Die Salzburger Berge sind heute leider hinter den Wolken versteckt; das Wetter ist wesentlich schlechter geworden… aber immerhin fällt es da dann leichter, den ganzen Tag drinnen zu sitzen und sich Vorträge anzuhören.
Auch am zweiten Tag fing es interessant an. Allessandra Celletti (Universität Rom) sprach über „Periodic and Quasi-Periodic Attractors“ (Periodische und Quasiperiodische Attraktoren). Der Votrag selbst war eher mathematisch und sehr technisch; Motivation dieser Arbeit war die Untersuchung sg. „Spin-Orbit Resonanzen“. Diese treten dann auf, wenn die Umlaufzeit eines Himmelskörpers und seine Rotationsdauer in einem ganzzahligen Verhältnis stehen. Der Mond beispielsweise ist in einer 1:1 Spin-Orbit Resonanz: in der Zeit, in der er sich einmal um die Erde bewegt, dreht er sich auch einmal um sich selbst. Merkur ist einer 3:2 Spin-Orbit Resonanz und auch bei anderen Himmelskörpern lohnt sich eine Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Umlaufzeit und Rotationsdauer. Dadurch kann man nämlich weitere Informationen über die Massenverteilung in den Himmelskörpern erhalten. Das ist z.B. besonders interessant bei den Saturnmonden Titan und Enceladus. Aktuelle Daten der Raumsonde Cassini lassen nämlich vermuten, dass sich unter der Oberfläche dieser Monde Wasserozeane befinden. Solche Hypothesen kann man durch eine Untersuchung der Rotationsdauer bestätigen oder widerlegen.
Weiter ging es mit einem sehr spannenden Vortrag von Jacques Laskar (IMCEE Paris, Frankreich). Sein Thema lautete „Chaotic Diffusion in the Solar System“ (Chaotische Diffusion im Sonnensystem) und behandelte verschiedene Aspekte des Chaos in unserem Sonnensystems. Er berechnete unter anderem die Schwankung der Erdachse im Laufe der Zeit (und zeigte, dass diese nur aufgrund der Anwesenheit des Mondes nicht chaotisch abläuft) und die daraus resultierende Sonneneinstrahlung. Diese Daten wurden benutzt, um die Definition der Erdzeitalter des Neogens zu kallibrieren. Es wird im Moment daran gearbeitet, diese Kalibrierung bis zum Anfang des Paläogens auszuweiten (das reicht immerhin bis zur Zeit der Dinosaurier zurück). Das Problem dabei ist, dass die Berechnungen natürlich extrem genau sein müssen. Und genau das ist bei chaotischen Systemen sehr schwierig. Und unser Sonnensystem – obwohl alles auf den ersten Blick sehr ordentlich aussieht – hat durchaus einiges an Chaos zu bieten. Laskar zeigte zum Beispiel, dass die Möglichkeit besteht, das in ferner Zukunft eventuell Merkur eine so große Exzentrizität entwickelt, dass er mit der Venus kollidiert! Seine aktuellen Arbeiten zeigten auch, dass es für solche hochgenauen Rechnungen sehr wichtig ist, die allgemeine Relativitätstheorie zu berücksichtigen und nicht nur mit der Newtonschen Gravitationstheorie zu rechnen.
