Nachdem letzte Woche nun endlich mein Artikel über die Dynamik des TrES-2 Systems erschienen ist (oder zumindest der preprint bei arXiv; der eigentliche Artikel erscheint erst im Juni in den „Astronomischen Nachrichten„) kann ich nun endlich meine Serie über Ordnung und Chaos und Planetensystemen abschließen.
In Teil 1 habe ich erklärt, wie man überhaupt anfängt, will man herausfinden, wo sich in einem Planetensystem Himmelskörper auf geordneten Bahnen bewegen können und wo nicht. In Teil 2 habe ich erläutert, wie man die Bewegung der Himmelskörper simuliert und berechnet. Und in Teil 3 habe ich gezeigt, wie man anhand der Ergebnisse unterscheiden kann, ob es sich um geordnete oder chaotische Regionen handelt.
In diesem vierten Teil werde ich das alles nun anhand eines konkreten Beispiels erläutern. Es geht darum, herauszufinden, ob es im Planetensystem um den Stern TrES-2 noch weitere Planeten geben kann – und falls ja, wo.
Ich habe diese Arbeit gemeinsam mit meinen Kollegen Áron Süli von der Universität Budapest und Barbara Funk von der Universitätssternwarte Wien durchgeführt.
Vorbereitungen
Es geht um den Stern TrES-2. Er ist fast ein Zwilling der Sonne: Masse, Größe und Alter von TrES-2 entsprechen dem unserer Sonne und auch der Spektraltyp (G) ist der gleiche. 2006 wurde um TrES-2 außerdem ein Planet entdeckt! Man hat festgestellt, dass sich die Helligkeit des Sterns periodisch ändert; die Ursache dafür war eben genau dieser Planet, der von uns aus gesehen vor dem Stern vorbeizog und sein Licht verdunkelte.
Ebenfalls interessant waren Messungen (u.a. auch von meinen Kollegen an der Sternwarte in Jena), die gezeigt haben, dass diese Verdunkelungen nicht ganz regelmäßig sind. Manchmal scheint der Planet ein bisschen zu früh oder zu spät zu kommen. Solche Variationen können ein Hinweis auf weitere, noch unentdeckte Planeten sein.
Wir wollten deshalb mal nachsehen, wo sich in diesem System überhaupt noch weitere Planeten befinden können. Der schon bekannte Planet, TrES-2b, befindet sich sehr nahe am Stern. Er umrundet TrES-2 in einem Abstand von nur 0,036 Astronomischen Einheiten (das ist z.B. sehr viel näher, als der Merkur an unserer Sonne ist – der hat einen Abstand von etwa 0,4 Astronomischen Einheiten). Dementsprechend schnell ist der Planet: für eine Umrundung braucht er gerade mal 2,5 Tage. Die Bahn ist annähernd kreisförmig (obwohl man das bei Planeten, die durch die Messung von Transits entdeckt worden sind, oft nicht so genau sagen kann). Der Planet selbst ist ein bisschen schwerer und größer als Jupiter.
Wir haben nun also probiert herauszufinden, welche gravitativen Störungen dieser Planet auf seine Nachbarschaft ausübt und wo man bei TrES-2 noch weitere Planeten finden kann. Das Modell, dass wir dafür verwendet haben, war das sg. elliptische eingeschränkte Dreikörperproblem. Das heisst, wir betrachten zwei große und schwere Objekte – den Stern und den Planet – wobei sich der Planet auf einer elliptischen Bahn um den Stern bewegt bzw. bewegen kann. Der dritte Körper ist das sg. „Testteilchen“ – also ein „masseloses“ Objekt (es wird von Stern und Planet gravitativ beeinflusst, stört diese aber selbst nicht) das wir benutzen, um die gravitativen Bedingungen in verschiedenen Bereichen des Systems zu „messen“.
Zur Berechnung der Bewegung der Himmelskörper haben wir zwei verschiedene Methoden benutzt: einmal einen Bulirsch-Stoer Algorithmus und einmal einen Lie-Integrator.
Mit den Testteilchen haben wir einen Bereich untersucht, der sich von 0.014 AE Abstand zum Stern bis hin zu 0.183 AE erstreckt. Zusätzlich haben wir Exzentrizitäten der Testteilchen zwischen 0 und 0.5 untersucht und Bahnneigungen (Inklinationen) zwischen 0 und 50 Grad.
