Im November 1660 wurde die erste wissenschaftliche Organisation der Welt gegründet: Die „Royal Society“ von England. Zum 350jährigen Jubiläum dieser Gesellschaft hat sich Bill Bryson um ein passendes Buch gekümmert. Wann das erste Lebewesen auf dieser Welt entstanden ist, wissen wir heute nicht. Es gibt daher auch keine großen Jubiläen – aber zumindest große Bücher!
In „Seeing Further: The Story of Science and the Royal Society“ hat der bekannte Autor Bill Bryson („Eine kurze Geschichte von fast Allem“) 22 Beiträge von Schriftstellern, Journalisten, Wissenschaftlern und anderen interessanten Menschen zusammen getragen. Natürlich hat er auch selbst eine Geschichte beigesteuert. Die Titel der Artikel zeigen, wie vielfältig dieses Buch ist: „Whats in a name? Rivalries and the birth of modern science“, „Globe and sphere, cycles and flows: How to see the world“, „Making stuff: from Bacon to Bakelite“, „Lost in space: the spiritual crisis of Newtonian Cosmology“ oder „Behind the scenes: The hidden mathematics that rules our world“.
Geschrieben haben die Geschichten bekannte Autoren wie Neal Stephenson, Richard Fortey, Richard Dawkins, Ian Stewart oder Martin Rees. Mal geht es um wissenschaftliche Ergebnisse, die von Mitgliedern der Royal Society gewonnen wurde, mal ist es eine Biografie bekannter oder weniger bekannter Wissenschaftler; manche Geschichten beschäftigen sich mit dem Einfluss der Royal Society auf die Gesellschaft und manche mit der Entstehung und Entwicklung der Wissenschaft. Im 17. Jahrhundert stand die moderne Wissenschaft ja gerade erst am Anfang. Vieles lief noch ein wenig anders ab, als wir das heute gewohnt sind. Das Motto, das sich die Gesellschaft ausgesucht hat, gilt aber heute noch. Es lautet „Nullis in verba“ – also frei übersetzt „nach niemandes Worten“. Man wollte sich nicht damit begnügen, was irgendwer irgendwann mal gesagt hat. Man wollte nicht irgendwelche Authoritäten zitieren, sondern sich rein auf die Beobachtung der Natur selbst und experimentelle Ergebnisse verlassen. Und das ist heute noch genau so wichtig wie damals.
Je nach persönlichen Vorlieben wird man manche Geschichten in „Seeing Further“ vielleicht nicht so spannend finden wie andere. Aber es ist ein wunderbares Urlaubsbuch. Man kann darin blättern, sich die schönen Abbildungen ansehen und je nach Lust und Laune die eine oder andere Geschichte über die Royal Society lesen. Selbst wer Bill Bryson nicht leiden kann, kann sich das Buch gefahrlos kaufen – nur einer der 22 Artikel stammt von ihm. Wer sich für Wissenschaftsgeschichte interessiert, sollte dieses Buch aber unbedingt lesen!
Wer ein locker-flockiges Buch für den Strand sucht, der sollte von „The Ancestor’s Tale: A Pilgrimage to the Dawn of Evolution“ (auf deutsch: „Geschichten vom Ursprung des Lebens: Eine Zeitreise auf Darwins Spuren“) besser die Finger lassen (und sich vielleicht nochmal die beiden Bücher von gestern ansehen). Wer aber eine absolut faszinierende Reise bis zurück zum Ursprung alles Lebens erleben will, der ist bei diesem Buch von Richard Dawkins absolut richtig!
Dawkins Bücher habe ich hier im Blog ja schon öfter empfohlen (hier oder hier). Von seinen letzten Bücher ist „The Ancestor’s Tale“ vermutlich das am wenigsten populäre. Das liegt vermutlich daran, dass es nicht so provokant ist, wie „Der Gotteswahn“ und auch nicht so leicht verständlich wie „The greatest show on Earth“ (das auf deutsch den grauenhaften Titel „Die Schöpfungslüge“ trägt). In „The Ancestor’s Tale“ geht es nicht um Religion; es geht nicht um Kreationismus oder Pseudowissenschaft wie in seinen anderen Bücher. Dawkins schreibt über das, was er als Wissenschaftler gelernt hat: Zoologie.
Das Buch beginnt in der Gegenwart. Kapitel für Kapitel wandert Dawkins gemeinsam mit dem Leser zurück in die Vergangenheit; zurück zum Ursprung allen Lebens. Unterwegs trifft der Mensch alle anderen Lebewesen – denn wir sind alle miteinander verwandt.
