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Sternengeschichten Folge 620: Die Zone of Avoidance

In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die Zone of Avoidance. Auf deutsch heißt das „Die Zone der Vermeidung“ und das klingt ein klein wenig beunruhigend und auch ein bisschen wie Science Fiction. So wie die „Neutrale Zone“ in Star Trek, wo man mit dem Raumschiff nicht reinfliegen darf oder die „Zone“ in den Büchern von Arkadi und Boris Strugazki. Wir bekommen es aber heute nicht mit Science Fiction zu tun, sondern mit reiner Astronomie und beunruhigend ist die Zone der Vermeidung auch nur dann, wenn man den Himmel beobachten möchte.

Um was es dabei geht, hat das erste Mal der englische Astronom Richard Proctor in seinem Buch „The Universe of Stars“ aus dem Jahr 1878 aufgeschrieben. Darin findet man eine großformatige Abbildung, die die Verteilung der „Nebel“ zeigt. Im späten 19. Jahrhundert wusste man ja immer noch nicht, worum es sich bei diesen Gebilden handelt, die man mit einem starken Teleskop sehen konnte. Manche hielte sie für große, nebelartige Wolken, die sich zwischen den Sternen befanden. Andere waren der Meinung, dass es sich um riesige, unvorstellbar weit entfernte Ansammlungen von Sternen handelt, und unsere Milchstraße auch so ein Gebilde, eine Galaxie, ist. Aber eben nur eine von vielen. Die Frage wurde erst in den 1920er Jahren endgültig geklärt und ich habe davon schon in anderen Folgen der Sternengeschichten gesprochen. Damals jedenfalls konnte man nicht viel mehr machen, als möglichst viele dieser Nebel zu beobachten und zu kartografieren. Genau das hat unter anderem der Astronom John Herschel gemacht und dessen Daten hat Richard Proctor verwendet, um das entsprechende Bild in seinem populärwissenschaftlichen Buch über das Universum zu erstellen. Dabei ist ihm aufgefallen, dass es da einen Bereich am Himmel zu geben scheint, in dem weniger dieser Nebel zu finden sind als anderswo und deswegen trägt die Abbildung auch den Titel „The zone of few nebulae“. Diese „Zone der wenigen Nebel“ wurde in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer ausgeprägter; je mehr Nebel man beobachtete, desto klarer wurde es, dass es einen Bereich gibt, in dem sie nicht zu sehen sind.

1961 hat der amerikanische Astronom Harlow Shapley probiert, diese Zone auch klar zu definieren. Shapley war übrigens früher einer der prominentesten Vertreter derjenigen, die davon ausgegangen sind, dass es im Universum nur unsere Milchstraße gibt und die Nebel alle nur kleinere Wolken innerhalb der Milchstraße sind. Aber egal, das war früher und jetzt hat Shapley die aktuellsten Daten der damaligen Zeit untersucht und festgestellt, dass man demnach am Himmel typischerweise 54 Galaxien pro Quadratgrad finden kann. „Quadratgrad“ ist eine etwas komische Einheit, aber in der Astronomie sehr gebräuchlich und entspricht einer Fläche am Himmel, die ungefähr so groß ist wie fünf Vollmonde. Also: 54 Galaxien pro Quadratgrad, im Durchschnitt. Aber es gibt einen Bereich, bei dem es deutlich weniger sind, nämlich weniger als 5 Galaxien pro Quadratgrad. Genau das ist die „Zone of Avoidance“ und sie heißt deswegen so, weil es eben eine Zone ist, die von der Astronomie bei ihrer Arbeit vermieden wird, denn da gibt es zu wenig zu sehen, um sinnvolle Forschung zu treiben.