Die Integrationszeit, also der Zeitraum, über den wir die Bewegung der Himmelskörper verfolgt haben, betrug 105 Umläufe von TrES-2b um seinen Stern.
Schließlich brauchen wir auch noch Chaosindikatoren. Dafür haben wir einerseits die „Maximum Eccentricity Method (MEM)“ verwendet, also gemessen, wie groß die Exzentrizität der Bahn der Testteilchen im Laufe der Zeit wurde. Zusätzlich haben wir auch noch sg. „Liapunov Characteristic Indicators (LCIs)“ berechnet, mit denen man ebenfalls zwischen chaotischen und regulären Bahnen unterscheiden kann.
So weit zu den Vorraussetzungen – alles in allem läuft das auf eine Simulation von etwa 350.000 Objekten hinaus. Die Computer waren also einige Zeit beschäftigt 😉 Aber schließlich waren die Ergebnisse da.
Resultate
Als erstes haben wir uns die Stabilität im „(a-e)-Raum“ angesehen. Das soll heissen, dass wir verschiedene Anfangswerte für die große Halbachse (a) und Exzentrizität (e) der Testteilchen gewählt und dann untersucht haben, ob diese Kombinationen in stabilen oder chaotischen Bahnen resultieren.
Wie so etwas aussieht, das folgende Bild. Auf der horizontalen Achse sind die Werte für die große Halbachse angegeben; auf der vertikalen die für die Exzentrizität. Für jeden Punkt in dieser Ebene haben wir die Bewegung des entsprechenden Teilchens simuliert. Die Farbe zeigt das Ergebnis – sie gibt den Maximalwert der Exzentrizität an, den die Testteilchen während der Simulation erreicht haben. Je größer dieser Wert ist, desto chaotischer ist die Region. Gelb/Rot zeigt reguläre Bereiche an; die chaotischeren Bereiche sind grün/blau.
Und so sieht das ganze dann aus:
Man sieht erstmal deutlich, dass in der unmittelbaren Umgebung von TrES-2b (der sich bei 0.036 AE befindet) kein Platz für weitere Planeten ist – dort ist alles schwarz; also instabil. Man sieht auch, dass diese instabile Region umso größer wird, je größer die Exzentrizität der Testteilchen ist. Ist ja auch logisch – je exzentrischer und damit langgestreckter die Bahn ist, desto größer ist die Chance, dass sie mit dem Planeten kollidieren.
Für diese Simulation wurde außerdem die anfängliche mittlere Anomalie M der Testteilchen auf 0 Grad gesetzt. Die mittlere Anomalie bestimmt im Prinzip, wo sich ein Objekt entlang seiner Bahn befindet. In einem anderen Artikel habe ich schon beschrieben, dass es unter Umständen sehr wichtig sein, wie man die mittlere Anomalie wählt. Denn die bestimmt, ob eventuell auftretende Resonanzen stabilisierend oder störend wirken können.
Wir haben daher die gleiche Simulation nochmal für einen anfänglichen Wert der mittleren Anomalie von M=45°, M=90°, usw wiederholt. Die Ergebnisse sieht man hier:
Die allgemeine Form der regulären und chaotischen Bereiche bleibt gleich – aber in den Details unterscheiden sich die Bilder. Besonders bei M=90° (das Bild links in der mittleren Reihe) sieht man jede Menge vertikale Streifen, in denen die Bewegung stabil ist. Das liegt an den eben angesprochenen Resonanzen. Hier stehen die Umlaufzeiten von Planet und Testteilchen in einem ganzzahligen Verhältnis und die Wahl der mittleren Anomalie von 90 Grad führt dazu, dass diese Anfangsbedingungen sehr stabil sind.
