Astronomie ist ja eigentlich zu nichts gut, oder? Ok – wir lernen ein bisschen was über die Sterne; haben ein paar philosophische Diskussionen á la „Wie hat alles angefangen“ und fahren mit ferngesteuerten Autos über andere Planeten. Aber so richtig relevant für unser Leben ist das ja alles nicht…

Das ist natürlich Unsinn. Astronomie IST relevant. Astronomie IST sehr wohl zu etwas gut. Und das sage ich jetzt nicht nur, weil ich Astronom bin, sondern das sage ich, weil es stimmt. Astronomie ist Grundlagenforschung und die ist immer wichtig. Bei der Erforschung des Universums haben wir schon sehr viel über unsere eigene Welt gelernt und dabei durchaus auch Dinge, die für unseren Alltag äußerst relevant sind (zum Beispiel haben wir durch die Erforschung der globalen Staubstürme am Mars gemerkt, dass ein Angriff mit einer Atomwaffe auch für den Angreifer keine gute Idee wäre, weil dann ein nuklearer Winter folgt). Aber selbst wenn man diesen eigentlichen Zweck der Astronomie ignoriert, bleibt noch sehr viel konkreter Nutzen übrig.

So wie jedes andere Gebiet der Grundlagenforschung ist auch die Astronomie eine Innovationsmaschine. Wenn man sich mit völlig neuen Dinge beschäftigen muss – und das tut man in der Grundlagenforschung zwangsläufig – trifft man auch auf völlig neue Probleme für die man völlig neue Lösungen entwickeln muss. Und das dabei gewonnene Wissen lässt sich oft auch anderswo anwenden. Als man am europäischen Kernforschungszentrum CERN angesichts der großen Datenmengen und der vielen beteiligten Forscher nach einem einfachen Weg suchte, wie man miteinander kommunizieren und Informationen teilen kann, entstand aus diesem Problem eine Lösung: Das World Wide Web, das die komplette Welt verändert hat. „Die Erfindung des Internets“ als Nebenprodukt der abstrakten teilchenphysikalischen Forschung wird immer gerne als Beispiel für die unerwarteten Nebeneffekte der Grundlagenforschung zitiert. Es ist aber bei weitem nicht das einzige Beispiel!

In der Augenklinik in Maastricht muss man oft sehr komplizierte Operationen durchführen. Um den Patienten bei einer Retina-Ablösung das Augenlicht erhalten zu können, muss sehr schnell eine bestimmte Operation durchgeführt werden, bei der auf Millimeterbruchteile genau gearbeitet werden muss. Das geht nur mit entsprechenden Mikroskopen, die den Ärzten vernünftige Bilder liefern. Bilder, die das zu operierende Auge klar und deutlich zeigen und nicht ständig hin und her wackeln. Aber das taten sie bisher immer. Man hatte in Maastricht sogar eine Bremsschwelle von der Straße vor dem Krankenhaus entfernt um Erschütterungen durch die vorbeifahrenden Autos zu vermeiden. Aber das half nicht. Das ganze Gebäude vibrierte immer noch und schuld war der Wind, der gegen die Fassade des Krankenhauses bläst. Die Vibrationen waren zwar 100 Mal kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares – aber das war immer noch stark genug um das Bild im Mikroskop zu verwackeln. Und der Wind lässt sich leider kaum abstellen…

So hätten die Darwin-Teleskope ausgesehen (Bild: ESA/Medialab)
So hätten die Darwin-Teleskope ausgesehen (Bild: ESA/Medialab)

