Es kommt selten vor, dass Sterne aufeinander treffen. Dass sie tatsächlich kollidieren ist so gut wie unmöglich; im Vergleich zu den Weiten des Alls sind selbst große Sterne winzig und die Wahrscheinlichkeit dass sich zwei davon treffen ist unvorstellbar gering. Aber es kann vorkommen, dass zwei Sterne vergleichsweise nahe aneinander vorbei fliegen. Das ist besonders dann wahrscheinlich, wenn die Sterne zu einem Sternhaufen gehören und noch jung sind. Solche Vorbeiflüge können die Bewegung von Planeten beeinflussen, die so einen Stern umkreisen. Die Spuren dieser Beeinflussung könnten aber ziemlich schnell wieder verschwinden, wie Francesco Marzari und Giovanni Picogna von der Universität Padua herausgefunden haben.

Die Mehrheit der Sterne gehören zu Doppel- oder Mehrfachsternsystemen. Dass ein Stern ganz allein im All seine Runden zieht, so wie das bei unserer Sonne der Fall ist, gehört zu den Ausnahmen (aber vielleicht hat die Sonne ja doch einen Begleiter). Das liegt an der Art und Weise, wie Sterne entstehen. Die meisten Sterne sind keine Einzelkinder. Sie bilden sich beim Kollaps riesiger Gaswolken, aus denen gleich ein paar 100 neue Sterne geboren werden können. So entstehen junge Sternhaufen mit vielen Sternen, die vergleichsweise nahe beieinander sind. Das sind sie aber nicht lange. Sobald die Sterne leuchten erzeugen sie auch Sternenwinde und blasen viel vom im Sternhaufen verbleibenden Gas der ursprünglichen Wolke ins weite All hinaus. Ohne das Gas ist der Sternhaufen viel leichter und hat nicht mehr die Gravitationskraft, all die Sterne zusammen zu halten. Ungefähr 10 Millionen Jahre nach ihrer Geburt können die Sterne sich also verteilen und es gibt kaum noch Hinweise darauf, wo sie geboren wurden und wer ihre Geschwister sind. Das gilt auch für die Sonne, bei der man zwar probiert hat, die Sterne zu finden, mit denen sie gemeinsam entstand, aber leider nichts finden konnte.

Aber vielleicht tragen die Planeten der Sterne noch die Spuren der wilden Jugendzeit? Denn als die Sterne kurz nach der Entstehung im jungen Haufen waren, waren auch nahe Begegnungen nicht allzu selten. Dabei könnten die Bahnen von Planeten (die sich normalerweise ziemlich schnell nach der Entstehung eines Sterns bilden und damals schon vorhanden waren) verändert werden. Simulationen am Computer zeigen, dass vor allem die Exzentrizität beeinflusst wird. Sie beschreibt, wie stark eine Planetenbahn von der Kreisform abweicht. Hier ist ein Beispiel:

Bild: Marzari & Picogna (2012)

Das Bild zeigt, wie sich der Vorbeiflug eines Sterns auf die Bahn eines Planeten auswirkt. Die verschiedenen Linien zeigen jupitergroße Planeten die sich an verschiedenen Positionen im System befinden und ursprünglich einer kreisförmigen Bahn um den Stern folgten. Während sich der fremde Stern nähert, steigt die Exzentrizität langsam an; die Bahnen werden also immer ovaler. Erreicht der Stern die kürzeste Distanz zum Planetensystem und entfernt sich wieder – ungefähr 1000 Jahre nach Beginn der Simulation – gibt es keine weitere Änderungen der Bahn mehr und wo die Planeten früher kreisförmige Bahnen hatten, haben sie nun teilweise stark elliptische Orbits.

Dieses Verhalten ist schon lange bekannt; nahe Begegnungen zwischen Himmelskörpern führen immer dazu, dass ihre Bahnen stärker exzentrisch werden. Man könnte also nun erwarten, dass man vielleicht auch heute noch solche exzentrischen Planetensysteme beobachten und Rückschlüsse auf Begegnungen mit anderen Sternen ziehen kann. Das ist prinzipiell richtig, allerdings hat die Simulation oben einen wichtigen Punkt vergessen: Gas und Staub!

