Das ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video. Und den ganzen Podcast findet ihr auch bei Spotify.
Mehr Informationen: [Podcast-Feed][iTunes][Bitlove][Facebook] [Twitter]
Über Bewertungen und Kommentare freue ich mich auf allen Kanälen.
—————————————————
Sternengeschichten Folge 457: Das Kreuz des Südens
Diejenigen, die diese Folge aus dem Osten Deutschlands anhören, werden bei „Kreuz des Südens“ vielleicht an die Mischung aus Aprikosenlikör und Rum denken, die dort lange Zeit unter diesem Namen verkauft worden ist. Darum soll es aber heute nicht gehen. Es geht um Sterne; es geht – genauer gesagt – um ein Sternbild. Das „Kreuz des Südens“ das Thema dieser Folge ist, finden wir nicht in einer Flasche, sondern am Himmel. Obwohl wir es _auch_ auf der Flasche finden. Das Sternbild „Kreuz des Südens“ gehört zu den beliebtesten und bekanntesten Sternbildern und ist deswegen eben nicht nur am Himmel zu sehen, sondern auch überall sonst. Auf Schnapsflaschen, Landesflaggen, Firmenlogos, und so weiter.
Aber bleiben wir erst mal beim Himmel. Das Kreuz des Südens ist – wie der Name schon andeutet – am südlichen Himmel zu sehen. Und mit Süden ist nicht Süddeutschland, Italien, oder sonst irgendwas in der Art gemeint. Wir müssen von Mitteleuropa viel weiter in den Süden; wir müssen bis zum Äquator, um eine Chance zu haben, das Sternbild zu sehen. Oder eben gleich auf die Südhalbkugel der Erde, von wo aus man die südliche Hälfte des Nachthimmels naturgemäß am besten sehen kann. Wenn man dort dann das Sternbild des Zentauren sucht, findet man in der Ecke des Himmels auch das Kreuz des Südens. Wenn man nicht weiß, wo der Zentaur ist, dann orientiert man sich am besten mit einer Himmelskarte. Oder man sucht die Milchstraße, denn das Kreuz des Südens liegt mitten in diesem hellen, milchigen Band, das sich vor allem am Südhimmel prächtig beobachten lässt. Sofern es dunkel genug ist, natürlich.
Das Kreuz des Südens ist klein; von allen 88 offiziellen Sternbildern des Himmels ist es das kleinste. Aber es ist auffällig! Man erkennt es – wenig überraschend – an der Kreuzform, die die vier hellsten Sterne dieses Sternbilds bilden. Und deswegen hat es für die Menschen auch schon immer eine wichtige Rolle gespielt. In Ozeanien hat man das Kreuz des Südens immer schon in die diversen Mythologien eingebaut. Auf den Inseln zwischen Australien und Papua-Neuguinea hat man die Sterne zu einem Dreizack angeordnet; ein wichtiges Instrument in einer Kultur, die von Fischerei dominiert ist. In Brasilien hat man in der Konstellation einen Rochen erkannt. Bei den Māori in Neuseeland trägt das Kreuz des Südens den Namen „Melipal“ und stellt den Anker des Schiffes des Kriegers Tama Rereti dar. Damals lebten die Menschen erst kurz auf der Erde. Es gab noch keine Sterne am Himmel und nachts war es stockfinster. In der dunklen Nacht lebten die die Taniwha, mächtige und gefährliche Naturgeister und Wächter der Welt, die alle auffraßen, die sich nachts draußen herumtreiben. Tama Rereti lebte am Ufer eines großen Sees und weil seiner Familie das Essen ausging, fuhr er hinaus um zu fischen. Nach erfolgreichem Fang wollte er wieder zurück, aber plötzlich war kein Wind mehr da. Tama Rereti wartete ab und schlief ein. Währenddessen wurde sein Boot bis ans nördliche Ende des Sees getrieben; weit entfernt von seinem Dorf. Als er aufwachte, musste er feststellen, dass er es vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr nach Hause schaffen würde. Tama Rereti hatte keine Angst vor den Taniwha, aber er wollte trotzdem zurück nach Hause. Zuerst aber machte er sich etwas zu essen. Er briet seine Fische über dem Feuer und stellte fest, dass die Steine in seiner Feuerstelle in der Nacht zu leuchten anfingen. Das brachte ihn auf eine Idee: Anstatt über den See zurück zu ruden, auf dessen Grund die Taniwha lebten, steuerte er sein Boot hinauf in den Himmel. Dort warf er die die leuchtenden Steine links und rechts über Bord. Als er endlich zuhause ankam, war der Himmel übersäht mit leuchtenden Punkten. Am nächsten Tag bekam er Besuch von Ranginui, dem Gott des Himmels. Der war gar nicht böse darüber, was Tama Rereti mit seinem Reich angestellt hatte, sondern freute sich über die vielen neuen Lichter. Jetzt konnten die Menschen endlich auch nachts durch die Welt gehen, ohne Angst vor der Dunkelheit. Und um alle immer daran zu erinnern, wie die Sterne an den Himmel gekommen sind, bat Ranginui den Krieger, sein Kanu dauerhaft am Himmel zu belassen.
