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Sternengeschichten Folge 605: Astronomie im Loch – Beobachtungen am Taghimmel
Astronomie findet in der Nacht statt. Immerhin geht es dabei ja um die Beobachtung von Sternen und die sieht man nicht am Tag. Das ist prinzipiell zwar richtig. Aber auch ein klein wenig falsch. Denn natürlich ist auch die Sonne ein Stern, der von der Astronomie erforscht wird und die Sonne sieht man per Definition nicht in der Nacht sondern nur am Tag. Es gibt auch jede Menge Weltraumteleskope, für die Tag und Nacht nicht existieren. Oder Disziplinen wie die Radioastronomie, die Beobachtungen auch problemlos tagsüber ausüben kann. Und natürlich sind Astronominnen und Astronomen zwar öfter mal in der Nacht unterwegs und müssen Teleskope bedienen, verbringen den Rest der Zeit aber ganz normal in ihren Büros und arbeiten zu halbwegs normalen Arbeitszeiten. Trotzdem möchte ich heute über die Frage sprechen, was für Astronomie man am Taghimmel durchführen kann und zwar abseits von Radioastronomie oder der Sonnenbeobachtung. Kann man nicht vielleicht doch irgendwie die Sterne auch beobachten, wenn es nicht dunkel ist? Das wäre zumindest für alle die recht praktisch, die ungern die ganze Nacht wachbleiben wollen um astronomische Daten zu sammeln.
Wenn es um die Planeten geht, dann kann man da durchaus auch am Tag erfolgreich sein. Die Venus ist nach Sonne und Mond das hellste Objekt am Himmel und wenn man weiß, wo sie sich befindet, kann man sie auch am Tag erkennen. Zumindest dann, wenn sie nicht gerade zu sehr in der Nähe der Sonne steht. Mit einem Fernglas oder gar Teleskop lassen sich auch Mars, Jupiter und Saturn erkennen und tatsächlich auch ein paar der sehr hellen Sterne. Wer jetzt aber untertags auf die Suche nach Himmelskörpern gehen will, sollte allerdings sehr vorsichtig sein und Fernglas oder Teleskop nicht wild über den Himmel schwenken. Ein unabsichtlicher Blick auf die Sonne durch ein solches optisches Instrument kann schwere Augenschäden verursachen. Aus wissenschaftlicher Sicht kommt man aber bei der Beobachtung am Tag auf diese Weise nicht sehr weit. Aber vielleicht geht es ja anders?
Man hört immer wieder die Geschichte, dass man die Sterne sehr gut auch untertags sehen kann und zwar, wenn man sich am Grund eines tiefen Brunnes befindet. Oder durch einen hohen Schornstein oder Kamin zum Himmel blickt. Das hat schon Aristoteles behauptet, als er erklärt hat, warum manche Tiere gut sehen und andere schlecht. Und wenn Aristoteles was behauptet, dann muss das ja stimmen. Das war zumindest lange Zeit die Meinung der gelehrten Menschen in der Antike, dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Und über die Jahrhunderte kann man immer wieder Berichte finden, die Aristoteles Behauptung bestätigen. Mal haben Leute das Licht der Sterne im Wasser eines tiefen Brunnes reflektiert gesehen; mal waren es Bergleute, die beim Blick aus Minenschächten hinaus die Sterne auch am Taghimmel gesehen haben wollen. Autoren wie Rudyard Kipling oder Charles Dickens haben dieses Phänomen in ihren Büchern verarbeitet. Und selbst der Astronomie-Professor an der Uni Cambridge, Robert Ball, hat noch 1908 geschrieben, dass man Sterne auch am Tag sehen kann, wenn man sie nur durch einen hohen Kamin beobachtet. Denn der lange Schacht würde das direkte Licht der Sonne abschirmen und das Auge würde dadurch viel sensitiver und könne so das schwache Sternenlicht wahrnehmen.
Also: Warum stellt man nicht einfach ein paar Teleskope in tiefe Löcher? Dann kann man auch tagsüber Astronomie betreiben und spart sich das lange Wachbleiben in der Nacht und die Müdigkeit am Tag? Tatsächlich gibt es Teleskope in Löchern. An der Königlichen Sternwarte in Greenwich wurde so etwas im 17. Jahrhundert gebaut aber auch später, zum Beispiel an der Sternwarte in Jena. Mit ihnen wurde aber in der Nacht gearbeitet und es gab spezielle Gründe, warum man sie in Löchern untergebracht hat. In Greenwich hat man versucht, die Position des Stern Gamma Draconis zu messen. Es ging damals darum, herauszufinden, wie weit die Sterne entfernt sind. Dazu muss man die scheinbare Position eines Sterns zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr messen – ich hab das in Folge 19 ausführlich erklärt. Im 17. Jahrhundert war es noch nicht so einfach, große Teleskope zu bauen, also hat man sich gedacht, man nimmt einfach einen Brunnenschacht, baut am oberen Ende eine Linse ein und schaut dann vom Grund des Brunnes mit einem Okular darauf. Oder anders gesagt: Man den gesamten Brunnen zu einer Art Teleskop umgebaut, das sich zwar nicht bewegen lässt, aber Sterne sehen kann, die sich genau darüber hinwegbewegen. Gute Idee, aber die Sache war enorm unangenehm. Immer muss man in einem tiefen, feuchten Loch am Rücken liegen um die Beobachtungen anzustellen und das auch noch Nachts. Auch in Jena wollte man zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr genau Positionsmessungen an Sternen anstellen. Das Ziel war es, die Schwankung der Erdachse zu bestimmen und damit das mit der nötigen Genauigkeit klappt, darf das Teleskop selbst natürlich absolut gar nicht wackeln. Man kann es nicht einfach so hinstellen; da würde schon die Erschütterungen ausreichen, die auftreten, wenn Autos oder damals auch noch Kutschen vorbeifahren. Aber nur ein paar Meter unter der Erdoberfläche war eine hunderte Quadratkilometer große und ein paar hundert Meter dicke Gesteinsschicht, die sogenannte Saale-Ilm-Platte, die sich unter halb Thüringen erstreckt. Ein noch stabileres Fundament kann man sich kaum wünschen, also hat man ein 10 Meter tiefes Loch gegraben, bis zu dieser Schicht und dort die Teleskope aufgestellt. Aber weder in Jena noch in Greenwich hat dann auch mehr als ein paar Beobachtungen angestellt. Es war einfach zu aufwendig und unangenehm, die ganze Nacht über in einem kalten, feuchten Loch zu sitzen.
