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Sternengeschichten Folge 581: Nicole-Reine Lepaute und der Halleysche Komet

Nicole-Reine Lepaute war die „einzige Frau in Frankreich, die ein wirkliches Verständnis für die Astronomie hat“. Das schrieb der französische Astronom Jérôme Lalande im Jahr 1803 und Lalande war nicht einfach irgendwer. Er war einer der bedeutendsten Astronomen des 18. Jahrhunderts und sein Name ist einer der 72, die auf dem Eiffelturm angebracht sind, um die Personen wegen ihrer wissenschaftlichen und technischen Leistungen zu ehren. Die heutige Folge soll aber von Nicole-Reine Lepaute handeln und nicht von Jérôme Lalande – obwohl man die Geschichte der einen nicht ohne die des anderen erzählen kann.

Lepaute wurde am 5. Januar 1723 in Paris geboren, als Nicole-Reine Étable de la Brièr. Ihr Vater war Kammerdiener von Louise Élisabeth d’Orléans, einer Angehörigen des französischen Königshauses. Schon als Kind war klar, dass Nicole-Reine sehr intelligent war; sie las alle Bücher, die ihr unter die Finger kamen und schon als Kind war sie sehr an der Astronomie interessiert. Mit Mitte 20 heiratete sie Jean André Lepaute, der damals der königliche Uhrmacher war. Das war damals ein Beruf, für den man nicht nur handwerkliche sondern auch wissenschaftliche und mathematische Fähigkeiten brauchte und das Ehepaar Lepaute widmete sich dieser Aufgabe gemeinschaftlich. Nicole-Reine konstruierte gemeinsam mit Jean André auch eine spezielle astronomische Uhr, die 1753 bei der französischen Akademie der Wissenschaften präsentiert wurde. Dort wurde sie von Jérôme Lalande inspiziert, der damals schon ein bekannter Astronom war. Lalande war 1752 Direktor der Berliner Sternwarte geworden und 1753 Mitglied in der französischen Akademie der Wissenschaft. Sein Kontakt mit Nicole-Reine Lepaute war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit.

Eines der gemeinsamen Projekte war das 1755 erschienene Buch „Traite d’horlogerie“, eine Abhandlung über die Uhrmacherei. Veröffentlicht wurde es aber nur unter dem Namen von Jean André Lepaute, obwohl Nicole-Reine einen wichtigen mathematischen Teil beigesteuert hat. Will man zum Beispiel eine Pendeluhr bauen, dann funktioniert das nur, wenn man genau weiß, wie lange ein Pendel für eine Schwingung braucht. Genau das hat sie ausgerechnet, für Pendel die nur ein paar Zentimeter lang sind bis hin zu einem Pendel das für eine Schwingung eine Stunde benötigt und dafür circa 12.000 Kilometer lang sein. Dass der wissenschaftliche Beitrag von Frauen nicht offiziell gekennzeichnet wird, war damals leider üblich – aber zumindest Lalande hatte keinerlei Probleme damit, weswegen er auch offiziell darauf hin wies, dass diese Berechnungen von Nicole-Reine Lepaute stammten. Und weil er von ihren Fähigkeiten überzeugt war, arbeitete er auch später mit ihr zusammen.

Halleyscher Komet (Bild: NASA/W. Liller)

Ein aktuelles Problem der damaligen Zeit war die genaue Berechnung der Umlaufbahn des Halleyschen Kometen. Erst wenige Jahrzehnte zuvor hatte Edmond Halley ja überhaupt festgestellt, dass es diesen Kometen gibt und dass er einer prinzipiell vorhersagbaren Bahn folgt. Das war erst durch Newtons Gravitationsgesetz möglich, davor dachte man, dass Kometen einfach irgendwann und irgendwie auftauchen und wieder verschwinden. Jetzt aber bemühte man sich, möglichst genau vorherzusagen, wann der Komet das nächste Mal in die Nähe der Erde kommt und beobachtet werden kann. Das ist ein ziemlich kompliziertes Problem, denn dafür muss man zum Beispiel auch berechnen, wie die Anziehungskraft der Planeten Saturn und Jupiter die Bahn von Halley beeinflussen und dafür muss man berechnen, wie sich Saturn und Jupiter bewegen und gegenseitig beeinflussen, und so weiter. Kurz gesagt: Man muss jede Menge komplexe astronomische Berechnungen anstellen und genau das war es, was Nicole-Reine Lepaute besonders gut konnte. Lalande schlug Lepaute vor, diese Arbeit gemeinsam mit Alexis-Claude Clairaut durchzuführen, einem Mathematiker. Die drei stellten fest, dass vor allem die Störung des Jupiters einen ungewöhnlich großen Einfluss haben würde, und der Komet erst Anfang 1759 den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreichen und nicht schon Ende 1757 sichtbar sein würde wie andere berechnet hatten. Tatsächlich sah man den Halleyschen Kometen erst Ende 1758 am Himmel und der Termin für den sonnennächsten Punkt wich nur um gut vier Wochen von dem Zeitpunkt ab, den Lalande, Lepaute und Clairaut berechnet hatten.