Wollten wir ein altes Planetensystem – zum Beispiel unseres – simulieren, müssen wir uns um Gas und Staub keine Gedanken machen. Davon gibt es in unserem Sonnensystem kaum noch etwas und es reicht tatsächlich aus, nur den gravitativen Einfluss der Planeten selbst zu berücksichtigen. In jungen Systemen ist das aber anders! Sie sind gerade erst entstanden; aus einer großen Scheibe voll mit Gas und Staub die den Stern umgibt. Der Stern ist noch zu jung und hatte noch nicht genug Zeit um mit seinem Sternwind den ganzen restlichen Staub wegzublasen, der nach der Planetenentstehung übrig blieb. Die Planeten wechselwirken mit dem interplanetaren Gas- und Staubwolken und das verändert ihre Bahnen. Man nennt das planetare Migration und es hat auch in unserem Sonnensystem stattgefunden, als es noch jung war. Und da die Sternbegegnungen vor allem bei jungen Sternen stattfinden, die eben noch viel Staub und Gas in ihren Systemen haben, muss man das bei der Simulation berücksichtigen.

Das haben Marzari und Picogna in ihrer Arbeit „Circumstellar disks can erase the effects of stellar fly-bys on planetary systems“ getan. In einer ersten Simulation haben sie einen Stern betrachtet, der von einer „Super-Erde“ umkreist wird, ungefähr 30 Mal schwerer als unser Planet. Die Super-Erde ist 18 Mal weiter vom Stern entfernt als unsere Erde, hat also eine Entfernung von 18 astronomischen Einheiten und eine kreisförmige Bahn. Außerdem gibt es noch eine große Scheibe aus Gas und Staub, die den Stern umgibt. Und einen zweiten Stern, der sich bis auf 70 astronomische Einheiten nähert. Was dabei passiert, zeigen diese Bilder:

Bild: Marzari & Picogna (2012)

Oben links sieht man die Scheibe vor dem Vorbeiflug. Die Farbe gibt an, wieviel Gas und Staub sich in einer Region befindet und man sieht gut, dass sich das Material überall halbwegs gleichmäßig verteilt. Im zweiten Bild, oben rechts, ist der fremde Stern nur noch 150 astronomische Einheiten entfernt und man erkennt klar, dass sich das auf die Scheibe auswirkt. Die äußeren Regionen werden geleert, die inneren Regionen werden dichter. Im dritten Bild, unten links, sieht man den Zustand nach dem Vorbeiflug des Sterns. Die Scheibe hat sich wieder beruhigt, ist aber viel kleiner geworden. Die äußeren Bereiche sind von Gas und Staub gesäubert und auch innen hat sich eine kleine Lücke aufgetan (verursacht durch die Bewegung des Heimatsterns, der ja ebenfalls durch den Vorbeiflug beeinflusst wurde). So viel zur Scheibe. Aber wie sieht es mit dem Planeten aus? So:

Bild: Marzari & Picogna (2012)

Oben sieht man, wie sich die Exzentrizität des Planeten ändert. Zuerst steigt sie an, während sich der Stern nähert. Bei der kürzesten Entfernung gibt es einen großen Sprung nach oben. Und danach sinkt sie wieder, bis fast auf den ursprünglichen Wert. Das liegt daran, dass der Planet nach dem Stern-Vorbeiflug mit der Gas- und Staubscheibe interagiert. Durch seine jetzt ovale Bahn pflügt er quasi mitten durch die Scheibe und das beeinflusst seine Bewegung. Man erkennt das auch gut im zweiten Bild, dass die Entwicklung der großen Halbachse der Bahn zeigt; das ist der mittlere Abstand zwischen Stern und Planet. Nach dem Vorbeiflug wird sie kleiner und das ist typisch für eine planetare Migration. Die Auswirkungen des Vorbeiflugs eines Sterns auf die Exzentrizität der Planetenbahn ist also schon nach wenigen tausend Jahren vom Staub wieder verwischt worden. Das gilt auch, wenn man ein System mit mehreren Planeten betrachtet.

