seitenlänge X auszumalen benötigt genausoviel Farbe wie ein Kreis des Radius Y.

    Das ist empirisch prüfbar oder widerlegbar.

    Bei fortgeschrittenen Themen mag es kaum möglich sein anschauliche Anwendungen zu finden, während man bei trivialen die Nase rümpft, wenn jmd. noch Birnen und Äpfel ins Spiel bringt.

  24. Zur Geistes-/Naturwissenschaft: Ich würde die Mathematik trotzdem eher bei den Geisteswissenschaften sehen. Schließlich ist ihr Gegenstand ja eben vom Geist des Menschen konstruiert – im Gegensatz zu den klassischen Naturwissenschaften, wo eben die Natur der Gegenstand ist und nichts vom Menschen konstruiertes.

    @volki: Zumindest zum Ende des Bachelors passt der Sudoku-Vergleich noch ganz gut und hilft meist Außenstehenden auf die Frage „Was macht man da eigentlich?“

  25. Mit solch einem Fachbereich mathematische Germanistik wäre gleichzeitig die Hierarchie überwunden.
    Diese Hierachie gibt es weniger, vielmehr gibt es Ansichten der Wissenschaften übereinander – wie bereits skizziert. Doch auch diese können kaum durch neuartige Institute überwunden werden.

    Wenn Linguisten Mathematik anwenden gibt es nicht selten beeindruckende Ergebnisse. Wer so etwas präsentiert kann sicher sein in der Pause nicht dem „Was will die/der denn hier“ hinter den Stirnen zu begegnen.

    Ich befürchte nur den meisten Philologen fehlt schlicht der mathematische-naturwissenschaftliche Werkzeugkasten, derartige Forschung zu machen. Ob das ein Manko ist, wage ich nicht zu beurteilen.

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