Ich bin ja Himmelsmechaniker. Das heisst, ich habe mich auf jenes Teilgebiet der Astronomie spezialisiert, in dem man die Bewegung der Himmelskörper (Planeten, Asteroiden, Sterne, etc) untersucht.
Himmelsmechanik ist eine alte Disziplin. Die Bewegung der Himmelskörper haben schon die antikel Kulturen untersucht und quasi bis zur Entwicklung der speziellen Relativitätstheorie durch Einstein war die Himmelsmechanik mit der theoretischen Astronomie identisch.
„Himmelsmechanik“ klingt aber auch immer ein bisschen verstaubt und trocken. Deswegen habe ich bis jetzt auch immer wieder mal das Wort „Astrodynamik“ verwendet, um mein Fachgebiet zu beschreiben. Aber stimmt das überhaupt?
Meine ehemalige Arbeitsgruppe in Wien nennt sich „AstroDynamicsGroup„. Die deutschsprachige Wikipedia verwendet „Himmelsmechanik“ und „Astrodynamik“ ebenfalls synonym:
Die Himmelsmechanik oder Astrodynamik ist die Beschreibung der Bewegung astronomischer Objekte zueinander mit Hilfe physikalischer Theorien.
Als ich dann aber nach Deutschland kam, habe ich hier einige Astronomen getroffen, für die Astrodynamik etwas anderes ist als Himmelsmechanik. Sie haben mir erzählt, das „Astrodynamik“ speziell für die Beschäftigung mit künstlichen Himmelskörpern steht.
Das scheint wiederum die englischsprachige Wikipedia zu bestätigen. Hier liest man:
Orbital mechanics or astrodynamics is the application of ballistics and celestial mechanics to the practical problems concerning the motion of rockets and other spacecraft.
Es ist zwar kein sonderlich wichtiges Problem – aber es spukt mir schon seit Jahren im Kopf herum (das letzte Mal als ich darüber nachgedacht habe, wurde ich durch esoterischen Unsinn abgelenkt) und will das nun endlich mal klären!
Ist „Himmelsmechanik“ das selbe wie „Astrodynamik“? Gibt es unterschiedliche Bedeutungen je nach Sprache? Gibt es überhaupt eine klare Definition? Und bevor ich jetzt anfange, Bibliotheken zu durchforsten und meine Kolleginnen und Kollegen überall auf der Welt mit Fragen zu nerven dachte, ich frage vorher nochmal hier nach. Vielleicht liest ja zufällig ein naturwissenschaftlich interesssierter Etymologe mit und kann meine Frage sofort beantworten? Man weiß ja nie…
Und wenn dieses Problem geklärt ist, dann werde ich mich der ultimativen Frage widmen und den Unterschied zwischen „Astronomie“ und „Astrophysik“ erklären 😉
eigentlich könnte man den begriff astrodynamik ja auch etwas wörtlicher als dynamik von sternen, in ihrer entwicklung, energiehaushalt usw interpretieren. aber ok, dynaimos steht schon eher für bewegung als für entwicklung/veränderung und somit ist die begriffliche nähe zu himmelsmechanik schon gerechtfertigt aber man sieht sehr schön, dass es sich bei solcherlei begrifflichkeiten doch um konventionen handelt und nicht um definitionen. also sollte man den begriff den vorherrschenden konventionen entsprechend verwenden, um missverständnisse zu vermeiden. aber hey, konventionen ändern sich, wer weiß, vllt gilt auch hier bald die version aus dem englischsprachigen raum als die übliche
Ist nicht – zumindest wissenschaftshistorisch – der Begriff der Himmelsmechanik oft an die Vorstellung einer Himmelskinematik gekoppelt? Also von z.B. Eudoxos über Ptolemaios bis Kepler? Und bei Kepler selbst dann der entscheidende (aber nicht richtig beendete) Schritt zu finden, von der Kinematik zur Dynamik überzugehen, also Kräfte für das Bewegen verantwortlich zu machen? Von der anima motrix zur vis motrix, von der bewegenden Seele zur bewegenden Kraft? Mit Newton war dann durch die Verbindung von Galileis Erdphysik und Keplers Himmelsmechanik eine „universelle“ Dynamik erreicht. In diesem Sinne würde ich Dich natürlich als „Dynamiker“ bezeichnen – allerdings ist der Mechanikbegriff wohl längt weiter zu fassen als obige Ausführungen es erscheinen lassen.