Und nachdem wir das jetzt geklärt habe, sollten wir vielleicht mal nachsehen, wo diese Zone denn eigentlich ist. Wer sich schon ein bisschen mit Astronomie beschäftigt hat, wird vermutlich schon eine bestimmte Idee haben. Und wenn diese Idee mit der Milchstraße zu tun hat, dann ist sie richtig! Die Zone of Avoidance findet man um den galaktischen Äquator der Milchstraße herum. Wenn wir uns die Milchstraße als große Scheibe voller Sterne vorstellen – was sie in erster Näherung ja auch ist – dann ist der galaktische Äquator die Linie, die um die Scheibe herum läuft. Vom Sonnensystem aus, das sich ja in den äußeren Bereichen der galaktischen Scheibe befindet, können wir entweder in den galaktischen Norden oder Süden, also quasi nach oben und unten aus der Scheibe raus schauen. Oder nach „hinten“, dorthin, wo die Scheibe der Milchstraße bald aus ist und deutlich weniger Sterne zu finden sind als wenn wir in die andere Richtung blicken, mitten ins Herz der galaktischen Scheibe hinein. Da ist alles voll mit Sternen und das ist auch genau das, was wir am Nachthimmel als wolkig-weißes Band der Milchstraße sehen können (sofern es dunkel genug ist). Und genau da dort befindet sich die „Zone of Avoidance“ und damit ist auch klar, warum sie überhaupt existiert.

In der Milchstraße gibt es ja nicht nur Sterne, sondern auch jede Menge Gas und Staub, in kosmischen Wolken, die sich im interstellaren Raum befinden. Wenn wir in Richtung der galaktischen Scheibe schauen, dann sehen wir dort nicht nur sehr viel mehr Sterne als anderswo, sondern blicken auch auf und durch sehr viel mehr Gas und Staub. All das absorbiert einen Teil des Lichts und deswegen ist es sehr viel schwerer, in dieser Richtung irgendwelche fernen Galaxien zu entdecken. Die Milchstraße wirkt quasi wie ein Vorhang, der uns den Blick auf das dahinter liegende Universum verstellt. Ungefähr 20 Prozent dieses extragalaktischen Himmels werden durch die „Zone of Avoidance“ verschleiert. Das gilt für den optischen Bereich, also die Wellenlänge des Lichts, die wir auch mit unseren Augen oder normalen Teleskopen wahrnehmen können. Und das waren ja auch die einzigen Teleskope, die man damals im 19. Jahrhundert und noch bis weit in das 20. Jahrhundert hinein zur Verfügung hatte.

Warum ist es jetzt ein Problem, dass das dieser Bereich am Himmel ist, den man schlecht sehen kann? Es ist natürlich ein prinzipielles Problem für die Astronomie: Wir wollen alles sehen, was da draußen ist und wir wollen uns nicht mit einem Himmel zufriedengeben, auf dem wir 20 Prozent nicht sehen können. Es ist aber auch ein spezielles Problem, denn viele Dinge können wir nur dann verstehen, wenn wir einen vollständigen Blick haben.

Zum Beispiel wenn es darum geht, das Universum als ganzes zu erforschen. Die Kosmologie gibt sich ja große Mühe, die großen Strukturen des Universums zu kartografieren. Wir wollen wissen, wo die ganzen Galaxienhaufen sind, die Superhaufen, die aus einzelnen Galaxienhaufen bestehen und die noch größeren Strukturen, die aus langen Aneinanderreihungen der galaktischen Superhaufen gebildet werden. Je besser wir verstehen, wie der Kosmos auf diesen allergrößten Skalen aussieht, desto besser können wir auch verstehen, wie das Universum entstanden ist und wie es sich entwickelt hat. Die Modelle, mit denen wir den Urknall beschreiben und verstehen, sagen zum Beispiel voraus, dass die allergrößten Strukturen nicht beliebig groß werden können. Sollten wir galaktische Superhaufen finden, die noch größer sind, dann wäre das ein Hinweis darauf, dass wir irgendwelche grundlegenden Eigenschaften des Universums falsch oder noch nicht verstanden haben. Dass wir vielleicht nochmal über Phänomene wie die dunkle Energie nachdenken müssen oder es da irgendein ganz neues Phänomen gibt, das wir noch nicht entdeckt haben. Das sind alles enorm spannende Themen, aber wenn wir nicht den kompletten Himmel beobachten können, haben wir keine Chance, verlässliche Antworten zu kriegen.