Nach der Kaffeepause ging es mit Klaus Strassmeier (Astrophysikalisches Institut Potsdam, Deutschland) weiter. Er berichtete von den Plänen, eine Sternwarte in der Antarktis zu bauen. In seinem Vortrag „Exoplanetes: A science case for Antarctica?“ erklärte er die verschiedenen Vorteile, die die Antarktis als Standort für astronomische Beobachtungen bietet. Die Licht- und die Luftverschmutzung ist dort so gering, dass sie kaum messbar ist; der Nachthimmel ist extrem klar und vor allem ist die Nacht dort sehr lang! Der große Nachteil bei anderen Sternwarten ist ja, dass man nach höchstens einem halben Tag wieder aufhören muss zu beobachten – denn dann ist die Nacht zu Ende. In der Antarktis dauert die Nacht ein halbes Jahr lang! Und im Vergleich zu Satellitenmissionen ist es möglich dort viel größere Teleskope zu bauen und das für vergleichsweise wenig Geld. Durch ein dort stationiertes Teleskop ist es daher möglich, Sterne sehr lange am Stück zu beobachten und diese Daten dann zu benutzen um nach möglichen extrasolaren Planeten zu suchen. Deshalb wird dort im Moment bei der Forschungsstation Concordia das ICE-T gebaut – das „International Concordia Explorer Telescope“. Einige kleine Testteleskope sind bald dort – und auch das richtige, große Teleskop ist hoffentlich bald fertiggestellt.
Die letzten drei Vorträge des Vormittags beschäftigten sich alle mit der Dynamik der Trojaner. Das sind Objekte, die sich auf der gleichen Bahn befinden, wie ein anderer, größerer Himmelskörper und zwar in den stabilen sg. „Lagrangepunkten“ L4 und L5, die sich entlang der Bahn 60 Grad vor bzw. hinter dem großen Planeten befinden. In unserem Sonnensystem findet sich in den Lagrangepunkten von Jupiter die Gruppe der Trojanerasteroiden; auch bei Neptun und Mars wurden schon Trojaner entdeckt. Claude Marchal (ONERA, Frankreich) präsentierte zuerst einige mathematische Überlegen zur Dynamik der Jupitertrojaner („Long-Term orbital evolution of trojan asteroids with quasi-circular orbits“). Danach berichtete Phillipe Robutel (IMCEE Paris, Frankreich, Bild oben) von seinen Untersuchungen zur Asymmetrie bei den Trojanern („About L4, L5 quasiperiodic substitutes and their possible symmetrie“). Ausgangspunkt seiner Arbeit war die beobachtete ungleiche Lage und Größe der stabilen Bereiche um die Lagrangepunkte von Neptun. Betrachtet man nur die zugrundeliegende Theorie sollten eigentlich beide Punkte identische Bedingungen aufweisen. Da in dieser Theorie allerdings die Störungen der übrigen Planeten nicht berücksichtigt sind, muss der Grund für die beobachtete Ungleichheit wohl dort zu suchen sein. Robutel ist sich auch ziemlich sicher, dass Resonanzen der Trojaner mit anderen Planeten die Ursache sind. Zum Abschluss der Vormittagsvorträge sprach Bálint Érdi (Universität Budapest, Ungarn, Bild rechts) im Vortrag „On a resonant structure of co-orbital motion“ (Über die resonante Struktur koorbitaler Bewegung) über seine Untersuchungen zur Dynamik von extrasolaren Trojanerplaneten. Es gibt Vermutungen, dass nicht nur Trojanerasteroiden sondern vielleicht – in anderen Planetensystemen – Trojanerplaneten existieren. Érdi untersuchte nun deren Dynamik und bestimmte diejenigen Bereiche verschiedenster Systeme, in denen solche Planeten auf stabilen Bahnen existieren können. Auch hier spielen Resonanzen eine sehr wichtige Rolle.
