Ich bin in Darmstadt und höre mir an, was die dort versammelten Wissenschaftler zum Thema Weltraummüll zu sagen haben. Vom heutigen Tag habe ich mir 2 Vorträge herausgesucht, die sich mit der Suche nach dem Schrott im All beschäftigen.
Man sollte meinen, nachdem der ganze Kram der dort oben rumschwirrt ja von den Menschen irgendwann Mal auf sehr aufwendige Art und Weise dorthin gebracht wurde, wüsste man, was sich dort alles befindet. Aber das ist natürlich nicht so. Viele der Schrottteile wurden erst bei Kollisionen zwischen Objekten erzeugt oder sind auf andere Art und Weise entstanden, die sich nicht nachverfolgen lassen. Es geht ja hier teilweise um sehr kleine Objekte. Unter den richtigen Umständen kann auch ein Stück Müll, das nur wenige Zentimeter groß ist, enorme Schwierigkeiten erzeugen!
Deshalb ist es wichtig, möglichst viel vom Weltraummüll zu finden. Wenn man weiß, wo sich die Objekte befinden, dann kann man auch berechnen, wohin sie sich bewegen und eventuelle Kollisionen mit Satelliten oder Raumschiffen verhindern.
LISA sucht den Weltraummüll
Holger Krag vom ESOC in Darmstadt spricht über neue Möglichkeiten, Weltraummüll mit Radarsystemen zu identifizieren und zu überwachen. Natürlich sucht man jetzt auch schon mit entsprechenden Systemen – zum Beispiel mit den Radioteleskopen des EISCAT-Projekts im kalten Spitzbergen:
Zusätzlich arbeitet man aber auch gerade an Studien, die die Effizienz solcher System untersuchen. Krag berichtet von LISA, dem „Light Space System Surveillance Radar System Simulation Approach“ (der kreative Umgang mit den Akronymen erstaunt mich immer wieder 😉 ). LISA soll herausfinden, wie man am besten den Weltraummüll in niedrigen Orbits um die Erde katalogisiert. Als „Low Earth Orbit“ bzw LEO wird alles bezeichnet, was sich in weniger als 2000 km Höhe befindet.
Aber LISA soll die Objekte nicht nur finden. Allein zu wissen, dass da oben etwas ist, nutzt uns nicht. Auch die Bahn muss bestimmt werden und dafür braucht man mehr als eine Beobachtung bzw. muss den Objekten mit dem Radar für längere Zeit folgen.
Mit Objekten aus dem NORAD-Katalog und simulierten Verteilungen von Weltraummüll wurde getestet, was mit so einer Radarüberwachung erreicht werden kann. Es stellt sich heraus, dass man mindestens 10 Sekunden lang beobachten muss, um vernünftige Bahndaten zu bekommen. Schwierig wird die Sache bei Objekten, die kleiner als 10 cm sind. Da schafft es das System dann nicht mehr, alles komplett zu erfassen, was am Himmel so rumfliegt. Auch die Zeit, die zwischen zwei Beobachtungen vergeht, hat Einfluss auf die Effizienz und Genauigkeit der Beobachtung.
Aber immerhin kam Krag zu der Schlußfolgerung, dass das System prinzipiell funktioniert. Mit einem einzigen starken Radarsystem lassen sich die meisten der Objekte in niedrigen Erdorbits finden und überwachen.
Gute Ergebnisse mit schlechten Daten
Wer sich mit der Dynamik von Asteroiden beschäftigt, dem ist Andrea Milani sicher ein Begriff. Der Mathematiker aus Pisa hat auf diesem Gebiet viel geleistet und sich besonders mit der Bahnbestimmung von erdnahen Asteroiden auseinandergesetzt. Beobachter werden ihn vom Projekt NEOdys kennen: hier werden aus den ständig eingehenden Beobachtungsdaten vorläufige Bahnen der Asteroiden bestimmt und abgeschätzt, ob die Asteroiden eine Gefahr für die Erde darstellen oder nicht.
