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Sternengeschichten Folge 593: Hyperion und das Chaos

Die Sonne geht im Osten auf, darauf kann man sich verlassen. Der Grund dafür ist natürlich die Art und Weise wie die Erde sich um ihre eigene Achse dreht, nämlich nach Osten. Wenn man vom Nordpol aus auf die Erde schaut, dann dreht sie sich gegen den Uhrzeigersinn und deswegen sehen wir die Sonne im Osten aufgehen. Aber jetzt stellt euch mal vor, das wäre anders. Mal würde die Sonne im Osten aufgehen. Ein paar Wochen später dann im Westen. Oder im Norden. Stellt euch vor, man könnte sich nicht sicher sein, wo die Sonne aufgeht sondern müsste sich jeden Morgen neu davon überraschen lassen.

Das klingt absurd. Aber es gibt einen Himmelskörper im Sonnensystem, wo die Situation fast so ist. Der Saturnmond Hyperion ist ein ganz besonderes Objekt und den schauen wir uns in dieser Folge an. Entdeckt wurde der Mond im September 1848 vom amerikanischen Astronomen William Cranch Bond und seinem Sohn George Phillips Bond und unabhängig davon auch vom britischen Astronom William Lassell. Lassell war auch der erste, der die Entdeckung veröffentlicht hat. Und der dem damals achten bekannten Mond des Saturn den Namen „Hyperion“ gegeben hat. In der griechischen Mythologie war Hyperion ein Titan, Sohn von Uranos, dem Himmel und Gaia, der Erde. Die Mythologie lassen wir jetzt aber beiseite, denn der reale Mond ist interessant genug. Es ist ein vergleichsweise großer Mond, aber ein Mond mit einer seltsamen Form, die später noch eine wichtige Rolle spielen wird. Man kann keinen Durchmesser von Hyperion angeben, denn dazu ist er zu wenig regelmäßig geformt Er sieht aus wie eine längliche Kartoffel; so wie man es von einem typischen Asteroid erwarten würde. Hyperion ist aber viel größer als ein Asteroid, er ist in der einen Richtung 360 Kilometer lang, und in den anderen beiden 266 Kilometer beziehungsweise 206 Kilometer. Sein Abstand von Saturn beträgt 1,46 Millionen Kilometer und für eine Runde um den Ringplaneten braucht Hyperion 21 Tage und knapp 7 Stunden.

Wie Hyperion genau aussieht, wissen wir erst seit die Raumsonde Cassini in den Jahren 2005 und 2006 in seiner unmittelbaren Nähe vorbei geflogen ist. Sie hat sich Hyperion bis auf 500 Kilometer genähert und einen Himmelskörper gezeigt wie wir ihn bisher noch nicht gesehen haben. Hyperion schaut aus wie ein gigantischer Schwamm. Er ist – natürlich – voller Krater, aber die sind alle überraschend tief mit scharf abgegrenzten Rändern, so dass der Eindruck einer porösen, schwammartigen Oberfläche entsteht. Und tatsächlich ist die Dichte des Mondes auch sehr gering, sie beträgt nur 0,5 Gramm pro Kubikzentimeter, das ist nur halb so viel wie die Dichte von Wassereis, aus dem der Mond zum größten Teil besteht. Das bedeutet, dass der Mond voller Hohlräume sein muss, ungefähr 40 Prozent seines Inneren müssen leer sein, um die niedrige Dichte erklären zu können. Vermutlich ist der Mond kein zusammenhängendes Objekt sondern eher ein loser Haufen aus Material.

Hyperion ( NASA/JPL-Caltech/Space Science Institute/Processed by Kevin M. Gill

Trotzdem der Mond zu einem großen Teil aus Eis besteht, ist seine Oberfläche und vor allem das Innere der Krater sehr dunkel. Vermutlich handelt es sich bei diesen dunklen Ablagerungen auf dem Eis um diverse chemische Verbindungen aus Kohlenwasserstoffen. Das Material stammt wahrscheinlich vom weiter außen liegenden Mond Phoebe, auf dessen Oberfläche man entsprechende Kohlenwasserstoffe nachgewiesen hat. Wir wissen außerdem, dass Einschläge auf Phoebe Material weit hinaus ins All schleudern, das dort einen der vielen Ringe um Saturn bildet und durch den Einfluss der Sonnenstrahlung nach innen wandern kann, auch dorthin wo sich Hyperion befindet.

Aber das wirklich außergewöhnliche an Hyperion ist seine Rotation. 1981 flog die Raumsonde Voyager 2 in der Nähe des Saturn vorbei und machte auch Bilder von Hyperion. Keine sehr detaillierten aber die Beobachtungen legten nahe, dass es sich bei dem Mond nicht um einen kugelförmigen Himmelskörper handelt sondern eher ein längliches Objekt. Genauere Untersuchungen der Bilder bestätigten das; tatsächlich zeigte sich, dass Hyperion von allen größeren Monden im Sonnensystem das am unregelmäßigsten geformte Objekt ist. Die Daten zeigten auch, das Hyperion anscheinend keine gebundene Rotation hat.

Das ist das, was der Mond der Erde tut und so gut wie alle anderen großen Monde im Sonnensystem: Sie drehen sich genau so schnell um ihre Achse wie sie für eine Runde um ihren Planeten brauchen. Oder anders gesagt: Vom Planeten aus sieht man immer die selbe Seite des Mondes. Grund dafür sind die Gezeitenkräfte, die zwischen Planet und Mond wirken und die Rotation des Mondes langsam abbremsen. Bei Hyperion war das aber nicht der Fall und 1984 veröffentlichte der amerikanische Physiker Jack Wisdom gemeinsam mit seinen Kollegen François Mignard und Stanton Peale eine Arbeit mit einer Idee, warum das so ein könnte.