Ein großer Erfolg, den aber zumindest Clairaut nicht mit einer Frau teilen wollte. Er weigerte sich, den Beitrag von Nicole-Reine Lepaute anzuerkennen. Lalande hingegen war wieder einmal sehr deutlich. Sechs Wochen lang hatten die drei quasi Tag und Nacht gerechnet, schrieb er später und dann: „Die Hilfe Mme. Lépautes war so, daß ich ohne sie die enorme Arbeit überhaupt nicht hätte in Angriff nehmen können. Es war notwendig, die Distanz der beiden Planeten Jupiter und Saturn zum Kometen separat für jeden aufeinanderfolgenden Grad über 150 Jahre hinweg zu berechnen“. In einem Buch, das Lalande über den Kometen schrieb, hat er den Beitrag von Lepaute explizit erwähnt; Clairaut hingegen, der 1760 ebenfalls ein Buch über die Mathematik der Kometenbewegung publizierte, strich ebenso explizit jede Erwähnung von Lepaute.

Lalande und Lepaute arbeiteten weiterhin gemeinsam. Lalande war mittlerweile der Direktor der „Connaissance des temps“ geworden. Das war und ist heute immer noch das offizielle astronomische Jahrbuch von Frankreich, dass Positionen von Sonne, Mond und Planeten enthält und Anweisungen, die man damit zum Beispiel seine Position berechnen kann. Damals waren solche Jahrbücher enorm wichtig, vor allem für die Seefahrt und es war keine geringe Aufgabe, jedes Jahr aufs Neue die nötigen Daten mit der notwendigen Genauigkeit zusammenzutragen. Lalande engagiert sich deswegen dafür Nicole-Reine Lepaute als Assistentin. Bis 1774 arbeiteten sie gemeinsam daran, bis Lalande dieses doch eher anstrengende Amt mit einiger Freude wieder abgeben konnte. Nur um sich gemeinsam mit Lepaute einer nicht weniger anstrengenden Aufgabe zu widmen: Für ein anderes astronomisches Nachschlagewerk rechnete Lepaute die Positionen der Sonne, des Mondes und der Planeten für den kompletten Zeitraum zwischen 1774 und 1793 aus.

Finsterniskarte von Nicole-Reine Lepaute

Daneben beschäftigte sie sich auch mit der Berechnung von Sonnenfinsternissen. Für eine Finsternis im Jahr 1764 veröffentlichte sie – diesmal unter ihrem eigenen Namen – zwei Karten, die den Verlauf der Finsternis für Europa und für Paris zeigten.

Nicole-Reine Lepaute hatte neben all dieser Arbeit auch noch Zeit für ein Privatleben. Kinder hatten sie und ihr Eheman zwar nicht, aber sie adopierten den Neffen ihres Mannes und Nicole-Reine nahm sich die Zeit, ihn persönlich in Astronomie und Mathematik auszubilden. Erfolgreich, denn er wurde Mathematikprofessor und Mitglied der französischen Akademie der Wissenschaften. Ein zweiter Neffe wurde ebenfalls von ihr unterrichtet und war schon im Alter von 6 Jahren in der Lage, astronomische Berechnungen anzustellen. Aber dessen Eltern hatten etwas gegen das wissenschaftliche Leben und verbaten ihm den Unterricht bei seiner Tante. Zu Beginn der 1780er Jahre musste dann auch Nicole-Reine Lepaute selbst ihre wissenschaftliche Arbeit sein lassen. Einerseits aus gesundheitlichen Gründen, da ihre Augen immer schlechter wurden. Andererseits musste sie sich um ihren sehr kranken Ehemann kümmern, was sie bis 1788 auch tat. Am 6. Dezember 1788 starb sie allerdings an Typhus; ein halbes Jahr vor ihrem Mann.

„Die Zeit die ich mit ihr und ihrer Familie verbracht habe, ist die Zeit an die ich mich am liebsten erinnere“, schrieb Lalande später. Bis sich auch der Rest der wissenschaftlichen Welt an sie erinnerte, hat es aber ein wenig gedauert. 1935 wurde ein Krater auf dem Mond nach ihr benannt und 1960 ein Asteroid. Und wer in Paris die Rue Albert Einstein entlang geht, vielleicht um die Bibliothèque Mathématiques Informatique der Universität zu besuchen, kann dort in die Rue Nicole-Reine Lepaute abbiegen. Die ist zwar nur gut 20 Meter lang, aber immerhin…

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