Hier kann der Vorbeiflug zwar durchaus katastrophale Folgen haben. Wenn der fremde Stern die Exzentrizität der Planetenbahnen erhöht, können sich die Planeten in die Quere kommen, miteinander kollidieren oder aus dem System fliegen. Aber die verbleibenden Planeten zeigen das gleiche Verhalten wie die Super-Erde aus der ersten Simulation. Hier ist ein Beispiel:

Bild: Marzari & Picogna (2012)

Links sieht man ein System mit drei Planeten (jeder so schwer wie Jupiter), die sich 5, 10 und 18 astronomische Einheiten von ihrem Stern entfernt befinden. Hier ist die Sache natürlich ein wenig komplexer. Betrachten wir das Bild oben links, das die Entwicklung der Exzentrizität zeigt. Zuerst reagiert natürlich der äußerste Planet (blau) auf die Annäherung des Sterns. Seine Exzentrizität springt von 0 auf 0,3. Damit beeinflusst er natürlich auch die anderen Planeten, denn jetzt kann er ihnen näher kommen als vorher. Es folgen also dramatische Bahnänderungen der beiden inneren Planeten, die nun sowohl durch den nahenden Stern als auch die veränderten Planetenbahnen verursacht werden. Besonders betroffen ist der innerste Planet (rot). Aber wenn man 10000 Jahre lang wartet, dann sinkt auch hier die Exzentrizität wieder ab und die Werte am Ende der Simulation sind nur wenig erhöht. Auf der rechten Seite sieht man ein ähnliches Verhalten für ein engeres Planetensystem , bei dem die Planeten nur 4, 8 und 12 astronomische Einheiten vom Stern entfernt sind.

Der Staub, der die jungen Sterne umgibt, sorgt dafür, dass die Auswirkungen von Sternbegegnungen schon nach kurzer Zeit wieder verschwinden. Bei den Sternen ist also fast so ein wenig wie im echten Leben. Wenn man noch jung ist, steckt man dramatische Ereignisse viel besser weg als im späteren Leben.

10 Gedanken zu „Staub verwischt die Spuren der nahen Begegnung mit einem Stern“
  1. … und das in astronomisch so unglaublich kurzen Zeiten … hey: 10 000 Jahre sind nix.

    Vielen Dank für diesen wieder einmal richtig gelungenen Artikel. Hatte ich schon erwähnt, daß ich Wissenschaft mag?

  2. Dass sie tatsächlich kollidieren ist so gut wie unmöglich;…

    Laut SWAB kommt das gar nicht sooo selten vor, in den dichten Kernregionen von Kugelsternhaufen.
    https://scienceblogs.com/startswithabang/2012/11/26/messier-monday-a-straggling-globular-cluster-m30/

    …two low-mass stars can merge, creating a heavier, bluer, hotter star that will burn through its fuel faster. This explanation makes a lot of sense, particularly when the stellar density is very high!…

    …There is some evidence that the collision idea is dominant…

    1. @frantischek: „Laut SWAB kommt das gar nicht sooo selten vor, in den dichten Kernregionen von Kugelsternhaufen.“

      Ja, in den Kernregionen von Kugelsternhaufen. Aber das sind ja auch keine durchschnittlichen Himmelsregionen. Ich hab zu dem ganzen Thema auch ein eigenes Kapitel in meinem „Krawumm“-Buch geschrieben wo ich das mit den Kugelsternhaufen ausführlich erklären.

  3. Bestimmt Kennen sie das Programm Stellarium ?! Ich habe da gerade ein bischen Umgeguckt und mir ist aufgefallen das die Planeten (fast) in einer Reihe stehen kommt das oft vor oder eher selten ?

    1. @Lukas: 1) Deine Frage hat NICHTS mit dem Thema des Artikels zu tun. Würdest du im echten Leben einfach in ein völlig anderes Gespräch reinplatzen, nur um deine Frage zu stellen? Du hättest mir auch ne Mail schreiben können. Oder einfach mal die Google-Suche bemühen kann. Denn dann hättest du den richtigen Ort für deine Frage gefunden. Ich habe nämlich
      2) hier alles erklärt, was du wissen willst: https://www.scienceblogs.de/astrodicticum-simplex/2009/09/werden-die-planeten-2012-alle-in-einer-reihe-stehen.php Was du in Stellarium siehts, ist KEINE Planetenreihe. Ja, auch wenn es so aussieht. Lies bitte den verlinkten Artikel, da habe ich das alles genau erklärt.

  4. Coole Sache, Danke!

    Das heißt dann auch, dass die anfängliche Staubwolke dazu führt, dass die Planetenbahnen (bei Einzelsternen, ohne Vorbeiflug) wenig Excentizität haben.

    Grüße, z.

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