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Sternengeschichten Folge 578: Das Lambda-CDM-Modell
Heute geht es in den Sternengeschichten um Alles. Es geht um die Geschichte des Universums, vom Anfang bis zur Gegenwart. Und natürlich wird es keine vollständige Geschichte sein; ein Überblick muss reichen. Wir schauen uns aber trotzdem heute das Lambda-CDM-Modell an. So nennt man das, was landläufig als „Urknalltheorie“ beschrieben wird oder auch das „Standardmodell der Kosmologie“. Es geht also um das wissenschaftliche Modell, mit dem wir beschreiben, wie sich das gesamte Universum seit dem Urknall entwickelt hat. Natürlich nicht im kleinsten Detail; das Lambda-CDM-Modell beschreibt jetzt zum Beispiel nicht, wie die Sonne entstanden ist, wie sich die Säugetiere auf der Erde entwickelt haben oder wie die menschliche Zivilisation entstanden ist. Aber es kann dagegen sehr gut beschreiben, wie sich die großräumige Struktur in der Verteilung der Galaxien entwickelt hat, wie sich das Universum ausdehnt, warum es eine kosmische Hintergrundstrahlung gibt und warum sie so aussieht, wie sie aussieht. Und noch ein paar mehr Dinge, die wir uns dann vielleicht später ansehen.
Fangen wir aber mal mit dem Namen an, denn da steckt schon jede Menge drin. Lambda-CDM-Modell klingt sehr wissenchaftlich und in diesem Namen stecken auch zwei der wichtigsten Komponenten des Modells drin. Der griechische Buchstabe Lambda wird in der Kosmologie verwendet um die kosmologische Konstante zu beschreiben. Und das „CDM“ steht für „cold dark matter“, also eine Variante der dunklen Materie. Das Standardmodell der Kosmologie ist also das eines Universums, in dem es eine kosmologische Konstante gibt und in dem kalte, dunkle Materie existiert. Was das bedeutet wird gleich klar werden; wir werfen aber zuerst noch einen kurzen Blick auf die Entwicklung des Modells.
Wir müssen dafür zurück in die 1920er Jahre. Damals war durch Beobachtungen einer Sonnenfinsternis einerseits klar geworden, dass die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein tatsächlich in der Lage ist, die Gravitation korrekt zu beschreiben. Andererseits wusste man dank der Beobachtung ferner Galaxien, dass sich das Universum ausdehnt. Aus diesen beiden Erkenntnissen hat sich die erste Urknalltheorie entwickelt: Das Universum hat einen Anfang; es hat einen Anfang in der Zeit; es hat in einem extrem heißen und dichten Zustand begonnen und sich seitdem beständig abgekühlt und ausgedehnt. Aus diesem Modell heraus konnte man auch die Existenz der kosmischen Hintergrundstrahlung vorhersagen, von der ich in Folge 316 ausführlich gesprochen habe. Deswegen jetzt nur ganz kurz: Zu Beginn gab es im Universum noch keine Atome wie jetzt. Ein Atom besteht ja aus einem Atomkern aus Protonen und Neutronen und einer Hülle aus Elektronen. Damals war es aber so heiß, dass die Atomkerne und Elektronen enorm schnell bewegt haben. So schnell, dass sich die Elektronen nicht an die Atomkerne binden konnten. Das hat Konsequenzen gehabt, den neben Atomkernen und Elektronen gab es damals ja auch noch jede Menge Energie in Form von Strahlung. Die konnte sich nicht aber ungehindert ausbreiten, weil sie ständig von den freien Elektronen abgelenkt worden ist. Erst gut 400.000 Jahre nach dem Urknall war das Universum kühl genug, damit sich aus Atomkernen und Elektronen vollständige Atome bilden konnten. Und erst jetzt war der Weg frei für die Strahlung. Sie begann, sich durch das Universum auszubreiten, von jedem Punkt aus in jede Richtung. Was bedeutet, dass ein Teil davon auch heute noch unterwegs ist und der Teil, der gerade von den Punkten des Universums kommt, die ausreichend weit von uns entfernt sind, trifft dann eben auch gerade heute auf unsere Messinstrumente. Sofern wir welche haben natürlich. Aber in den 1960er Jahren hatte man die ersten und damit die kosmische Hintergrundstrahlung nachgewiesen, die von der Urknalltheorie vorhergesagt worden ist. Dass war auch der Moment, in der sich diese Theorie des Universums gegenüber den Alternativen durchgesetzt hat; bis dahin gab es noch viele Forscherinnen und Forscher, die zum Beispiel die Steady-State-Theorie (von der ich in Folge 491 gesprochen habe) favorisiert hatten.
