Am 6. Juni 2012 wird die Venus vor der Sonne vorüber ziehen. Wir werden beobachten können, wie sich ein kleiner schwarzer Punkt langsam über die Sonnenscheibe zieht. Das klingt nicht sonderlich spektakulär. Es handelt sich aber um ein sehr seltenes Ereignis. Warum es so selten ist, habe ich im letzten Teil meiner Serie zum Venustransit erklärt. Wir müssen bis zum Jahr 2117 warten, um wieder einen Transit beobachten zu können. Und auch wenn so ein Venustransit unspektakulär aussieht, ist es doch auf keinen Fall ein langweiliges Ereignis. Im 18 Jahrhundert hat der Transit die Wissenschaftler ordentlich auf Trab gehalten – und am Ende die Welt verändert. Was genau damals passiert ist, erzählt Andrea Wulf in ihrem Buch Chasing Venus: The Race to Measure the Heavens (auf deutsch: Die Jagd auf die Venus: und die Vermessung des Sonnensystems).
Alles begann mit Edmond Halley. 1716 veröffentlichte er einen Artikel in dem er seine Kollegen darauf hinwies, dass sich 1761 und 1769 eine ganz besondere Möglichkeit für die Wissenschaft bieten würde. Dann würde ein Venustransit stattfinden. Man könnte von der Erde aus zusehen, wie die Venus vor der Sonnenscheibe vorüber zieht. Und wenn verschiedene Astronomen diesen Transit von verschiedenen Punkten der Erde aus beobachten würden, dann könnten sie aus diesen Daten berechnen, wie weit die Erde von der Sonne entfernt ist! Das war damals nämlich noch nicht bekannt. Dank der Gesetze von Kepler, die die Bewegung der Planeten beschreiben, kannte man zwar die relativen Abstände. Man wusste beispielsweise, dass Jupiter ungefähr fünfmal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde. Aber man kannte keine absoluten Zahlen. Um herauszufinden, wie groß das Sonnensystem wirklich ist, musste man wissen, wie weit die Erde von der Sonne entfernt ist.
Ein Venustransit bietet dafür eine gute Möglichkeit. Wenn man von verschiedenen Punkte der Erde beobachtet, wie die Venus vor der Sonne vorüber zieht, dann sieht das jedesmal ein wenig anders aus (da man immer unter einem anderen Winkel auf Sonne und Venus blickt). Wie stark die Unterschiede sind, hängt davon ab, wie weit die Beobachter voneinander entfernt sind – und davon, wie weit die Erde von der Venus entfernt ist! Wenn man also weiß, wie groß die beobachteten Unterschiede beim Transit sind und wie weit die Beobachter voneinander entfernt sind, dann kann man den Abstand zwischen Erde und Venus berechnen. Und damit auch alle anderen Abstände im Sonnensystem (ich werde das demnächst mal in einem eigenen Artikel genauer erklären).
Halley wusste, dass er den Transit im Jahr 1761 nicht mehr erleben würde. Aber forderte seine jüngeren Kollegen auf, sich diese Chance nicht entgehen zu lassen. Und das taten sie auch nicht! Aus allen Ländern machten sie sich auf um den Transit zu beobachten. Und das war nicht einfach. Heute kann man fast überall bequem mit dem Flugzeug hin fliegen. Im 18. Jahrhundert war das Reisen anstrengender. Die Wissenschaftler mussten schon Monate oder gar Jahre vor dem Transit aufbrechen. Sie mussten tonnenweise Ausrüstung mit sich schleppen. Am Ziel angekommen mussten sie eine provisorische Sternwarte bauen, da sie auch ihre Position genau bestimmen mussten und dafür neben dem Transit selbst auch noch jede Menge andere astronomische Beobachtungen nötig waren. Im seltensten Fall konnten die Beobachtungen komfortabel in Städten und normalen Observatorien durchgeführt werden – der Transit ist auch nicht überall auf der Welt gleich gut sichtbar. Die Astronomen mussten hinaus in die Welt. Sie fuhren wochenlang mit Schlitten durchs eisige Sibirien oder kämpften sich durch die Wildnis im nördlichen Skandinavien. Sie segelten monatelang über die Meere um Beobachtungen in Indien, Südamerika oder der noch kaum erforschten Südsee durchzuführen. Es ist kaum vorstellbar, auf welche Schwierigkeiten sie dabei stießen. Der 7-jährige-Krieg zwischen Frankreich und England war 1761 noch im Gange und wenn sich Schiffe der beiden Nationen begegneten musste es unweigerlich zum Kampf kommen. Die britische Kolonie, in der man beobachten wollte, war plötzlich von Franzosen erobert worden. Wind und Wetter verzögerten die Reise. Und wenn man dann, nach all den Schwierigkeiten und Entbehrungen am Ziel angekommen ist, muss man darauf hoffen, dass am Tag des Transits gutes Wetter herrscht und nicht eine Wolke im falschen Augenblick die jahrelange Vorbereitung zunichte macht.