Beim ersten Rendezvous begegnen wir dem gemeinsamen Vorfahren der Menschen und ihren nächsten Verwandten, den Schimpansen. Zusammen gehen Menschen und Schimpansen weiter in die Vergangenheit – immer weiter. Wir treffen auf den gemeinsamen Vorfahren aller Menschenaffen, auf den gemeinsamen Vorfahren aller Säugetieren und so weiter. In 39 Rendezvous führt uns Dawkings zurück bis zum Ursprung aller Lebewesen. Unterwegs erzählt er Geschichten über die Evolution, über die unterschiedlichen Tiere und Pflanzen die heute auf der Erde leben, darüber, wie sich entwickelt haben und wie sie miteinander verwandt sind. Das Buch ist vollgepackt mit Informationen und man muss öfter mal eine Pause einlegen, um alles zu verarbeiten.
Aber die Lektüre lohnt sich auf jeden Fall! Dawkins gehört zu den wenigen Autoren, die auch komplexe Zusammenhänge verständlich machen können und das Leben auf unserem Planeten ist enorm komplex. Das hat man am Ende des Buches auf jeden Fall verstanden. Und auch wenn es allgemein bekannt ist, ist es doch immer wieder faszinierend, sich die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen allen Lebewesen bewusst zu machen! Wir alle haben gemeinsame Vorfahren. Nicht nur wir Menschen, alles was auf diesem Planeten lebt! Irgendwann gab es einmal ein konkretes und lebendiges Wesen, dass der gemeinsame Vorfahr von mir und der Nachbarskatze ist (zwangsläufig muss dieses Wesen dann natürlich auch der Vorfahr aller anderen Menschen und Katzen – und noch jeder Menge anderer Tiere – gewesen sein). Irgendwann lebte auf der Erde ein Lebewesen, von dem sowohl ich als auch die Topfpflanze auf meinem Schreibtisch in direkter Linie abstammen. Es gibt kaum etwas faszinierenderes als die Evolution (und ich bin ein klein wenig neidisch auf die Biologie, dass sie ihre große vereinheitliche Theorie schon lange gefunden haben während die Physiker immer noch danach suchen). „The Ancestor’s Tale“ ist absolute Pflichtlektüre für alle, die auch nur halbwegs über die Welt Bescheid wissen wollen, in der sie leben!
(Jörg von „Diax’s Rake“ hat das Buch übrigens auch schon mal rezensiert)
(Ich bin gerade in Urlaub, also wundert euch nicht, wenn ich auf Kommentare nicht antworte)
Ich könnte noch eine Alternative zu dem zweiten Thema empfehlen: Ich habe in meinem letzten Urlaub „Tatsache Evolution: Was Darwin nicht wissen konnte“ von Ulrich Kutschera gelesen.
Es legt dar, was Darwin genau in seinen Büchern geschrieben hat, wo er richtig lag und wo er sich irrte. Zudem macht er einen Rundumschlag über die Evolutionstheorie. Ich habe mich schon ein wenig mit dem Thema befasst, und war deshalb überrascht, wie viele Details das Buch liefert und wie viele überraschende Dinge ich noch nicht wusste. (Locker-flockig für den Strand ist es deshalb auch nicht unbedingt – trotzdem lesenswert.)
Zählt die Accademia Nazionale dei Lincei nicht als wissenschaftliche Organisation ? Die waren ja schon früher aktiv, allerdings waren die auch recht kurzlebig…
… und selbst die deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, die 1652 als Academia Naturae Curiosorum in Schweinfurt gegründet wurde, ist noch ein bisschen älter als die Royal Society.
@ Jan W:
Deinen Hinweis auf Kutscheras Buch kann ich nur bestätigen! Auch höchst lesenswert und mit einigen überraschenden Informationen versehen ist dieses Buch:
https://www.amazon.de/Die-L%C3%B6sung-von-Darwins-Dilemma/dp/3499622378
Das würde ich sogar als strandtauglich ansehen, da in einem Guss geschrieben und trotzdem voller faszinierender Fakten u.a. zu Hox-Genen und der Hypothese der „erleichterten Variation“.
Danke für deine Reihe. Meine Wunschliste platzt aus allen Nähten und ich hab noch so viel Bücher hier… 😉
Witzig ist: Das dieser Artikel unter „Umwelt“ steht, der letzte unter „Kultur“ und Teil III unter „Technik“…