Dabei ist es wichtig, möglichst schnell möglichst verläßliche Bahnen zu erhalten – auch wenn vielleicht noch wenig Beobachtungsdaten vorliegen. Man muss also mathematische Methoden entwicklen, um aus wenig Daten viel herauszuholen.
Das lässt sich natürlich auch auf die Untersuchung des Weltraummülls anwenden und genau darüber spricht Andrea Milani heute auch. Der Titel seines Vortrags lautet: „Optimierung der Weltraumüberwachung durch neue Methoden zur vorläufigen Bahnbestimmung“.
Dabei untersucht Milani geosynchrone Satellitenorbits. Im Gegensatz zu den LEO-Bahnen sind diese Objekte weit von der Erde entfernt. Ein Objekt in einer geosynchronBahn braucht für einen Umlauf um die Erde genau so lange, wie die Erde braucht, um sich um ihre eigene Achse zu drehen,
Das macht die Beobachtung ihrer Bahn von der Erde aus natürlich etwas knifflig und es auch schwer, ausreichend Information für eine gute Bahnbestimmung zu erhalten. Das, was man bei einer Beobachtung an Daten erhält, nennt Milani ein „Tracklet“. Im Prinzip ist es ein vierdimensionaler Vektor in dem die Werte für Rektaszension, Deklination (also die zwei Koordinaten, die die Position des Objekts am Himmel beschreiben) und deren Änderungsraten enthalten sind.
Mit einem Tracklet kann man allerdings noch keine Bahn bestimmen. Um die Bahn eines Himmelskörpers zu bestimmen, braucht man 6 Bahnelemente, das Tracklet liefert allerdings nur 4 Gleichungen. 6 Unbekannte bei 4 Gleichungen funktioniert nicht.
Man muss also entweder 2 Koordinaten vorgeben oder 2 einschränkende Annahmen treffen (z.B. das die Objekte sich auf einer Kreisbahn befinden). Dadurch werden die Ergebnisse allerdings ungenau.
Besser ist es, man findet noch 2 weitere Variablen. Milani schlägt hier den Abstand des Objekts von der Erde und dessen Änderung vor. Jetzt hat man ein Tracklet mit 6 Werten und das Problem ist lösbar.
Eine wichtige Frage ist das sg. Korrelationsproblem. Angenommen, man hat zu zwei verschiedenen Zeitpunkten (die durchaus mehrer Tage auseinander liegen können), 2 Tracklets beobachtet. Gehören die beide zum selben Objekt oder handelt es sich um unterschiedliche Himmelskörper?
Milani hat für dieses Problem eine Lösung gefunden. Er benutzt dafür Energie- und Drehimpulserhaltung. Legt man durch beide Tracklets eine Bahnellipse, dann müssen Energie und Drehimpuls konstant sein. Mathematisch ist das Problem allerdings sehr knifflig zu lösen. Ich will nicht auf alle Details eingehen – aber es läuft darauf hinaus, dass man die Determinante einer 22 x 22 Matrix hat, die ein Polynom vom Grad 48 ist, das aufgelöst werden muss.
Das kann man allerdings gut mit numerischen Methoden hinkriegen die sich auch noch parallelisieren und auf modernen Supercomputer einsetzen lassen. Man kann also schnell sehr viele Daten verarbeiten.
Hat man diese Lösung, dann kann man leicht überprüfen, ob beide Tracklets das selbe Objekt beschreiben. Diese Methode funktioniert, solange zwischen den beiden Beobachtungen nicht mehr als 10 Tage liegen.
Getestet wurde das Ganze mit realen Daten der ESA aus dem Jahr 2007. Mit diesen Beobachtungsergebnissen (die nicht dafür ausgelegt waren, um mit Milanis neuer Methode analysiert zu werden) fand man bei 3172 Tracklets 464 Korrelationen und die sich daraus ergebenden Bahnen passen gut mit den Überlegungen zum ursprung dieses Weltraummülls zusammen.