Die Zone of Avoidance macht aber auch auf kleineren Maßstäben Problemen. Wir würden zum Beispiel gerne wissen, wie viele andere Galaxien mit uns gemeinsam in unserer eigenen Galaxiengruppe sind, der Lokalen Gruppe, von der ich in Folge 371 erzählt habe. Wir wissen, dass die Milchstraße und die Andromedagalaxie die größten Mitglieder sind und es jede Menge kleinere Galaxien gibt, die auch noch dazu gehören. Aber was, wenn sich da vielleicht eine weitere größere Galaxie hinter der Zone of Avoidance am Himmel versteckt? OK, das ist unwahrscheinlich, wie ich gleich noch erzählen werde. Aber auch hier gilt: Wir brauchen einen vollständigen Überblick, wenn wir zum Beispiel verstehen wollen, wie sich die Lokale Gruppe in der Vergangenheit entwickelt hat und wie sie sich in Zukunft entwickeln wird.

Und so weiter: Es gibt diverse große und kleine astronomische Fragen, deren Beantwortung durch die Zone of Avoidance erschwert wird. Aber zum Glück sind wir in der Astronomie wirklich gut darin, Dinge zu sehen, die sehr schwer zu sehen sind. Und haben im Laufe der Zeit Methoden entwickelt, auch die Zone of Avoidance in den Griff zu kriegen. Das normale Licht ist ja nur ein kleiner Teil der gesamten elektromagnetischen Strahlung. Aber es gibt ja noch mehr: Infrarotlicht zum Beispiel hat den Vorteil, dass es vom interstellaren Staub kaum aufgehalten wird; die Zone of Avoidance wird dadurch zum Teil quasi durchsichtig. Im Infrarotlicht hat der italienische Astronom Paolo Maffei 1968 auch zwei Galaxien entdeckt, die zuvor durch die Zone of Avoidance verdeckt wurde. Maffei 1 und Maffei 2, wie sie mittlerweile genannt wurden, sind ziemlich große Brocken und eigentlich auch ziemlich hell. Maffei 1 wäre eine der 10 hellsten Galaxien am Nordhimmel, wenn sie nicht blöderweise hinter der Zone of Avoidance liegen würde. Die beiden Maffei-Galaxien gehören übrigens nicht zur Lokalen Gruppe, sie sind noch weiter weg und Zentrum ihres eigenen Galaxienhaufens. Aber all das hätten wir nie herausgefunden, wenn wir nicht dank Infrarotastronomie durch den Schleier der Milchstraße blicken hätten können.

2016 konnten Forscherinnen und Forscher einen potentiellen Superhaufen aus Galaxien hinter der Zone of Avoidance ausmachen, der aus gut zwei Dutzend Galaxienhaufen besteht und eine der größten bekannten Strukturen des Universums darstellt. Eine weitere große Struktur fand man 2022 und es ist mit Sicherheit nicht die letzte Entdeckung, die bei dem Versuch gemacht wird, die Zone of Avoidance zu durchblicken. Mittlerweile wird dazu nicht nur Infrarotlicht verwendet, sondern auch Radioteleskope und andere Methoden der nicht-optischen Astronomie. Wie gesagt: Wir lassen uns nicht aufhalten, wenn es da draußen was zu sehen gibt. Die Zone of Avoidance ist in den letzten Jahren immer weiter geschrumpft und irgendwann werden wir es hoffentlich geschafft haben, auch diesen weißen Fleck auf unseren kosmischen Karten zu füllen.

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