Mit dem Nachweis der kosmischen Hintergrundstrahlung war aber längst noch nicht alles erledigt. Irgendwie muss man ja auch erklären, wie aus der Suppe an Atomen in der Frühzeit des Univerums die ganzen Galaxien entstanden sind, die wir heute sehen. Wäre die gesamte Materie nach dem Urknall wirklich komplett gleichmäßig verteilt gewesen, dann hätte es keinen Grund gegeben, warum sich darin irgendwelche „Klumpen“ bilden hätten sollen. Die Gravitationskräfte wäre dann überall gleich stark gewesen; jeder Teil des Universums hätte jeden anderen Teil genau gleich stark angezogen und es wäre ein Gleichgewicht entstanden. Wir sehen aber heute eindeutig, dass das so nicht gewesen sein hat können. Es gibt Bereiche im Universum, wo sehr viel Materie zu finden ist, nämlich die ganzen Galaxienhaufen. Und es gibt Bereiche, wo keine Materie ist, nämlich die großen Leerräume dazwischen, die sogenannten „Voids“. Es muss also auch im frühen Universum Abweichungen vom Gleichgewicht gegeben haben: Bereiche, wo ein bisschen mehr Materie war und Bereiche, mit ein klein bisschen weniger Dichte. Die dichtere Bereiche haben eine stärkere Anziehungskraft ausgeübt als die weniger dichten und dort hat sich das Material geklumpt, noch mehr Anziehungskraft ausgeübt, und so weiter. Am Ende hat sich daraus die heute beobachtbare Verteilung der Galaxien entwickelt. Daraus folgt, dass auch die Hintergrundstrahlung nicht komplett gleichmäßig sein kann. Ich lasse die Details jetzt aus, die habe ich schon in den früheren Folgen erzählt. Aber wenn die Materie im frühen Universum ein bisschen ungleichmäßig verteilt war, dann muss es winzige Unterschiede in der Energie der Hintergrundstrahlung geben. Und die hat man 1992 auch tatsächlich gemessen.
Es gab aber immer noch zwei Probleme. Das mit der Galaxienentstehung aus den ursprünglichen Dichteunterschieden in der Materie nach dem Urknall hat nicht funktioniert. Zumindest nicht, wenn man davon ausgeht, dass die Materie die wir heute sehen können, die gesamte Materie des Universums ist. Aber man wusste auch schon spätestens seit den 1960er Jahren, dass es da noch eine andere Art von Materie geben muss, nämlich die „Dunkle Materie“. Darüber habe ich in Folge 25 und danach immer wieder gesprochen. Beobachtungen der Bewegung von Galaxien und Sternen haben gezeigt, dass sie sich so bewegen, wie sie es tun würden, wenn neben der normalen sichtbaren Materie noch sehr viel mehr Materie vorhanden ist, die wir nicht sehen können. Und auch die Entstehung von Galaxien lässt sich nur dann korrekt beschreiben, wenn man davon ausgeht, dass es sehr viel mehr Materie geben muss, die nicht leuchtet – dunkle Materie eben. Also wurden auch diese Beobachtungsdaten in das Urknallmodell inkludiert. Ende der 1990er Jahre entdeckte man auch, dass das Universum nicht nur expandiert, sondern im Laufe der Zeit immer schneller expandiert. Es muss als eine Kraft geben, die dafür sorgt, dass es das tut und die hat man „dunkle Energie“ genannt. Diese Kraft verhält sich genau so, wie die „kosmologische Konstante“, die Albert Einstein damals in seine allgemeine Relativitätstheorie eingebaut hat. Er hat das damals aber nicht getan, um ein Universum zu beschreiben, dass sich immer schneller ausdehnt. Er wollte ein Universum beschreiben, das sich gar nicht ausdehnt und weil seine Gleichungen aber ein expandieres Universum geliefert haben, hat er sie so modifiziert, dass sie eine Kraft enthalten, die dem entgegenwirken und das Universum statisch halten kann. Später hat man diese Konstante immer gleich Null gesetzt, weil man ja beobachten konnte, dass das Universum eben nicht statisch ist und tatsächlich expandiert. Die Entdeckung der beschleunigten Expansion hat aber gezeigt, dass die kosmologische Konstante in Einsteins Gleichungen einen Wert haben muss, der größer als Null ist.
Um das Jahr 2000 herum war also klar: Um die Entwicklung des Universums zu beschreiben, brauchen wir ein Modell, dass in der Lage ist, sowohl den Einfluss der dunklen Materie als auch den Einfluss einer kosmologischen Konstante bzw. der dunklen Energie zu beschreiben. Und dieses Modell ist das Lambda-CDM-Modell: „Lambda“ steht für die kosmologische Konstante und „CDM“ für „cold dark matter“. Und mit „cold“ ist übrigens nicht die Temperatur im üblichen Sinne gemeint. „cold dark matter“, also „kalte dunkle Materie“ ist Materie, die nicht-baryonisch ist, also nicht aus den üblichen Protonen und Neutronen besteht, wie die Materie die wir kennen. Sie ist „kalt“ in dem Sinn, dass sie sich sehr viel langsamer bewegt als die Lichtgeschwindigkeit. „Heiße“ dunkle Materie wären zum Beispiel Neutrinos – die sind auch nicht-baryonisch, aber bewegen sich enorm schnell. Aber heiße dunkle Materie passt nicht zu dem, was man beobachtet. Die kalte dunkle Materie ist auch nicht in der Lage Energie in Form von Photonen abzugeben (sonst würden wir sie ja sehen) und sie wechselwirkt nur über die Gravitationskraft mit anderer Materie.