Andrea Wulf erzählt in ihrem Buch die Geschichten all der Beobachter, die sich 1761 und 1769 aufmachten, um den Transit zu beobachten. Von Jean-Baptiste Chappe d’Auteroche, der mit dem Schlitten über die gefrorenen Flüsse von Sibirien reiste. Von James Cook, der mit der Endeavour einmal die Welt umrundete. Von Guillaume Le Gentil, der wohl der größte Pechvogel aller Transitbeobachter war. Und all den anderen. Es ist ein wirklich hervorragendes Buch! Die Schicksale der Wissenschaftler sind packend und spannend. Und auch die Geschichte hinter den Beobachtungen ist faszinierend. Die Wissenschaft hatte damals einen ganz anderen Stellenwert als heute und die einzelnen Ländern benutzen den Venustransit als PR-Maßnahme. Katharina die Große in Russland schickte eine Vielzahl von Expeditionen auf den Weg um zu demonstrieren, dass in ihrem Land nicht nur Hinterwäldler wohnen. Amerika schickte Beobachter auf den Weg, um den Engländern zu zeigen, dass auch sie fähig sind, gute Wissenschaft zu betreiben. Und England und Frankreich mussten natürlich auch auf dem Gebiet der Astronomie miteinander konkurrieren und sich gegenseitig überbieten.
Wer an Astronomie interessiert ist, sollte das Buch lesen. Wer an Wissenschaftsgeschichte interessiert ist, sollte das Buch lesen. Und wer wissen möchte, warum der Venustransit so enorm faszinierend ist, obwohl man dabei ja eigentlich nur einen kleinen Punkt auf der Sonne sehen kann, der muss das Buch lesen! Ich kann es jedenfalls nur sehr empfehlen! Bis zum Transit sind noch knapp 4 Wochen Zeit – das reicht locker, um das Buch zu lesen 😉
Ein wirklich spannendes Kapitel. In diesem Zusammenhang möchte ich den 1958 erschienenen Dialog-Essay „Das schönere Europa (Zur Erinnerung an die erste große wissenschaftliche Gemeinschaftsleistung unseres Kontinents, den Venusdurchgang von 1769)“ von Arno Schmidt hinweisen.
Gruß & Danke für Ihre Beiträge
Thomas Teucher
Spannend … nichts ist faszinierender als die Geschichte(n) hinter der Wissenschaft. Das klingt doch spannender als ein schwarzer Punkt (obwohl ich mich 2004 ärgerte, ihn verpasst zu haben). Danke für den Tipp, Florian.
@Thomas Teuschner
Das Essay liest sich auch gut … und ist hier online zu finden.
Ups, tschuldigung fürs Vertippen beim Namen!
Nachtrag, falls Interesse besteht, der Text steht online z. B. hier:
https://www.venus-transit.de/schmidt/as1.html
Gruß
Thomas Teucher
@ Theres Ebenfalls: upps, da kreuzten sich unsere mails. Bezüglich vertippen bin ich groß und manches gewöhnt (1-mal wurd ich als „Taicha“ in Japan verortet)
Warum musste man auf den Venus-Transit warten, wenn der Merkur-Transit doch viel häufiger vorkommt? Hätte man sich zwecks Entfernungsmessung durch Triangulation (?) nicht auch mit Merkur begnügen können?
