Bettina ist eine Lehrerin aus Oberösterreich. Zur Zeit nimmt sie an einer dreiwöchigen Fortbildung am Kernforschungszentrum CERN teil. In einer Serie von Gastbeiträgen berichtet sie hier im Blog über ihre Erlebnisse. Die bisher erschienenen Artikel findet ihr hier.



Unglaublich: Wir sind erst fünf Tage hier am CERN, aber es sind gefühlte zwei Wochen. Die vergangenen Tage waren bisher vollgepackt mit aufregenden Ereignissen (Higgs Boson), Vorträgen (Peter Higgs, John Ellis, Jack Steinberger), intensiven Wissensinput, interessanten Gesprächen mit KollegInnen aus der ganzen Welt und tollen Versuchen. Es ist wirklich einzigartig, aber auch sehr anstrengend. Das Tagesprogramm beginnt meist um 9 Uhr und endet um 18 oder 19 Uhr. Keine Sorge, das ist keine Beschwerde!
Am Donnerstag hatten wir einen sehr interessanten Vortrag von Gron (Goronwy Tudor Jones) über relativistische Kinematik und Masse. Gleich einmal vorweg: das Konzept (von Lev Okun), das er erläutert hat, rüttelt erstmall ordentlich an den Grundfesten des Physikverständnisses, wenn es um relativistische Prozesse geht. Man lernt schließlich auf der Uni und unterrichtet später an der Schule, dass bei Geschwindigkeiten annähernd der Lichtgeschwindigkeit die Masse immer größer wird und dass sich somit viele Phänomene erklären lassen. Gron erklärte uns, dass dies nur ein historisch richtiger Ansatz sei, der heute nicht mehr legitim ist. Man verwendet eine etwas andere Formel für den Zusammenhang zwischen Energie, Masse und Geschwindigkeit, die aber sowohl die Newtonische als auch die relativistische Kinematik beschreibt und dabei das Prinzip der invarianten Masse propagiert. Das heißt, dass die Masse sich nicht verändert, nur weil die Geschwindigkeit größer ist. Sie bleibt immer gleich. Er hat es wunderbar erklärt, man kann sich auch seine kleine Präsentation dazu ansehen. Der Ansatz ist sehr wichtig, da man sonst nie ein Teilchen wie das Higgs Boson mit dem LHC entdecken könnt. Man sucht ja nach einem Teilchen bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten (es entsteht bei unterschiedlichen Prozessen). Aber die Masse bleibt immer dieselbe.

An diesem Tag durften wir auch noch eine Nebelkammer bauen und uns darin Myonen, die von der kosmischen Strahlung erzeugt werden, anschauen. Dieses Experiment kann man mit etwas Aufwand durchaus an einer Schule durchführen. Die genaue Anleitung gibt’s natürlich auf der CERN Homepage. Man braucht dazu eine „Kammer“ (=ein dicht abgeschlossener Hohlraum), der von unten mit Trockeneis gekühlt ist. In der Kammer ist Filz mit reinem Isopropylalkohol getränkt. Wenn man etwas wartet und im Dunkeln mit einer Taschenlampe in die Kammer hineinleuchtet, kann man die Spuren der Myonen in dem entstandenen „Nebel“ beobachten. Ein wirklich schönes Experiment!
Am Nachmittag durften wir einem Vortrag von Cecilia Jarlskog von der Universität Lund, Schweden, zu hören. Sie erzählte sehr lebhaft über die beiden Forscher Marie Curie und Ernest Rutherford und wie sie zu ihrem Nobelpreis bzw. Nobelpreisen gekommen sind.

i-20b7988ec02a211aada06dbc52069473-DSC04403-thumb-500x666-31983.jpg

Hier kommen die Protonen raus, die im LHC kollidieren (hoffentlich sind genug davon da)