PS
Als eigentliche Kernaussage: mit einem antiken Mechanikbegriff wirst Du Deiner Arbeit wohl nicht gerecht, mit einem modernen (der auch Dynamik einschließt), schon…
Aber ich bin kein Etymologe… 🙂
@Thomas: Genau! Meine ehemalige Arbeitsgruppe in Wien war auch stark auf Chaostheorie fokussiert. Und die passt ja nun so gar nicht zur klassischen, deterministischen Himmelsmechanik. U.a. deswegen haben wir uns auch „AstroDynamicsGroup“ genannt…
Und vielleicht noch kurz etwas zu den Begriffen Dynamik und Mechanik an sich, aber wie gesagt weniger aus etymologischer als vielmehr aus philosophischer bzw. philosophiehistorischer Sicht: bei Aristoteles gibt es die entscheidende Aufteilung von dynamis vs. energeia. Damit ist auf die Unterscheidung von Stoff/Materie (dynamis) und Form (energeia) Bezug genommen. Die Materie hat die Möglichkeit (vgl. dynamis und Potenz), etwas Aktuales zu werden. Dynamis ist damit praktisch das Vermögen, eine Veränderung herbeizuführen. Die Potenz ist die (noch) nicht realisierte Möglichkeit.
Die Mechanik war ursprünglich ein Vermögen, Werkzeug bzw. eine Kunst, naturwidrige Bewegungen herzustellen – auch mit technischen Instrumenten. D.h., die natürlichen Bewegungen (schwere Körper bewegen sich geradlinig zum Weltmittelpunkt, leichte zur Peripherie) konnten manipuliert werden. Kurzum: Mechanik beschäftigte sich (anders als Physik) mit KÜNSTLICHEN Bewegungen. (Davon kann bei der Himmelsmechanik aber keine Rede sein 🙂 )
Florian, frag doch mal am ESOC nach, wie die sich nennen. In der Raumfahrt sind es ja eher die Ingenieure, welche Satelliten-Berechnungen machen. Michael Khan drüben bei den Kosmologs sollte Dein Ansprechpartner sein. Ansonsten ist das schlicht Semantik und ich halte es eigentlich für ziemlich uninteressant. Es ist ja nicht so, als ob Dein Arbeitsgebiet von vielen Leuten auf der Welt beackert wird. Wer in dem Feld drinsteckt, weiß ja was gemeint ist und wer sich darüber informieren will, stolpert eh immer über dieselben Namen und kann die dann fragen.
Sprache ist schon etwas erstaunlich unlogisches.
Intuitiv würde man doch genau andersherum vermuten, daß sich Himmelsmechanik mit künstlichen Himmelskörpern beschäftigt (Maschinen am Himmel, also im Orbit der Erde), während Astrodynamik sich um die Kraft/Macht der Sterne kümmert. Aber was haben unsere Artefakte mit Astra, dem Stern, zu tun, das ist doch verwirrend (aber ich finde ja auch die Bezeichnung „Astronaut“ etwas hochtrabend 😉
Ebenso haben mich schon immer die Begriffe „Astrologie“ vs. „Astronomie“ geärgert.
Die -logie impliziert wissenschaftlichen Charakter, während die -nomie glauben läßt, sie würde nur Sterne benennen – ok, „nomos“ heißt Gesetz, nicht Name. Kann man aber als „Gesetze für Menschen durch die Sterne“ verstehen.
Früher war beides noch miteinander verflochten und synonym, wieso wurden bei der Ausdifferenzierung die Worte so antiintuitiv zugeordnet?
Ich habe noch einen anderen Vorschlag: Warum nicht einfach beide Begriffe endgültig wegwerden und stattderen „Raumfahrt“ (für künstliche Objekte) und „Raumkosmologie“ (in Anlehnung an Kosmologie, aber beschränkt auf den Weltraum) benutzen? Dann könnten wir in Westpolen auch endlich wieder „Kosmonauten“ sagen… 😉