@ carl:
Ich bin kein Astronom / Mathematker, daher Zitat Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Merkurtransit):
“… Am 7. November 1677 gelang es dem britischen Astronomen Edmond Halley, exakte Messungen des zu diesem Zeitpunkt stattfindenden Merkurtransits vorzunehmen. Zu dieser Zeit befand er sich auf der Atlantikinsel St. Helena, um dort einen Katalog der Sterne des Südhimmels zu erstellen. Außerdem bemerkte er bei diesem Durchgang, dass sich ein solcher dazu eignet, die Länge der Astronomischen Einheit (der Distanz zwischen Sonne und Erde) genau zu berechnen. Allerdings stellte er fest, dass die Merkurscheibe zu klein ist, um exakte Ergebnisse zu erhalten und für ein solches Vorhaben stattdessen ein Venustransit besser geeignet wäre.[8] Das wurde später von französischen Astronomen bestätigt, welche die Merkurdurchgänge von 1723 und 1753 beobachteten und ebenfalls nur sehr ungenaue Ergebnisse erreichten. …“
Gruß
Thomas Teucher
Danke Thomas, hatte zwar etwa 10 Minuten darüber gegoogelt, das ist mir aber entgangen. Mich würde ja mal interessieren welche Messungenauigkeiten es gibt beim Merkur im Gegensatz zur Venus…
@Carl: Ja, wie Thomas schon sagte: Merkur ist zu klein; da lässt sich der Transit nicht genau genug messen um vernünftig rechnen zu können.
@Carl
Ein weiterer Vorteil der Venus war, dass sie der Erde viel näher als der Merkur kommt und daher eine größere Parallaxe, gemessen von verschiedenen Orten der Erde, hat.
Prinzipiell hätte man (und hat man dann später auch) die Entfernung zu jedem beliebigen, der Erde möglichst nahe kommenden Planeten oder Asteroiden mit bekannter Bahn triangulieren können. Die Messungen an der Venus waren recht ungenau wegen des „Black-Drop-Effekts„, der genaue Zeitmessungen der Kontaktzeiten schwierig machte; über die Transitdauern, also die Zeit zwischen dem Berühren und Verlassen der Sonnenscheibe, gemessen von verschiedenen Orten der Erde und somit vor verschiedenen Breiten der Sonne, sollte die vertikale Parallaxe zwischen den verschiedenen Beobachtungsorten bestimmt werden.
Man konnte genau so gut die Position von Mars oder einem Asteroiden in möglichst großer Erdnähe relativ zu einem Fixstern, den das Objekt möglichst nahe passiert, bestimmen. 1901 hat man das mit dem Asteroiden Eros gemacht und kam so (und unter Ausnutzung der zu dieser Zeit verfügbaren Fotografie) zu einem viel genaueren Ergebnis als beim Venustransit.
Alderamin: Ausgezeichnete Erklärung, danke!
@Florian Freistetter
Aus welchem Grund soll der Venustransit nicht cool sein?
@neulich: Hmm – ich hab nicht gesagt, dass der Transit nicht cool ist. Würd ich auch nicht tun…
Was besonders cool ist: Ein simultaner Transit von Merkur und Venus. 🙂
Der nächste findet aber leider erst im Jahr 69163 statt. 🙁
Das war doch erst vor“ kurzem“ 😉
Im Sommer 2004 bei schönstem Wetter an dem Tag, habe ich mit einem Tschibo-Taschenfernglas, einem Mini-Stativ (provisorisch mit Tesafilm festgewickelt) und einem Blatt Papier als Projektionsfläche den Kollegen den Venus-Durchgang vorm Bürofenster gezeigt. Da war ein Kommen und Gehen, als sich das in den anderen Abteilungen rumgesprochen hat.
Gegen späten Nachmittag kam dann eine wichtige „Delegation“ und wollte sich das auch mal angucken. Da war das Schauspiel aber leider schon vorbei, und ich war mal wieder Schuld 😉
@Alderamin: hm, ein (annähernd) simultaner Merkur/Venus Transit ginge sich noch vorher aus,
Quelle: https://chemistry.unina.it/~alvitagl/solex/Simtrans.pdf
ergo, war eigentlich Dein Tipp aus einem anderen Thread. 😉
hai hai,
der Venustransit dürfte aber hier in Deutschland kaum zu beobachten sein:
Sonnenaufgang ca. 5:30 Uhr
und schon gegen 6:15 isses vorbei mit der Verfinsterung.
schade, also ich werde die Optiken nicht aufbauen.
beste Grüße
@Zlase: „Sonnenaufgang ca. 5:30 Uhr und schon gegen 6:15 isses vorbei mit der Verfinsterung“
Naja, der vierte Kontakt findet gegen 6:55 statt. Je nachdem wo man ist, geht die Sonne zwischen 4:30 und 5:30 auf. Wenn gutes Wetter herrscht und man gute Sicht auf den Horizont hat, dann hat man schon genug Zeit, um den Tranist ein wenig zu beobachten.