Der März ist bald vorbei; morgen gibt es wieder mehr oder weniger lustige Aprilscherze und bis dahin habe ich noch die üblichen Buchempfehlungen für euch. Im März hatte ich nur Zeit für zwei Bücher, aber die sind beide deutliche Empfehlungen. „Science Fiction“ taucht in beiden Werken auf; es geht aber um zwei ganz unterschiedliche Themen.
Krise in der Wissenschaft
Auf das Buch „Science Fictions: Exposing Fraud, Bias, Negligence and Hype in Science“ (nicht auf deutsch erschienen) von Stuart Ritchie bin ich durch Zufall gestoßen. Ich hatte eigentlich literaturwissenschaftliche Werke zur Science Fiction gesucht, aber das Buch von Ritchie klang auch vielversprechend. Und war es auch!
Der Psychologe Ritchie hat in seinem Buch aufgeschrieben, was mit der Wissenschaft alles schief läuft. Er hat dabei nichts grundlegend Neues aufgedeckt, aber den (ein wenig deprimierenden) Stand der Dinge sehr übersichtlich, verständlich und unterhaltsam aufgeschrieben. Im ersten Teil des Buches wird all das aufgezählt und erklärt, was in der Wissenschaft für Probleme sorgt. Zum Beispiel das, was Ritchie gleich zu Beginn aus seiner eigenen Arbeit schreibt: Seine Arbeitsgruppe hatte versucht eine Studie anderer Forscher:innen, die sehr spektakuläre Ergebnisse gebracht hat, zu reproduzieren. Was nicht gelungen ist; der Effekt konnte nicht nachgewiesen werden. Es war ihnen allerdings nicht möglich, diese Ergebnisse auch zu publizieren; die entsprechende Fachzeitschrift wollte keine Arbeiten veröffentlichen, die nichts neues herausgefunden haben, sondern nur andere Arbeiten überprüfen.
Ausgehend davon erklärt Ritchie, wie das „Idealbild“ der Wissenschaft aussehen sollte; wie immer noch sehr viele Menschen denken, dass Wissenschaft funktioniert. Und zeigt, dass die Realität unter Umständen deutlich davon abweicht. Wissenschaft ist deswegen so mächtig, weil sie sich ständig selbst überprüft; weil Ergebnisse nicht einfach hingenommen, sondern repliziert, gecheckt und unter Umständen korrigiert werden. Das ist absolut richtig – aber wenn man die Ergebnisse solcher Überprüfungen nicht veröffentlichen kann, dann bringt das nicht viel. Und dann werden die Forscher:innen sich auch nicht mehr die Mühe machen, Studien zu replizieren. Das führt dazu, dass sehr viele Ergebnisse in der Forschung nicht verlässlich sind, weil niemand sie unabhängig überprüft hat. Das gilt insbesondere für Fächer wie Psychologie, wo die Forschungsinstrumente nicht so exakt sein können wie zum Beispiel in der Physik. Und warum ist das alles so? Weil Journale nur die „neueste“ und „beste“ Forschung haben wollen. Weil Unis am liebsten Leute einstellen, die in den „besten“ Journalen publiziert haben. Weil Medien am liebsten über gehypte Themen berichten. Und deswegen sind Forscher:innen oft quasi gezwungen, ihre Forschung ebenfalls zu hypen; die Studien bewusst (aber meistens unbewusst) so hinzudrehen, dass die Ergebnisse signifikanter aussehen, als sie sind, und so weiter.
Ritchie erklärt mit vielen Beispielen all das, was in der Wissenschaft schief gelaufen ist – belässt es aber nicht dabei, sondern probiert auch zu erklären, wie man das Problem lösen kann. Durch mehr Transparenz etwa; durch „Open Science“ bei der wirklich ALLE Daten offen liegen; durch die Trennung von Publikation und Peer Review; durch andere Anreize (Unis bewerten nicht mehr nur die Publikationsliste, sondern auch das Engagement für open science, etc). Man wird so ein komplexes System wie die Wissenschaft nicht von heute auf morgen ändern können. Aber man kann die Probleme auch nicht einfach ignorieren. Wissenschaft ist zu wichtig dafür und das macht auch Ritchie klar: Es geht ihm in seinem Buch nicht darum, die Wissenschaft schlecht zu reden. Gerade weil sie so faszinierend und wichtig ist, müssen wir uns die Probleme ansehen und darauf reagieren. „Science Fictions“ ist ein Buch, das man allen nur empfehlen kann – und vielleicht hilft es ja dem einen oder der anderen, die eigene Forschung in Zukunft anders zu organisieren.
Wenn die Sonne verschwindet…
Wer ein Buch von Stephen Baxter aufschlägt, weiß, was man bekommen wird: Große Ideen, jede Menge Hard-Science-Fiction und spannende Lektüre, die vielleicht nicht dramatisch anspruchsvoll, aber auf jeden Fall unterhaltsam ist. So ist es auch bei „Galaxias“ (im Original ebenfalls „Galaxias“). Es beginnt am Tag einer Sonnenfinsternis in den 2050er Jahren. Die Menschheit hat die Klimakrise und ein paar Pandemien mit großen Schwierigkeiten hinter sich gebracht. Man hat ein paar nette Raumstationen gebaut, ist dabei zum Mars zu fliegen, und die Zukunft nimmt Fahrt auf. Bis zur Sonnenfinsternis: Die Sonne verschwindet hinter dem Mond – und taucht nicht mehr auf. Von einer Sekunden auf die andere ist sie verschwunden. Nicht einfach dunkel geworden, sondern schlicht und einfach weg.