Wir haben auch die Stabilitätsregionen in der (a-i)-Ebene untersucht. Im Prinzip läuft hier alles so wie vorhin. Nur haben wir diesmal die Anfangswerte von großer Halbachse (a) und Bahnneigung (i) varriert und geschaut, ob stabile oder chaotische Bahnen resultieren. Hier ist das Ergebnis:
Die Farbcodierung ist wieder so wie oben: gelb/rot heisst stabil; grün/blau heisst chaotisch. Man sieht, dass fast der gesamte Bereich stabil ist – nur in der Nähe von TrES-2b kann kein zusätzlicher Planet existieren. Es ist außerdem fast egal, wie stark die Bahn der Testteilchen gegenüber der von TrES-2b geneigt ist. Der instabile Bereich ist bei großen Inklinationen nur wenig größer als bei kleinen und nur innerhalb der Bahn von TrES-2b zeigen sich bei Inklinationen die größer sind als ~35 Grad erste Anzeichen von Chaos.
Dieses Diagramm haben wir unter der Annahme berechnet, dass sich die Testteilchen auf annähernd kreisförmigen Bahnen bewegen. Aber wie wir oben gesehen haben, muss das nicht unbedingt der Fall sein; auch exzentrische Bahnen können stabil sein. Wir haben daher die Rechnungen für verschiedene anfängliche Exzentrizitäten wiederholt.
Hier sieht man das Ergebnis für eine Anfangsexzentrizität von e=0.3:
Der chaotische Bereich rund um TrES-2b ist deutlich gewachsen. Man erkennt außerdem wieder die streifenförmigen Muster, die auf Resonanzen hinweisen. Und direkt um die Bahn von TrES-2b (bei 0.036 AE) hat sich eine kleine „stabile“ Insel gebildet – hierbei könnte es sich um Testteilchen handeln, die in einer Trojanerkonfiguration gefangen sind.
Erhöht man die anfängliche Exzentrizität auf 0.5, bleiben fast keine stabilen Bereiche mehr übrig:
Um die wichtige Rolle der Resonanzen genauer zu untersuchen, haben wir nochmal extra ein paar Rechnung durchgeführt, bei denen Testteilchen genau in den resonanten Positionen gestartet wurden. Hier ist eines unserer Ergebnisse:
Jeder schwarze oder weiße Punkt entspricht einer bestimmten Resonanz. Um welche es sich handelt kann man rechts ablesen; ihre Position steht links im Diagramm. Für jede Resonanz haben wir die Testteilchen auf verschiedenen Positionen entlang ihrer Bahn gestartet (das sind die verschiedenen Werte für M im Diagramm). Ein weißer Punkt bedeutet, dass die Resonanz stabil ist; schwarz heisst instabil. Man sieht, dass es z.B. bei der 2:3 Resonanz darauf ankommt, wo genau sich der Planet zu Beginn der Simulation befindet während andere Resonanzen immer stabil (z.B. die 1:5 Resonanz) oder immer instabil (z.B. die 3:4 Resonanz) sind.
Ich will jetzt nicht noch weiter in die Details gehen – wer interessiert ist, kann das im Artikel selbst nachlesen (oder mich hier fragen 😉 ).
Aber ich möchte nochmal die Ergebnisse zusammenfassen. Kann es dort noch weitere Planeten geben oder nicht?
Ja, kann es! Es gibt dort noch sehr große stabile Bereiche, in denen sich weitere Planeten befinden könnten. Selbst innerhalb der Bahn von TrES-2b (der ja eigentlich schon sehr nahe am Stern ist) könnte es noch weiter Planeten geben! Auch Planeten auf elliptischen Bahnen sind möglich; ebenso wie Planete auf stark geneigten Bahnen. Das könnte hinsichtlich einer Suche nach diesen potentiellen Planeten allerdings problematisch sein. Denn wenn die Bahn eines weiteren Planeten gegenüber der von TrES-2b stark geneigt ist, dann werden wir von der Erde nicht mehr beobachten können, wie dieser das Licht des Sterns verdunkelt. Eine Entdeckung mit dieser Methode ist nicht möglich. Aber dafür kann ein Nachweis eventuell mit der oben schon angesprochenen Messung der „Verspätung“ von TrES-2b gelingen.
TrES-2b ist also ein gutes System, um nach weiteren Planeten zu suchen! Und auch für die Theoretiker ist dort noch längst nicht alles ausgereizt. Im Moment arbeite ich an einer weitere Untersuchung dieses Systems – Ziel ist es, ganz genau auszurechnen, was ein Beobachter sehen könnte, wenn es dort wirklich noch weitere Planeten gibt.