Die Methode funktioniert also und hat vermutlich Auswirkungen auf zukünftige Durchmusterungen. Die Beobachtung von einem Tracklet pro Nacht reicht aus – man braucht nicht mehr 3 Beobachtungen zur Bahnstimmung, so wie es bisher oft gemacht wurde.
Gibt es bei der Himmelsdurchmusterung per RADAR Einschränkungen z.B. des Militärs?
Spitzbergen klingt für mich, als Laien, nicht unbedingt nach einem idealen Standort zur Weltraummüll suche, es sei denn man konzentriert sich auf Polare Umlaufbahnen, die ja wahrscheinlich die potenziell gefährlichsten Objekte beeinhalten dürften.
Ist von dort eine Beobachtung aller Umlaufbahnen möglich?
@Herr Lebek: Naja, Spitzbergen ist nur eine von vielen Anlagen, die benutzt wird. EISCAT wurde ja nicht speziell zur Suche nach Weltraummüll gebaut (damit wollte man u.a. die Polarlichter erforschen).
Fünfter Absatz von unten: »Ich will nicht auf alle Details eingehen – aber es läuft darauf hinaus, dass man die Determinante einer 22 x 22 Matrix hat, die ein Polynom vom Grad 48 ist das aufgelöst werden muss.«
Fehlt da hinter »ist« ein Komma oder sollte nach dem »ist das« noch etwas stehen?
Abgesehen davon, mal ganz pragmatisch gedacht, wäre es nicht besser, den Müll einzusammeln, anstatt aufwendige Such- und Ausweichaktionen zu veranstalten? Ich hätte da an ein stark gepanzertes Raumschiff gedacht, das sich in die Debris stürzt, die großen Stücke einsammelt und die kleinen Partikelchen einfach in sich einschlagen lässt.
Alternativ könnte man der ISS-Besatzung wenigstens eine Mülltüte und die Anweisung »Haltet beim nächsten Außeneinsatz ein bisschen Ausschau nach Debris« hochschicken 😉
Grueße
Erik
@Erik: „Abgesehen davon, mal ganz pragmatisch gedacht, wäre es nicht besser, den Müll einzusammeln, anstatt aufwendige Such- und Ausweichaktionen zu veranstalten? „
Und wie sammelst du den Müll ein, wenn du nicht weißt wo er ist? Der Weltraum ist GROSS! Sehr groß. Und man kann da nicht einfach nach Lust und Laune hin und her fliegen. Das braucht Treibstoff, würde enorm lange dauern und wäre enorm teuer.
Lass dich nicht von den Grafik täuschen. Die Orbits sind groß. Die Punkte, die auf den Grafiken immer so groß aussehen und so dicht um die gemalte Erde kreisen, dass man die Erdkugel nicht mehr sieht sind in Wirklichkeit winzig klein (im Vergleich zur Erde) und zwischen ihnen sind viele Zig-Kilometer bis einige hundert-Kilometer Platz.
D.h. es reicht nicht, da einfach einen Fänger hochzuschicken und zu warten, bis die Teile sich wie die Blätter im Herbst in einem Tennisnetz ganz von alleine da drinn verfangen. Sondern man muss die aktiv holen! Nur: Die meisten Teile sind bei Raketenstarts hochgekommen. Wie bringst du eine Rakete in den Orbit ohne neuen Müll zu erzeugen? Wie steuerst du ein Raumfahrzeug von einem Teilchen zum nächsten ohne nicht wieder neuen Müll zu erzeugen? Mit einem Start eines Müllsammlers kannst du vielleicht 10 bis 20 Teilchen einsammeln, dann hast du keinen Sprit mehr um den Sammler auf die Bahn des nächsten Müllteiles zu bringen. Das bedeutet aber auch: Du brauchst eine ganze Flotte von Müllsammlern, die in kurzen Zeitintervallen hochgehen und Teile einsammeln. Problem dabei: Bei jedem Start wird wieder neuer Müll produziert, der dann ebenfalls wieder geholt werden muss.