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Sternengeschichten Folge 468: Halton Arp und seine seltsamen Galaxien
„40 Jahre nach der Entdeckung, dass Galaxien eigenständige Systeme aus Sternen sind, sind wir bei der Lösung ihrer großen Rätsel immer noch nicht weit voran gekommen: Wie erhalten sie sich selbst und welche physikalischen Kräfte sind für die Ausbildung ihrer Formen verantwortlich, die wir beobachten? Galaxien bilden grundlegenden Einheiten von Energie und Masse im Universum und dennoch können wir fundamentale Fragen immer noch nicht beantworten. Was verursacht die charakteristische Form der Spiralgalaxien? Wie hängen elliptische Galaxien mit Spiralgalaxien zusammen? Wie entstehen Galaxien und wie entwickeln sie sich?“
Das sind die ersten Sätze, die man im Vorwort des 1966 veröffentlichten „Atlas of Peculiar Galaxies“ findet. Das heißt auf deutsch so viel wie „Atlas der seltsamen Galaxien“ und zusammengestellt hat ihn der amerikanische Astronom Halton Arp. Von ihm stammen auch die Sätze aus dem Vorwort und man sollte ein wenig genauer darüber nachdenken.
Wer sich ein wenig mit Astronomie beschäftigt, wird natürlich auch schon von Galaxien gehört haben. Die Milchstraße ist eine Galaxie; eine Ansammlung von ein paar hundert Milliarden Sternen, zu denen auch die Sonne gehört. Die Gravitationskraft all dieser Sterne, all des Gases das sich dazwischen befindet, der dunklen Materie, in die die Milchstraße eingebettet ist und die des supermassereichen schwarzen Lochs im Zentrum – diese gesamte Gravitationskraft also sorgt dafür, dass die Sterne nicht einfach ihre eigenen Wege im Universum gehen sondern sich zu der enormen Ansammlung zusammengefunden haben, die wir Milchstraße nennen. Von der Erde aus ist es allerdings ein wenig schwer, das zu erkennen. Wir sitzen ja mitten drin. Am Himmel können wir, wenn es wirklich dunkel ist, das milchige Band der Milchstraße erkennen. Wir sehen es dort, wo wir in Richtung Zentrum der Milchstraße blicken. Von dem sind wir ja circa 26.000 Lichtjahre entfernt; wir befinden uns in den Randgebieten der Milchstraße. In erster Näherung hat sie die Form einer großen Scheibe, ungefähr 150.000 Lichtjahre im Durchmesser und ein paar tausend Lichtjahre dick. Wenn wir von unserer Position in den äußeren Bereichen also Richtung „außen“, „oben“ und „unten“ schauen, sehen wir wesentlich weniger Sterne als wenn wir nach „innen“, Richtung Zentrum schauen. Dort stehen die Sterne auch viel dichter, dort sind viel mehr Sterne und deswegen können wir sie ohne Hilfsmittel auch nicht mehr als einzelne Objekte sehen, sondern eben als das typische milchige, helle Band am Himmel.
Dass es sich dabei um unzählige einzelne Sterne handelt, wusste man schon seit Galileo Galilei zu Beginn des 17. Jahrhunderts das erste Mal ein Teleskop darauf gerichtet hat. Die wahre Natur der Milchstraße war etwas schwerer zu entschlüssen. Als Halton Arp in den 1960er Jahren den Satz „40 Jahre nach der Entdeckung, dass Galaxien eigenständige Systeme aus Sternen sind“ geschrieben hat, bezieht er sich auf die 1920er Jahre und die Arbeit von Edwin Hubble und seinen Kollegen. Davon habe ich ja schon in vergangenen Folgen immer wieder berichtet: Erst mit seinen Beobachtungen konnte man einwandfrei nachweisen, dass die Milchstraße nur ein Sternensystem, nur eine Galaxie unter unvorstellbar vielen ist.
