Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
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Sternengeschichten Folge 579: Das Intracluster-Medium
Das Weltall ist leer. Ok, es gibt jede Menge Planeten, Sterne und Galaxien. Aber sehr viel mehr gibt es Nichts. Der Raum zwischen den Planeten, zwischen den Sternen, zwischen den Galaxien: Der ist sehr viel größer und darin ist nicht viel zu finden. Aber ein bisschen was ist trotzdem da. Ich hab davon schon mal in Folge 79 gesprochen, aber da hauptsächlich davon, was man zwischen den Sternen finden kann. Heute geht es um das intergalaktische Medium und verglichen damit ist der Raum zwischen den Sternen regelrecht voll. Wenn man eine Chance auf echtes Nichts haben will, muss man die Galaxien verlassen. Aber wenn da wirklich komplett gar nichts zu finden wäre, dann wäre die Folge jetzt schon wieder vorbei. Ist sie aber nicht, denn wir schauen uns jetzt an, was da im Nichts doch noch zu entdecken ist.
Wir müssen aber zuerst noch mal bei den Galaxien bleiben. Die sind nicht komplett gleichmäßig im Universum verteilt. Sie bilden Galaxienhaufen, also größere und kleinere Gruppen aus hunderten Galaxien. Und die Galaxienhaufen selbst bilden noch größere Strukturen, die galaktischen Superhaufen. In diesen Haufen, aber zwischen den Galaxien, finden wir das „Intracluster Medium“. Es handelt sich um ein dünnes, heißes Gas, aber man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass da eine riesige Gaswolke existiert, durch die die Galaxien pflügen. Das Intracluster-Medium hat eine Dichte von ungefähr 0,001 Teilchen pro Kubikzentimeter. Das heißt, in einem Volumen von einem Liter findet man im Durchschnitt gerade mal ein einziges Teilchen. Oder noch einmal anders gesagt: So ein Teilchen des Intracluster-Mediums kann im Schnitt ein Lichtjahr weit fliegen, bevor es mit einem anderen Teilchen zusammenstößt. Und bevor ich jetzt immer „Teilchen“ sage, klären wir mal, um was es sich dabei genau handelt. Wenig überraschend vor allem Wasserstoff. Das ist immerhin das häufigste Element im Universum, mit Abstand, und deswegen wundert es auch nicht, wenn die paar Teilchen die man zwischen den Galaxien findet, ebenfalls Wasserstoff sind. Ein bisschen Helium ist auch dabei, das zweithäufigste Element im Universum. Aber man hat auch andere Elemente gefunden. Kohlenstoff oder Stickstoff zum Beispiel. Das ist spannend: Im Raum zwischen den Galaxien ist weit und breit kein Stern zu finden. Es ist ja schon IN den Galaxien ein weiter Weg von einem Stern zu einem anderen. Aber ZWISCHEN den Galaxien liegen Millionen Lichtjahre an Nichts – wo kommen diese Elemente her? Denn für alles, was kein Wasserstoff oder Helium ist, braucht es auf jeden Fall einen Stern. Nur Wasserstoff und Helium sind direkt beim Urknall entstanden; der Rest durch Kernfusion im Inneren von Sternen beziehungsweise durch die Prozesse, die dann beim oder nach dem Tod eines Sterns passieren. Aber ohne Stern geht es nicht.
Und natürlich sind die schwereren Elemente des Intracluster-Mediums auch in Sternen entstanden. Wenn so ein Stern dann stirbt, verteilt er seine Materie in der Gegend. Mal recht langsam, mal aber auch recht schnell, zum Beispiel durch Supernova-Explosionen. Und wenn die Supernova-Explosion eine wirklich heftige Explosion ist, kann Material dabei so stark beschleunigt werden, dass es aus der Galaxie in der sich der Stern befindet, hinaus geschleudert wird. Noch weiter kommt es dann aber normalerweise nicht. Denn die ganzen Galaxien eines Galaxienhaufens üben ja zusammengenommen eine enorme Gravitationskraft aus und die überwindet das Teilchen dann nicht. Es wird Teil des Intracluster-Mediums und bleibt dort. Was sehr gut für die Wissenschaft ist. Denn wenn wir ferne Galaxienhaufen ansehen, dann sind die ja wirklich weit weg. Das Licht von dort ist dementsprechend lange unterwegs. Wir sehen also in die Vergangenheit, unterschiedlich weit, je nachdem wie weit der Galaxienhaufen weg ist. Wir können dann in diesen Haufen das Intracluster-Medium untersuchen, die Häufigkeit der verschiedenen Elemente messen und wissen dann, wie gut die Galaxien zu unterschiedlichen Zeitpunkten in der Vergangenheit des Universums darin waren, Elemente zu produzieren.
Aber wie beobachtet man das Intracluster-Medium eigentlich? Wenn da nur ab und zu ein Atom mitten im Nichts rumschwebt, wie soll man das beobachten, noch dazu in so enormer Entfernung? Zuerst einmal ist die Dichte des Intracluster-Mediums zwar gering – aber es gibt halt wirklich viel Raum zwischen den Galaxien und in Summe kommt da einiges zusammen. Man schätzt, dass circa 15 Prozent der Gesamtmasse eines Galaxienhaufens in Form von Teilchen des Intracluster-Mediums zwischen den Galaxien rumfliegt. Und mit der Gesamtmasse ist wirklich die gesamte Masse gemeint. Also nicht nur die Materie, die wir sehen können; also das, was zum Beispiel in Form von Sternen leuchtet. Sondern auch die dunkle Materie, die wir zwar nicht leuchten sehen, deren Gravitationswirkung wir aber beobachten können. Die Galaxien in einem Haufen bewegen sich zu schnell, als das der sichtbare Teil schon alles sein könnte. Es muss mehr Zeug da sein, dass Gravitationskraft ausübt, aber eben Zeug das nicht sichtbar ist und das Zeug nennen wir „dunkle Materie“. Die Sterne aus denen die Galaxien bestehen machen nur circa 5 Prozent der Gesamtmasse aus, also nur ein Drittel der Masse des Intracluster-Mediums. Und der überwiegende Rest der Haufenmasse ist dunkle Materie. Trotzdem: Auch wenn es vergleichsweise viel Intracluster-Medium gibt, ist es immer noch extrem dünn verteilt. Wie kann man das sehen?