Hyperion hat nicht nur eine ungewöhnliche, längliche Form. Er ist auch ein unmittelbarer Nachbar des Titan, der nicht nur der größte Mond des Saturn ist, sondern mit einem Durchmesser von über 5000 Kilometern auch der zweitgrößte Mond des ganzen Sonnensystems. Durch die komische Form ist Hyperion einerseits sehr speziellen Gezeitenkräften von Saturn ausgesetzt, andererseits spürt der Mond aber auch die Anziehungskraft seines großen Nachbarn Titan. Die Details sind komplex, aber es läuft darauf hinaus, dass Hyperion in einer sehr labilen Position ist. Aus allen Richtungen spürt er unterschiedlich starke Kräfte und deswegen kann er sich nicht ordentlich um seine Achse drehen. Normalerweise würde ein Mond wie Hyperion sich mit seiner langen Achse in Richtung Saturn ausrichten und dann um seine kurze Achse rotieren. Durch das gravitative Wirrwarr das auf Hyperion wirkt ist das aber nicht möglich. Er taumelt quasi um den Saturn herum; seine Rotationsachse müsste ständig in eine andere Richtung zeigen und seine Rotationsgeschwindigkeit sich ständig ändern, so die Vorhersage von Wisdom und seinen Kollegen. Oder anders gesagt: Die Rotation von Hyperion muss chaotisch sein.

Und im Prinzip ist es das, was man später auch bestätigen konnte. Die Vorhersage von Wisdom & Co hat sich nicht exakt bestätigt. Laut ihnen hätte sich die Rotation extrem schnell und stark ändern können, von quasi keiner Rotation bis zu einer Drehung in nur 10 Tagen und das alles während nur zwei Runden um den Saturn herum. Ganz so schlimm ist es nicht, aber Hyperions Rotation ist tatsächlich chaotisch. Wie es genau dazu gekommen ist, ist immer noch unklar. Vermutlich dürfte Hyperion als vergleichsweise normaler Mond begonnen haben. Er dürfte sich auch früher deutlich schneller um seine Achse bewegt haben als heute und, so wie auch beim Mond der Erde, wird die Gezeitenkraft des Saturns diese Rotation langsam abgebremst haben. Anders als beim Mond ist Hyperion aber nicht an dem Punkt angekommen, wo eine Drehung um seine Achse genau so lange dauert wie eine Runde um den Saturn. Denn im Gegensatz zu unserem Mond ist Hyperion nicht allein, sondern hat es mit Titan zu tun. Als Hyperions Rotationsgeschwindigkeit immer langsamer wurde, gab es irgendwann einen kritischen Punkt, wo die gravitativen Störungen die von Titan wirkten so heftig wurden, dass die Rotation chaotisch wurde. Durch diese chaotische Rotation hat sich vermutlich auch die Form und Zusammensetzung von Hyperion verändert. Denn wenn Asteroiden mit Monden kollidieren, was oft genug vorkommt, wie die Krater auf ihren Oberflächen zeigen, dann fällt meistens ein großer Teil des dabei nach oben geschleuderten Materials wieder zurück. Die chaotische Rotation von Hyperion könnte das verhindert haben, was ein Grund für die poröse, schwammartige Form von Hyperion sein könnte.

Hyperion (Bild: NASA/JPL)

Hyperion ist einer der wenigen Himmelskörper des Sonnensystems, wo wir dem Chaos quasi live bei der Arbeit zusehen können. Bis jetzt gab es nur einen kurzen Besuch der Raumsonde Cassini, gelandet ist dort noch nichts und es waren natürlich auch noch keine Menschen auf seiner Oberfläche. Aber wer weiß, vielleicht treiben wir uns irgendwann auch einmal im Saturnsystem rum, vielleicht gibt es irgendwann mal eine Forschungsstation oder eine andere Siedlung auf Hyperion und dann werden sich die Menschen dort ein paar komplizierte Gedanken über ihren Kalender machen müssen – dafür dann aber einen einzigartigen, chaotischen Blick auf die Welt haben.

3 Gedanken zu „Sternengeschichten Folge 593: Hyperion und das Chaos“
  1. Zur „Siedlung auf Hyperion“: Die Anziehungskraft dürfte sehr gering sein. Die chaotische Bewegung lässt dann die Tassen vom Frühstückstisch fallen – oder gar im Weltall verschwinden.

    Ich gehe nach den Erklärungen (zur Eigenrotation und dem Einfluss von Titan) davon aus, dass mit chaotisch gemeint ist, dass ein Taumeln von Hyperion seine Rotation praktisch unberechnebar macht. Das wäre ähnlich wie bei einem Kreisel, der sehr an Gewindigkeit verloren hat. Chaos wäre demnach hier ein mathematischer Begriff.

    Faszinierend. Denn all zu häufig dürfte das in unserem Sonnensystem nicht der Fall sein. Man lernt doch immer noch dazu).

  2. Zum Thema griechische Mythologie: Wie im Beitrag erwähnt, handelt es sich um einen Sohn der Gaia und des Uranos. Uranos personifiziert den Himmel und Gaia die Erde. In der griechischen Mythologie steht Hyperion im Zusammenhang mit Aspekten vom Licht. Nach dem Krieg um die Weltherrschaft (Titanomachie) wurde Hyperion nicht mehr benötigt und in die Hölle (Tartaros) verdammt ->

    https://www.mythologie-antike.com/t38-hyperion-und-das-geheimnis-vom-licht

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