Auch am Nachmittag ging es hauptsächlich um die Trojaner. Zuerst hielt Kleomenis Tsiganis (Universität Thessaloniki, Griechenland) aber noch einen Vortrag über extrasolare Planeten: „Kozai resonance in extra-solar systems“ (Kozai-Resonanzen in extrasolaren Planetensystemen). Anders als die Resonanzen der mittlerern Bewegung, über die ich gestern schon was geschrieben habe, ist eine Kozai-Resonanz durch eine gekoppelte Änderung von Exzentrizität und Bahnneigung einer Planetenbahn gekennzeichnet. Wird die Exzentrizität einer Bahn größer, wird gleichzeitig ihre Neigung kleiner und umgekehrt. Kleomenis hat nun untersucht, ob dieser Art von Resonanz, die wir bisher nur von Asteroiden in unserem Sonnensystem kennen auch bei extrasolaren Planeten auftreten kann. Er fand, dass dies zumindest bei zumindest 2 der bisher bekannten Systemen so sein könnte. Allerdings tritt diese Resonanz nur dann auf, wenn ein Planet schon von Haus aus eine sehr hohe Bahnneigung hat. Und nach dem gestrigen Vortrag von Elke Pilat-Lohinger wissen wir ja auch, dass sowas tatsächlich der Fall sein kann und unter Umständen dramatische Folgen für die Dynamik dieses Systems hat. Kleomenis hat deswegen auch mögliche Mechanismen untersucht, die einem Planeten eine so starke Bahnneigung geben könnten. Der einzige, der in diesem Fall in Frage kommt wäre die gravitative Interaktion mit einem weiteren Planeten in diesem System.
Richard Schwarz (Universität Budapest, Ungarn) hat im Anschluß wieder Neues über die Trojaner berichtet. In seinem Vortrag „Stability of Trojan planets in multi-planetary systems“ (Stabilität von Trojanerplaneten in Mehrplanetensystemen) untersuchte er, ob sich in den bekannten extrasolaren Planetensystemen mit mehreren Planeten auch noch Trojanerplaneten befinden können. Insbesondere interessierten ihn habitable Trojaner. Er hat also alle Systeme ausgewählt, in denen mehr als ein Planet entdeckt wurde und in denen sich einer dieser Planeten in der sg. habitablen Zone befindet. Das ist der Bereich um einen Stern, in dem dessen Strahlung genau passend wäre, um Leben auf einem Planeten zu ermöglichen. Dann hat er untersucht, ob sich in den Lagrangepunkten der Bahn dieser Planeten noch weitere Trojanerplaneten befinden können und wie deren Dynamik von der Bewegung der restlichen Planeten im System abhängt. Bis jetzt hat man leider noch keinen Trojanerplaneten entdeckt – aber wer weiß was die nächsten Jahre noch an Entdeckungen bringen…
Den heutigen Tag beendete der Vortrag von Áron Süli (Universität Budapest, Ungarn) der sich in seinem Vortrag „Rotational Dynamics of irregularly shaped bodies in the Lagrangian points“ (Dynamik der Rotation von unregelmäßig geformten Körpern in Lagrangepunkten) mit einem ganz besonders schwerem Thema beschäftigte. Normalerweise betrachten die Himmelsmechaniker ja alle Körper (Sterne, Planeten, Asteroiden) ja als wären sie punktförmig. Für die meisten Anwendungen und Probleme ist das auch eine absolut zulässige Näherung. Aber ab und zu muss man doch genauer werden und berücksichtigen, dass Himmelskörper erstens keine Punkte und zweitens meistens auf die eine oder andere Art unregelmäßig geformt sind. Die mathematische Behandlung dieser Probleme ist sehr komplex. Áron hat nun untersucht, wie Trojanerasteroiden mit unregelmäßiger Form rotieren. Dazu untersuchte er auch den Einfluss, den z.B. die Masse der Objekte ausübt und identifizierte Bereiche, in denen Asteroiden regelmäßig rotieren können und Bereiche, wo die Rotation chaotisch abläuft. Leider liegen noch fast keine Beobachtungsdaten über das Rotationsverhalten realer Trojanerasteroiden vor so dass es im Moment noch nicht möglich ist, die mathematischen Modell zu überprüfen bzw. zu korrigieren.
Das wars für Tag 2 – ich werde mir jetzt noch ein Feierabendbier gönnen, ein bisschen mit den Leuten plaudern und mich dann geistig auf den morgigen Tag vorbereiten. Da wartet eine geballte Ladung Mathematik und Chaostheorie auf die Zuhörer… bin schon gespannt!