Das liegt daran, dass das Intracluster-Medium extrem heiß ist, mit Temperaturen zwischen 10 und 100 Millionen Grad. Aber „Temperatur“ heißt hier nicht das, was es üblicherweise heißt. Würde man ein Raumschiff in den Raum zwischen den Galaxien steuern und aussteigen, würde man nicht verbrennen. Wie denn auch, da ist ja nix. Ich hab das in Folge 367 erklärt: Wenn wir spüren, dass es heiß ist, liegt es im Prinzip daran, dass die Teilchen der Luft gegen uns stoßen. Und je schneller sich die Teilchen bewegen, desto mehr Hitze spüren wir. Anders gesagt: Temperatur ist ein Maß dafür, wie schnell sich ein Teilchen bewegt aber was wir spüren hängt von der Dichte der Teilchen ab. Und das Intracluster-Medium ist extrem heiß, aber wir würden nichts davon spüren, weil es so wenig dicht ist. Und es ist deswegen so heiß, weil die Teilchen so schnell sein müssen, wenn sie überhaupt aus den Galaxien in den Raum dazwischen gelangen wollen. Das ist aber nur ein Faktor; es gibt ja auch noch die supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der Galaxien. Mit ihrer Gravitationskraft beschleunigen sie Materie aus ihrer Umgebung auf enorme Geschwindigkeiten und schießen oft regelrechte Fontänen aus Gas mit enormer Geschwindigkeit hinaus in den intergalaktischen Raum. Und dann gibt es noch die Wechselwirkung zwischen den Galaxien. Wenn kleinere Galaxien zu größeren verschmelzen, wird das Material im intergalaktischen Raum durchgewirbelt und auch das führt zu einer Erwärmung.
Wir haben also wenig Zeug, aber heißes Zeug und heißes Zeug gibt Strahlung ab. Beim Intracluster-Medium ist das vor allem Röntgenstrahlung und die kann man nachweisen. Wir beobachten ja ferne Galaxienhaufen wo man, vereinfacht gesagt, die ganzen Galaxien des Haufens mit dem Teleskop auf einen Blick sehen kann. Und wenn der Blick mit einem Röntgenteleskop erfolgt, dann sieht man damit auch die Strahlung, die aus dem Raum zwischen den Galaxien kommt. In Summe produzieren die ganzen Teilchen dort nämlich schon eine relevante Menge an Strahlung und wenn wir uns die genau genug anschauen, können wir daraus ableiten, wo das Zeug ist, wie dicht verteilt es ist und woraus es besteht.
Es mag komisch erscheinen, wenn sich die Wissenschaft so stark mit diesen paar Teilchen beschäftigt, die zwischen den Galaxien rumfliegen. Aber sie sind wichtig! Ich hab schon erwähnt, dass man damit herausfinden kann, wie gut die Galaxien in der Vergangenheit darin waren, chemische Elemente zu produzieren. Das sind enorm relevante Informationen, wenn wir wissen wollen, wie sich das gesamte Universum entwickelt hat. Am Anfang gab es ja nur Wasserstoff und Helium und der Rest kam erst mit den ersten Sterne, die die ersten Galaxien gebildet haben. Und die folgenden Generationen von Sternen hatten dann schon mehr Elemente zur Verfügung, wodurch sich auch die ganze Entwicklung der Galaxien verändert hat. Durch die Beobachtung des Intracluster-Mediums können wir das nachvollziehen – wir können aber auch die Wechselwirkung zwischen den Galaxien besser verstehen. Wenn sich zwei Galaxien begegnen und nahe kommen, dann kann durch die zwischen ihnen wirkende Gravitationskraft Material aus den Galaxien hinaus ins Intracluster-Medium gezogen werden. Es bilden sich regelrechte Ströme aus Material, die noch lange Zeit später zeigen, dass eine Wechselwirkung stattgefunden hat, selbst wenn alles schon lange vorbei ist. Es kann aber auch umgekehrt laufen; Material aus dem Intracluster-Medium kann in eine Galaxie fallen und dort Einfluss auf die Entstehung von Sternen haben.
Wenn wir verstehen wollen, wie sich das Universum entwickelt hat und wie die Galaxien so geworden sind, wie wir sie heute sehen, dann müssen wir uns auch damit beschäftigen, was sich dort befindet, wo fast nichts ist. Und das Intracluster-Medium ist übrigens nicht das einzige Nichts. Ich habe bis jetzt nur von dem gesprochen, was sich zwischen den Galaxien eines Galaxienhaufens befindet. Aber es gibt ja viele Galaxienhaufen. Und zwischen diesen Galaxienhaufen ist noch viel mehr leerer Raum. Ist der dann wirklich leer? Na ja – zumindest so leer, wie es nur irgendwie geht im Universum. Aber nicht völlig leer. Dort ist jetzt zwar wirklich nicht mehr viel. Aber das, was man dort noch finden kann, nennt sich das „Warm-heiße intergalaktische Medium“ und ist eine extrem spannende Sache. Aber darüber reden wir in einer anderen Folge der Sternengeschichten.