Mit so einer Krise hatte die Menschheit noch nie zu tun; auf so eine Krise kann sie auch nicht reagieren. Aber bevor das Chaos zu groß wird, taucht die Sonne wieder auf. Und jetzt beginnt das Buch so richtig. Denn einerseits ist danach natürlich nicht wieder alles beim alten. Es gibt jede Menge meteorologisches, geologisches und himmelsmechanisches Chaos. Und allen ist klar: Das war kein natürliches Phänomen. Eine außerirdische Intelligenz – der man den Namen „Galaxias“ gibt – muss das gemacht haben. Aber warum? Was will sie? Wie kann man sie daran hindern, ein weiteres Mal so katastrophal zu handeln? Kann man mit ihr Kontakt aufnehmen?
Genau das ist es, worum es in „Galaxias“ geht und Baxter erzählt seine Geschichte wie üblich sehr spannend. Dort wo er sinnvoll technisch spekulieren kann, tut er es auch und dort wo man nicht spekulieren muss (zum Beispiel bei den Auswirkungen die zu erwarten sind, wenn die Sonne für einen Tag verschwindet), hat Baxter sich sehr genau und wissenschaftlich überlegt, was passieren wird. Ich will nicht zu viel spoilern, und deswegen spare ich mir weitere Zusammenfassungen des Inhalts. Aber wir werden eine weite Reise durchs All unternehmen; es wird natürlich Gefahren und Überraschungen geben. Und man findet im Buch auch erstaunlich viel Politik: Denn die Welt in „Galaxias“ ist zwar eine Welt der Zukunft, aber eine in der es immer noch doofe amerikanische Präsidenten gibt; populistische Politiker in Europa, nervige Militärs und Spannungen zwischen den Nationen. Trotzdem muss man sich irgendwie zusammenraufen, wenn man Galaxias irgendwie etwas entgegensetzen will.
Ich habe „Galaxias“ sehr gerne gelesen; es gehört zu den wirklich guten Büchern von Baxter.
Das wars
Das war der März. Ich hoffe auf mehr als zwei Bücher für den April; kann aber nichts versprechen. Die Arbeit lässt leider nicht nach…
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Weil ich es gerade in der WRINT Wissenschaft hörte, ganz ehrlich, der Grund wieso ich DAS KLIMA abgebrochen und im Übrigen die Anzahl an (nicht nur) Wissenschaftspodcasts generell reduziert habe (kurz: hören nur wenn lesen nicht möglich ist), ist die Feststellung, dass mir das Narrative, eine fesselnd erzählte Geschichte fehlt, wie es nun einmal nur Fiction vermag. In richtig guter (nicht nur aber vor allem) SF-Literatur bekomme ich meiner Meinung nach die Fakten viel eindringlicher vermittelt, als es ein Wissenschaftspodcast schafft. Zum Beispiel in „Erstaunen“ von Richard Powers, wenn die Rede ist von: „Deshalb bringen wir den ganzen Planeten um. »Wir bringen ihn um?« Und tun dann, als wüssten wir es nicht, so wie Sie gerade. Nur im Standbild sieht man die Zehntelsekunde Scham auf ihrem Gesicht. Jeder weiß, was los ist. Aber wir schauen alle weg.“, bekomme ich Gänsehaut.
Sorry für das Offtopic, immerhin eine Buchempfehlung war dabei.
Und betreffs „literaturwissenschaftliche Werke zur Science Fiction“ – ganz klar „Niegeschichte“ von Dietmar Dath, mit einem langen Atem.
Hmm. SO breit ist der Kernschatten einer SoFi ja nicht. Was sehen denn all diejenigen, die nicht in dessen Bahn sind?
Vermutlich einen Autoren, der verzweifelt versucht, seine Logiklöcher zu stopfen. 😉
Ich hab‘ das Buch zwar nicht gelesen und Florian erklärt das ja auch nicht explizit weil Spoiler … aber wenn ich sowas schreiben würde, würde ich mir zur Vermeidung von Logiklöchern ein mysteriöses Dingsda ausdenken, dass nicht der Mond ist aber so groß, dass der Kernschatten so groß ist wie die ganze Erde.
Wir werden es wissen, wenn einer von uns das Buch gelesen hat 😉
Es geschah nur genau zur Zeit einer Sonnenfinsternis. Fuer die, die ausserhalb des Schatten war, war die Sonne auch einfach von einem auf den naechsten Moment weg.
Ein „mysteriöses Ding“? Tja, das müsste dann wohl sehr groß oder ziemlich erdnah sein, um die gesamte Erde einzuhüllen. Sähe so etwas aber noch aus wie eine normale Sonnenfinsternis? Die schwarze Scheibe, die sich da vor die Sonne schiebt, müsste doch vom Erdboden aus erheblich größer aussehen als der Mond.