Ich habe diese sehr schöne Geschichte deswegen so ausführlich erzählt, um zu zeigen, dass es eben nicht nur die ganzen Legende aus der klassischen griechischen und römischen Mythologie gibt, die wir uns normalerweise über die Sterne erzählen. Das sind nur die Geschichten, die wir hier in Europa uns erzählen (und nicht einmal da stimmt es, denn auch hier gibt es viel mehr Kulturen als die Griechen und Römer der Antike!). Überall auf der Welt haben die Menschen zum Himmel geschaut und sich Geschichten erzählt. Wir hier im globalen Norden neigen aber gerne dazu, diese Vielfalt der Himmelsbeoachtung zu ignorieren. Aber dazu später noch mehr. Würden wir uns nur auf die griechische Antike beschränken, gäbe es über das Kreuz des Südens auf jeden Fall nicht viel zu erzählen. Man kannte dort die Sterne des Kreuz des Südens. Vor ein paar tausend Jahren war die Erdachse noch in eine andere Richtung des Himmels geneigt als heute und das Kreuz des Südens war auch von Mittel- und Nordeuropa aus sichtbar. Trotzdem ist es nicht in der Liste der 48 klassischen Sternbilder gelandet, die schon in der Antike zusammengestellt worden ist. Man hat die Sterne einfach dem Sternbild des Zentauren zugeschlagen. Und vor ungefähr 2500 Jahren war das Kreuz des Südens dann von Europa aus nicht mehr sichtbar und man hat sich vorerst nicht mehr damit beschäftigt.
Das hat sich erst im 16. Jahrhundert wieder geändert, als die Menschen aus Europa anfingen, auf ihren Entdeckungs- und Eroberungsfahrten auch die südlichen Ozeane zu bereisen. Den christlich geprägten Leuten ist das Kreuz am Himmel natürlich sofort aufgefallen und gegen Ende des 16. Jahrhunderts tauchte es dann auch auf den ersten Himmelskarten auf. Es war vor allem auch deswegen ein sehr nützliches Sternbild, weil man damit die Richtung zum Südpol bestimmen konnte. Genau so wie man auf der Nordhalbkugel der Erde die Konstellation des Großen Wagens nutzen kann, um die Nordrichtung zu bestimmen, geht das auf der Südhalbkugel mit dem Kreuz des Südens. Dazu muss man nur die längere Achse des Kreuzes ungefähr um das 4,5fache verlängern.
Die Sterne, die das Kreuz des Südens bilden, sind aus astronomischer Sicht nicht weiter aufsehenerregend. Der hellste Stern – Acrux – ist 321 Lichtjahre von der Erde entfernt und besteht eigentlich aus drei Sternen. Wir sehen aber nur den hellsten der drei, der wirklich hell leuchtet und kaum übersehen werden kann. Der zweithellste Stern ist Becrux, ein blauer Riesenstern, 353 Lichtjahre weit weg. Gacrux, der dritthellste Stern ist nur 88 Lichtjahre weit weg und einer der uns nächstgelegenen roten Riesensterne. Decrux, der vierthellste Stern, ist 345 Lichtjahre weit weg und langsam fragt sich sicher der eine oder die andere, was das für komische Namen sind? Acrux, Becrux, Gacrux und Decrux? Klingt ein bisschen wie in einem Asterix-Heft – die Namen haben aber wieder mit unserer Ignoranz anderer Kulturen zu tun. Viele der hellen Sterne am nördlichen Himmel haben Eigennamen. Sirius, Polaris, Beteigeuze, Vega, und so weiter. Das sind die Namen, die Griechen, Römer und Araber im Laufe der Zeit vergeben haben und die wir heute noch benutzen. Für Sterne auf der Südhalbkugel, die wir vom Norden aus nicht sehen können, gibt es solche Namen nicht. Beziehungsweise gibt es natürlich Namen, nämlich die, die von den Menschen in Australien, Neuseeland, Südamerika, Afrika, und so weiter vergeben worden sind. Aber das hat uns nicht interessiert; wir haben uns daher an die Katalogbezeichnungen gehalten. 1603 hat der deutsche Astronom Johann Bayer ein weit verbreitetes System eingeführt: Sterne werden nach dem Sternbild benannt in dem sie sich befinden und anhand ihrer Helligkeit sortiert. Der hellste Stern bekommt den griechischen Buchstaben „Alpha“, gefolgt vom lateinischen Namen des Sternbilds. „Alpha Centauri“ zum Beispiel: Der hellste Stern im Sternbild Zentaur. Oder „Beta Geminorum“, der zweithellste Stern im Sternbild Zwilling, den wir besser unter seinem Namen „Pollux“ kennen. Das Kreuz des Südens hat den lateinischen Namen „Crux“ und die Sterne dort heißen im Bayer-Katalog dann eben Alpha Crucis, Beta Crucis, Gamma Crucis, und so weiter. Was einfach zu „Acrux“, „Becrux“, „Gacrux“ und „Decrux“ verkürzt worden ist. Seit 2016 sind das sogar die von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) offiziell anerkannten Namen der Sterne. Es wäre nett gewesen, diese eher doofen Namen zu verwerfen und sich an den traditionellen Namen zu halten, die auf der Südhalbkugel immer schon verwendet worden sind. Aber zumindest bei „Epsilon Crucis“ hat man genau das gemacht. Der hieß – zum Glück – noch nicht „Epcrux“. Und deswegen hat die IAU ihm den Namen „Ginan“ gegeben. Das ist ein Begriff, den das Wardaman-Volk aus dem nördlichen Australien verwendet. Sie beschreiben damit ein Konzept aus ihren Mythen über die Erschaffung der Welt. Ginan war eine Art Tasche, voller Lieder, aus denen die Welt entstanden ist.