Cecila Jarlskog war selber Mitglied im Nobelpreiskomitee und hat sehr interessante Geschichten erzählt, allerdings nur historische. Es gibt nämlich die Regelung, dass erst nach 50 Jahren veröffentlicht wird, wer jemanden für den Nobelpreis nominiert hat und außerdem muss der Laureat bereits verstorben sein. Das heißt, dass kein Laureat weiß, wer ihn oder sie nominiert hat. Wir haben mit ihr natürlich auch darüber diskutiert, warum die Preise nur zu Lebzeiten vergeben werden und nicht posthum. Der Grund ist die Intention des Preises: Man will mit dem Preis aktuelle Forschung finanziell unterstützt, d.h. die Arbeitsgruppe des Preisträgers erhält das Geld.
Nach einem weiteren Vortrag über Teilchenphysik hatten wir nachmittags endlich die Gelegenheit, einen wichtigen Bestandteil des CERN zu besichtigen. Den linearen Teilchenbeschleuniger LINAC. Ohne diesen würde es gar keine Experimente geben! Hier ist die Protonenquelle (H_2) für alle Experimente. Im Beschleuniger werden die Protonen dann auf ca. ein Drittel der Lichtgeschwindigkeit mit Hilfe eines elektrischen Felder gebracht. Anschließend werden die Teilchen im Booster, im Protonen Synchrotron (PS) und im Super Protonen Synchrotron (SPS) weiter beschleunigt bis sie dann im LHC (Large Hadron Collider) bei 0,999999-facher Lichtgeschwindigkeit aufeinander treffen. Außer dem LHC gibt es auch noch andere Experimente, die Protonen verwenden. Der Protonen Synchrotron wurde übrigens bereits 1959 gebaut und ist seither in Verwendung. Eine wirklich technische Meisterleistung.

i-947a2ce7ccbdce455c94f64ab698e964-DSC04413-thumb-500x375-31986.jpg

Was LehrerInnen am CERN am Wochenende machen erzähle ich dann nächstes Mal.

9 Gedanken zu „Eine Lehrerin am CERN (3): Nebelkammer selbstgebaut“
  1. freut mich, dass endlich jemand auf die idee kommt auch den lehrern zu erzählen, dass die „relativistische massenzuhnahme“ unnötig ist und nur verwirrung stiftet, wenn die das konzept der relativistischen masse sogar auf der uni gelehrt bekommen (haben). bettina kann ihren schülern das ab jetzt gleich ersparen. aber ich denke, dass sich schüler mit einer so engagierten und begeisterten lehrerin sowieso glücklich schätzen können. netter beitrag (wie immer)

  2. „Man will mit dem Preis aktuelle Forschung finanziell unterstützt, d.h. die Arbeitsgruppe des Preisträgers erhält das Geld.“

    Dann sollen sie sich aber auch an den Rest des Testamentwortlautes halten! Da steht nämlich drin, dass der Nobelpreis für die beste wissenschaftliche Leistung des vergangenen Jahres vergeben werden soll. Aktuelle Praxis ist es aber eher, den Preis an Leute zu vergeben, die fast schon in Pension sind, für Dinge, die sie Jahrzehnte vorher gemacht haben…

  3. Die rote H2-Flasche hab ich auch schon gesehen (so weit ich weiß ist es die Selbe, der Verbrauch an Protonen ist nicht sonderlich hoch).

  4. @Reggid:

    Ja, es wird oft der Term „Massenzunahme“ verwendet. Dass auf einer Uni allerdings nicht erwähnt wird, dass die Masse als invariant anzunehmen ist und „relativistischer Impuls“ einen besser geeigneter Ausdruck darstellt halte ich für sehr unwahrscheinlich.
    An der TU Wien ist das auf jeden Fall mehrmals explizit erwähnt worden, als ich im ersten Semester war – ist ja auch so ziemlich das erste, was man im Studium macht (nach F = m*a)..
    Außerdem is es eig eh ghupft wie ghatscht… imho 😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.