Es wäre zu viel, das gesamte Lambda-CDM-Modell im Detail vorzustellen und zu erklären, aber es gibt sechs wichtige Parameter, die man kennen muss, wenn man auch konkret verstehen will, wie all das, was ich jetzt kurz beschrieben habe, tatsächlich funktioniert. Das ist zuerst einmal die Hubble-Konstante, also der Wert der angibt, mit welcher Rate das Universum heute expandiert. Dann muss man Omega_b und Omega_m kennen. Mit Omega_b wird der Anteil der baryonischen Materie an der gesamten Energiedichte des Universums beschrieben und die „bayronische“ Materie ist das, was wir als „normale“ Materie kennen. Omega_m ist dann der Anteil der gesamten Materie, also normale und dunkle Materie an der gesamten Energiedichte. Anders gesagt: Omega_b sagt mir, wie viel normale Materie es im Universum gibt. Wenn man das von Omega_m abzieht, weiß man, wie viel dunkle Materie es gibt. Und das was übrig bleibt von der gesamten Energiedichte, was keine dunkle oder normale Materie ist, ist die dunkle Energie. Die nächsten drei Parameter sind ein wenig kniffliger zu beschreiben. Zuerst ist da Tau, die optische Dichte zum Zeitpunkt der Reionisierung. Mit „Reionisierung“ ist der Zeitpunkt gemeint, den ich vorhin beschrieben habe, also der Moment 400.000 Jahre nach dem Urknall, als sich die Elektronen an die Atomkerne gebunden haben und die „optische Dichte“ beschreibt, wie gut sich die Strahlung zu dem Zeitpunkt im Universum ausbreiten konnte. Die letzten beiden Parameter heißen „Krümmungsfluktuationsamplitude“ und „spektraler Index“ und sind ein bisschen schwieriger zu verstehen. Es geht dabei um die „primordialen Fluktuationen“, also die Dichteunterschiede in der Verteilung der Materie im ganz frühen Universum. Die kann man mathematisch mit den beiden Parametern die ich gerade erwähnt habe, beschreiben. Das läuft – sehr vereinfacht – so. Man schaut sich zum Beispiel einen Abschnitt des Himmels an, der 180 Grad umfasst – also eine Hälfte des Himmels – und misst dort die Energie der kosmischen Hintergrundstrahlung. Und dann schaut man sich den andere 180 Grad Ausschnitt an. Diese Werte vergleicht man, und bestimmt den Unterschied. Dann macht man das aber auch für alle kleineren Ausschnitte. Man teilt den Himmel in Viertel, in Achtel, in Sechzehntel, und so weiter – so weit die Auflösung der Instrumente reicht (und die reicht mittlerweile weit, bis hin zu Ausschnitten, die nur ein paar Hundertstel Grad groß sind). Wenn man jetzt in einem Diagramm die beobachtete Energieschwankungen in den jeweilgen Ausschnitten gegenüber der Größe der Ausschnitte aufträgt, dann kriegt man eine Linie, die auf und ab schwankt. Man kann sich die Sache auch als Schwingung in diese „Urmaterie“ vorstellen, also als eine Grundwelle mit vielen Oberwellen, die bescheibt, wie sich die Dichte im Gas verändert. Die Krümmungsfluktuationsperiode und der spektrale Index sind jetzt zwei Zahlen, mit denen man genau diese Schwingung mathematisch darstellen kann.
Wie gesagt: Alles ein wenig kompliziert, aber es geht ja immerhin um die Beschreibung des gesamten Universums! Und diese sechs sind nur die auf jeden Fall nötigen Parameter, ohne die geht es auf keinen Fall. In Wahrheit umfasst das Lambda-CDM-Modell noch sehr viel mehr Parameter, die ich mir jetzt aber spare. Auf jeden Fall ist das Lambda-CDM-Modell eine wirklich gute Beschreibung des Universums. Die Messdaten der Hintergrundstrahlung passen zum Beispiel sehr gut zu dem, was vorhergesagt wird, also zu der auf und ab schwingenden Kurve die ich gerade erklärt habe. Und daraus folgen Werte für den Anteil der baryonischen und dunklen Materie, mit denen sich die Entwicklung der Galaxien sehr gut nachvollziehen lassen. Aber natürlich ist das Modell nicht perfekt. Es gibt sehr viele offene Fragen und sehr viel, was wir noch nicht verstehen. Es ist also definitiv damit zu rechnen, dass wir das Lambda-CDM-Modell in Zukunft immer wieder erweitern, modifiziern und anpassen müssen. Oder vielleicht sogar irgendwann komplett umbauen. Was nicht heißt, dass alles falsch sein könnte. Wir haben ja konkrete Beobachtungen die uns zeigen, dass da zum Beispiel die Hintergrundstrahlung ist, die nur entstanden sein kann, wenn das Universum früher sehr viel heißer und dichter war. Wir sehen, dass das Univesum sich ausdehnt. Und so weiter. Diese Daten kann man nicht ignorieren. Aber weiß weiß, ob wir dem Lambda-CDM-Modell in Zukunft nicht noch ein paar andere Buchstaben hinzufügen müssen…