Die Ärzte brauchten ein ruhiges Bild um zu operieren, aber sie bekamen keines. Und wer braucht noch ein ruhiges Bild von den Dingen für seine Arbeit? Genau – die Astronomen! Wenn man mit einem Teleskop den Himmel beobachtet, dann darf das auch nicht wackeln sondern muss ruhig und exakt auf einen Stern gerichtet werden. Je ruhiger das Bild, desto besser die Ergebnisse. Und besonders gute Ergebnisse wollte man mit dem Weltraumteleskop Darwin bekommen. Das sollte eigentlich 2015 den Betrieb aufnehmen und hätte aus einer Flotte kleiner Satelliten bestanden, die zusammengeschaltet werden können um die Atmosphären von extrasolaren Planeten zu untersuchen und dort vielleicht Anzeichen von Leben zu finden. Dazu braucht man natürlich sehr exakte Messungen und muss die Teleskope sehr exakt und stabil ausrichten. Darwin selbst wurde 2007 eingestellt. Aber die technischen Studien und Prototypen, die man bis dahin gemacht hatte, waren nicht umsonst. Denn die Stabilisationsmethode, mit der man ursprünglich nach extrasolaren Planeten suchen wollte, hilft heute den Ärzten in Maastricht, ihren Patienten das Augenlicht zu erhalten.

Das Gerät heißt „Hummingbird“ (Kolibri) und wurde im Rahmen des Technology Transfer Network der Europäischen Weltraumagentur ESA aus der Astronomie in die Medizin übergeführt. „Hummingbird hat unser Berufsleben verändert“ sagt Professor Carroll Webers von der Maastrichter Augenklinik und Krankenhäuser in anderen Ländern sind ebenfalls an dieser Technik interessiert.

Das Hummingbird-System im Operationssaal der Maastrichter Augenklinik (Bild: Maastricht University Medical Centre)
Das Hummingbird-System im Operationssaal der Maastrichter Augenklinik (Bild: Maastricht University Medical Centre)

Man sollte die astronomische Forschung nicht über ihre Spin-Offs rechtfertigen. Wir betreiben Astronomie, weil wir mehr über das Universum herausfinden wollen und nicht, um Augenoperationen zu erleichtern. Aber wenn man mehr über das Universum herausfindet, dann lernt man dabei zwangsläufig auch immer etwas, das sich auf unser Alltagsleben auswirkt. Je mehr wir wissen, desto mehr Möglichkeiten haben wir. Man darf nur nicht den Fehler machen und glauben, man könnte gezielt in eine Richtung forschen. Die Ärzte aus Maastricht haben die Lösung für ihr Problem in der Astronomie gefunden. Das nächste Mal ist es vielleicht die Teilchenphysik, die Zoologie oder die Mathematik der Primzahlen. Das kann man vorher nicht wissen. Und genau deswegen ist die Grundlagenforschung so fundamental wichtig!

13 Gedanken zu „Die medizinischen Auswirkungen der Suche nach extrasolaren Planeten“
  1. Wohin es übrigens führt, wenn man versucht, ohne die Ergebnisse und Methoden der Grundlagenforschung irgendwelche Konzepte zu entwickeln, sieht man an der allseits bekannten Cargo-Kult-Wissenschaft. Und natürlich auch an allen möglichen pseudowissenschaftlichen Dingern wie „Spritsparstiften“ oder dem Magischen Lyzeum Hogwarts an der Oder.
    Das ist schon traurig. Da sind Menschen schon mal neugierig und wollen in die Black Box reinguggn, und dann kommen die Schnösel hinterher, die darüber lamentieren, daß man doch lieber unsere, äh, „dringenden Probleme“ beheben soltle, statt sich um das innere Wesen der Dinge zu kümmern. Und diese Schnösel vergessen dann natürlich mit schöner Regelmäßigkeit, daß ein Lösungsversuch für ein Problem, das man mangels Hintergrundwisen gar nicht komplett versteht, auch nicht komplett gelöst werden kann. Und die Gefahr dabei ist, daß ein unzureichender Lösungsversuch das Problem möglicherweise nur noch verschlimmert. Siehe:
    einen Brocken verklumptes Ammoniumnitrat mittels Dynamit aus dem Schüttrohr holen – gute Idee! (© BASF Ludwigshafen 1921)
    oder
    Fettbrand löschen – Wasser marsch.

  2. Ähem. Am CERN wurde nicht das Internet erfunden, das kommt aus den USA. Umgangssprachlich werden WWW und Internet synonym gebraucht, aber bei wer-hats-erfunden? sollte man diese Unterscheidung schon machen.