Als Halton Arp am 21. März 1927 in New York geboren wurde, war es gerade einmal 4 Jahre her, dass Hubble diese Entdeckung gemacht hatte. Und als Arp dann in den 1940er Jahren zu studieren begann, war diese Entdeckung immer noch frisch. Arp studierte zuerst bei Harlow Shapley an der Harvard Universität und war damit gleich mittendrin in der Erforschung der Galaxien. Shapley war ja einer der beiden Teilnehmer an der „Großen Debatte“, von der ich schon ausführlich in Folge 49 berichtet habe. Am 26. April 1920 diskutierte er mit Heber Curtis über die Natur der Milchstraße. Curtis war der Meinung, dass die Milchstraße recht klein ist und nur eine von vielen Galaxien im Universum. Shapley dagegen hielt die Milchstraße für enorm groß und als alles, was existiert. Das, was wie andere Galaxien aussieht, sollten in Wahrheit nur kleinere, wolkenartige Objekte innerhalb der Milchstraße. Das war falsch, wie Hubble nur ein paar Monate später zeigen konnte. Auch Heber Curtis hatte sich in den Details seines Milchstraßenmodells geirrt, aber die große Debatte hatte das Interesse an dem Thema angeheizt und Arp war mit seinem Studium immer noch mitten drin in dieser Forschung. Nach dem Grundstudium in Harvard wechselte er nach Los Angeles, wo er sein Doktorat machte, betreut von niemand geringerem als Edwin Hubble selbst.
Halton Arp wollte die Galaxien verstehen. Warum sind manche von ihnen spiralförmig, wie die Milchstraße oder die Andromedagalaxie, andere dagegen gigantische, formlose Haufen aus Sternen? Ursprünglich dachte man, dass diese „elliptischen Galaxien“ der Urzustand sind, in dem eine Galaxie entsteht, und sie sich erst später zu den komplexeren Spiralgalaxien entwickelt. Das stellte sich ziemlich bald als falsch heraus, wie es wirklich abläuft wusste man aber immer noch nicht. Aber wie soll man es herausfinden? So eine Galaxie ist ein gigantisches Objekt; sie existiert für Milliarden von Jahren, die kann man nicht so einfach erforschen wie zum Beispiel eine Pflanze in der Botanik. „Wenn wir eine Galaxie im Labor untersuchen könnten, dann könnten wir sie verformen, stoßen, analysieren um ihre Eigenschaften herauszufinden“, schreibt Arp ebenfalls im Vorwort des Atlas, den ich zu Beginn erwähnt habe. Aber das geht natürlich nicht. Genau deswegen hat Arp begonnen, sich mit den „Seltsamen Galaxien“ zu beschäftigen. Natürlich ist jede Galaxie einzigartig und unterscheidet sich von allen anderen. Aber viele lassen sich dennoch in die groben Überkategorien von „elliptischer Galaxie“ und „Spiralgalaxie“ einsortieren. Viele aber auch nicht; viele sind „seltsam“. Sie sind deformiert, sie zeigen Strukturen oder Auffälligkeiten die man anderswo nicht sieht. Sie sind quasi „Experimente“ die das Universum mit sich selbst durchführt. Irgendwas muss dazu geführt haben, dass die Galaxien so seltsam sind und wenn wir nur genug von ihnen untersuchen, dann kriegen wir vielleicht auch raus, was das ist. Und verstehen dann vielleicht auch die allgemeinen Regeln, nach denen Galaxien sich bilden und verändern.
Das war die Idee von Halton Arp und genau deswegen fing er in den 1960er Jahren an, möglichst viele Bilder von Galaxien zu sammeln, die irgendwie „seltsam“ waren. Das Resultat war der „Atlas of Peculiar Galaxies“, der „Atlas der Seltsamen Galaxien“ der 1966 vom California Institute von Technology veröffentlicht wurde. „Das große Ziel dieses Atlas ist es, eine Anzahl von Beispielen verschiedener Arten von seltsamen Galaxien zu präsentieren. (…) Es bleibt zu hoffen, dass ihre Untersuchung nicht nur die Eigenschaften der Galaxien selbst erklärt, sondern auch physikalischen Prozesse offen legt und zeigt, wie sie in den Galaxien wirken, was schlußendlich zu einem besseren Verständnis des Universums in seiner Gesamtheit führen soll.“ So endet das Vorwort und dann kommt das, worum es geht. Jede Menge Bilder und Daten seltsamer Galaxien. Arp nahm sie mit dem 5-Meter-Teleskop der Mount-Palomar-Sternwarte auf; circa 80 Kilometer von San Diego entfernt und damals das größte Teleskop der Welt.