Freistetter, F., Süli, A., & Funk, B. (2009). Dynamics of the TrES-2 system Astronomische Nachrichten, 330 (5), 469-474 DOI: 10.1002/asna.200811199
Ähnliche Artikel: Ordnung und Chaos in extrasolaren Planetensystemen Teil 1: Probleme mit den Parametern, Ordnung und Chaos in extrasolaren Planetensystemen Teil 2: Wie man simuliert, Ordnung und Chaos in extrasolaren Planetensystemen Teil 3: Wie misst man Chaos?, Resonanzen und
Frequenzen, Wie beschreibt man die Bahn eines Himmelskörpers?, Chaos im Sonnensystem,
unpünktlich sind…, Trojaner am Himmel, Erdnahe
Asteroiden und das Chaos, Erdnahe
Asteroiden und Fuzzy Logic, Seltsame
Welten: Trojanerplaneten, Seltsame
Welten: Sitnikov-Planeten, Seltsame
Welten: Wechselplaneten
Tres-2 liegt ja im Sichbereich von Kepler – wie lange wird es ungefähr dauern bis man einen weiteren Planeten bestätigen kann? (Ich habe aus den maximal 0,183AE aus deinen Berechnungen eine Umlaufdauer von maximal 28,65Tagen errechnet – bei 3 Umläufen komme ich auf ca 3 Monate – kann man das so rechnen?)
Schöner Artikel! Ich hab da zwei Fragen:
1. Du schreibst, ihr habt zwei verschiedene Integrationsmethoden angewendet. Wie sind die Bilder entstanden, habt ihr beide Methoden genommen und gemittelt, oder konnte man eine Methode als besser ansehen?
2. Ich kann mir Planeten auf so engen Bahnen nicht recht vorstellen. TrES-2 dürfte doch einen mittleren Radius ca. 7*10^5 km haben. Dann hat die Bahn vom bekannten Planeten einen Radius von 0,036 AE, das wären ca. 9*10^6 km, also ungefähr das zehnfache. Ein Planet, der noch enger wäre, also z.B. 0,014AE, sollte 4*10^6 km vom Mittelpunkt der Sonne entfernt sein, also ziemlich nahe dran. Ich stell mir das immer so vor, dass der in der ausgedehnten Sonnenatmosphäre durch Reibung Energie verliert. Gibts dazu allgemeine Ergebnisse?
Und jetzt ist mir das andere 2. eingefallen, und das ist wohl eine geschlossene Frage, aus den Bahnparametern der Testplaneten kann man keine Rückschlüsse ziehen, inwieweit sie wenn man ihnen Masse zuweist die beiden großen Körper stören, richtig?
@Anhaltiner: Hmm – da muss natürlich auch jede Menge Datenreduktion und ähnliches gemacht werden. Das kann dann durchaus länger dauern.
@Christian A.: Das hab ich nicht dazugesagt – die (a-e) und (a-i) Bilder haben wir mit Bulirsch-Stoer gerechnet; die Resonanzen mit dem Lie-Integrator.
Zur zweiten Frage: Hmm – das müsste man mal nachrechnen, wie stark hier die Reibungskraft ist, die der Sonnenwind ausübt. Rein gefühlsmäßig würde ich sagen, dass da nicht viel ist. Aber ich kann mich irren – auf dem Gebiet kenn ich mich nicht so gut aus. Ich werd das mal für den nächsten Artikel recherchieren.
Und die andere zweite Frage ist knifflig. Man kann es schon ein bisschen abschätzen – aber da das 3-Körperproblem ja nicht analytisch lösbar ist, kann man eigentlich nicht sagen, wie sich 3 Körper mit Masse verhalten. Das müsste man erst rechnen. Aber wenn man die Testkörper als Näherung für etwa Erdgroße Planeten nimmt, dann stimmt das mit dem „masselos“ recht gut. Da sind keine allzu dramatischen Änderungen zu erwarten.
@Florian: Hmm, ja, erwartet habe ich nichts in diese Richtung, aber es wäre ziemlich cool gewesen, hätt es eine Möglichkeit gegeben aus der leichten Störung der Bahn des bekannten Planeten Rückschlüsse (bzw aus den Abweichungen zu den erwarteten Zeiten) zu ziehen auf die Simulationen bzw. umgekehrt.