Aber wie ist das jetzt mit der Beobachtung am Tag? Wieso hat das niemand ausprobiert? Weil es – Spoiler! – nicht funktioniert! Denn natürlich hat man das ausprobiert. Der große Naturforscher Alexander von Humboldt, der sich beruflich auch viel in Bergwerken rumgetrieben hat, hat das getestet und festgestellt: Man sieht nichts. Später haben dann diverse Leute noch ausführlichere Tests und Messungen angestellt, mit dem Ergebnis, das man mit freiem Auge untertags keine Sterne sehen kann, auch wenn man in einem tiefen Loch sitzt. Diejenigen, die meinen, in einem Kamin oder Schacht dennoch Sterne gesehen zu haben, haben wahrscheinlich irgendwelche Blätter, Staubteilchen oder anderes Zeug gesehen, das durch die Zugluft nach oben gewirbelt und dann von der Sonne angeleuchtet worden ist. Aber Sterne sind nicht zu sehen, ausgenommen vielleicht Sirius, dem hellsten Stern. Oder, wie es der Astronom David Hughes 1983 in einer sehr ausführlichen wissenschaftlichen Analyse des Phänomens gesagt hat: „Durch einen Kamin zu schauen ist das letzte, was man tun sollte, wenn man Sterne sehen will.“
Gut, halten wir fest. Am Tag sieht man auf jeden Fall einen Stern, nämlich die Sonne. Man kann die Venus sehen und natürlich auch den Mond. Und es bringt nichts, sich in irgendwelche Löcher zu setzen. Da ist es kalt, unangenehm und man schränkt auch das Sichtfeld extrem stark ein. Das heißt aber nicht, dass man nicht doch sinnvolle Sternbeobachtung auch untertags erledigen kann. Aber eben nur in sehr speziellen Fällen. Ein so ein Spezialfall ist der Stern Beteigeuze. Von dem habe ich schon in Folge 204 erzählt; es ist ein heller Stern und ein prominenter Stern im Sternbild Orion. Vor allem aber ist es ein interessanter Stern, denn er befindet sich schon am Ende seines Lebens und könnte bald zu einer Supernova werden. Ok, das kann noch ein paar Jahrhunderte oder Jahrtausende dauern, aber auch jetzt passiert dort schon jede Menge spannendes Zeug aus dem wir lernen können, wie sich solche Sterne gegen Ende ihres Lebens verhalten. Dazu müssen wir aber auch so viele Beobachtungen wie möglich machen um nichts zu verpassen. Bei Beteigeuze geht das aber nicht. Denn der Stern ist nicht nur am Tag nicht zu sehen, er ist auch vier Monate in jedem Jahr in der Nacht nicht zu beobachten. Denn in diesem Zeitraum sehen wir ihn von der Erde aus zu nahe an der Sonne und die ist in der Nacht unterm Horizont. Um diese Lücke in den Beobachtungsdaten zu schließen, müssten wir ihn tagsüber sehen können. Und das geht, mit der richtigen Technik! Die australische Astronomin Sarah Caddy und ihr Team haben 10 sehr große aber handelsübliche Fotoobjektive zusammengebastelt. Ok, es war ein bisschen mehr als basteln; es war schon eine sehr komplexe Ingenieursleistung. Aber mit dem daraus entstandenen „Huntsman Telescope“ lässt sich ein heller und vergleichsweise groß erscheinender Stern wie Beteigeuze auch am Tag in einer Genauigkeit beobachten, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.
Die Astronomie wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch in Zukunft etwas bleiben, was in der Nacht stattfindet. Aber mit ausreichend guter und kreativer Technik wird man zumindest einen Teil der Arbeit auch am Taghimmel durchführen können. Und man wird dafür nicht in kalten, feuchten Löchern sitzen müssen.
Zur Ergänzung : In „Sterne und Weltraum“ Ausgabe 1/2022 ab Seite 64 beschreibt der Autor U.Bastin sehr praktisch und anschaulich, wie er vorgeht, wenn er die Venus am hellen Tag beobachten will. Er geht dabei auch ausführlich auf den Sicherheitsaspekt bei solchen Beobachtungen am Taghimmel ein. Mit seiner Beschreibung kann man wirklich etwas anfangen.
Wer nicht gerade die Zeitschrift abonniert hat kann sie, so denke ich, in vielen öffentlichen Bibliotheken finden.
Also viel Spaß dann bei der Beobachtung am Tage.
Ich war vor wenigen Tagen im Mathematischen Turm des Stiftes Kremsmünster und höhrte mit großem Erstaunen von einem tiefen Schacht, in dem man „tagsüber Sterne beobachten konnte“. Der Schacht wurde inzwischen einer sinnvollen Nutzung zugeführt, nämlich als Raum für ein Foucaultsches Pendel 😀