Insgesamt hat Arp 338 Objekte aufgelistet und abgebildet. Und, wie der Titel ja auch erwarten lässt, ist es eine vielfältige Sammlung. Arp hat probiert, sie zu gruppieren. Da gibt es zum Beispiel „Galaxien mit irregulären Klumpen“. Oder „Galaxien mit Ringen“. Oder „Galaxien aus denen Material zu kommen scheint“. Sogar „Galaxien die wie ein Integralzeichen aussehen“. Es findet sich auch eine große Gruppe von „Doppelgalaxien“. „Doppelgalaxien mit verbundenen Armen“ zum Beispiel. Oder „Ketten von Galaxien“.
Ein Blick in den Atlas lohnt sich; die seltsamen Galaxien sind nicht nur seltsam, sondern auch meistens sehr schön. Vielleicht noch nicht so sehr auf den alten Bildern von Arp. Aber all die Objekte die er damals fotografiert hat, haben andere Astronominnen und Astronomen in den Jahren danach mit besseren und größeren Teleskopen beobachtet und beeindruckende neue Bilder gemacht. Zu den berühmtesten Objekten gehört zum Beispiel die „Whirlpool-Galaxie“, Nummer 85 in Arps Katalog. Dabei handelt es sich um eine höchst prächtige Spiralagalaxie mit ausprägten Armen – und am Ende eines weit nach außen reichenden Arms sieht man noch einen kleineren hellen Blob sehen kann.
Nummer 152 in Arps Katalog ist die Galaxie „M87“, die spätestens im Jahr 2019 berühmt wurde, als man das erste Bild eines schwarzen Lochs veröffentlicht hat: Das supermassereiche schwarze Loch im Zentrum der Galaxie. Arp wusste davon nichts, nahm die Galaxie aber in den Katalog auf, weil von dort ein enorm langer „Jet“ hinaus ins All ragte, also eine lange, gerade, helle Struktur. Nummer 244 ist das, was wir heute die „Antennengalaxien“ nennen. Auf Arps Aufnahme sieht die Struktur aus wie ein Herz, aus dem links und rechts ein langer Faden wächst. Moderne Bilder zeigen ein chaotisches Wirrwarr aus Sternen und Staub.
Aber abseits aller Ästhetik: Hat der Katalog denn seinen Zweck erfüllt? Wissen wir heute besser Bescheid, warum die seltsamen Galaxien so seltsam sind? Ja, tatsächlich! Er war Inspiration und Ausgangspunkt für jede Menge weiterführende Forschung an diesen Galaxien. Und deswegen wissen wir heute, dass die meisten Galaxien deswegen seltsam sind, weil sie mit anderen Galaxien wechselwirken. Die Antennengalaxien sind zwei Galaxien, die kollidiert sind und gerade dabei, zu verschmelzen. Der kleine helle Blob der am großen Spiralarm der Whirlpool-Galaxie hängt, ist ebenfalls eine Galaxie, die von der größeren Whirlpoolgalaxie angezogen wird und mit ihr über die Gezeitenkraft in enger Verbindung steht. Wir wissen heute, wie wichtig die Wechselwirkung zwischen Galaxien ist. Elliptische Galaxien zum Beispiel sind das, was übrig bleibt, wenn zwei Spiralgalaxien endgültig verschmolzen sind (und das, was auch in ferner Zukunft mit der Milchstraße und der Andromedagalaxie passieren wird). All die komischen Formen und Seltsamkeiten die Arp beobachtet hatte, sind so gut wie immer auf die Wechselwirkung zwischen Galaxien und die dabei wirkenden Gravitationskräfte zurück zu führen. Der einzige, der das nicht glauben wollte, war tragischerweise Halton Arp selbst. Er hatte ganz eigene Vorstellung davon, wie das Universum funktioniert. Er lehnte die Urknall-Theorie ab und glaubte nicht daran, dass das Universum expandiert. Er war der Meinung, dass man Gravitation nicht so beschreiben dürfe, wie Albert Einstein das getan hatte. Und war fest davon überzeugt, dass die Absonderlichkeiten seiner Galaxien durch Material zustande kommen, das aus den Galaxien ausgeworfen wird. In einigen Fällen stimmt das sogar, zum Beispiel bei M87 und ihrem Jet. Der entsteht tatsächlich aus heißem Gas, das durch die Gravitationskraft des enormen schwarzen Lochs beschleunigt und aus der Galaxie geschossen wird. Aber bei den meisten Fällen handelt es sich tatsächlich um Galaxien in den verschiedensten Phasen des Verschmelzens und Kollidierens. Arp nannte diese Idee die „Merger-Mania“ und nannte sie eine „Mode“, mit der man neuerdings alles erklären wolle, was mit den Galaxien passiert.