In Australien hat man überhaupt einen ganz besonderen Blick auf den Himmel. Die Sternbilder dort sind nicht immer nur STERNbilder. Wenn man das Kreuz des Südens in einer klaren und dunklen Nacht beobachtet, dann erkennt man dort einen dunklen Fleck. So als würde eine dunkle Wolke vor den Sternen liegen. Genau das ist auch der Fall: Man kann dort den „Kohlensack“ sehen, eine sogenannte Dunkelwolke. Die fällt vor allem deswegen auf, weil sie von uns aus gesehen direkt vor der Milchstraße mit ihren unzähligen Sternen steht. Solche Wolken aus Gas und Staub gibt es überall zwischen den Sternen; sie sind oft mehrere hundert Lichtjahre groß und die Regionen, in denen neue Sterne entstehen. Meistens können wir diese Wolken ohne optische Hilfsmittel nicht sehen, aber wenn sie am Himmel gerade vor der sternenhellen Region der Milchstraße stehen, fallen sie natürlich auf. Die Aborigines in Australien haben sie auch gesehen und daraus ihre eigenen Konstellationen gebastelt. Der Kohlensack ist – gemeinsam mit anderen Dunkelwolken – Teil des „Himmels-Emu“, eine von dunklen Flecken gebildete Figur die einem Emu ähnelt.
Das Kreuz des Südens ist ein wunderbares Beispiel für den Einfluss, den Sterne immer schon auf uns gehabt haben. Die ganze Welt ist voll mit Geschichten über diese Sterne. Wir finden das Kreuz des Südens heute auf den Flaggen von Brasilien, Australien, Neuseeland, Papua-Neuguinea und Samoa. Jede Menge Bundesstaaten dieser Länder haben es auch auf ihren regionalen Fahnen. In der brasilianischen Hymne singt man „A imagem do Cruzeiro resplandece“, was so viel heißt wie „Das Bild des Kreuzes scheint“; in Australien lautet eine Zeile der Hymne „Beneath our radiant Southern Cross we’ll toil with hearts and hands“. Man besingt das Kreuz in Samoa; es taucht in der Popmusik auf, in der Literatur, im Logo der Europäischen Südsternwarte, auf den australischen Münzen, dem Vereinswappen des brasilianischen Fußballvereins Cruzeiro Belo Horizonte und dem Logo von Mercosur, dem „Gemeinsamen Markt Südamerikas“, eine internationale Wirtschaftsorganisation ähnlich der frühen Europäischen Union.
Und wenn wir von den staatlichen und wirtschaftlichen Symbolen weg und in die wunderbaren und vielfältigen Mythen der Völker dieser Erde schauen, dann ist das Kreuz des Südens auch dort überall zu finden. Die Sterne haben uns von Anfang an begleitet und bis heute nicht losgelassen. Seien wir also dankbar, dass Tama Rereti sie damals an den Himmel gesetzt hat.
Wer vor 1975 geboren wurde, wird sich noch an „Dschinghis Khan“ erinnern, jene von Ralph Siegel gecastete Poptruppe, die 1979 bei Grand Prix Eurovision de la Chanson groß rauskam… in dem Lied „Sahara“ auf der B-Seite heißt es: „Und kommt der Mond von fern das Kreuz des Südens seh’n“ – was zumindest südlich von 25,5°N hinkommt!
Da das eine so schöne (Gute Nacht) Geschichte ist, bei der man auch als Erwachsener gerne einschläft und die ich deshalb mehrfach weiterempfohlen habe, wollte ich anhand von „Melipal“ das genaue Aussehen eines traditionellen Maori-Kanus recherchieren und bin mittels Suchmaschine überraschenderweise bei einem argentinischen Weingut gelandet. Wenn ich der englischen Wikipedia Glauben schenken kann, dann ist nämlich der Maori Begriff für das Kreuz des Südens „Mahutonga“ und in der Sprache der Mapuche heißt es „Melipal“. Ist da vielleicht eine kleine Verwechslung passiert? Das ändert natürlich nichts an der wunderbaren Legende. Vielen Dank fürs Erzählen – auch der anderen Sternengeschichten!