    1. @barfoo: „Ähem. Am CERN wurde nicht das Internet erfunden, „

      Ähem. Das weiß ich. Deswegen steht das mit Internet auch extra unter Anführungszeichen weil das Argument eben meistens genau so lautet: „Am CERN hat man das Internet“ erfunden. Dass es sich um das WWW handelt steht ja explizit im Satz davor.

  3. Grundlagenforschung sollte sich nicht ‚erklären‘ müssen, das muss sein (sollte jeden klar sein). Man kann höchstens darüber diskutieren, welcher Zweig welche Mittel bekommt (weil die sind nun mal begrenzt…) und das alleine ist schon ein großes Problem, denn der ‚eigene Zweig‘ ist immer der wichtigste 😉

    @barfoo

    Äh, steht auch nirgends, das WWW wurde am CERN erfunden und 91 veröffentlicht (http/html), das Internet ging aus dem ARPANET hervor, welches in erster Linie vom MIT kommt….

    Das für die meisten WWW = Intenet ist, stimmt schon, aber die meinen damit eben http/html (und nicht die anderen Sachen wie Telnet, FTP, Mail, Newsgroup etc.) und DAS ist nun mal vom CERN

    Wer hat’s erfunden? Die Schweizer….. 😉

    ok, eigentlich ein Engländer der beim CERN arbeitete….

  4. „Die Ärzte aus Maastricht haben die Lösung für ihr Problem in der Astronomie gefunden.“
    … nun, sie hätten sich auch an den Entwicklungen aus der Ingenieurseismologie orientieren können. Dort sind technische Systeme der aktiven Dämpfung für alle Frequenz- und Genauigkeitsbereiche entwickelt. Noch näher liegen sicher die Techniken zur aktiven Dämpfung für die Mikroelektronik-Produktion.
    Ich glaube übrigens auch, dass sich die Astronomie nicht mit Technologietransfer rechtfertigen muss, damit sollte sie garnicht erst anfangen – das klingt manchmal wie die Rechtfertigung einer Mission, die doch in sich stimmig ist.

    1. @McIng: „nun, sie hätten sich auch an den Entwicklungen aus der Ingenieurseismologie orientieren können“

      Haben sie aber halt nicht… Ich bin da ja auch kein Experte. Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass man hier mit den klassischen Lösungsvorschlägen nicht weiter kommt und die Stabilisierung die die Astronomen für ihr optisches System entwickelt haben gut zum optischen System der Ärzte passt.

  5. Und ich, weil ich die Earonn bin, sage: ganz tolle Sache! 😉

    Besonders toll natürlich, dass das Wissen um diese mechanische Entkopplung überhaupt den Sprung von einem vor Jahren aufgegebenen astronomischen Projekt in die aktuelle (abzüglich Entwicklungszeit) Medizin geschafft hat! Gerade solche bereichsübergreifenden Aktionen sollten viel mehr gefördert werden.

  6. Das klingt doch eher wie eine schöne Geschichte aus der PR (ÖA) – Abteilung einer Institution oder eines Projektverbundes. Wenn man mal in die Patentdatenbank geht, dann sieht man, dass das angeführte Patent (Hummingbird) aus dem Jahr 2010 stammt und bereits auf medizinische Anwendungen gerichtet war (übrigens von einer Philips-Tochter). Technologietransfer ist niemals eingleisig, es kann gut sein, dass man mit den Arbeiten am DARWIN-Projekt noch wesentliche Schritte in der Realisierung voran kam. Einseitige Inanspruchnahmen sind meist kritsch zu sehen.

  7. „einen Brocken verklumptes Ammoniumnitrat mittels Dynamit aus dem Schüttrohr holen – gute Idee! (© BASF Ludwigshafen 1921)“

    Es handelte sich nicht nur um einen Brocken in einem Schüttrohr, sondern um eine massive Masse in einem Silo, die komplett durch Luftfeuchte verbackt wurde.
    Passiert ist dieses mal (vorher also nicht) etwas, weil das Ammoniumnitrat durch Ammoniumsulfat verunreinigt war.
    Dies machte es „empfindlich“ genug, dass es durch die Sprengung dann detonierte.

    Bei einem Brocken (wo auch immer) wäre nichts passiert. Auch wenn der Brocken 10kg gewogen hätte.

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