Nun. Man hat deswegen alles damit erklären wollen, weil sich tatsächlich sehr viel damit erklären lässt. Das ist mittlerweile mehr als nur eindeutig belegt. Arp war ein kreativer Kopf mit originellen Ideen. Aber manchmal eben ein klein wenig zu kreativ. Dank ihm haben wir die Bedeutung wechselwirkender Galaxien im Universum verstanden. Und ganz allgemein kann es nicht schaden, wenn es in der Wissenschaft immer wieder Menschen gibt, die mit ihren Ideen abseits der ausgetretenen Wege gehen. Da kann man sich gerne mal verirren – aber ab und zu erreicht man auch Gegenden, die man sonst nie gefunden hätte. Arp ist bei seiner Wanderung abseits des Mainstreams nicht ans Ziel gekommen. Aber er hat die Astronomie dennoch voran gebracht.
Vielen Dank für deine immer wieder sehr interessanten Berichte! Ich freue mich immer, wenn in meiner App der nächste Beitrag auftaucht, und finde es wirklich toll, dass du so viel Zeit darin investierst, Themen spannend und verständlich aufzubereiten.
Halton Arp war ein kritischer Geist.
Das war nicht überall willkommen.
@Markweger:
Das ist wahrscheinlich wahr. Wahr ist auch: du bist kein solcher.
Das ist auch wahr. Anders dein Kram. Du darfst immerhin deinen Kram überall reinschreiben.
Daraus folgt?
@michelle
Ja, das finde ich auch, mir geht´s genauso.
Nur eine nette kleine Sache wollte ich noch bemerken, weil sie ein wenig die Grundlage dafür beleuchtet, warum die Galaxien so wunderbar miteinander wechselwirken, was die Sterne, außer in Mehrfachsternsystemen, oft nicht mit vergleichbaren Folgen tun.
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Ich habe mal versucht, mir die Größen- und Abstandsverhältnisse zwischen Sternen bzw. Galaxien anschaulich zu machen.
a) Wenn unsere Sonne so groß wäre wie etwa ein Tischtennisball, wie weit wäre dann der nächste Stern von diesem TT-Ball entfernt?
Antwort : Mehr als 1000km.
b) Wenn man sich die Ausdehnung der Milchstraße wieder mit diesem TT-Ball (genauer dem Querschnitt davon, weil die ja „flach“ ist) veranschaulicht, wie weit ist dann die Andromeda-Galaxie davon entfernt?
Antwort : Ich will sie hier nicht einfach angeben, weil es nett ist, das zu schätzen oder zu raten. Aber ich gebe sie so an : Multipliziere die ersten beiden Ziffern dieser Sterngeschichtenfolgennummer miteinanderund, subtrahiere davon 3 mal die letzte Ziffer und addiere dann die Quersumme von 100 000 000. So bekommst du den Abstand in Metern.
Ich muss sagen, das hätte ich nicht gedacht!
Viel Spaß beim Raten.